13.06.2018 · IWW-Abrufnummer 201752
Bundesfinanzhof: Urteil vom 21.02.2018 – VI R 18/16
Der von § 35a Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 EStG vorausgesetzte räumlich-funktionale Zusammenhang zum Haushalt des Steuerpflichtigen ist nicht gegeben, wenn für die Neuverlegung einer öffentlichen Mischwasserleitung als Teil des öffentlichen Sammelnetzes ein Baukostenzuschuss erhoben wird.
Tenor:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 12. November 2015 8 K 194/15 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Kläger zu tragen.
Gründe
I.
1
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind verheiratet und wurden für das Streitjahr (2012) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Sie sind je zur Hälfte Eigentümer des mit einem Wohngebäude bebauten Grundstücks L Straße ... Die Kläger nutzen das Einfamilienhaus zu eigenen Wohnzwecken. Das Abwasser wurde seit 1993 über eine Sickergrube auf dem Grundstück entsorgt.
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Im Jahr 2011 schloss der zuständige Abwasserzweckverband ... (AZV) das Grundstück der Kläger an die öffentliche Abwasserentsorgungsanlage (zentrale Kläranlage) an und forderte diese mit Bescheid vom 5. Dezember 2011 auf, ihre bisher genutzte Grundstückskläranlage binnen sechs Monaten fachgerecht außer Betrieb zu setzen. Unter Ziffer 2 erläuterte der Bescheid:
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Hierzu waren folgende Arbeiten notwendig:
-
Erneuerung des bestehenden öffentlichen Mischwasserkanals im Bereich der unteren Bebauung der L Straße, ab Bahnübergang bis zum Ende der Bebauung in Höhe der Grundstücke L Straße ...;
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Neuverlegung einer Mischwasserleitung in der L Straße zwischen der unteren und oberen Bebauung, in welcher sich das Grundstück der Kläger befindet;
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Inlinersanierung des bestehenden öffentlichen, u.a. unter dem Grundstück der Kläger verlaufenden Mischwasserkanals;
-
Herstellen der Verbindung des sanierten Mischwasserkanals und der neu verlegten Mischwasserleitung.
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Mit Rechnung vom 29. August 2012 stellte der AZV den Klägern für die Herstellung der Mischwasserleitung einen als Baukostenzuschuss bezeichneten Betrag in Höhe von 3.896,60 € in Rechnung, den die Kläger durch Banküberweisung beglichen und in ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr als Handwerkerleistung i.S. des § 35a des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend machten.
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Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) setzte die Einkommensteuer 2012 ohne Berücksichtigung dieser Aufwendungen fest. Der Einspruch blieb erfolglos. Der im Anschluss erhobenen Klage, mit der die Kläger nunmehr die Berücksichtigung eines Betrags in Höhe von 2.338 € (geschätzter Lohnkostenanteil) begehrten, gab das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 1952 veröffentlichten Gründen statt.
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Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
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Es beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
8
Die Kläger beantragen sinngemäß,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
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Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Rechtsstreit beigetreten. Einen Antrag hat es nicht gestellt.
II.
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Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage ( § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, der für die Neuverlegung der öffentlichen Mischwasserleitung erhobene Baukostenzuschuss sei nach § 35a Abs. 3 Satz 1 EStG begünstigt.
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1. Gemäß § 35a Abs. 3 Satz 1 EStG ermäßigt sich auf Antrag die tarifliche Einkommensteuer für die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen für Renovierungs–, Erhaltungs– und Modernisierungsmaßnahmen um 20 %, höchstens um 1.200 €. Nach § 35a Abs. 5 Satz 2 EStG gilt die Ermäßigung nur für Arbeitskosten.
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a) Handwerkerleistungen sind einfache wie qualifizierte handwerkliche Tätigkeiten, unabhängig davon, ob es sich um regelmäßig vorzunehmende Renovierungsarbeiten oder um Erhaltungs– und Modernisierungsmaßnahmen handelt (vgl. Senatsurteil vom 6. Mai 2010 VI R 4/09 , BFHE 229, 534, BStBl II 2011, 909). Begünstigt werden handwerkliche Tätigkeiten, die von Mietern und Eigentümern für die zu eigenen Wohnzwecken genutzte Wohnung in Auftrag gegeben werden (zu Beispielen s. Senatsurteil vom 20. März 2014 VI R 56/12 , BFHE 245, 49, BStBl II 2014, 882, Rz 11).
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b) Da nach allgemeiner Meinung nicht erforderlich ist, dass der Leistungserbringer in die Handwerksrolle eingetragen ist, kann auch die öffentliche Hand steuerbegünstigte Handwerkerleistungen erbringen (Senatsurteil in BFHE 245, 49, BStBl II 2014, 882, Rz 12); insbesondere dadurch, dass eine juristische Person des öffentlichen Rechts (beispielsweise ein Zweckverband) mit dem Verlegen der Hausanschlussleitungen gegen Kostenerstattung im Rahmen eines Betriebs gewerblicher Art unternehmerisch tätig geworden ist (Senatsurteil in BFHE 245, 49, BStBl II 2014, 882 [BFH 20.03.2014 - VI R 56/12] , für die Verbindung des Wasser-Verteilungsnetzes mit der Anlage des Grundstückseigentümers i.S. des § 10 Abs. 1 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Wasser vom 20. Juni 1980, BGBl I 1980, 750, m.w.N.). Auf welcher Rechtsgrundlage die öffentliche Hand die Kosten (Heranziehungsbescheid, öffentlich-rechtlicher Vertrag) für den Hausanschluss erhebt, ist insoweit ebenso unerheblich (a.A. BMF-Schreiben vom 9. November 2016 IV C 8–S 2296–b/07/10003:008, BStBl I 2016, 1213, Rz 22 Satz 3) wie der Umstand, ob diese Leistung "eigenhändig" oder durch einen von ihr beauftragten bauausführenden Dritten erbracht wird. Denn auch insoweit nimmt der Steuerpflichtige eine, wenn auch durch eine juristische Person vermittelte, Handwerkerleistung in Anspruch.
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c) Die Handwerkerleistung muss ferner "in" einem in der Europäischen Union oder dem Europäischen Wirtschaftsraum liegenden Haushalt des Steuerpflichtigen erbracht werden ( § 35a Abs. 4 Satz 1 EStG ). Dabei legt der erkennende Senat den Begriff "im Haushalt" in Übereinstimmung mit der Literatur räumlich-funktional aus (Senatsurteile in BFHE 245, 49, BStBl II 2014, 882 [BFH 20.03.2014 - VI R 56/12] , Rz 14 f.; vom 20. März 2014 VI R 55/12 , BFHE 245, 45, BStBl II 2014, 880; vom 3. September 2015 VI R 18/14 , BFHE 251, 435, BStBl II 2016, 272; Senatsbeschluss vom 25. September 2017 VI B 25/17 , BFH/NV 2018, 39; Kratzsch in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, § 35a Rz 77; Eversloh in Lademann, EStG, § 35a EStG Rz 93; Bode, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 35a Rz D 7, E 7; Schmidt/Krüger, EStG, 36. Aufl., § 35a Rz 21; Wüllenkemper,EFG 2013, 52).
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Deshalb werden die Grenzen des Haushalts i.S. des § 35a Abs. 4 Satz 1 EStG nicht ausnahmslos —unabhängig von den Eigentumsverhältnissen— durch die Grundstücksgrenzen abgesteckt (Senatsurteil in BFHE 245, 45, BStBl II 2014, 880). Vielmehr kann auch die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen, die jenseits der Grundstücksgrenze auf fremdem, beispielsweise öffentlichem Grund erbracht werden, nach § 35a Abs. 3 Satz 1 EStG begünstigt sein. Es muss sich dabei allerdings um Leistungen handeln, die in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang zum Haushalt durchgeführt werden und dem Haushalt dienen (Senatsurteile in BFHE 245, 45, BStBl II 2014, 880 [BFH 20.03.2014 - VI R 55/12] , und in BFHE 245, 49, BStBl II 2014, 882; BMF-Schreiben in BStBl I 2016, 1213, Rz 2). Hiervon ist insbesondere auszugehen, wenn der Haushalt des Steuerpflichtigen an das öffentliche Versorgungsnetz angeschlossen wird (Senatsurteil in BFHE 245, 49, BStBl II 2014, 882 [BFH 20.03.2014 - VI R 56/12] ; BMF-Schreiben in BStBl I 2016, 1213, Anlage 1 "Hausanschlüsse an Ver– und Entsorgungsnetze").
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2. Bei Heranziehung dieser Grundsätze ist das FG zu Unrecht davon ausgegangen, der für die Neuverlegung der öffentlichen Mischwasserleitung erhobene Baukostenzuschuss sei nach § 35a Abs. 3 Satz 1 EStG begünstigt.
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Nach den bindenden Feststellungen des FG ( § 118 Abs. 2 FGO ) wurde der Baukostenzuschuss, der von den Klägern anteilig als Steuerermäßigung i.S. des § 35a Abs. 3 Satz 1 EStG begehrt wird, für die "Neuverlegung der öffentlichen Mischwasserleitung (zwischen der unteren und oberen Bebauung)" —und nicht etwa für den eigentlichen Haus– bzw. Grundstücksanschluss— erhoben.
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Rechtsgrundlage hierfür ist § 10 Abs. 1 der Allgemeinen Entsorgungsbedingungen (AEB) des AZV für die öffentliche Abwasserbeseitigung einschließlich der Entsorgung der Inhalte von Grundstückskläranlagen vom 1. Januar 2009. Danach ist der AZV berechtigt, von den Grundstückseigentümern bei erstmaligem Anschluss des Grundstücks an die öffentliche Abwasserentsorgungsanlage einen angemessenen Baukostenzuschuss zur teilweisen Abdeckung der bei wirtschaftlicher Betriebsführung notwendigen Kosten für die Herstellung oder, soweit durch den erstmaligen Anschluss veranlasst und über den Herstellungskosten liegend, die Veränderung der öffentlichen Abwasserentsorgungsanlage, an die das Grundstück angeschlossen wird, zu verlangen, soweit sie sich ausschließlich einem Entsorgungsbereich zuordnen lassen, in dem der Anschluss erfolgt. Hierdurch soll der durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme gebotene besondere wirtschaftliche Vorteil abgegolten werden, soweit der Aufwand nicht auf andere Weise gedeckt wird (vgl. I.1. der Regelung der Kostenerstattung für die öffentliche Abwasserbeseitigung des AZV vom 1. Januar 2009). Insoweit werden nur die Kosten für neu herzustellende örtliche Teile des öffentlichen Sammelnetzes berücksichtigt, soweit sie sich dem Entsorgungsbereich zuordnen lassen (vgl. I.2. der Kostenerstattungsregelung). Demgegenüber sind die Aufwendungen für die bei wirtschaftlicher Betriebsführung notwendigen Kosten für die Herstellung und —soweit vom Grundstückseigentümer veranlasst— die Veränderung des Grundstücksanschlusses dem AZV vom Grundstückseigentümer als Grundstücksanschlusskosten nach § 11 Abs. 1 AEB zu erstatten.
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Zwar wird der Baukostenzuschuss danach beim erstmaligen Grundstücksanschluss an die öffentliche Abwasserentsorgungsanlage erhoben; der Sache nach betrifft er jedoch die teilweise Abdeckung der notwendigen Kosten für die Herstellung bzw. Veränderung der öffentlichen Abwasserentsorgungsanlage, an die das Grundstück angeschlossen wird, d.h. das öffentliche Sammelnetz. Damit unterscheidet sich der Baukostenzuschuss von den Kosten für den eigentlichen Grundstücksanschluss (= die Verbindung des öffentlichen Sammelnetzes mit der Grundstücksentwässerungsanlage, beginnend an der Abzweigstelle von der jeweiligen Sammelleitung und endend mit dem Grundstücksanschlussschacht an der Grundstücksgrenze des Anschlussgrundstücks, vgl. § 2 Abs. 6 AEB), deren Erstattung eigenständig in § 11 AEB geregelt ist. Dementsprechend hat sich das FG zu Unrecht auf das Senatsurteil in BFHE 245, 49, BStBl II 2014, 882 [BFH 20.03.2014 - VI R 56/12] berufen, das die Aufwendungen für den Hausanschluss i.S. der Verbindung des Wasser-Verteilungsnetzes mit der Anlage des Grundstückseigentümers als steuerbegünstige Handwerkerleistung bejaht. Anders als der Haus– oder Grundstücksanschluss ist das öffentliche Wasser-Verteilungs– oder Sammelnetz nicht mehr zum Haushalt i.S. des § 35a Abs. 4 Satz 1 EStG zu zählen. Insoweit fehlt es an einem räumlich-funktionalen Zusammenhang der Leistung mit dem Haushalt des einzelnen Grundstückseigentümers, da die Zahlung für den Ausbau des allgemeinen Versorgungsnetzes erfolgt, das —im Unterschied zum Hausanschluss— nicht nur einzelnen Grundstückseigentümern, sondern vielmehr allen Nutzern des Versorgungsnetzes zugutekommt.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO .