12.06.2014 · IWW-Abrufnummer 141752
Oberlandesgericht Köln: Urteil vom 12.07.2013 – 20 U 58/13
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Köln
20 U 58/13
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 20. Februar verkündete Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 23 O 275/11 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e :
I.
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
II.
1. Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Erstattung der durch die Tiefenhyperthermiebehandlungen seiner an einem metastasierten kolorektalen Karzinom (Dickdarmkrebs) erkrankten und mittlerweile verstorbenen Ehefrau entstandenen Kosten über den vom Landgericht für die Behandlungen bis zum 14.03.2011 zugesprochenen Betrag von 1.393,32 EUR hinaus zu.
Gemäß § 1 Abs. 1 der dem zwischen den Parteien geschlossenen Krankenversicherungsvertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB/VV 2009, Bl. 75 ff.) erbringt der Versicherer im Versicherungsfall Ersatz von Aufwendungen für Heilbehandlung und sonst vereinbarte Leistungen. Nach § 1 Abs. 2 S. 1 AVB/VV 2009 ist Versicherungsfall die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Gemäß § 4 Abs. 6 S. 1 AVB/VV 2009 leistet der Versicherer im vertraglichen Umfang für Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden und Arzneimittel, die von der Schulmedizin überwiegend anerkannt sind. Er leistet nach § 4 Abs. 6 S. 2 AVB/VV 2009 darüber hinaus für Methoden und Arzneimittel, die sich in der Praxis als ebenso erfolgsversprechend bewährt haben oder die angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen.
Eine Erstattungsfähigkeit der Kosten der ab dem 14.03.2011 durchgeführten Tiefenhyperthermiebehandlungen besteht nach Maßgabe dieser Voraussetzungen nicht.
a. Das Landgericht hat mit Recht angenommen, dass es der Beklagten nicht unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben, § 242 BGB, verwehrt ist, sich auf das Fehlen der vertraglichen Voraussetzungen für die Erstattungsfähigkeit der nach dem 14.03.2011 durchgeführten Behandlungen zu berufen.
Ein Versicherer kann im Einzelfall nach § 242 BGB daran gehindert sein, sich auf das Fehlen der Voraussetzungen der Erstattungsfähigkeit zu berufen, wenn er in dem Versicherungsnehmer die berechtigte Erwartung erweckt hat, er werde die Kosten einer bestimmten Behandlung übernehmen. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn Aufwendungen für gleichartige Behandlungen des Versicherungsnehmers in der Vergangenheit stets beanstandungslos erstattet worden sind (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 28.09.2012, Az.: 20 U 225/11). Hier hat die Beklagte die bei ihr eingereichten Rechnungen für Hyperthermiebehandlungen der Ehefrau des Klägers zwar zunächst reguliert, ohne Einwände gegen die Erstattungsfähigkeit zu erheben. Mit Leistungsabrechnung vom 14.03.2011 (Bl. 85 f. d.A.) hat sie eine weitere Erstattung jedoch abgelehnt und zur Begründung angeführt, dass Kosten für solche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden erstattet würden, die schulmedizinisch anerkannt seien. Stünden schulmedizinische Behandlungsmethoden nicht zur Verfügung, übernehme sie auch die Kosten alternativer Behandlungsmethoden, wenn sich diese in der Praxis als ebenso erfolgsversprechend bewährt hätten. Bei den durchgeführten Hyperthermiebehandlungen sei dies aber nicht der Fall. Vor diesem Hintergrund durfte der Kläger auf die Erstattung der Kosten f ür künftige Behandlungen nicht mehr vertrauen. Die mit der Berufung geltend gemachten Kosten betreffen jedoch sämtlich Behandlungen, die nach dem 14.03.2011 durchgeführt worden sind.
b. Das Landgericht ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass die vertraglichen Voraussetzungen der Erstattungsfähigkeit der Kosten für die Behandlung der Ehefrau des Klägers mit Tiefenhyperthermie nicht vorliegen.
aa. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Heilbehandlung i. S. v. § 1 Abs. 2 MB/KK medizinisch notwendig ist, ist nach der Rechtsprechung des BGH (VersR 1996, 1224), der sich der Senat angeschlossen hat (vgl. Urteil vom 15.06.2012, Az. 20 U 45/11), ein objektiver Maßstab anzulegen. Danach ist eine medizinische Behandlung dann notwendig, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar war, die Maßnahme des Arztes als medizinisch notwendig anzusehen. Vertretbar ist eine Heilbehandlung dann, wenn sie in fundierter und nachvollziehbarer Weise das zugrunde liegende Leiden diagnostisch erfasst und eine ihm adäquate, geeignete Therapie anwendet. Davon ist dann auszugehen, wenn eine Behandlungsmethode zur Verfügung steht und angewendet wird, die geeignet ist, die Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegen zu wirken.
Bei schweren, lebensbedrohenden oder lebenszerstörenden Erkrankungen ist die objektive Vertretbarkeit der Behandlung nach dieser Rechtsprechung (BGH VersR 1996, 1224; OLG Köln, 20. Zivilsenat, Urteil vom 15.06.2012, Az.: 20 U 45/11) bereits dann zu bejahen, wenn sie nach medizinischen Erkenntnissen im Zeitpunkt ihrer Vornahme als wahrscheinlich geeignet angesehen werden konnte, auf eine Verhinderung der Verschlimmerung der Erkrankung oder zumindest auf ihre Verlangsamung hinzuwirken. Dagegen ist nicht zu fordern, dass der Behandlungserfolg näher liegt als sein Ausbleiben. Ausreichend ist vielmehr, wenn die Behandlung mit nicht nur ganz geringer Erfolgsaussicht das Erreichen dieses Behandlungsziels als möglich erscheinen lässt.
Nach § 4 Abs. 6 AVB/VV 2009, der § 4 Abs. 6 MB/KK entspricht, leistet der Versicherer im vertraglichen Umfang für Untersuchungs- und Behandlungsmethoden und Arzneimittel, die von der Schulmedizin überwiegend anerkannt sind. Er leistet darüber hinaus für Methoden und Arzneimittel, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben oder die angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen. Im Grundsatz müssen Methoden der alternativen Medizin damit in ihrer Wirksamkeit – wenigstens im Großen und Ganzen – einer ebenfalls zu Gebote stehenden Methode der Schulmedizin gleichkommen (Senat, Urteil vom 15.06.2012, Az.: 20 U 45/11; OLG Stuttgart NJOZ 2010, 882). Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie über eine Erfolgsdokumentation verfügen müssen, die der Schulmedizin vergleichbar ist, denn darüber verfügen typischerweise die verschiedenen Richtungen der alternativen Medizin gerade nicht, weil sie weniger verbreitet sind und weil es auch wegen der Definition des Behandlungserfolges schwieriger ist, ihre Erfolge zu belegen (Senat, Urteil vom 15.06.2012, Az.: 20 U 45/11; OLG Stuttgart NJOZ 2010, 882; Prölss/Martin-Voit, VVG, 28. Auflage 2010, § 4 MB-KK Rn. 86).
Dass die streitgegenständlichen Hyperthermiebehandlungen in diesem Sinne medizinisch notwendig waren, hat der Kläger jedoch nicht bewiesen.
bb. (1) Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. T kommt der Tiefenhyperthermie in Bezug auf das bei der Ehefrau des Klägers diagnostizierte Krankheitsbild keinerlei Wirksamkeit zu.
Der Sachverständige hat in seinem Ausgangsgutachten vom 30.04.2012 dargelegt, dass es bis heute keine anerkannten Studien gebe, welche überzeugend den Nachweis über die Wirksamkeit einer Wärmebehandlung zusätzlich zur Chemotherapie oder auch einer allgemeinen Hyperthermiebehandlung bei einem – wie hier - ausgebreitet metastasierten Tumorleiden erbracht hätten (Bl. 123 d.A.). Es sei auch nie belegt worden, dass eine Hyperthermie Nebenwirkungen und Unverträglichkeiten einer Chemotherapie zu verbessern vermöge (Bl. 124 d.A.). Dabei hat der Sachverständige sich auch mit den vom Kläger zitierten Studien auseinandergesetzt und erläutert, weshalb sich aus diesen nichts anderes ergebe:
Die Studie der Arbeitsgruppe um Prof. J betreffe eine Gruppe von Patienten mit Weichteilsarkomen, deren Ausbreitung auf die Region der technisch möglichen Hyperthermie begrenzt gewesen sei, also keine im ganzen Körper metastasisch ausgebreitete Tumorerkrankung (Bl. 121 d.A.). Von einer solchen Studie könne nicht abgeleitet werden, dass eine regional begrenzte Hyperthermie bei einer im gesamten Körper ausgebreiteten Tumorerkrankung gleichermaßen wirksam sei (Bl. 121 d.A.). In letzterer Situation würde das Konzept gar nicht zutreffen, dass Chemotherapie durch Wärme verbessert werde, da die Wärme nur einen Bruchteil der Tumormanifestationen treffe und beim Vorgehen der Praxisklinik T2 die Erwärmung des Tumorgewebes in Lungen- oder Lebermetastasen kaum realistisch erscheine, auch nicht durch Messungen belegt worden sei (Bl. 121 d.A.).
Die Studie des Prof Dr. I betreffe eine Ganzkörperhyperthermie mit Anhebung der Körpertemperatur auf 41,8 C, was mit der regionalen Tiefenhyperthermie nicht vergleichbar sei (Bl. 121 d.A.).
Im Rahmen eines Studienansatzes aus Japan werde Hyperthermie mit Strahlentherapie nur bei lokal begrenzten Dickdarmkarzinomen angewendet, was mit dem Vorgehen bei der Ehefrau des Klägers ebenfalls nicht verglichen werden könne (Bl. 122 d.A.). Die Hyperthermie habe in dieser Studie zwar offenkundig zu einer Verbesserung der lokalen Tumorkontrolle geführt (Bl. 122 d.A.). Würde man dies auf die Situation der Ehefrau des Klägers übertragen, müssten aber alle Metastasen auf deutlich höhere Temperatur gebracht und der Gesamtkörper mit entsprechend hohen Dosen bestrahlt werden, was medizinisch nicht möglich sei (Bl. 122 d.A.).
(2) Der Einwand des Klägers, den gutachterlichen Ausführungen sei nicht eindeutig zu entnehmen, ob der Gutachter von den zutreffenden Voraussetzungen für den Nachweis der Wirksamkeit der Tiefenhyperthermiebehandlung ausgegangen sei, führt zu keiner anderen Beurteilung. Aus den Ausführungen des Sachverständigen ergibt sich nämlich zweifelsfrei, dass – auch anhand der angeführten Studien - noch nicht einmal ein nachvollziehbarer Ansatz besteht, der die prognostizierte Wirkweise der Tiefenhyperthermiebehandlung bei der verstorbenen Ehefrau des Klägers zu erklären vermocht hätte.
Andere Anhaltspunkte, aus denen auf einen nachvollziehbaren Ansatz für eine Wirksamkeit der Tiefenhyperthermiebehandlung bei der Ehefrau des Klägers geschlossen werden könnte, trägt der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Kläger (zur Darlegungs- und Beweislast vgl. nur BGH VersR 1996, 1224; Bach/Moser-Kalis, aaO, § 1 MB/KK Rn. 38 m.w.N.) nicht vor.
(3) Auch die mit der Berufung erhobenen Einwände gegen die Richtigkeit der gutachterlichen Feststellungen geben – ungeachtet der Frage eines Ausschlusses nach §§ 411, 296 ZPO - keinen Anlass für eine Fortführung der Beweisaufnahme:
(a) Der Kläger verweist zum einen darauf, dass sich aus der Studie des Prof. Dr. I ergebe, dass „das Gefäßbett des Tumors… empfindlich auf Temperaturerhöhungen“ reagiere und „die Hyperthermie die Aufnahme von monoklonalen Antikörpern im Tumorgewebe “ verstärke (Bl. 242 d.A.). Auch der Holzhauer-Studie sei zu entnehmen, dass Daten aus Untersuchungen auf einen synergetischen Effekt der Kombination Hyperthermie und Antikörpertherapie hinwiesen (B. 243 d.A.).
Dies gibt jedoch keinen Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. T. Dieser hat sich mit den zitierten Arbeiten bereits im Rahmen seiner erstinstanzlichen Begutachtung auseinander gesetzt und erläutert, eine Literaturrecherche ergebe zwar, dass Hyperthermie „zumindest im Prinzip“ Antikörpertherapien, Chemotherapie oder Strahlentherapie verbessern könne und die günstige Interaktion von lokaler/regionaler Hyperthermie mit Strahlentherapie auch mehrfach nachgewiesen sei; Überlebensverlängerungen durch regionale Hyperthermie seien aber bisher nur bei Patienten mit regional begrenzter Metastasierung beschrieben worden (Bl. 183 d.A.). Insoweit hat der Sachverständige – wie dargestellt – auch ausgeführt, dass und weshalb die vorliegenden Studien nicht als Indiz für die Wirksamkeit einer entsprechenden Behandlung in Fällen metastasierender Tumorerkrankungen herangezogen werden könnten. Hyperthermie – so der Sachverständige - könne im Bereich des Thorax auch gar nicht durchgeführt werden; bei der verstorbenen Ehefrau des Klägers seien aber auch Lungenmetastasen festgestellt worden (Bl. 183 d.A.).
(b) Der Kläger rügt ferner, der Sachverständige habe sich nicht damit auseinandergesetzt, dass im Streitfall ein überaus günstiger Therapieverlauf zu konstatieren sei, was daraus folge, dass seine Ehefrau nach Eintritt der Metastasierung noch 30 Monate gelebt habe, wohingegen das mediane Überleben nur bei ungefähr einem Jahr gelegen habe und nach 30 Monaten üblicherweise nur noch 20 % der Patienten leben würden (Bl. 244 d.A.).
Auch dieser Einwand greift nicht durch.
Schon die Schlussfolgerung des Klägers, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 % die Tiefenhyperthermiebehandlung zu dem guten Ergebnis einen Beitrag geleistet habe, ist nicht nachvollziehbar. Dies hat auch der Sachverständige bereits erstinstanzlich ausführlich erläutert (Bl. 180 d.A.).
Darüber hinaus ist maßgeblich für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit einer Behandlungsmaßnahme auch allein deren bei einer ex ante-Betrachtung festzustellende Eignung für einen möglichen Behandlungserfolg. Darauf, ob dieser tatsächlich eintritt, kommt es dagegen nicht an. Deshalb ist eine Maßnahme nicht - ex post - allein deshalb als medizinisch notwendig zu bewerten, weil ein Erfolg eintritt, der nach wissenschaftlichen Erkenntnissen im Vorfeld nicht zu erwarten war (Senat, Urteil vom 18.05.2012, Az.: 20 U 253/11 m.w.N.).
(c) Dass das Landgericht in einem anderen Verfahren auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens die medizinische Notwendigkeit der dort streitgegenständlichen Tiefenhyperthermiebehandlung bejaht hat (LG Köln, Urteil vom 15.12.2010, Az.: 23 O 187/09), begründet entgegen der Ansicht des Klägers ebenfalls keine Zweifel an der Richtigkeit der von Prof. Dr. T getroffenen Feststellungen. Unabhängig davon, dass medizinische Sachverhalte in den seltensten Fällen aufeinander übertragbar sind, handelte es sich in dem der zitierten Entscheidung des Landgerichts zu Grunde liegenden Fall nicht um eine Tumorerkrankung mit Metastasierung am ganzen Körper, insbesondere auch in der Lunge, sondern um ein Prostatakarzinom mit Knochenmetastasen. Darüber hinaus ist auch nicht erkennbar, um welche Art der Hyperthermiebehandlung es sich in jenem Fall gehandelt hat.
2. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
3. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Dem Rechtsstreit kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu; die Zulassung ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
Berufungsstreitwert: 9.985,46 EUR