12.06.2014 · IWW-Abrufnummer 141750
Landgericht Dortmund: Urteil vom 27.03.2014 – 2 O 289/12
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landgericht Dortmund
2 O 289/12
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt nach einem Streitwert von 68.021,18 € der Kläger.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Unfallversicherung unter Geltung der AUB 2000. Neben einer Invaliditätssumme von 71.000,00 €, einer Monatsrente von 600,00 € ab einer Invalidität von 50 % sind auch eine verbesserte Übergangsleistung von 10.500,00 € und ein Tagegeld von 17,00 € ab dem 8. Tag unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit versichert. Auf alle Leistungen gewährt die Beklagte einen 10 %-igen Treubonus.
Weil sich der als Tätowierer tätige Kläger am 26.03.2011 gegen 19:00 Uhr beim Tragen einer ca. 40 kg schweren 1,85 x 2,50 m großen Doppelstabmatte verletzte, machte er Leistungsansprüche gegenüber der Beklagten geltend. Nach Einholung von Gutachten regulierte die Beklagte das Tagegeld mit 1.105,17 € unter Berücksichtigung der 7-tätigen Karenzzeit. Den Anspruch auf weiteres Tagegeld, auf Übergangs- und Invaliditätsleistung lehnte sie mit Schreiben vom 09.05.2012 ab.
Der Kläger behauptet Invalidität am Arm und an der Schulter durch einen Riss der Rotatorenmanschette. Er ist der Meinung, dass ihm deshalb Invaliditätsleistungen-, Kapitalleistungen und Rente-, Übergangsleistung und mehr Tagegeld zustehe. Er behauptet dazu eine Invalidität von 3/7 Armwert und zusätzlich 25 % an der Schulter.
Der Kläger beantragt,
1.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 68.021,18 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils g ültigen Basiszinssatz seit Zustellung zu zahlen.
2.
den Kläger von der Gebührenforderung der Rechtsanwalts- und Notarkanzlei Q in Höhe von 1.880,20 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bestreitet die Leistungsvoraussetzungen für die Invaliditätsleistung und die Übergangsleistung sowie eine Arbeitsunfähigkeit über das regulierte Ausmaß hinaus.
Das Gericht hat ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten der Sachverständigen L / T vom 02.08.2013 nebst schriftlicher Ergänzung vom 09.11.2013 sowie die mündliche Erläuterung des Gutachtens durch T im Termin vom 27.03.2014, wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen Ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unbegründet.
Dem Kläger stehen über die regulierten Leistungen hinaus keine Ansprüche auf Invaliditätsleistung, Übergangsleistung oder weiteres Unfalltagegeld zu, da er eine unfallbedingte Invalidität nicht bewiesen hat, die Voraussetzungen für die verbesserte Übergangsleistungen nicht vorliegen und die Beklagte das unfallbedingte Krankentagegeld reguliert hat.
1.
Ein bedingungsgemäßer Unfall liegt vor. Dafür kann offenbleiben, ob sich der Kläger eine Verletzung beim Tragen der schweren Doppelstabmatte zugezogen hat oder ob eine Verletzung dadurch entstanden ist, weil sich die Doppelstabmatte an einem Zaun verhakt und der Kläger rückartig gezogen hat. Im letzteren Fall könnte eine Einwirkung von außen vorliegen. Aber selbst wenn eine solche nicht vorgelegen hätte, lägen die Voraussetzungen eines bedingungsgemäßen Unfalls vor, weil gemäß Ziffer 1.4 AUB als Unfall auch gilt, wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule ein Gelenk verrenkt wird oder Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden. Das Tragen der schweren und unförmigen Doppelstabmatte stellt eine erhöhte Kraftanstrengung dar. Sie hat nach den Feststellungen der Sachverständigen zu einer Zerrung der Schulter geführt. Im Termin vom 27.03.2014 hat der Sachverständige T dazu erläuternd ausgeführt, dass die Schulterzerrung eine Zerrung der Sehnen und Muskeln der Rotatorenmanschette bedeutet. Die Muskeln der Rotatorenmanschette, insbesondere der Infraspinatusmuskel, der Supraspinatusmuskel und der Subscapularismuskel und die dazugehörigen Sehnen verbinden Schulter mit Oberarm und ermöglichen dadurch die Rotation und Abduktion des Armes. Es handelt sich damit um Muskeln und Sehnen an Gliedmaßen im Sinne von Ziffer 1.4 AUB, da dieser Regelung aus Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers nicht entnommen werden kann, dass sich die betroffenen Muskeln und Sehnen ausschließlich an Gliedmaßen befinden müssen, die beispielsweise die Achillessehne, die sich nur am Bein befindet. Deshalb fällt eine Zerrung der Muskeln und Sehnen der Rotatorenmanschette durch eine erhöhte Kraftanstrengung unter den sogenannten fiktiven Unfallbegriff der Ziffer 1.4 AUB (OLG Saarbrücken vom 22.12.2010 – 5 U 638/09 - ; LG Berlin R+S 2010, 253; Hoenicke R + S 2009, 489; Knappmann in Prölss/Martin VVG, 28. Aufl., AUB 2008 Ziffer 1, Rdn. 8; Rixecker in Römer/Langheidt VVG, 4. Aufl., § 178 Rdn. 10; a. A. OLG Dresden R + S 2008, 432).
2.
Dem Kläger stehen nach dem Unfall allerdings keine Invaliditätsansprüche gegen die Beklagte zu, weder als Kapitalleistung noch als Rente. Denn nach den überzeugend begründeten Ausführungen der Sachverständigen hat der Unfall nicht zu einer Invalidität als Leistungsvoraussetzung für Kapitalleistung und Rente geführt. Die Sachverständigen haben ausgeführt, dass der Kläger eine Schulterzerrung erlitten hat, die üblicherweise nach 4 bis 6 Wochen folgenlos abheilt, beim Kläger maximal mit Beschwerden 3 Monate angedauert haben kann, so dass eine Invalidität beim Kläger nicht eingetreten ist. Diese wird in Ziffer 2.1.1.1 der vereinbarten AUB als Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit auf Dauer definiert, so dass die nach spätestens 3 Monaten abgeklungenen unfallbedingten Beschwerden beim Kläger nicht auf Dauer bestanden haben.
Die Sachverständigen haben eingeräumt, dass beim Kläger auch nach Ablauf von 3 Monaten noch Beschwerden verblieben sind. Sie haben diese aber nicht auf die durch den Unfall erlittene Schulterzerrung zurückgeführt, weil auf den MRT-Schichtbildern nach dem Unfall keine traumatischen Folgen wie z.B. ein Sehneneinriss oder Einblutungen zu finden waren, sondern auf eine Auffaserung der Rotatorenmanschette, bedingt durch eine Enge unter dem Schulterdach beim Kläger (sog. subacrominales Impingement), die zu einem „Nussknackereffekt“ führt, d.h. einer Einklemmung der Supraspinatussehne zwischen den beiden Knochen -Schulterdach oben und Oberarmkopf unten mit dazwischen liegender Sehne- (vgl. dazu auch Visé, R+S 2009, 485, 488). Für diese unfallfremden Auswirkungen muss die Beklagte bedingungsgemäß nicht einstehen.
3.
Auch die Voraussetzungen für eine verbesserte Übergangsleistung nach Ziffer 2.3 AUB liegen nicht vor. Voraussetzung dafür wäre, dass der Kläger im beruflichen oder außerberuflichen Bereich unfallbedingt ohne Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen nach Ablauf von 3 Monaten vom Unfalltag an gerechnet, noch um 100 % in seiner normalen körperlichen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt gewesen wäre. Dazu hat der Sachverständige T ausgeführt, dass zum einen die unfallbedingten Beschwerden des Klägers durch die erlittene Schulterzerrung nicht über 3 Monate hinaus angedauert haben und zum anderen an der von ihm angenommenen 100 %-igen Arbeitsunfähigkeit Krankheiten oder Gebrechen im Umfang von 50 % mitgewirkt haben. Diese Mitwirkung beruhte auf der Auffaserung des Supraspinatusmuskels, bedingt durch die Enge unter dem Schulterdach. Dieser Zustand ist als mitwirkende Krankheit oder Gebrechen einzustufen. Der Sachverständige hatte dazu ausgeführt, dass der Normalabstand zwischen dem Schulterdach und dem Oberarmkopf 7 mm und mehr beträgt, beim Kläger hingegen nur 5,5 mm. Er hat den medizinischen Normbereich des Abstandes zwischen Schulterdach und Oberarmkopf auf 7 mm und mehr festgelegt, so dass der darunterliegende Abstand und die damit verbundene Enge nicht mehr als individuelle körperliche Disposition innerhalb eines bestehenden medizinischen Normbereichs gewertet werden kann, sondern als Krankheit oder Gebrechen, für die der Versicherer im Rahmen der Unfallversicherung nicht einstehen will (vgl. dazu BGH VersR 2013, 1570).
4.
Auch ein weiteres Unfalltagegeld steht dem Kläger nicht zu. Nach den Ausführungen der Sachverständigen war der Kläger maximal 3 Monate nach dem Unfall vom 26.03.2011 zu 100 % arbeitsunfähig. Die Beklagte hat bewiesen, dass die Hälfte dieser vollständigen Arbeitsunfähigkeit auf unfallfremde Ursachen zurückzuführen ist, nämlich die unfallunabhängige Auffaserung des Supraspinatusmuskels. Diese Mitwirkung unfallunabhängiger Krankheit/Gebrechen ist gemäß Ziffer 3) der vereinbarten AUB auch beim Unfalltagegeld zu berücksichtigen. Unter Berücksichtigung der 7-tägigen Karenzzeit kann dem Kläger damit ein Anspruch auf Unfalltagegeld für maximal 85 Tage in Höhe von 17,00 € täglich zustehen. Dieser Anspruch in Höhe von 1.445,00 € ist durch die Mitwirkung unfallunabhängiger Krankheiten bzw. Gebrechen um die Hälfte gemindert, so dass insoweit ein Leistungsanspruch in Höhe von 722,50 € verblieben ist. Dieser ist um den Treuebonus um 10 % zu erhöhen, so dass der Anspruch des Klägers 794,75 € beträgt. Da die Beklagte bereits 1.105,17 € an Tagegeld gezahlt hat, ist der berechtigte Anspruch des Klägers erfüllt.
Die Klage musste somit mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO abgewiesen werden.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.