12.06.2014 · IWW-Abrufnummer 141760
Amtsgericht Rosenheim: Urteil vom 27.06.2013 – 18 C 105/12
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
AG Rosenheim, 27.06.2013 - 18 C 105/12
In dem Rechtsstreit
xxx
- Klägerin -
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Heimann Marko, Schwanenstraße 2, 93413 Cham, Gz.: 1351/10 MH/sp
gegen
AdvoCard Rechtsschutzversicherung AG, vertreten durch d. Vorstand Peter Stahl, Norderstraße 101, 20097 Hamburg
- Beklagte -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte xxx
wegen Forderung
erlässt das Amtsgericht Rosenheim durch den Richteram Amtsgericht Baier am 27.06.2013 auf Grund des Sachstands vom 20.06.2013 ohne mündliche Verhandlung gemäß § 495a ZPO folgendes
Endurteil
Tenor:
1.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 424,53 EUR freizustellen.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 83,54 EUR freizustellen.
3.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
4.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
(abgekürzt nach § 313a Abs. 1 ZPO)
Entscheidungsgründe
Die Parteien streiten um restliche Ansprüche aus einem Rechtsschutzversicherungsvertrag.
Die Beklagte verweigerte hierbei mit Abrechnungsschreiben vom 12.10.2010 die Erstattung eines Teiles der außergerichtlichen anteiligen Kosten der Klägerin für angefallenen Anwaltskosten in einem Arbeitsrechtsstreitverfahren betreffend eine Arbeitgeberkündigung vom 16.06.2010. Die Beklagte meint hierbei, dass sie zur Zahlung bzw. Freistellung von den zusätzlichen außergerichtlichen Kosten aufgrund einer auf Anfrage zur Deckungszusage vom 26.07.2010 erteilten Weisung dahingehend, dass sofort der Klageauftrag zu erteilen ist, nicht verpflichtet ist.
Der anwaltliche Vertreter der Klägerin schrieb den Arbeitgeber der Klägerin am 30.06.2010 an um eine außergerichtliche Einigung zu erzielen bevor er Klage einreichte.
Die Klägerin hat jedoch Anspruch auf Freistellung von den übrigen außergerichtlichen Kosten in Höhe von 424,53 EUR aus dem abgeschlossenen Versicherungsvertrag i.V.m. § 1 Abs. 1 VVG i.V.m. §§ 1, 2 lit. b, 5 ARB 2008.
Der vorliegende Sachverhalt einer außerordentlichen Kündigung der Klägerin durch ihren Arbeitgeber vom 16.06.2010 fällt unter § 2 lit b ARB 2008.
Ebenso handelt es sich um erforderliche Leistungen im Sinne des § 1 ARB 2008. Hierfür ist eine Notwendigkeit zur Interessenwahrnehmung notwendig. Die hinreichende Aussicht auf Erfolg, welche hierzu notwendig ist, ist nur aufgrund einer nachträglichen Prognose zu prüfen. In rechtlicher Hinsicht bedeutet die Auslegung des § 1 ARB 2008 im selben Sinne wie § 114 ZPO, dass der Standpunkt des Versicherungsnehmers nach dem von ihm aufgestellten Behauptungen und der ihm bekannten Einwendungen des Gegners zumindest vertretbar sein muss (vgl. BGH Versicherungsrecht 1987, S. 1186).
Aus Sicht des Gerichtes ist dieses Erfordernis hier gegeben. Auch ist hierbei nach Auffassung des Gerichtes der spätere Prozessausgang in Form eines Vergleiches vordem Arbeitsgerichtes berücksichtigungsfähig, so dass die Rechtsverteidigung eine hinreichende Aussicht auf Erfolg zeitigte.
Mutwilligkeit der erfolglosen Rechtsverfolgung ist offensichtlich nicht gegeben.
Auch fällt die außergerichtliche Tätigkeit eines Anwalts im Kündigungsschutzprozess unter den Leistungsumfang des § 5 ARB 2008.
Unter dem Gesichtspunkt, dass die Beklagte die außergerichtliche Kostennote des Rechtsanwalts noch nicht beglichen hat, steht ihr ein Befreiungsanspruch zu (vgl. Köln, NJW-RR 2003, 392, 394 [OLG Köln 29.10.2002 - 9 U 124/01]).
Auf Ausführungen zu dem Umstand, dass die Regelung in § 17 Abs. 5 c cc 1. Alt. ARB 2008 nach überwiegender Auffassung in der Rechtssprechung ein unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers darstellt und somit unwirksam ist, kommt es vorliegend nicht an.
Eine Einschränkung der zu leistenden Versicherungsleistungen könnte sich allerdings aus § 17 Abs. 4 ARB 2008 ergeben. Insoweit hat die Klägerin bereits vor Bestätigung durch Deckungszusage durch die Beklagte Maßnahmen zur Wahrnehmung der rechtlichen Interessen getroffen und der Versicherer ist somit nur für die Kosten ersatzpflichtig, die er bei einer Rechtsschutzbestätigung vor Einleitung dieser Maßnahme zu tragen hätte.
Hierbei ist bereits der Regelungsgehalt der Vorschrift streitig. Das Gericht schließt sich hierbei der in der Literatur vertretenen Auffassung an, dass mit der Vorschrift gemeint ist, dass sich der Rechtsschutzanspruch nach dem Umfang der Bestätigung richtet, wie wenn diese vor Einleitung der Maßnahme erteilt worden wäre und der Rechtsschutzanspruch auch im Hinblick auf die Maßnahme verbindlich festgelegt worden wäre (so Armbrüster in Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Auflage 2010, § 17 ARB 2008, RdNr. 16).
Im vorliegenden Fall ist nach Auffassung des Gerichtes bereits die Erholung einer Deckungszusage durch den Rechtsanwalt eine geschäftsgebührauslösende Tätigkeit, so dass diese vom Versicherungsschutz zu umfassen ist. Selbst wenn man der anderen Auffassung folgt, dass dies keine eigene Geschäftsgebühr auslösen könne, ist nach Auffassung des Gerichtes aufgrund des Gedankens, dass der Gesetzgeber den Versuch der gütlichen und außergerichtlichen Streitbeilegung ausdrücklich Vorrang einräumt, eine Verpflichtung des Rechtsschutzversicherers anzunehmen, auch für die außergerichtliche Interessenwahrnehmung im Rahmen der Bestandsschutzstreitigkeit des Arbeitsverhältnisses Deckung zu gewähren.
Auch die Besonderheiten des Arbeitsrechtes mit der kurzen Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage rechtfertigten keine andere Beurteilung. Einer gütlichen Streitbeilegung ist in jeder Phase und in jedem Stadium des Prozesses der Vorrang einzuräumen. Auch durfte die Klägerin davon ausgehen, dass die außergerichtliche Interessenwahrnehmung sachgerecht gewesen ist.
Soweit sich die Beklagte darauf beruft, dass ein Ausschluss der Leistung wegen Verstosses gegen die erteilte Weisung nach § 82 Abs. 2 VVG erfolgte, kann dies den Anspruch vorliegend nicht ausschließen.
Es kann dahinstehen, ob § 82 VVG auf Rechtsschutzversicherungen in Anbetracht der Sonderstellung anwendbar ist oder nicht.
Selbst wenn man von einer Anwendbarkeit ausgehen sollte, liegt vorliegend kein Weisungsverstoss vor, da die Weisung erst nachträglich, nach Beauftragung des Rechtsanwaltes der Klägerin, erteilt wurde.
Darüberhinaus wäre die Rechtsfolge, dass gem. § 82 Abs. 3 VVG ein Ausschluss oder eine Minderung der Leistung nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers anzunehmen.
Mit den bereits oben aufgeführten Argumenten und aufgrund des Umstandes, dass auch in der Rechtssprechung die Auffassung vertreten wird, dass auch bei Kündigungsschutzklagen eine außergerichtliche Tätigkeit nicht von vorne herein erfolgt, zu versagen und sofort Klage zu erheben ist, vertreten wird (vgl. AG Cham, Urteil vom 22.12.2005, Az. 1 C 323/05), ist ein derartiger Vorsatz bzw. jeglicher Grad von Fahrlässigkeit der Klägerin oder ihres beauftragten Anwaltes abzulehnen.
Die ebenfalls geltend gemachte Freistellung von den nunmehrigen Kosten des anwaltlichen Beistandes ergibt sich unter Verzugsgesichtspunkten, da die Beklagte weitere Zahlungen mit Abrechnungsschreiben vom 12.10.2010 konkludent abgelehnt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 713 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 424,53 EUR festgesetzt.