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22.08.2013 · IWW-Abrufnummer 132593

Landgericht Dortmund: Urteil vom 02.05.2013 – 2 O 340/12

Ein nach künstlicher Ernährung mittels PEG-Sonde durch Speiseaspiration ausgelöster Erstickungstod ist kein Unfalltod i.S.d. AUB


Landgericht Dortmund

2 O 340/12

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt nach einem Streitwert von 20.000,00 € die Klägerin.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Klägerin ist Mitglied einer Erbengemeinschaft nach ihrer 2011 verstorbenen Mutter, die bei der Beklagten eine Unfallversicherung unter Geltung AUB 2008 mit einer versicherten Todesfallleistung von 20.000,00 € unterhielt. Im Januar 2011 wurde die Versicherungsnehmerin wegen einer Niereninsuffizienz bei Schluckstörung unklarer Genese und mittelschwerer vaskulärer Demenz in stationärer Krankenhausbehandlung eingeliefert. Im Krankenhaus wurde die Versicherungsnehmerin der Beklagten mittels PEG (Perkutane endoskopische Gastrostomie) ernährt. Am 19.03.2011 verstarb die Versicherungsnehmerin während des andauernden Krankenhausaufenthaltes auf Grund einer Atemlähmung nach Aspiration (Eindringen flüssiger oder fester Stoffe in die Atemwege). Die Klägerin hat die Aspiration zunächst auf einen schweren ärztlichen Behandlungsfehler durch eine übermäßige Dosierung von Morphin zurückgeführt, weil Morphin neben dem Atemreflex zusätzlich auch den Schluckreflex dämpft und unterdrückt. Nachdem die Beklagte sich auf den Ausschluss nach Ziffer 5.2.3 AUB berufen hat, hat die Klägerin diesen Vortrag ausdrücklich fallen gelassen. Sie sieht als Todesursache einen Unfall, weil die Nahrung von außen zugeführt und anschließend erbrochen worden sei, so dass die Versicherungsnehmerin an der Nahrung erstickt sei.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Erbengemeinschaft bestehend aus

1) C,

2) H,

3) F,

4) F2,

5) F3,

6) E

20.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagte weiter zu verurteilen, an die Klägerin 1.023,16 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie geht von einem natürlichen Tod ihrer Versicherungsnehmerin aus, jedenfalls von einer durch die Unfallversicherungen nicht gedeckten Todesursache.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen Ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

1.

Der Erbengemeinschaft nach dem Tod der Versicherungsnehmerin der Beklagten steht aus der zwischen der Erblasserin und der Beklagten abgeschlossenen Unfallversicherung kein Anspruch auf die im Unfallversicherungsvertrag vereinbarte Todesfallleistung zu, weil nach dem unstreitigen Sachverhalt der Tod der Mutter der Klägerin nicht auf einen Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen zurückzuführen ist. Denn nach den vereinbarten AUB 2008 wie auch nach der gesetzlichen Definition in § 178 Abs. 2 VVG liegt ein Unfall vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis eine unfreiwillige Gesundheitsbeschädigung erleidet. Zwar macht die Klägerin geltend, dass eine Einwirkung von außen insofern vorliegt, als die Erblasserin mittels einer Perkutanen endoskopischen Gastrostomie (PEG) künstlich ernährt wurde und damit die Nahrung von außen zugeführt worden ist. Nach der Rechtsprechung ist allerdings für die Frage, ob die Einwirkung „von außen“ erfolgt, allein das Ereignis in dem Blick zu nehmen, dass die Gesundheitsbeschädigung bzw. dem Tod unmittelbar herbeiführt (BGH VersR 2011, 1135; OLG München VersR 2012, 715). Dies berücksichtigend kann nicht ausgeblendet werden, dass es zu dem zum Tode führenden Eindringen flüssiger oder fester Stoffe in die Atemwege (Aspiration) erst kommen konnte, nachdem durch eine körperinnere Reaktion bei der Verarbeitung der zugeführten Nahrung Teile davon in die Luftröhre geraten sind. Deshalb sieht die herrschende Meinung in einem Erstickungstod durch Speiseaspiration nach körperinterner Reaktion auf die Nahrungszuführung kein Unfallereignis, weil kein äußeres Ereignis, sondern ein innerer Körpervorgang zum Tod geführt hat (LG Flensburg, RuS 2006, 32; Knappmann in Prölss/Martin VVG, 28. Aufl., § 178 Rdn. 9; Grimm, Unfallversicherung, 5. Auflage, AUB 2010 Ziffer 1 Rdn. 35; Kloth, Private Unfallversicherung, Kapitel E Rdn. 15; Rüffer in Rüffer/Halbach/Schimikowski, Handkommentar VVG, 2. Aufl., § 178 Rdnr. 5; Leverenz in Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl., § 178 Rdn. 74; Götz in Looschelders/Pohlmann, VVG, § 178 Rdn. 17; Jacob, Unfallversicherung, Ziffer 1 AUB 2010 Rdn. 17).

2.

Selbst wenn aber zugrunde gelegt würde, dass ein durch Speiseaspiration hervorgerufener Tod ein Unfalltod im Sinne der AUB wäre, stünde der Erbengemeinschaft kein Anspruch auf die Versicherungsleistung zu, weil dieser Unfalltod gemäß Ziffer 5.2.3 AUB 2000 vom Versicherungsschutz ausgeschlossen wäre. Denn danach sind Gesundheitsschäden durch Heilmaßnahmen oder Eingriffe am Körper der versicherten Person nicht versichert. Den Risikoausschluss hat das Gericht von Amts wegen zu beachten, ohne dass sich die Beklagte darauf berufen müsste (BGH IBR 2010, 536; Harsdorf-Gebhardt, RuS 2012, 261, 263/4).

Unter dem Begriff der Heilmaßnahmen werden alle Maßnahmen zu diagnostischen oder therapeutischen Zwecken gefasst, ohne dass diese von Ärzten durchgeführt worden sein müssen. Weder ist eine medizinische Indikation noch eine Durchführung lege artis erforderlich, damit der Ausschluss eingreift. Die künstliche Ernährung kann ohne Weitere als eine therapeutische Maßnahme eines unter Schluckbeschwerden und Demenz leidenden Patienten verstanden werden. Selbst wenn man dies anders sähe, handelte es sich jedenfalls um einen Eingriff am Körper der Versicherungsnehmerin der Beklagten. Denn unter Eingriffe sind alle gezielten Handlungen zu verstehen, die zu einer Substanzverletzung des Körpers führen oder Einwirkungen von außen sind, die eine Beeinträchtigung körperlicher Funktionen bezwecken (BGH VersR 2001, 227). Da die Speiseaspiration mit nachfolgendem Erstickungstod eine typische Gefahr der künstlichen Ernährung mittels PEG darstellt, hat sich die durch die Heilmaßnahme bzw. den Eingriff ausgelöste eigentümliche Gefahr verwirklicht, die einen inneren Zusammenhang zwischen dem Tod und der Heilmaßnahme bzw. dem Eingriff voraussetzt. Der Erstickungstod ist nicht nur zufällig aus Anlass von Heilbehandlungen/Eingriff eingetreten, sondern er konnte sich nur ereignen, weil die Versicherungsnehmerin der Beklagten mittels PEG künstlich ernährt worden ist.

3.

Da somit ein bedingungsgemäßes Unfallereignis nicht vorgelegen hat, ein durch ein Unfallereignis ausgelöster Tod jedenfalls vom Versicherungsschutz nicht gedeckt wäre, steht der Klägerin der für die Erbengemeinschaft geltend gemachte Anspruch auf die versicherte Todesfallleistung nicht zu, so dass die Klage mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO abgewiesen werden musste.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.