24.04.2014 · IWW-Abrufnummer 141246
Landgericht Bonn: Beschluss vom 04.09.2013 – 5 S 52/13
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landgericht Bonn
5 S 52/13
Tenor:
Die Kammer weist nach Beratung darauf hin, dass beabsichtigt ist, die Berufung der Beklagten gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.
Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
G r ü n d e:
I.
Die Berufung der Beklagten hat aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Das Amtsgericht hat sie zu Recht zur Zahlung von 3.579,05 Euro nebst Zinsen verurteilt. Die angegriffene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung gemäß § 546 ZPO noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung.
1.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Rückzahlungsanspruch in Höhe von 3.579,05 Euro gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB. Ein Rechtsgrund für die aufgrund des bestehenden Unfallversicherungsvertrages erfolgte Zahlung liegt in dieser Höhe nicht vor, da der Invaliditätsgrad der infolge des Unfalls erlittenen Beeinträchtigung nach den Feststellungen des Amtsgerichts mit einem sog. Daumenwert von 2/10 zu bemessen ist, während die ursprüngliche Zahlung der Klägerin auf der Annahme beruhte, dass ein Daumenwert von 3/10 zugrunde zu legen sei.
a) Nach den tatsächlichen Feststellungen zum Invaliditätsgrad, die das Amtsgericht nach Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens getroffen hat, steht fest, dass zur Bemessung des Invaliditätsgrades ein sog. Daumenwert von 2/10 anzusetzen ist. Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Solche Anhaltspunkte sind vorliegend nicht ersichtlich und werden auch mit der Berufung nicht aufgezeigt.
b) Die Auffassung der Beklagten, eine Rückforderung sei bereits aus Rechtsgründen ausgeschlossen, da die Klägerin mit der ursprünglichen Zahlung im Mai 2010 die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag bindend abgerechnet habe, überzeugt auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens nicht. Vielmehr ist die endgültige Bemessung und damit die Fälligkeit des Anspruchs insgesamt hinausgeschoben worden, indem die Beklagte mit Schreiben vom 08.06.2010 von ihrem Neubemessungsrecht Gebrauch gemacht hat.
aa) Wie das Amtsgericht zu Recht ausführt, steht nach ganz überwiegender Rechtsprechung und Literatur einer Forderung des Versicherers auf Rückzahlung erbrachter Beträge nicht entgegen, dass er das Recht, eine Neubemessung zu verlangen, nicht selbst ausgeübt hat, sondern die Neubemessung auf Verlangen des Versicherungsnehmers erfolgt ist. Auf die von dem Amtsgericht in dem angefochtenen Urteil zitierten Entscheidungen wird verwiesen; ebenso auf die Darstellung bei Grimm, Unfallversicherung, 3. Auflage, § 11 Rn 2 m. w. N. Das Oberlandesgericht Frankfurt vertritt hingegen in der auch vom Amtsgericht zitierten abweichenden Entscheidung vom 18.09.2010 (VersR 2009, 638 f.) eine Mindermeinung, der die Kammer nicht folgt. Entgegen der dort vertretenen Auffassung beinhaltet die in § 11 Abs. 1 AUB 94 geforderte, innerhalb der genannten Fristen vom Versicherer abzugebende Erklärung, ob und in welcher Höhe er einen Anspruch anerkennt, keine rechtsgeschäftliche, schuldbegründende Wirkung. Deshalb bewirkt sie weder ein abstraktes noch ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis, an das der Versicherer gebunden ist. Sinn und Zweck der Regelung ist nämlich nicht, die Leistungspflicht für den Versicherer abschließend zu regeln, sondern sicherzustellen, dass der Versicherungsfall in den dort geregelten Zeitspannen bearbeitet wird. Folgt deshalb aus der Erklärung des Versicherers, hier der Erklärung der Klägerin vom 17.05.2010, schon kein rechtsgeschäftlich bindendes Anerkenntnis, bedarf es auch keines Vorbehaltes im Sinne des § 11 Abs. 4 AUB. Denn die Vorschrift des § 11 Abs. 4 AUB dient einer endgültigen Bemessung des Invaliditätsgrades innerhalb einer dreijährigen Frist. Dies soll verhindern, dass die abschließende Bemessung der Invalidität auf unabsehbare Zeit hinausgeschoben wird. Ohne einen entsprechenden Vorbehalt einer der Parteien ist nach der Regelung eine erneute Überprüfung regelmä ßig ausgeschlossen. Macht jedoch eine der Parteien von ihrem Recht auf erneute ärztliche Bemessung Gebrauch, hat dies zur Folge, dass die Fälligkeit des Anspruchs auf Invaliditätsleistung insgesamt hinausgeschoben wird. Bei der Bemessung ist auf den Sachverhalt abzustellen, der am Ende der dreijährigen Frist erkennbar ist, wie sich aus § 11 Abs. 4 a. E. ergibt, der ausdrücklich von einer „endgültigen Bemessung“ spricht (vgl. auch Grimm, a. a. O., Rn 26, 28 m.w.N.).
bb) Die Regelung des § 11 Abs. 4 AUB 94 ist wirksam, insbesondere handelt es sich nicht um eine unklare Klausel im Sinne des § 305 c Abs. 2 BGB.
Eine Klausel ist nicht bereits unklar, weil Streit über ihre Auslegung besteht. Voraussetzung ist vielmehr, dass nach Ausschöpfung aller in Betracht kommenden Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel bleibt (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BGH, WM 2009, 1180 f. m. w. N.). Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhanges verstehen muss (BGH, NJW-RR 2008, 833, 834).
Ein Auslegungsergebnis dahingehend, dass die Versicherung in jedem Fall an ihre nach § 11 Abs. 1 AUB 94 erfolgte Abrechnung gebunden ist, auch wenn der Versicherte sich das Recht auf jährliche Neuberechnung nach § 11 Abs. 4 AUB vorbehält, ist bei verständiger Würdigung der Regelungen des § 11 AUB, insbesondere ihres jeweiligen Regelungszwecks und ihres Zusammenspiels, nicht naheliegend.
Der Erklärung nach § 11 Abs. 1 AUB kann bei verständiger Würdigung auch durch einen juristischen Laien schon deshalb kein „Anerkenntnis“ im Sinne eines deklaratorischen oder abstrakten Schuldanerkenntnisses zukommen, weil § 11 Abs. 4 AUB neben dem nach § 11 Abs. 1 AUB geforderten „Anerkenntnis“ zugleich dem Versicherer das Recht einräumt, eine Neubemessung zu verlangen. Dies wäre ausgeschlossen, wenn die nach § 11 Abs. 1 AUB abzugebende Erklärung in jedem Fall bindend wäre. Damit erschließt sich dem Versicherungsnehmer zugleich, dass die Bestimmungen ein jeweils unterschiedliches Ziel verfolgen. Auch ein Verständnis dahingehend, dass der Versicherer zwingend an seine Zahlung gebunden ist, wenn er sich das Recht auf Neubemessung nicht mit Abgabe der Erklärung nach § 11 Abs. 1 AUB vorbehält, ist bei aufmerksamer Durchsicht der Regelung insgesamt eher fernliegend. Die in der Vorschrift weiter geregelten gestaffelten Fristen für den Versicherer einerseits und den Versicherungsnehmer andererseits sprechen dafür, dass zunächst für den Versicherten Klarheit geschaffen werden soll, ob der Versicherer sich ein Recht auf Neubemessung vorbehält. Dies soll er zur Grundlage seiner erst im Anschluss abzugebenden Entscheidung machen können, ob er seinerseits einen entsprechenden Vorbehalt äußert. Damit drängt sich auf, dass eine Neubemessung für ihn unter Umständen nachteilhaft sein kann. Hierauf deutet auch der letzte Satz der Regelung des Abs. 4 hin, der – wie bereits ausgeführt – die letzte Bemessung als die „endgültige“ bezeichnet. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die vorangegangenen Bemessungen lediglich vorläufigen Charakter haben. Da insofern nicht differenziert wird, von wem der Vorbehalt geäußert worden ist, muss ein verständiger Versicherungsnehmer davon ausgehen, dass dies für die im Ergebnis geltende endgültige Bemessung und die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen für bereits erbrachte Leistungen unerheblich ist.
c) Mit zutreffender Begründung, die auch durch das Berufungsvorbringen nicht entkräftet wird, ist das Amtsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte nicht den Einwand der Entreicherung erheben kann, da sie zum Zeitpunkt der behaupteten Ausgaben für ihren Sohn im Mai 2011 bösgläubig im Sinne des § 819 Abs. 1 BGB gewesen ist. Jedenfalls aufgrund des Schreibens der Klägerin vom 29.04.2011 ist sie davon in Kenntnis gesetzt worden, dass sie bei einem entsprechenden Begutachtungsergebnis etwaige Überzahlungen erstatten muss. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen des Amtsgerichts Bezug genommen.
2.
Der zuerkannte Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.
II.
Der Zurückweisung der Berufung im Beschlusswege stehen § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO nicht entgegen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung der Kammer zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. Die maßgeblichen Rechtsfragen sind durch obergerichtliche Rechtsprechung hinreichend geklärt. Im Übrigen basiert die Beurteilung des Streitfalls auf einer Würdigung des Einzelfalls. Ein sonstiger Anlass zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung besteht ebenfalls nicht.
Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass sich die Gerichtskosten reduzieren, wenn durch Rücknahme der Berufung eine förmliche Entscheidung vermieden wird, Ziffer 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG.
Auf den Beschluss der Kammer 5 S 52/13 vom 07.10.2013 (in NRWe veröffentlicht) wird hingewiesen.