02.08.2012 · IWW-Abrufnummer 122364
Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 27.04.2012 – I-20 U 144/11
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Hamm
I-20 U 144/11
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 01.06.2011 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg wird zurückgewiesen.
Dem Kläger werden die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe:
A.
Die Parteien streiten darum, ob dem Kläger ein Anspruch auf bedingungsgemäße Leistungen aufgrund eines am 02.01.2009 entdeckten Leitungswasserschadens zusteht.
Bei der Beklagten bestand für ein Wohngebäude auf dem Grundstück H-Straße in N2 eine Verbundene Wohngebäudeversicherung, für die die VGB 88 vereinbart waren. In § 11 Nr. 1 VGB 88 (Anlage B 1 zur Klageerwiderung) waren die Obliegenheiten der Versicherungsnehmers in Bezug auf wasserführende Anlagen und Einrichtungen in nicht genutzten Gebäude- oder Gebäudeteilen sowie in der kalten Jahreszeit geregelt. Gemäß § 11 Nr. 2 VGB 88 war der Versicherer bei Verletzung dieser Obliegenheiten leistungsfrei.
Im März 2008 kaufte der Kläger das Grundstück und begann mit Renovierungsarbeiten in dem bereits seit März 2006 leer stehenden Wohnhaus. Im Winter 2008/2009 stellte er diese dann ein und legte die Heizung still. Die wasserführenden Leitungen im Hause entleerte er nicht. In einem der Kellerräume befand sich eine zusätzliche Kaltwasserleitung, die der Kläger für die von ihm auf demselben Grundstück betriebene Waschanlage benötigte und schon deshalb nicht abstellte.
Am 02.01.2009 oder kurze Zeit davor kam es aufgrund von Temperaturen von bis zu -10°C zu Frostaufbrüchen an der zur Wasserleitung für die Waschanlage gehörenden Wasseruhr sowie im Bereich des Heizkessels und an mehreren Heizkörpern. Wegen der Schäden im Einzelnen und des Ablaufs der vorgerichtlichen Regulierungsgespräche wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Der Kläger hat in erster Instanz behauptet, montags bis samstags denjenigen Keller, in dem die Wasseruhr montiert sei, durch einen Gasofen beheizt zu haben. Am Sonntag sei dies stets durch eine Elektroheizung geschehen. Morgens und abends sei der Keller durch den Zeugen C2, mittags durch ihn selbst kontrolliert worden. Er hat ferner behauptet, ihm sei – entsprechend der gutachterlichen Stellungnahme des Zeugen C – durch die Frosteinwirkung ein Schaden in Höhe von insgesamt 37.750,00 € entstanden.
Der Kläger hat deshalb beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 37.750,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 23.05.2009 sowie außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.633,78 € zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat dazu unter anderem behauptet, der Kläger habe gegenüber den Zeugen C3, N und C angegeben, eine Beheizung oder eine Kontrolle des Kellers weder selbst noch durch Dritte vorgenommen zu haben.
Das Landgericht hat die Klage nach Vernehmung der Zeugen I, N, C3 und C2 insgesamt abgewiesen.
Zur Begründung hat der Einzelrichter zusammengefasst ausgeführt, dass sich die Beklagte zwar nicht auf eine Obliegenheitsverletzung im Sinne von § 11 Nr. 2 VGB 88 berufen könne, weil diese Regelung wegen Verstoßes gegen die seit 01.01.2008 geltenden §§ 32, 28 VVG neuer Fassung unwirksam sei und weder eine geltungserhaltende Reduktion noch eine ergänzende Vertragsauslegung vorzunehmen seien (siehe dazu im Einzelnen die Seiten 8 und 9 des Urteils, Bl. 164/165 der Akte). Die Beklagte sei aber berechtigt, eine Leistungskürzung gemäß § 81 Abs. 2 VVG wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls vorzunehmen. Dadurch, dass trotz kalter Witterung die Leitungen in dem Haus weder entleert noch das Haus beheizt worden seien, habe der Kläger den Versicherungsfall herbeigeführt. Ob die seiner Behauptung zufolge im Keller aufgestellte Gasheizung bzw. der mobile Elektroradiator als ausreichende Sicherungsmaßnahmen anzusehen seien, sei bereits fraglich. Das könne aber letztlich dahingestellt bleiben, denn die Beweisaufnahme habe ergeben, dass der Kläger diese Sicherungsmaßnahmen nicht ergriffen habe.
Das Landgericht hat deshalb ein grob fahrlässiges Handeln des Klägers angenommen und eine Kürzung des Anspruchs auf null für angemessen erachtet. Es handle sich um ein derart grobes Maß an Fahrlässigkeit, dass sein Handeln in objektiver wie subjektiver Hinsicht einer vorsätzlichen Herbeiführung des Versicherungsfalls gleichkomme. Von einem Vorsatz sei hier nur deshalb nicht auszugehen, weil der er auf das Ausbleiben des Erfolges (des Einfrierens und dem Reißen der Leitungen) vertraut habe.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung und weist auf Folgendes hin:
Das Landgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass § 81 Abs. 2 VVG n.F. trotz fehlender Anpassung der Bedingungen an das neue VVG anwendbar sei. Überdies habe er nicht grob fahrlässig gehandelt. Die Beweiswürdigung des Landgerichts verstoße insofern gegen Denkgesetze, als der Zeuge N aus eigener Anschauung gar nicht habe wissen können, ob der Keller bis zum 02.01.2009 beheizt worden sei, denn dieser Zeuge habe die betreffenden Räume lediglich am 17.07.2009 betreten. Der Zeuge C3 wiederum habe keine konkrete Erinnerung an das Geschehen sondern nur Rückschlüsse aus seinem damaligen Bericht gezogen. Schließlich könne selbst bei grober Fahrlässigkeit allenfalls eine anteilige Kürzung erfolgen, wie bereits aus dem Wortlaut des § 81 Abs. 2 VVG folge. Im Übrigen seien bei nicht erfolgten Sicherungsmaßnahmen gegen das Einfrieren von Leitungen von anderen Gerichten allenfalls Kürzungen von bis zu 50% vorgenommen worden.
Der Kläger beantragt deshalb nunmehr,
die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Arnsberg vom 01.06.2011, Az. I-1 O 153/10, zu verurteilen, an ihn 37.750,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent-punkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 23.05.2009 sowie außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.633,78 € zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die landgerichtliche Klageabweisung und vertieft und ergänzt hierzu ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst dazu überreichten Anlagen Bezug genommen.
B.
1.
Die zulässige Berufung des Klägers ist in der Sache unbegründet.
Die Beklagte kann sich zwar gegenüber dem Anspruch des Klägers nicht auf die Regelung in § 11 Nr. 2 Satz 1 bis Satz 3 VGB 88 berufen, aber ihm steht wegen des Versicherungsfalls vom 02.01.2009 trotzdem kein Anspruch gegen die Beklagte zu, weil er den Versicherungsfall selbst grob fahrlässig herbeigeführt hat und sein Verschulden in diesem besonderen Einzelfall nach Auffassung des Senates so schwer wiegt, dass ihm gemäß § 81 Abs. 2 VVG neuer Fassung jeglicher Anspruch gegen die Beklagte zu versagen war. Dazu im Einzelnen:
1.1.
Zutreffend hat das Landgericht festgestellt, dass sich die Beklagte nicht auf die Sanktionsregelung des § 11 Nr. 2 Satz 1 bis Satz 3 VGB 88 wegen der Verletzung vertraglich vereinbarter Obliegenheiten berufen kann. Diese Vorschriften sind nämlich unter der Geltung des hier gemäß Art. 1 Abs. 1 EGVVG anwendbaren VVG neuer Fassung unwirksam, weil die Beklagte ihre Bedingungen unstreitig nicht an die halbzwingende Vorschrift des § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG angepasst hatte (vgl. dazu die Entscheidung des BGH vom 12.10.2011, IV ZR 199/10, juris Tz. 19 ff.).
1.2.
Der im Grundsatz bestehende Anspruch des Klägers wegen des Leitungswasserschadens ist allerdings gemäß § 81 Abs. 2 VVG, der als gesetzliche Auffangregelung trotz Unwirksamkeit der vertraglichen Sanktionsregelung anwendbar bleibt (siehe dazu BGH, Urteil vom 12.10.2011, a.a.O., juris Tz. 52 und den mit der Ladung erteilten Hinweis – Bl. 196 der Akte -), auf null reduziert:
1.2.1.
Dabei geht der Senat davon aus, dass der Kläger vor dem 02.01.2009 weder die Wasserleitungen abgesperrt bzw. entleert noch für eine Beheizung des betreffenden Kellers zur Vermeidung von Frostschäden an der Leitung für die von ihm betriebene Waschanlage gesorgt hatte. Das Landgericht hat mit überzeugender Beweiswürdigung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, insbesondere festgestellt, dass der Kläger in dem Keller weder eine Gasheizung noch einen Elektroofen aufgestellt hatte. Die gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts vom Kläger vorgebrachten Gesichtspunkte haben demgegenüber keine Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Feststellungen im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO begründen können. Das ergibt sich aus Folgendem:
1.2.1.1.
Der vom Kläger behauptete Verstoß der Beweiswürdigung gegen Denkgesetze besteht nicht. Das Landgericht ist nämlich - anders als der Kläger meint - nicht davon ausgegangen, dass der Zeuge N aufgrund des Fehlens einer vom Kläger aufgestellten Heizung bei dem Ortstermin im Juli (= Hochsommer) auf die fehlende Beheizung im Januar geschlossen habe. Es hat vielmehr seiner Beweiswürdigung zugrunde gelegt, dass der Kläger selbst gegenüber diesem Zeugen angegeben habe, das Objekt im Winter 2008/2009 nicht beheizt zu haben (siehe Seite 10 des Urteils, letzter Absatz). Auf diese Erklärung des Klägers gegenüber dem Zeugen und nicht auf den eigenen Eindruck des Zeugen von der Beheizung am 02.01.2009 ist deshalb die Beweiswürdigung gestützt.
1.2.1.2.
Die weitere Argumentation des Klägers gegenüber der Einschätzung des Landgerichts bezüglich der (fehlenden) Glaubwürdigkeit des Zeugen I (siehe Seite 4 der Berufungsbegründung, Bl. 190 der Akte, zweiter Absatz) stellt ebenfalls keinen Umstand dar, der im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO konkrete Zweifel an der Tatsachenfeststellung begründen könnte. Der Hinweis in der Berufungsbegründung, dass der Zeuge seine Erinnerungslücken offen gezeigt und keinerlei Begünstigungstendenz an den Tag gelegt habe, reicht dazu nicht aus. Das Landgericht hat nämlich – neben anderen Gesichtspunkten – bei seiner Würdigung auch für den Senat überzeugend darauf hingewiesen, dass dieser Zeuge ausgesagt habe, das gesamte Haus sei durch die Heizung (mit einem Elektro- und einem Gasofen in einem Kellerraum) warm gewesen (siehe dazu Seite 12 des Urteils, zweiter Absatz). Das aber ist an sich schon wenig glaubhaft und widerspricht im Übrigen auch den eigenen Angaben des Klägers.
1.2.2.
Der Ansicht des Klägers (siehe Seite 5 der Berufungsbegründung, Bl. 191 der Akte, im Anschluss an Prölss in Prölss/Martin, VVG, 28. Auflage 2010, § 28 Rn. 136), wonach die Kürzung eines Anspruchs gemäß § 81 Abs. 2 VVG schon sprachlich einen gewissen Restanspruch voraussetze, folgt der Senat nicht. Der Bundesgerichtshof hat dazu mit eingehender Begründung entschieden, dass in besonderen Ausnahmefällen eine solche Kürzung auf null gemäß § 81 Abs. 2 VVG durchaus möglich sei (siehe dazu die eingehende Darstellung und Begründung im Urteil des BGH vom 22.06.2011, IV ZR 225/10, juris, Tz. 21 – 32) und dem stimmt der Senat zu (vgl. dazu auch die Senatsentscheidung vom 25.08.2010, 20 U 74/10).
1.2.3.
Nach Überzeugung des Senats ist hier ein solcher besonderer Ausnahmefall gegeben, der eine Kürzung des Anspruchs auf null erfordert.
1.2.3.1.
In objektiver Hinsicht hat der Kläger über einen längeren Zeitraum und trotz winterlicher Temperaturen keinerlei Sicherungsmaßnahmen gegenüber dem Einfrieren der Leitungen ergriffen. Er hat in dem schon seit längerer Zeit leer stehenden Haus die Leitungen weder entleert noch abgesperrt. Darüber hinaus hat er auch in dem Kellerraum, in dem sich die Wasserleitung für die von ihm betriebene Waschanlage befindet, weder für eine gewisse Heizung zur Gewährleistung von Frostfreiheit gesorgt noch irgendwelche Isolierungsmaßnahmen vorgenommen. Zusammenfassend handelt es sich deshalb um einen ganz besonderen Fall, in dem der Kläger für längere Zeit jegliche Sicherungsmaßnahmen unterlassen und deshalb das Erforderliche in besonders hohem Maße missachtet hat. Unter diesen Umständen war ein Leitungswasserschaden aufgrund winterlicher Temperaturen nicht nur möglich sondern in hohem Maße wahrscheinlich. Der Grad grober Fahrlässigkeit kann deshalb von dem Senat nur als außergewöhnlich hoch und einem Vorsatz praktisch gleichstehend bewertet werden.
1.2.3.2.
Auch in subjektiver Hinsicht sind keinerlei Gesichtspunkte vorgetragen oder sonst ersichtlich, die den Sorgfaltsverstoß des Klägers in einem milderen Licht erscheinen lassen könnten. Im Gegenteil: In seiner Anhörung durch das Landgericht (im Senatstermin ist der Kläger trotz entsprechender Anordnung ohne Angabe von Gründen nicht erschienen) hat er selbst geschildert, in der Zeit vor dem Schaden mit Kollegen über die Notwendigkeit von Sicherungsmaßnahmen gesprochen zu haben. Ihm war deshalb seinen eigenen Angaben nach bewusst, was zur Abwehr von Frostschäden notwendig war, und gleichwohl hat er keinerlei Sicherungsmaßnahmen ergriffen, was insgesamt nur eine vollständige Kürzung seines Anspruchs gemäß § 81 Abs. 2 VVG zur Folge haben konnte.
2.
Die Kostenentscheidung basiert auf § 97 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO.
Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst (vgl. § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).