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19.09.2013 · IWW-Abrufnummer 132952

Landgericht Dortmund: Urteil vom 22.08.2013 – 2 O 85/13

§ 205 Abs. 6 VVG findet auf den Widerruf nach § 8 VVG keine (anloge) Anwendung


Landgericht Dortmund

2 O 85/13

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt nach einem Streitwert von 8.822,96 € die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch den Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

T a t b e s t a n d

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf rückständige Krankenversicherungsprämie im Zeitraum April 2010 bis einschließlich Oktober 2012 in Anspruch.

Am 30.03.2009 beantragte der Beklagte bei der Klägerin u. a. den Abschluss einer Krankheitskostenvollversicherung, obwohl er bereits seinerzeit über seine berufstätige Ehefrau, von der er zurzeit in Trennung lebt, bei der E familienversichert war. Der Beklagte behauptet, er habe nach Beantragung der Krankenversicherung auf telefonische Nachfrage von der E die Auskunft erhalten, dass er dort noch versichert sei, weil er von seiner Ehefrau noch nicht geschieden sei. Er habe deshalb spätestens eine Woche nach dem 30.03. durch Brief gegenüber der Klägerin den Widerruf der Krankenversicherung erklärt. Unstreitig hat der Beklagte in der Folgezeit keine Prämie für die von der Klägerin policierte Krankenversicherung bezahlt.

Die Klägerin, die einen Zugang des Widerrufs vom 30.03.2009 stets bestritten hat, hat den Beklagten nach erfolgloser Mahnung gerichtlich in Anspruch genommen. Durch seinen Prozessbevollmächtigten ließ der Beklagte daraufhin den Widerruf der Krankenversicherung mit Schreiben vom 20.03.2013 erklären. Im Laufe des Rechtsstreits hat er der Klägerin mit Schreiben vom 07.05.2013 den Nachweis der E zukommen lassen, dass er dort seit 1996 durchgehend über seine Ehefrau familienversichert ist.

Die Klägerin hält den Widerruf vom 20.03.2013 für verspätet und zudem für unwirksam, weil sie § 205 Abs. 6 VVG analog angewendet wissen will. Da die Kündigung nach § 205 VVG erst mit Zugang des Nachweises der Anschlussversicherung wirksam werde, könne für den Widerruf nach § 8 VVG nichts anderes gelten.

Die Klägerin beantragt,

die beklagte Partei zu verurteilen, an sie 8.822,86 € zuzüglich Säumniszuschlag in Höhe von 1 % pro angefangenem Monat

auf einen Teilbetrag von 268,30 EUR ab dem 02.04.2010,

auf einen Teilbetrag von 268,30 EUR ab dem 02.05.2010,

auf einen Teilbetrag von 268,30 EUR ab dem 02.06.2010,

auf einen Teilbetrag von 268,30 EUR ab dem 02.07.2010,

auf einen Teilbetrag von 268,30 EUR ab dem 02.08.2010,

auf einen Teilbetrag von 268,30 EUR ab dem 02.09.2010,

auf einen Teilbetrag von 268,30 EUR ab dem 02.10.2010,

auf einen Teilbetrag von 268,30 EUR ab dem 02.11.2010,

auf einen Teilbetrag von 268,30 EUR ab dem 02.12.2010,

auf einen Teilbetrag von 291,28 EUR ab dem 02.01.2011,

auf einen Teilbetrag von 291,28 EUR ab dem 02.02.2011,

auf einen Teilbetrag von 291,28 EUR ab dem 02.03.2011,

auf einen Teilbetrag von 291,28 EUR ab dem 02.04.2011,

auf einen Teilbetrag von 291,28 EUR ab dem 02.05.2011,

auf einen Teilbetrag von 291,28 EUR ab dem 02.06.2011,

auf einen Teilbetrag von 291,28 EUR ab dem 02.07.2011,

auf einen Teilbetrag von 291,28 EUR ab dem 02.08.2011,

auf einen Teilbetrag von 291,28 EUR ab dem 02.09.2011,

auf einen Teilbetrag von 291,28 EUR ab dem 02.10.2011,

auf einen Teilbetrag von 291,28 EUR ab dem 02.11.2011,

auf einen Teilbetrag von 291,28 EUR ab dem 02.12.2011,

auf einen Teilbetrag von 291,28 EUR ab dem 02.01.2012,

auf einen Teilbetrag von 291,28 EUR ab dem 02.02.2012,

auf einen Teilbetrag von 291,28 EUR ab dem 02.03.2012,

auf einen Teilbetrag von 291,28 EUR ab dem 02.04.2012,

auf einen Teilbetrag von 291,28 EUR ab dem 02.05.2012,

auf einen Teilbetrag von 291,28 EUR ab dem 02.06.2012,

auf einen Teilbetrag von 291,28 EUR ab dem 02.07.2012,

auf einen Teilbetrag von 291,28 EUR ab dem 02.08.2012,

auf einen Teilbetrag von 291,28 EUR ab dem 02.09.2012,

auf einen Teilbetrag von 291,28 EUR ab dem 02.10.2012,

darüber hinaus vorgerichtliche Mahnkosten in Höhe von 15,00 € und Rechtsanwaltskosten in Höhe von 718,40 € zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält seinen Widerruf im Hinblick auf die seit 1996 bestehende anderweitige Versicherung bei der E für wirksam mit der Folge, dass ein Krankenversicherungsvertrag mit der Klägerin nicht zustande gekommen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die Klage ist unbegründet.

Die Klägerin kann von dem Beklagten keine Versicherungsprämie für die bei ihr beantragte Krankheitskostenversicherung beantragen, weil der Beklagte seine Vertragserklärung rechtzeitig gemäß § 8 VVG widerrufen hat und die Wirksamkeit des Widerrufs nicht davon abhängig ist, dass der Nachweis einer anderweitigen Krankheitskostenvollversicherung geführt ist.

1.

Der Beklagte hat seine Vertragserklärung rechtzeitig gemäß § 8 Abs. 1 VVG widerrufen. Zwar kann er den Zugang des von ihm behaupteten Widerrufs von April 2009 nicht beweisen. Allerdings ist der mit Schriftsatz vom 20.03.2013 erklärte Widerruf noch rechtzeitig erfolgt, weil die 14-tägige Widerrufsfrist gemäß § 8 Abs. 2 VVG erst zu dem Zeitpunkt beginnt, zu dem dem Versicherungsnehmer u. a. der Versicherungsschein zugegangen ist. Der Nachweis über den Zugang des Versicherungsscheins obliegt gemäß § 8 Abs. 2 VVG dem Versicherer, der diesen Nachweis allerdings nicht führen kann. Da der Beklagte auch unstreitig keinerlei Prämie für die von ihm beantragte Krankheitskostenversicherung gezahlt hat, liegen auch keinerlei Anhaltspunkte vor, die auf einen Zugang des Versicherungsscheins schließen lassen könnten.

2.

§ 205 Abs. 6 Satz 1 VVG steht der Wirksamkeit des Widerrufs des Beklagten nicht entgegen. Denn diese Vorschrift schränkt ihrem Wortlaut nach lediglich das Recht des Versicherungsnehmers nach § 206 Abs. 1 bis 5 ein, eine Krankheitskostenversicherung zu kündigen, die die Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 Satz 1 erfüllt. Dieser eindeutige Wortlaut des Gesetzes lässt dessen direkte Anwendung auf das Widerrufsrecht nach § 8 VVG nicht zu.

3.

Der Auffassung der Klägerin, dass § 205 Abs. 6 VVG analog auf das Widerrufsrecht nach § 8 VVG anzuwenden sei, so dass der nach letzterer Vorschrift erfolgte Widerruf einer Vertragserklärung auf Abschluss einer Krankheitskostenvollversicherung erst wirksam wird, wenn der Versicherungsnehmer den Nachweis einer anderweitigen Versicherung erbracht hat, die den Voraussetzungen einer die Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG erfüllenden Krankheitskostenversicherung entspricht, folgt das Gericht nicht.

a)

Zuzugeben ist der Klägerin allerdings, dass die vom Gesetzgeber in § 193 Abs. 3 VVG verankerte Versicherungspflicht das Ziel verfolgt, jeder Person mit Wohnsitz im Inland eine grundlegende Krankheitskostenversicherung zu verschaffen. Dementsprechend soll § 205 Abs. 6 Satz 1 VVG sicherstellen, dass jeder Versicherte über nahtlos angrenzenden Versicherungsschutz verfügt, wenn er seinen Vertrag kündigt (Begründung des Gesundheitsausschusses, Bundestagsdrucksache 16/4247 Seite 68). Vor diesem Hintergrund der gesetzgeberischen Intention wird von der Rechtsprechung und der versicherungsrechtlichen Literatur eine analoge Anwendung des § 205 Abs. 6 VVG auf den Widerruf der Vertragserklärung zum Abschluss einer Krankheitskostenversicherung nach § 8 VVG befürwortet (LG Berlin vom 26.06.2013 - 23 S 47/12 -; LG Nürnberg-Fürth vom 09.01.2013 - 8 O 4062/12 -; Hütt in Langheid/Wandt, Münchener Kommentar zum VVG, § 205, Rdnr. 62; Rogler in Rüffer/Halbach/Schimikowski, HK-VVG, 2. Auflage, § 205 Rdnr. 32; Reinhard in Looschelders/Pohlmann, VVG, 2. Auflage, § 205 Rdnr. 22; Marko, Private Krankenversicherung, 2. Auflage, Teil B Rdnr. 120 f.; Marlow/Spuhl, VersR 2009, 593, 598; vgl. auch Voit in Prölss/Martin, VVG 28. Auflage, § 205 Rdnr. 42).

b)

Das erkennende Gericht folgt dieser Auffassung nicht. Denn es sprechen gewichtige Gründe gegen eine analoge Anwendung von § 205 Abs. 6 VVG auf den Widerruf einer auf Abschluss einer Krankheitskostenvollversicherung gerichteten Vertragserklärung nach § 8 VVG.

aa)

Der Gesetzgeber verfolgt das Ziel eines nahtlosen Krankenversicherungsschutzes nicht um jeden Preis und nicht ausnahmslos. Weder für den Fall der Arglistanfechtung durch den Versicherer nach arglistiger Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit durch den Versicherungsnehmer (LG Berlin R+S 2013, 392) noch für den Fall der fristlosen Kündigung einer Krankheitskostenvollversicherung durch den Versicherer aus wichtigem Grunde gemäß § 314 BGB (BGH VersR 2012, 219) ist die Wirksamkeit der Gestaltungserklärung des Versicherers davon abhängig, dass der Versicherungsnehmer nahtlos eine Anschlussversicherung findet.

bb)

In § 194 Abs. 1 Satz 2, 3 und 4 VVG hat der Gesetzgeber für den Bereich der Krankenversicherung Vorschriften des allgemeinen Teils des VVG abgeändert. § 8 VVG zählt nicht zu den abgeänderten Vorschriften. Auch § 8 Abs. 3 VVG regelt Einschränkungen des Widerrufsrechts nach § 8 Abs. 1 VVG, ohne dass der Nachweis einer anderweitigen Krankheitskostenversicherung erwähnt wird. Das Gericht sieht darin einen gewichtigen Grund für die Ablehnung einer Analogie von § 205 Abs. 6 VVG auf den Widerruf nach § 8 VVG.

cc)

Zudem würde eine analoge Anwendung von § 205 Abs. 6 VVG das Recht des Versicherungsnehmers zum Widerruf seiner Vertragserklärung gemäß § 8 VVG unvertretbar einschränken. Denn der Widerruf ist nur innerhalb einer 14-tägigen Frist möglich. Innerhalb dieser kurzen Frist müsste der Versicherungsnehmer sich zum Widerruf entschließen, eine anderweitige Krankheitskostenversicherung finden, diese policieren lassen und dem Vorversicherer den Nachweis darüber erbringen. Dies ist innerhalb der 14-tägigen Widerrufsfrist praktisch nicht zu bewältigen mit der Konsequenz, dass bis zum Nachweis der anderweitigen Krankheitskostenversicherer der Versicherungsnehmer dem Vorversicherer prämienpflichtig bleibt, da der Widerruf - worauf die Klägerin zu Recht hinweist - erst zu dem Zeitpunkt wirksam wird, zu dem der Versicherungsnehmer den Nachweis der anderweitigen Krankheitskostenversicherung erbringt. Eine Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Kündigung/des Widerufs findet nicht statt (BGH VersR 2012, 1375).

dd)

Nicht zuletzt wäre die Abhängigkeit des Widerrufs vom Nachweis einer anderweitigen Krankheitskostenversicherung mit europarechtlichen Vorgaben nicht zu vereinbaren. Denn mit § 8 VVG wurde die Richtlinie 2002/65/EG über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher (Fernabsatzrichtlinie) umgesetzt. Auch wenn § 8 VVG weit über den Anwendungsbereich der Fernabsatzrichtlinie hinausgeht, umfasst er auch die im Fernabsatz geschlossenen Versicherungsverträge. Artikel 7 der Fernabsatzrichtlinie sieht Zahlungen lediglich für eine vor Widerruf des Vertrages erbrachte Dienstleistung vor. Wie ausgeführt würde die analoge Anwendung von § 205 Abs. 6 VVG dazu führen, dass der Versicherungsnehmer geradezu zwangsläufig Versicherungsprämie auch über die Zeit seines Widerrufs hinaus zahlen müsste. Diese Rechtsfolge ist mit Artikel 7 der Richtlinie 2002/65/EG nicht zu vereinbaren. Wie weit die Zahlungspflicht des Versicherungsnehmers trotz wirksamen Widerrufs reichten kann, zeigt der vorliegende Fall, in dem die Klägerin für einen Zeitraum von 2 ½ Jahren Versicherungsprämie einfordert, obwohl der Beklagte anderweitig Versicherungsschutz genossen hat, der die Anforderungen an eine Pflichtversicherung nach § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG erfüllt.

4.

Da somit der Widerruf der Vertragserklärung des Beklagten wirksam geworden ist, ist er zur Zahlung einer Versicherungsprämie für die beantragte Krankheitskostenversicherung nicht verpflichtet, so dass die Klage mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO abgewiesen werden musste.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.