19.09.2013 · IWW-Abrufnummer 132955
Oberlandesgericht Braunschweig: Urteil vom 13.02.2013 – 3 U 46/12
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Braunschweig
Im Namen des Volkes
Urteil
3 U 46/12
8 O 116/11 Landgericht Göttingen
Verkündet am 13. Februar 2013
In dem Rechtsstreit XXX
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig durch … auf die mündliche Verhandlung vom 23. Januar 2013 für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 07.03.2012 abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf 5.392,32 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer Hausratversicherung, die das Risiko „Einbruchdiebstahl“ umfasst, auf Leistung in Anspruch.
Er behauptet, ihm sei am 10.10.2010 während seiner Nachtschicht als Krankenpfleger aus dem Pausenraum einer Klinik in B. zunächst seine Umhängetasche entwendet worden, in der sich außer seinen Ausweispapieren auch sein PKW- und sein Wohnungsschlüssel befunden hätten. Anschließend seien ihm zahlreiche Wertgegenstände, überwiegend teure technische Geräte, aus seiner Wohnung gestohlen worden.
Die dem Vertrag zugrunde liegenden VHB 2008 enthalten in § 5 Nr. 1 f) eine sog. „erweiterte Schlüsselklausel“ mit folgendem Wortlaut:
„Einbruchdiebstahl liegt vor, wenn jemand versicherte Sachen wegnimmt, nachdem er in einen Raum eines Gebäudes mittels richtiger Schlüssel eindringt, die er - auch außerhalb der Wohnung - durch Diebstahl an sich gebracht hatte, vorausgesetzt, dass weder Sie noch der Gewahrsamsinhaber den Diebstahl des Schlüssels durch fahrlässiges Verhalten ermöglicht haben.“
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.
Das Landgericht hat der Klage nach Vernehmung der Zeugin G. überwiegend stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, es könne nicht festgestellt werden, dass der Diebstahl durch ein fahrlässiges Verhalten des Klägers im Sinne der oben genannten Klausel verursacht worden sei. Zwar sei von einem solchen vorwerfbaren Obliegenheitsverstoß des Klägers insoweit auszugehen, als dieser seine Tasche während seines einstündigen Stationsrundgangs unbeaufsichtigt im Pausenraum liegen gelassen habe. Es komme jedoch in Betracht, dass diese schon zuvor entwendet worden sei, als der Kläger wegen eines - möglicherweise vom Täter lediglich fingierten - Patientenrufs den Pausenraum für zwei Minuten verlassen habe. Insoweit sei ein Schuldvorwurf nicht gegen ihn zu erheben. Die fehlende Aufklärbarkeit des genauen Diebstahlszeitpunkts wirke sich zu Ungunsten der beweisbelasteten Beklagten aus.
Die Beklagte greift das erstinstanzliche Urteil als in zweifacher Hinsicht rechtsfehlerhaft sowie auf der Grundlage unzutreffender Tatsachen ergangen an:
Das Landgericht sei zum einen zu Unrecht zu der Auffassung gelangt, dass ein versicherter Einbruchdiebstahl vorliege. Zum anderen habe es versäumt, den subjektiven Risikoausschluss gemäß § 81 Abs. 2 VVG zu prüfen.
In tatsächlicher Hinsicht sei davon auszugehen, dass der Kläger seine Tasche in der Tatnacht gar nicht erst, wie später von ihm behauptet, in seinem Spind eingeschlossen habe. Dies ergebe sich aus seinen eigenen Angaben gegenüber der Polizei sowie der schriftlichen Aussage seiner Mutter.
Auch der vom Kläger behauptete Notruf, der dazu geführt habe, dass er seine Tasche im Pausenraum zurückgelassen habe, werde bestritten.
In rechtlicher Hinsicht habe das Landgericht die sich aus der Formulierung in § 5 Nr. 1 f) VHB 2008 ergebende Verteilung der Darlegungs- und Beweislast verkannt. Der Kläger habe nachzuweisen, dass ihn hinsichtlich des Schlüsseldiebstahls kein Fahrlässigkeitsvorwurf treffe. Da ihm dies nicht gelinge, komme es nicht darauf an, ob die Beklagte nachweisen könne, dass der Kläger den Versicherungsfall gemäß § 81 Abs. 2 VVG grob fahrlässig herbeigeführt habe. Dies sei allerdings ebenfalls der Fall, weil der Kläger Wohnungsschlüssel und Ausweispapiere gemeinsam in der Tasche aufbewahrt und diese in einem frei zugänglichen Raum unbeaufsichtigt liegen gelassen habe, obwohl er über einen Spind verfügt habe.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Göttingen vom 07.03.2012 die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.
II.
Die Berufung der Beklagten ist begründet. Die Klage ist abzuweisen.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Leistungsanspruch aus seiner bei der Beklagten bestehenden Versicherung gegen Einbruchdiebstahl nicht zu.
Auf die Frage, ob der subjektive Risikoausschluss gemäß § 81 Abs. 2 VVG vorliegend zur Anwendung gelangt, kommt es nicht an, weil der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Kläger schon nicht nachgewiesen hat, dass ein Versicherungsfall im Sinne von § 5 Nr. 1 f) VHB 2008 vorliegt.
1.
Versichertes Risiko ist das Vorliegen eines Einbruchdiebstahls. Da der oder die Täter diesen mit dem richtigen Schlüssel begangen hat bzw. haben, scheiden die in § 5 Nr. 1 a) bis d) VHB 2008 genannten Varianten aus. Die Variante e) ist ebenfalls nicht erfüllt.
Tatbestandliche Voraussetzung der somit einzig in Betracht kommenden Begehungsweise ist der Verlust des richtigen Schlüssels durch Diebstahl, ohne dass dem Kläger als Versichertem und gleichzeitigem Gewahrsamsinhaber insoweit ein fahrlässiges Verhalten zur Last zu legen wäre.
Diese sog. erweiterte Schlüsselklausel ist ihrem klaren Wortlaut nach nicht als ein Risikoausschluss zu verstehen, sondern enthält im Gegenteil insoweit eine Ergänzung des Versicherungsschutzes, als ein Einbruchdiebstahl als versichertes Risiko bei dieser Begehungsform an sich gar nicht vorliegt. Denn es fehlt das typische Gepräge der übrigen Varianten, bei denen dem Täter die Überwindung besonderer Schutzmaßnahmen abverlangt wird, wie es bei der wortgleichen Bestimmung des § 243 Abs. 1 Nr. 1 StGB der Fall ist. Diese Strafbestimmung trägt dem Umstand Rechnung, dass der Täter in derartigen Fällen eine besondere kriminelle Energie entwickelt (vgl. dazu BGH vom 12.06.1985 - IVa ZR 17/84, zitiert nach juris, dort Rn 8).
Die in § 5 Nr. 1 f) VHB 2008 enthaltene Erstreckung des Versicherungsschutzes ist jedoch an die Voraussetzung geknüpft, dass in Bezug auf den Verlust des Schlüssels keine Fahrlässigkeit des Berechtigten vorliegt. Das Fehlen eines Fahrlässigkeitsvorwurfs hinsichtlich des Schlüsselverlusts stellt somit eine Anspruchsvoraussetzung dar (OLG Frankfurt vom 21.12.1988 - 7 U 180/87; OLG Koblenz vom 28.06.2002 - 10 U 328/01; OLG Düsseldorf vom 08.10.2002 - 4 U 56/02; OLG Hamm vom 21.07.2004 - 20 U 86/04, zitiert nach juris, dort Rn 28).
2.
Dass der Diebstahl seines Wohnungsschlüssels nicht auf einem Verhalten des Klägers beruhte, das als fahrlässig im Sinne von § 276 Abs. 2 BGB zu bewerten ist, hat der Kläger nicht bewiesen. Nach dieser Vorschrift kommt es nicht auf die übliche, sondern die verkehrserforderliche Sorgfalt an.
Diese hat der Kläger jedenfalls dadurch verletzt, dass er seine Tasche während seines etwa einstündigen Stationsrundgangs unbeaufsichtigt im Pausenraum zurückgelassen hat, nachdem er diesen nach seinem eigenen Vortrag, der als wahr unterstellt werden kann, wegen eines Patientenrufs verlassen hatte.
Insoweit ist zu berücksichtigen, dass sich in der Tasche sowohl der Wohnungsschlüssel als auch die Ausweispapiere des Klägers befunden haben und der Kläger das Diebstahlsrisiko leicht hätte vermeiden können, indem er die Tasche entweder zuvor im Spind belassen oder zumindest seinen Wohnungsschlüssel am Körper getragen hätte. Der Umstand, dass eine Entwendung während der Nachtschicht relativ unwahrscheinlich war, weil sich auf der Krankenstation nur Patienten und Kollegen befanden, vermag ihn nicht zu entlasten. Denn auch diese Personen kommen ersichtlich als potentielle Täter in Betracht.
Ob ein solcher Fahrlässigkeitsvorwurf auch insoweit gegen den Kläger zu erheben ist, als er sich, ohne seine Umhängetasche sicher zu verwahren, wegen eines Patientennotrufs auf die Station begeben hat, braucht nicht entschieden zu werden. Denn der Kläger vermag nicht zu beweisen, dass der Diebstahl während dieser nur zweiminütigen Zeitspanne erfolgt ist. Dies wirkt sich wegen der ihn insoweit treffenden Beweislast zu seinen Ungunsten aus.
3.
Die erweiterte Schlüsselklausel ist nicht wegen eines Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 BGB unwirksam. Schutzwürdige Erwartungen des Versicherungsnehmers auf einen bestehenden Versicherungsschutz können durch die in § 5 Nr. 1 f) VHB 2008 enthaltenen Einschränkungen nicht verletzt werden, weil die Fallkonstellation eines zuvor entwendeten richtigen Schlüssels nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht unter den Oberbegriff der versicherten Gefahr, den Einbruchdiebstahl, fällt (OLG Koblenz, Frankfurt, Düsseldorf und Hamm, jeweils a. a. O).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO.
Ein Grund, die Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, ist nicht gegeben.
Die Festsetzung des Streitwerts basiert auf § 47 Abs. 1 GKG.