14.09.2020 · IWW-Abrufnummer 217811
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen: Urteil vom 10.06.2020 – L 8 BA 6/18
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landessozialgericht NRW
L 8 BA 6/18
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 23.11.2017 geändert. Der Bescheid vom 10.6.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.2.2015 wird aufgehoben, soweit damit betreffend die Beigeladene zu 1) Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung, zur sozialen Pflegeversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung sowie Umlagen und Säumniszuschläge gefordert werden und die Versicherungspflicht in den genannten Zweigen der Sozialversicherung festgestellt wird. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits betreffend die Beigeladene zu 1) in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert wird für den gesamten Rechtsstreit auf 1.161,03 Euro festgesetzt.
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Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Betriebsprüfungsverfahrens nach § 28p Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) über eine Beitragsforderung wegen Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1) als Apothekenvertreterin für die Klägerin.
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Die Klägerin ist Apothekerin und betreibt eine Apotheke in M. Die Beigeladene zu 1), die ebenfalls Apothekerin sowie Mitglied der Apothekerkammer Nordrhein und des Apotheker-Versorgungswerks ist, war in den Zeiträumen
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- vom 23.3 bis 26.3.2010 - vom 6.11. bis 20.11.2010 - vom 17.3. bis 2.4.2011 - vom 27.6. bis 2.7.2011 - vom 31.10. bis 12.11.2011 - sowie vom 22.3. bis 31.3.2012
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als Vertreterin der Klägerin in deren Apotheke gegen jeweilige Honorarrechnungen auf Stundenbasis mit Sätzen von 23,40 Euro bzw. 35,00 Euro in den ersten beiden Rechnungen sowie anschließend von je 40,00 Euro tätig.
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Entsprechende kurzzeitige Vertretungen übernahm die Beigeladene zu 1) in anderen Apotheken bzw. war ab dem 1.1.2012 in einer weiteren Apotheke versicherungspflichtig angestellt.
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Die Beklagte führte bei der Klägerin vom 15.5.2013 bis 10.6.2014 eine Betriebsprüfung gem. § 28p SGB IV durch. Auf ihre Nachfrage gab die Beigeladene zu 1) in einem Fragebogen u.a. an, die näheren Arbeitsbedingungen seien mündlich festgelegt und die Arbeitstage und das Entgelt mündlich per Telefon oder per E-Mail vereinbart worden. Sie habe die Arbeitszeit frei gestalten können. Die Arbeiten seien in den Räumen der Klägerin auszuführen gewesen. Für ihre Tätigkeit habe sie Werbung betrieben durch Empfehlungen und über die Internetseite der Apothekerkammer Westfalen-Lippe. Hinsichtlich der Ausführung der Arbeit seien ihr keine Weisungen erteilt und ihre Arbeit auch nicht kontrolliert worden. Sie sei nicht in den betrieblichen Arbeitsablauf bei der Klägerin eingegliedert gewesen und habe nicht die gleichen Arbeiten wie fest angestellte Mitarbeiter der Klägerin ausgeführt. Berichte über ihre Tätigkeit hätten nicht abgegeben und ein Tätigkeitsnachweis (z.B. Arbeitszeitkarte, Gleitzeitkarte, Stempelnachweis etc.) nicht geführt werden müssen. Sie sei nicht verpflichtet gewesen, eigenes Kapital einzusetzen oder sonstige Sicherheiten zu stellen. Ihr Honorar habe sie nach dem Einsatz in einem Betrag erhalten.
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Nach Anhörung der Klägerin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 10.6.2014 für die o.g. Zeiträume und Tätigkeit die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1) nach dem Recht der Arbeitsförderung und im Zeitraum vom 22.3. bis 31.3.2012 zusätzlich in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung fest und forderte hierfür Beiträge sowie die Umlagen U1, U2 und UI in Höhe von insgesamt 1.161,03 Euro einschließlich Säumniszuschlägen in Höhe von 230,50 Euro nach. Entsprechende Feststellungen wurden für zwei weitere Apothekenvertreter getroffen. Diesbezügliche Verfahren werden aufgrund des Abtrennungsbeschlusses des Senats vom 15.2.2019 unter gesonderten Aktenzeichen geführt.
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Zur Begründung ihres Bescheides führte die Beklagte aus, die Vertreter seien in den Betrieb der Klägerin eingegliedert gewesen, weil sie regelmäßig während der Öffnungszeiten hätten arbeiten müssen. Gem. § 1 Abs. 6 Apothekenbetriebsordnung vom 7.8.1968 (ApBetrO, BGBl. 1968, 939) habe der mit der Vertretung beauftragte Apotheker während der Dauer der Vertretung die Pflichten des Apothekenleiters. Dazu gehöre in erster Linie die Pflicht zur persönlichen Leitung der Apotheke (§ 1 Abs. 1 ApBetrO, § 7 Gesetz über das Apothekenwesen [ApoG] v. 20.8.1960 [BGBl. 1960, 697]). Es werde nicht in Frage gestellt, dass die Vertreter nach außen hin bei der fachlichen Führung der Apotheke eigenverantwortlich tätig gewesen seien. Das liege aber nach den apothekenrechtlichen Vorschriften in der Natur der Sache. Denn der vorübergehende Apothekenleiter trage die Verantwortung für die Beachtung der Apothekenbetriebsordnung und der Vorschriften über die Herstellung von Arzneimitteln und den Verkehr mit diesen und habe das übrige Apothekenpersonal daraufhin zu überwachen und anzuweisen. Dagegen umschließe die apothekenrechtliche Verantwortlichkeit nicht die Verantwortung für die wirtschaftlichen Belange der Apotheke. Insoweit sei der Apothekenvertreter im Innenverhältnis zum Apotheker auch weisungsgebunden. Für eine nichtselbstständige Tätigkeit der Vertreter spreche weiterhin das Fehlen eines Unternehmerrisikos. Sie hätten die Höhe ihrer Einnahmen nicht durch eine Steigerung ihrer Arbeitsleistung oder das Herbeiführen eines besonderen Erfolges beeinflussen können, sondern eine gewinnunabhängige Vergütung auf Stundenbasis erhalten.
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Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 8.7.2014 Widerspruch. Die Beigeladene zu 1) habe sie lediglich in Urlaubszeiten vertreten. Hinsichtlich der pharmazeutischen Tätigkeit, die den Aufgabenbereich präge, sei die Vertreterin - zumal bei ihrer Ortsabwesenheit als Apothekeninhaberin - nicht weisungsgebunden. Gegenüber dem Personal habe sie Weisungsbefugnis. Das Nichtvorhandensein einer eigenen Apotheke oder die fehlende Beteiligung schließe eine selbstständige Tätigkeit nicht aus. Das unternehmerische Risiko bestehe wie bei den meisten anderen Dienstleistern darin, nicht genügend Aufträge zu erhalten. Auch habe die Beigeladene zu 1) die Rechtsmacht gehabt, Personal einzustellen oder zu kündigen, die Öffnungszeiten der Apotheke zu verändern - bei Krankheit der Apothekenvertreter müsse die Apotheke z.B. geschlossen bleiben - oder die Verkaufspreise zu gestalten. Die Gesamtwürdigung aller Umstände führe zum Ergebnis, dass eine selbstständige Tätigkeit vorliege. Der entsprechende Parteiwille sei ebenfalls zu beachten. In ihrer Auffassung sehe sie sich durch die Urteile des BSG vom 27.5.1959 - 3 RK 18/55 und des OLG München vom 12.12.2012 - LBG-Ap 002/12 - bestätigt.
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Auf Nachfrage der Beklagten erklärte die Beigeladene zu 1) unter dem 21.9.2014, sie sei während der Vertretungsarbeit die jeweils in der Apotheke erforderliche anwesende approbierte Apothekerin gewesen. Es habe keinen anderen Apotheker gegeben, mit dem sie sich hätte absprechen können. Ihre Arbeitszeiten hätten den Öffnungszeiten entsprochen. Daher habe nichts mehr an Stunden notiert werden müssen. Es sei keine Teilnahme an innerbetrieblichen Besprechungen oder Fortbildungen erfolgt. Sie habe ein unternehmerisches Risiko getragen, indem sie u.a für mehrere Auftraggeber in 40 verschiedenen Apotheken tätig gewesen sei, einen Mitarbeiter für die Buchhaltung beschäftigt, Kapital für ein Kfz im Betriebsvermögen eingesetzt, ihren Stundensatz in jedem einzelnen Fall ausgehandelt und ihre Ausfallzeiten z.B. durch Krankheit eigenverantwortlich abgedeckt habe.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 5.2.2015 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Beigeladene zu 1) habe als Apothekenvertreterin grundsätzlich während der Betriebszeiten in der Apotheke anwesend sein müssen. Ohne die vorhandenen und von der Klägerin bereitgestellten sowie zu nutzenden Mittel wäre sie nicht in der Lage gewesen, die Vertretung durchzuführen. Die weitgehende Freiheit in der Entscheidungsbefugnis und das eigenverantwortliche Auftreten nach außen schlössen die Weisungsgebundenheit nicht aus. Vielmehr könne die Abhängigkeit in Grenzfällen auch allein durch die Eingliederung in den Betrieb gekennzeichnet sein. Die Weisungsgebundenheit verfeinere sich in solchen Fällen zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess. Ein Unternehmerrisiko habe die Beigeladene zu 1) nicht getragen. Die Ausführungen im BSG-Urteil vom 27.5.1959 (3 RK 18/55), in dem der Vertreter in einer Arztpraxis als selbstständig angesehen worden sei, könnten vorliegend nicht herangezogen werden, da es hier - anders als im Fall des BSG - an wesentlichen Merkmalen einer selbstständigen Tätigkeit fehle. Sozialversicherungsrechtliche höchstrichterliche Entscheidungen seien seither nicht ergangen. Verwiesen werde auf die aktuellere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH - z.B. Urt. v. 20.2.1979 (VIII R 52/77), nach der ein Apotheker, der einen anderen selbstständigen Apotheker während dessen Urlaubs gegen Entgelt vertrete, als abhängig beschäftigt angesehen worden sei. Die Forderung der Säumniszuschläge beruhe darauf, dass die Klägerin nicht unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht gehabt habe. Die unrichtige Beitragsabführung habe sie billigend in Kauf genommen.
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Die Klägerin hat ihr Begehren mit der am 9.3.2015 zum Sozialgericht (SG) Detmold erhobenen Klage unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens weiterverfolgt und sich in ihrer Auffassung durch das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) NRW vom 20.4.1967 (L 16 Kr 96/65) sowie die Anlage 5 "Katalog bestimmter Berufsgruppen zur Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit" des Gemeinsamen Rundschreibens des GKV-Spitzenverbandes, der DRV Bund und der Bundesagentur für Arbeit vom 13.4.2010 und die gleichlautenden Rechtlichen Arbeitsanweisungen der Deutschen Rentenversicherung bestätigt gesehen. Das LSG NRW habe in der zitierten Entscheidung ausgeführt, dass die Apothekenvertreterin, da sie an die Stelle der Apothekerin getreten sei, wegen dieser von ihr eingenommenen Position grundsätzlich nicht zugleich als in den Betrieb "eingegliedert" angesehen werden könne. Ein etwaiges, die Vertreterin stark beschränkendes Weisungsrecht der Apothekeninhaberin müsse sich aus den vertraglichen Regelungen ergeben. Fehlten solche Regelungen wie hier, könne die Beschränkung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht unterstellt werden.
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Die Klägerin hat beantragt,
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den Bescheid vom 10.6.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.2.2015 aufzuheben.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat die angefochtenen Bescheide weiterhin für rechtmäßig gehalten. Der Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG von 1959 zur versicherungsrechtlichen Beurteilung der Vertreter niedergelassener Ärzte oder Zahnärzte vermöge hieran nichts zu ändern. Die sozialversicherungsrechtlichen Statusfeststellungen und damit auch die höchstrichterliche Rechtsprechung unterlägen einem fortlaufenden Wandel. Ihre Statusentscheidung entspreche der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Dass der Hinweis auf die alte Rechtsprechung in diesem Zusammenhang leider nicht aus den Anlagen des Gemeinsamen Rundschreibens der Spitzenverbände zur Statusfeststellung von Erwerbstätigen entfernt worden sei, betrachte sie als bedauerlich. Dies stehe einer aktuellen statusrechtlichen Überprüfung jedoch nicht entgegen. Bei Gemeinsamen Rundschreiben und Besprechungsergebnissen der Spitzenorganisationen handele es sich nicht um "Weisungen", die die Rentenversicherungsträger bei Fragen der Rechtsanwendung bänden, sondern lediglich um Meinungsäußerungen und Willensbekundungen, die keinerlei Rechtsetzungscharakter hätten. Es sei die Aufgabe eines jeden Rentenversicherungsträgers, das Recht in seiner aktuellen Ausprägung anzuwenden und seine Prüfungen an der aktuellen Rechtslage auszurichten, unabhängig davon, ob die aktuelle Rechtslage in den Gemeinsamen Rundschreiben bereits ihren Niederschlag gefunden habe.
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Die Beigeladene zu 1) hat ausgeführt, sie sei früher Inhaberin der klägerischen Apotheke gewesen und in der streitigen Vertretungszeit nicht anders tätig geworden als während ihrer vorigen Selbstständigkeit. Sie habe die Aufsicht gegenüber den Mitarbeitern ausgeübt und diesen Weisungen erteilt. Bei der Beratung der Kunden habe sie keine Rücksprache mit der Klägerin halten können und die volle Verantwortung selbst getragen sowie aufgrund ihrer durch Studium erworbenen Kenntnisse eigenverantwortlich entschieden. In zwei Jahren sei sie in vierzig verschiedenen Apotheken tätig gewesen, habe dort Vertretungstätigkeiten übernommen sowie diese selbstständig durchgeführt. Während der Tätigkeit in einer dieser Apotheken habe sie eigenverantwortlich auch eine Mitarbeiterin entlassen und jemand Neuen eingestellt.
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Das SG Detmold hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 23.11.2017 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen auf den Widerspruchsbescheid der Beklagten Bezug genommen. Zwar sei ein Apothekenvertreter für den Zeitraum der Vertretung hinsichtlich seines originären pharmazeutischen Wissens und seiner darauf basierenden Entscheidung frei und eigenverantwortlich tätig. Dies führe jedoch auch zusammen mit der Weisungsbefugnis gegenüber den Angestellten nicht dazu, eine Selbstständigkeit im Sinne der Sozialversicherung anzunehmen. Vielmehr habe die Beigeladene zu 1) hinsichtlich aller sonstigen Umstände wie z.B. Öffnungszeiten, wirtschaftlichen Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Betrieb der Apotheke oder der Führung des Personals den Weisungen des eigentlichen Betreibers unterlegen. Auch sei die Beigeladene zu 1) weder an der Unterhaltung der Räumlichkeiten der Apotheke noch an den Personalkosten sowie Gewinn- und Verlustrechnungen beteiligt und habe somit kein Unternehmerrisiko getragen.
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Gegen den ihr am 5.12.2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 5.1.2018 unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens Berufung eingelegt. Entgegen der Auffassung des SG habe die Beigeladene zu 1) nicht ihren Weisungen hinsichtlich der Öffnungszeiten, wirtschaftlichen Entscheidungen sowie der Führung des Personals unterlegen. Dies ergebe sich aus deren Angaben. Die Beklagte sei an die von ihr veröffentlichten Rundschreiben und Richtlinien gebunden. Die hier zu entscheidenden einzelnen Lebenssachverhalte (Vertretungsfälle) seien geradezu typisch für die Vertretung des Apothekeninhabers und wichen nicht von dem Sachverhalt ab, den die Beklagte sowohl im Rahmen des Gemeinsamen Rundschreibens als auch im Rahmen der rechtlichen Anweisung vor Augen habe. Hierdurch sei eine Selbstbindung kraft Vertrauensschutzes eingetreten. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, die bisherige Verwaltungspraxis und ihre eigenen Vorgaben seien rechtswidrig gewesen.
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Die Klägerin beantragt,
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den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 23.11.2017 zu ändern und den Bescheid vom 10.6.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.2.2015 hinsichtlich der Feststellungen betreffend die Beigeladene zu 1) und die diese betreffende Forderung von Beiträgen und Umlagen aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt.
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt den angefochtenen Gerichtsbescheid und verweist auf ihr bisheriges Vorbringen. Mit der Berufungsbegründung seien keine wesentlich neuen Gesichtspunkte vorgetragen worden.
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Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.
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Der Senat hat die Klägerin und die Beigeladene zu 1) im Termin zur mündlichen Verhandlung persönlich gehört.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG Detmold vom 23.11.2017 ist zulässig und begründet. Der Bescheid vom 10.6.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.2.2015 beschwert die Klägerin im Hinblick auf die (hier im Verfahren allein) streitige Beitragsforderung betreffend die Beigeladene zu 1) gem. § 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), weil er insoweit rechtswidrig ist.
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Ermächtigungsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 28p Abs. 1 S. 5 SGB IV. Nach dieser Vorschrift erlassen die Träger der Rentenversicherung gegenüber den Arbeitgebern die erforderlichen Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und zur Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege-, und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung.
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1) Der Bescheid vom 10.6.2014 ist formell rechtmäßig, insbesondere ist die Klägerin vor Erlass dieses sie belastenden Bescheides unter dem 13.2.2014 ordnungsgemäß angehört worden (§ 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - SGB X).
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2) Der Bescheid ist jedoch in materieller Hinsicht rechtswidrig. Die Beigeladene zu 1) unterlag in ihrer Tätigkeit als Apothekenvertreterin für die Klägerin in den streitbefangenen Zeiträumen nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung. Die Beklagte hat deshalb zu Unrecht für diese Tätigkeit Beiträge und Umlagen in Höhe von 1.161,03 Euro einschließlich Säumniszuschlägen von 230,50 Euro von der Klägerin nachgefordert.
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Gem. § 28e Abs. 1 SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag für die bei ihm Beschäftigten zu entrichten, d.h. die für die versicherungspflichtig Beschäftigten zu zahlenden Beiträge zur gesetzlichen Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung (§ 28d S. 1 und 2 SGB IV) zu zahlen. Der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung unterliegen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch [SGB V], § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch [SGB XI], § 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch [SGB VI], § 25 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch [SGB III]).
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Diese Voraussetzungen liegen in Bezug auf die streitgegenständliche Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) in den streitigen Zeiträumen nicht vor. Diese war bei der Klägerin nicht beschäftigt und unterlag entsprechend nicht der von der Beklagten festgestellten Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung.
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Das Vorliegen einer Beschäftigung beurteilt sich nach § 7 Abs. 1 SGB IV, wenn - wie im vorliegenden Fall - in Bindungswirkung erwachsene (§ 77 SGG) Feststellungen zum sozialversicherungsrechtlichen Status fehlen. Hiernach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - insbesondere bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Die Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit setzt voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, d.h. den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden (st. Rspr., vgl. z.B. BSG Urt. v. 4.6.2019 - B 12 R 11/18 R - juris Rn. 14 m.w.N.; zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit vgl. BVerfG Beschl. v. 20.5.1996 - 1 BvR 21/96 - juris Rn. 6 ff).
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Zur Abgrenzung von Beschäftigung und Selbstständigkeit ist regelmäßig vom Inhalt der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen auszugehen. Liegen schriftliche Vereinbarungen vor, ist neben deren Vereinbarkeit mit zwingendem Recht auch zu prüfen, ob mündliche oder konkludente Änderungen erfolgt sind. Schließlich ist auch die Ernsthaftigkeit der dokumentierten Vereinbarungen zu prüfen. Erst auf der Grundlage der so getroffenen Feststellungen über den (wahren) Inhalt der Vereinbarungen ist eine wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit vorzunehmen und in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob besondere Umstände vorliegen, die eine hiervon abweichende Beurteilung notwendig machen (st. Rspr., vgl. z.B. BSG Urt. v. 4.6.2019 - B 12 R 11/18 R - juris Rn. 15 m.w.N.). Sind - wie vorliegend - Einzelvertretungen individuell vereinbart und entstand erst durch die Zusage der Beigeladenen zu 1) eine rechtliche Verpflichtung, die Vertretung auch tatsächlich zu leisten, ist für die Beurteilung auf die jeweiligen Einzelvertretungen abzustellen (vgl. BSG Urt. v. 4.6.2019 - B 12 R 11/18 R - juris Rn. 21 m.w.N.).
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Unter Berücksichtigung dieser Abgrenzungskriterien ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass die Beigeladene zu 1) bei den streitgegenständlichen Apothekenvertretungen nicht bei der Klägerin beschäftigt, sondern selbstständig tätig war. Ausgehend von den zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1) - hier mündlich - getroffenen vertraglichen Regelungen und der zwischen ihnen gelebten Vertragspraxis war die Beigeladene zu 1) im Wesentlichen nicht weisungsgebunden (hierzu unter a) und nicht eingegliedert in die Betriebsorganisation der Klägerin tätig (hierzu unter b). Eine abhängige Beschäftigung ergibt sich auch nicht aus sonstigen Umständen (hierzu unter c). In der Gesamtschau überwiegen die für eine selbstständige Tätigkeit sprechenden Gesichtspunkte deutlich (hierzu unter d).
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a) Ein für die Statusfeststellung bedeutsames Weisungsrecht der Klägerin liegt nicht vor. Sie konnte ihre Tätigkeit vielmehr im Wesentlichen frei gestalten (Rechtsgedanke des § 84 Abs. 1 S. 1 Handelsgesetzbuch - HGB) (hierzu unter aa). Dem stehen die sich für die Apothekenvertretung gesetzlich ergebenden Bindungen nicht entgegen (hierzu unter bb).
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aa) Nach den übereinstimmenden und glaubhaften Aussagen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1) haben sich beide (lediglich) über eine Vertretungstätigkeit der Beigeladenen zu 1) in der Apotheke der Klägerin, über die konkreten Zeiträume der Einzeleinsätze und über das der Beigeladenen zu 1) dafür zu gewährende feste Stundenhonorar verständigt. Damit sind Ort, Zeit und Umfang der Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) aufgrund zweiseitiger vertraglicher Regelung festgelegt und einseitigen arbeitgeberseitigen Weisungen entzogen worden (vgl. § 315 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB], § 106 Abs. 1 Gewerbeordnung).
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Auch zur inhaltlichen Art der Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) fehlt es an einer vereinbarten Weisungsbefugnis der Klägerin. Nachvollziehbar und zutreffend haben beide darauf hingewiesen, dass die gesetzlichen Vorschriften zur Apothekenleitung und -vertretung eine vollständige inhaltliche Autonomie erfordern und sie bereits aus diesem Grund relevante Einschränkungen der Befugnisse der Beigeladenen zu 1) nicht zum Vertragsgegenstand hätten machen können und wollen. Im Übrigen habe es weiterer Vereinbarungen auch deshalb nicht bedurft, weil die Beigeladene zu 1) zuvor selbst Inhaberin der Apotheke der Klägerin gewesen sei und deshalb über umfassende Kenntnisse der Gegebenheiten vor Ort verfügt habe.
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Ein Weisungsrecht der Klägerin gegenüber der Beigeladenen zu 1) hat damit nach dem gesamten Inhalt der mündlichen vertraglichen Regelungen nicht bestanden, dies auch nicht im Sinne einer funktionsgerechten, dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess (vgl. hierzu z.B. BSG Urt. v. 19.9.2019 - B 12 R 25/18 R - juris Rn. 17 m.w.N.). Auch haben beide kein einseitiges Heranziehungsrecht der Klägerin bei einer ständigen Dienstbereitschaft der Beigeladenen zu 1) vereinbart (vgl. hierzu z.B. BSG Urt. v. 26.9.2017 - B 1 KR 31/16 R - juris Rn. 19 m.w.N.).
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Die gelebte Vertragspraxis ist von den vertraglichen Vereinbarungen nach den übereinstimmenden und glaubhaften Erklärungen nicht abgewichen. In den streitigen Vertretungszeiten sind der Beigeladenen zu 1) von der Klägerin keinerlei Weisungen erteilt worden. Dies gilt einerseits für die Ausübung ihrer pharmazeutischen Tätigkeit und andererseits auch für den Einsatz der ihr von der Klägerin zur Verfügung gestellten Betriebsinfrastruktur in personeller und sächlicher Hinsicht. Die Beigeladene zu 1) unterlag keinen von der Klägerin bestimmten Einschränkungen. Sie verrichtete ihre Tätigkeit vollständig in Abwesenheit der Klägerin. In pharmazeutischer Hinsicht gab es kein fachliches Letztentscheidungsrecht der Klägerin im Rahmen eines "Hintergrunddienstes". Der Beigeladenen zu 1) oblagen, ohne dass sie hierzu eine Zustimmung der Klägerin hätte einholen müssen, uneingeschränkt sämtliche Befugnisse zur gesetzlich verankerten Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten, insbesondere zu deren Einkauf, zur Leistung von Zahlungen vom Geschäftskonto, zur Aufrechterhaltung des Apothekenbetriebs in sächlicher und personeller Hinsicht einschließlich der Wahrnehmung von Arbeitgeberrechten und -pflichten gegenüber den Arbeitnehmern sowie zur Einholung erforderlicher behördlicher Genehmigungen. Über die gesetzlichen Dokumentationspflichten gem. § 17 Abs. 5, 6, 6a, 6b ApBetrO hinausgehende Berichte mussten von ihr nicht gefertigt werden.
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bb) Soweit die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) zeitlichen und örtlichen Bindungen unterlag, hatten diese ihre rechtliche Grundlage nicht in einseitigen Weisungen der Klägerin, sondern allein in den apothekenrechtlichen Bestimmungen (vgl. zur Überlagerung von Vereinbarungen durch öffentlich-rechtliche Bestimmungen Senatsurt. v. 19.9.2018 - L 8 R 800/16 - juris Rn. 61 m.w.N.).
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Der Umstand, dass die Beigeladene zu 1) die Apotheke zu bestimmten Zeiten offenzuhalten hatte, beruht auf der den Apotheker treffenden gesetzlichen Verpflichtung zur Dienstbereitschaft gem. § 23 ApBetrO und ist bereits deshalb nicht Inhalt eines einseitigen Weisungsrechts des Arbeitgebers. Apotheken sind zur ständigen Dienstbereitschaft verpflichtet (§ 23 Abs. 1 S. 1 ApBetrO). Eine Befreiung von dieser Pflicht kann nur durch die zuständige Behörde ausgesprochen werden (§ 23 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 ApBetrO). Über diese gesetzlichen Verpflichtungen hinaus stand es der Beigeladenen zu 1) frei zu entscheiden, ob eine frühere oder spätere Anwesenheit außerhalb der Öffnungszeiten notwendig war. Diese Zeiten konnte sie der Klägerin zudem in Rechnung stellen.
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In örtlicher Hinsicht bestehen ebenfalls gesetzliche Bindungen, die für den Apothekeninhaber und seinen Vertreter in gleichem Maße gelten. So hat der mit der Vertretung beauftragte Apotheker oder Apothekerassistent oder Pharmazieingenieur während der Dauer der Vertretung die Pflichten eines Apothekenleiters (§ 2 Abs. 7 ApBetrO). Er hat die Apotheke persönlich zu leiten (§ 2 Abs. 2 S. 1 ApBetrO), was grundsätzlich persönliche Anwesenheit in der Apotheke erfordert. Eine Vertretung ist nur für einen begrenzten Zeitraum und nur durch einen Apotheker bzw. Apothekerassistenten oder Pharmazieingenieur zulässig (§ 2 Abs. 5 S. 1, Abs. 6 Satz 1 ApBetrO). Der Apothekenleiter hat im Falle seiner Abwesenheit die Apotheke zu schließen, wenn er keine Vertretung gem. § 2 Abs. 5 oder Abs. 6 ApBetrO bestellt hat (vgl. OLG Bamberg Beschl. v. 12.7.2007 - 3 Ss OWi 170/07 - juris Rn. 8 ff. m.w.N.). Auch die örtliche Anwesenheitspflicht der Beigeladenen zu 1) kann damit nicht Inhalt eines einseitigen arbeitgeberseitigen Weisungsrechts der Klägerin sein.
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b) Eine Eingliederung der Beigeladenen zu 1) in die Betriebsorganisation der Klägerin liegt gleichfalls nicht vor.
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In den streitgegenständlichen Vertretungszeiten war die Beigeladene zu 1) gem. § 2 Abs. 5 ApBetrO die alleinige Leiterin der Apotheke. Die herausgehobene Bedeutung des Apothekers bzw. der Apothekerin für eine Apotheke kommt in den gesetzlichen Bestimmungen zum Ausdruck, nach denen - wie bereits dargelegt - u.a. die Öffnung der Apotheke nur bei persönlicher Leitung durch einen Apotheker / eine Apothekerin zulässig ist. Ohne die Anwesenheit der Beigeladenen zu 1) oder einen anderen entsprechend vertretenden Apotheker hätte es in den Urlaubszeiten der Klägerin den Betrieb der Apotheke nicht gegeben. Zur persönlichen Leitung der Apotheke gehört, dass der Apothekenleiter die wesentlichen Betriebsvorgänge durch eigenes Tätigwerden oder durch seine Entscheidungen und Anweisungen maßgeblich bestimmt und den Betrieb der Apotheke laufend überwacht sowie die Aufsicht über das pharmazeutische Personal bei der Ausübung pharmazeutischer Tätigkeiten wahrnimmt und das gesamte Apothekenpersonal im Rahmen des Betriebsablaufs beaufsichtigt (vgl. OLG Bamberg Beschl. v. 12.7.2007 - 3 Ss OWi 170/07 - juris Rn. 8 m.w.N.). Entsprechend hat die Dienstleistung der Beigeladenen zu 1) ihr Gepräge nicht von der Ordnung des Betriebes der Klägerin erhalten, sondern ist vielmehr umgekehrt der Betrieb der Apotheke von ihr geprägt worden.
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Die gesamte von der Klägerin in personeller und sachlicher Hinsicht zur Verfügung gestellte Praxisinfrastruktur ist der Vertretungstätigkeit der Beigeladenen zu 1) gegenüber untergeordnet, hat also im Verhältnis zu ihrer Tätigkeit als vertretende Apothekerin eine lediglich dienende bzw. unterstützende Funktion. Es ist die (vertretende) Apothekerin, die darüber entscheidet wie die Betriebsinfrastruktur zur Umsetzung bzw. Unterstützung ihrer pharmazeutischen Tätigkeit genutzt werden soll. Das Tätigwerden der Beigeladenen zu 1) als Apothekerin ist dementsprechend maßgeblich für die Existenz und die Bildung des Apothekenbetriebes, sodass sie in einen solchen Betrieb nicht eingegliedert sein kann, den es ohne ihre Tätigkeit als Apothekerin nicht gäbe. Lediglich ergänzend wird insoweit darauf hingewiesen, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung selbst bei einem in einem Krankenhaus tätigen Arzt nicht allein wegen der Benutzung von Einrichtungen und Betriebsmitteln des Krankenhauses zwingend eine abhängige Beschäftigung angenommen werden kann (vgl. BSG Urt. v. 4.6.2019 - B 12 R 10/18 R - juris Rn. 29). Dasselbe gilt für einen Apotheker, der in Vertretung des Apothekenbetreibers dessen Einrichtungen und Betriebsmittel nutzt.
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c) Sonstige Umstände, aufgrund derer die Vertretungstätigkeit der Beigeladenen zu 1) zum rechtlichen Typus der Beschäftigung gezählt werden müsste, liegen nicht vor.
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Im Hinblick darauf, dass sich die in § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV für eine abhängige Beschäftigung gesetzlich ausdrücklich hervorgehobenen Kriterien der Weisungsgebundenheit und Eingliederung nicht relevant feststellen lassen, gewinnt es im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung nicht an entscheidender Bedeutung, dass die Beigeladene zu 1) im Streitzeitraum weder über eine eigene Betriebsstätte verfügt noch ein nennenswertes unternehmerisches Risiko getragen hat (st. Rspr. des Senats, vgl. z.B. Urt. v. 23.1.2019 - L 8 R 1003/15 - juris Rn. 53). Ein unternehmerisches Tätigwerden ist zudem bei reinen Dienstleistungen regelmäßig nicht mit größeren Investitionen in Werkzeuge, Arbeitsgeräte oder Arbeitsmaterialien verbunden (vgl. BSG Urt. v. 28.5.2008 - B B 12 KR 13/07 R - juris Rn. 27). Das auch bei der Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) typische Fehlen solcher Investitionen ist damit kein wesentlich ins Gewicht fallendes Indiz für eine abhängige Beschäftigung und gegen unternehmerisches Tätigwerden.
53
Ebenso wenig kann aus der Gewährung eines festen Stundenhonorars als Ausdruck eines fehlenden unternehmerischen Risikos zwingend auf ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis geschlossen werden. Werden - wie hier - reine Dienstleistungen erbracht, ist ein erfolgsabhängiges Entgelt aufgrund der Eigenheit der zu erbringenden Leistungen regelmäßig nicht zu erwarten (vgl. BSG Urt. v. 31.3.2017 - B 12 R 7/15 R - juris Rn. 48 m.w.N.). Andere für eine abhängige Beschäftigung sprechende arbeitsvertragstypische Regelungen liegen nicht vor.
54
Die gesetzlichen apothekenrechtlichen Bestimmungen schließen eine selbstständige Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) nicht aus. So enthält insbesondere die Apothekenbetriebsordnung, die wie dargelegt die Notwendigkeit einer Vertretung des Apothekenleiters im Falle seiner Abwesenheit vorsieht (§ 2 Abs. 5 S. 1 ApBetrO), keine Vorschriften darüber, dass diese Vertretung nur in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis ausgeübt werden könne (vgl. jeweils eine selbstständige Tätigkeit eines Apothekenvertreters bejahend LSG NRW Urt. v. 20.4.1967 - L 16 Kr 96/65 - und OLG München Urt. v. 12.12.2012 - LBG-Ap 002/12 - juris Rn. 35 f.).
55
Hingegen stellt die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) für mehrere Auftraggeber (hier wie angegeben insgesamt ca. 40 verschiedene Apotheken) ein weiteres Indiz für eine selbstständige Tätigkeit dar. Wenngleich eine Tätigkeit für mehrere Auftraggeber nicht allein entsprechende Indizwirkung hat, so erhält sie jedoch dann Gewicht, wenn weitere typische Merkmale einer selbstständigen Tätigkeit, wie zB einem werbenden Auftreten am Markt für die angebotenen Leistungen, vorliegen (vgl. BSG Urt. v. 07.6.2019 - B 12 R 6/18 R - juris Rn. 33 m.w.N.). Derartige Werbung für Vertretungstätigkeiten hat die Beigeladene zu 1) nach ihren glaubhaften Angaben durch Empfehlungen und über die Internetseite der Apothekerkammer Westfalen-Lippe vorgenommen.
56
d) Im Rahmen der durchzuführenden Gesamtabwägung spricht die Bewertung und Gewichtung der abgrenzungsrelevanten Umstände damit deutlich für eine selbstständige Tätigkeit.
57
Zu berücksichtigen ist dabei auch der von der Klägerin und der Beigeladenen zu 1) bekundete Wille, mit der Vertretungstätigkeit kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zu begründen. Diesem Willen kommt hier indizielle Wirkung zu, da er den festgestellten sonstigen tatsächlichen Verhältnissen nicht offensichtlich widerspricht und durch weitere Aspekte gestützt wird (vgl. BSG Urt. v. 18.11.2015 - B 12 KR 16/13 R - juris Rn. 26 m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, dass der Vertragsschluss und die darin übereinstimmend getroffenen Regelungen allein aufgrund eines erheblichen Ungleichgewichts der Verhandlungspositionen oder unter Ausnutzung besonderer Umstände der Beigeladenen zu 1) wie zB geschäftlicher Unerfahrenheit oder einer akuten Zwangslage bzw. Notsituation zustande gekommen sind und die Indizwirkung des Parteiwillens damit entfällt (vgl. z.B. BSG Urt. v. 14.3.2018 - B 12 R 3/17 R - juris Rn. 16 m.w.N.), bestehen nicht.
58
Die Annahme, dass die Beigeladene zu 1) in den durchgeführten Apothekenvertretungen selbstständig tätig gewesen ist, findet ihre Stütze darüber hinaus in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung und Literatur zu insoweit vergleichbaren Fallkonstellationen.
59
So hat das BSG den Vertreter eines niedergelassenen Arztes, der gegen feste monatliche Bezüge tätig und gehalten war, die Patienten in den Praxisräumen mit den Instrumenten des vertretenen Arztes zu behandeln, die Sprechstunden fortzuführen, sich der vom Praxisinhaber angestellten Hilfskräfte zu bedienen und die Abrechnung mit der kassenärztlichen Vereinigung im Namen und für Rechnung des Praxisinhabers vorzunehmen, als selbstständig angesehen, weil er bei Ausübung seiner Tätigkeit als Arztvertreter und damit bei Einteilung und Ausführung aller ihm als Arztvertreter obliegenden Arbeiten grundsätzlich nicht den Weisungen des Praxisinhabers unterlag und die Praxis in eigener Verantwortung führte (vgl. BSG Urt. v. 27.5.1959 - 3 RK 18/55 - juris Rn. 14 ff.). Auch im Übrigen wurde bzw. wird in Fällen ärztlicher bzw. tierärztlicher Praxisvertretungen eine selbstständige Tätigkeit angenommen (vgl. BSG Urt. v 15.12.1959 - 2 RU 141/56 - juris Rn. 14 ff.; Bayerisches Landessozialgericht Urt. v. 28.3.2012 - L 2 U 424/09 - juris Rn. 53 ff.; Landessozialgericht Baden-Württemberg Urt. v. 21.2.2017 - L 11 R 2433/16 - juris Rn. 25 ff.; Minn in: Figge, Sozialversicherungs-Handbuch Beitragsrecht, 122. Lieferung 11.2019, Die Versicherungspflicht in der Sozialversicherung; Harwart/Thome in: Schallen, Zulassungsverordnung, 9. Aufl. 2018, § 32 Rn. 72).
60
Im Hinblick auf Betriebsärzte hat das BSG in weiteren Urteilen vom 9.12.1981 - 12 RK 34/81 und 12 RK 4/81 - ausgeführt, dass eine organisatorische Einbindung des - fachlich keinen Weisungen unterworfenen - Betriebsarztes in den Betrieb allein nicht ohne Weiteres eine Stellung als abhängig Beschäftigter begründe. Zu prüfen sei, ob die Gestaltung der gegenseitigen Beziehung dem Einzelnen noch einen für eine selbstständige Tätigkeit der betreffenden Art typischen und nach der Eigenart des Betriebs möglichen Freiraum lasse. Das BSG sah es als maßgebend an, ob dem Betriebsarzt hinsichtlich Art, Umfang und Zeit der Durchführung seiner gesetzlich vorgesehen Aufgaben eine ausreichende Dispositionsfreiheit gegeben und ihm andere weisungsgebundene Aufgaben nicht übertragen seien. Dabei hat es die betriebliche Vorgabe bestimmter Sprechstunden für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit als unschädlich erachtet, soweit die zeitlichen Vorgaben nicht über das der Sache nach notwendige Maß hinausgingen. Ferner hat das BSG darauf hingewiesen, dass die Leistungserbringung in den Räumen mit Mitteln und Personal des Vertragspartners nach Art der betriebsärztlichen Tätigkeit notwendig bzw. gesetzlich geregelt sei, sodass darauf abgestellt werden müsse, ob der Betriebsarzt bei der Inanspruchnahme von Räumen, Geräten und Personal Einschränkungen unterliege.
61
Soweit das BSG in seiner jüngsten Rechtsprechung zu den sogenannten "Honorarärzten" diese als abhängig beschäftigt angesehen hat (vgl. z.B. BSG Urt. v. 4.6.2019 - B 12 R 10/18 R), widerspricht dies der Zuordnung der Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) zum Typus einer selbstständigen Tätigkeit nicht. Anders als vorliegend waren die vom BSG entschiedenen Fälle durch eine weitgehende Eingliederung des Arztes in den Betrieb des Krankenhauses und dessen zumindest im Sinne einer funktionsgerechten, dienenden Teilhabe am fremden Arbeitsprozess bestehenden Weisungsgebundenheit gekennzeichnet. Regelmäßig bestanden bei den Bereitschaftsdiensten ärztliche Hintergrunddienste, die in bestimmten Situationen hinzuzuziehen bzw. zu informieren waren. Es waren Anweisungen für den Bereitschaftsdienst zu beachten. Stations- und Assistenzärzte waren in hierarchische Strukturen eingebunden. Fachliche Letztentscheidungsrechte lagen im Regelfall bei Chef- und/oder Oberärzten bzw. bestimmte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden waren Chef- und/oder Oberärzten vorbehalten. Es waren verschieden Besprechungen verpflichtend wahrzunehmen, z.B. Übergabegespräche zu Beginn und Ende des jeweiligen Dienstes, Röntgenbesprechungen etc. All diese Umstände sind vorliegend nicht gegeben.
62
Entgegen ihrer Auffassung kann sich die Beklagte für die von ihr vertretene Annahme einer abhängigen Beschäftigung der Beigeladenen zu 1) nicht auf das Urteil des BFH vom 20.2.1979 - VIII R 52/77 - stützen. Der BFH hat in dieser Entscheidung seine Beurteilung nicht auf der Grundlage der für die Sozialversicherung maßgeblichen Abgrenzungskriterien, wie sie insbesondere von dem für das Sozialversicherungsrecht zuständigen 12. Senat des BSG in jahrzehntelanger Rechtsprechung entwickelt wurden, vorgenommen. Auf die vorstehenden Ausführungen wird verwiesen. Sozialversicherungsrechtlich ist nicht von einer Weisungsgebundenheit und Eingliederung der Beigeladenen zu 1) auszugehen. Im Übrigen ist das vom BFH herangezogene Kriterium der "Verantwortung für die wirtschaftlichen Belange" sozialversicherungsrechtlich kein Abgrenzungskriterium. Auf das Sozialversicherungsrecht ist überdies die Argumentation des BFH, "für eine nichtselbstständige Tätigkeit des Klägers spricht weiterhin das Fehlen eines Unternehmerrisikos", nicht übertragbar. Das Fehlen eines Unternehmerrisikos bedeutet im Sozialversicherungsrecht lediglich, dass ein für Selbstständigkeit sprechendes Kriterium nicht vorliegt. Eine darüber hinausgehende Bedeutung im Sinne eines gegen Beschäftigung sprechenden Merkmals kommt diesem Umstand nicht zu. Schließlich hat der BFH in dem genannten Fall den dort übereinstimmenden Parteiwillen, ein Arbeitsverhältnis zu begründen, als zusätzliches Indiz für das Vorliegen eines solchen gewertet. Der Parteiwille der Klägerin und der Beigeladenen zu 1) im hier zu entscheidenden Verfahren war jedoch im Gegensatz zum Fall des BFH darauf gerichtet, ein freies Dienstverhältnis zu begründen.
63
Die Klägerin hat - wenngleich sich hieraus keine Rechte im Sinne eines Vertrauensschutzes oder einer Gleichbehandlung herleiten lassen - im Übrigen zutreffend darauf hingewiesen, dass Vertreter eines niedergelassenen Arztes, Zahnarztes oder Apothekers auch nach den Gemeinsamen Rechtlichen Arbeitsanweisungen (GRA) der Deutschen Rentenversicherung nicht als sozialversicherungspflichtig angesehen werden, wenn sie keinen Beschränkungen unterliegen, die über die Verpflichtung zur Benutzung der Praxisräume, zur Einhaltung der Sprechstunden und zur Abrechnung im Namen des Vertretenen hinausgehen (GRA zu § 7 SGB IV, Ziff. 1.68 der Anlage 1: Beurteilte Berufsgruppen - Beschäftigung). Hiervon weicht die vorliegende Fallkonstellation nicht ab.
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Fehlt es bereits an der Rechtmäßigkeit der Beitragserhebung durch die Beklagte, sind die mit dem streitigen Bescheid gem. § 24 SGB IV festgesetzten Säumniszuschläge schon aus diesem Grund gleichfalls rechtswidrig.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung.
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Gründe gem. § 160 Abs. 2 SGG für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
67
Der Streitwert ist gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm §§ 47 Abs. 1 S. 1, 52 Abs. 1 u. 3, 63 Abs. 2 S. 1 Gerichtskostengesetz entsprechend der streitigen Beitragsforderung einschließlich der Säumniszuschläge auf 1.161,03 Euro festzusetzen.