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· Fachbeitrag · Versicherungsrecht

BGH gewährt ewiges Widerrufsrecht und beschränkt zugleich die Prämienrückzahlung

von Rechtsanwalt Klaus-Jörg Diwo, vereidigter Buchprüfer und Fachanwalt für Versicherungsrecht, Rechtsanwaltskanzlei Diwo & Falk, Freiburg

| Eine Lebens-, Renten- oder Zusatzversicherung zur Rentenversicherung, die zwischen 1994 und 2007 abgeschlossen wurde, kann auch nach Auszahlung des Rückkaufswerts noch widerrufen werden, wenn der Versicherungsnehmer (VN) bei Vertragsabschluss nicht hinreichend über sein Widerrufs- oder Rücktrittsrecht belehrt wurde. Das hat der BGH entschieden. Gleichzeitig hat er aber die Rückforderung der gezahlten Prämien beschränkt. Was das für VN heißt, erfahren Sie nachfolgend. |

EuGH hält Widerrufsrecht für europarechtswidrig

Der EuGH hatte entschieden, dass eine nationale Bestimmung, nach der ein Rücktrittsrecht spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Versicherungsprämie erlischt, wenn der VN nicht über das Recht zum Rücktritt belehrt wurde, nicht mit Europarecht vereinbar ist. Konkret ging es um den zum 1. Januar 2008 außer Kraft getretenen § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG (EuGH, Urteil vom 19.12.2013, Rs. C-209/12; Abruf-Nr. 140078; WVM 4/2014, Seite 16).

BGH stärkt Recht auf Widerruf bei Altverträgen

Der BGH hat bestätigt, dass der Widerruf eines Versicherungsvertrags, mit dem eine Lebens-, Renten- oder Zusatzversicherung zur Rentenversicherung zwischen 1994 und 2007 abgeschlossen wurde, auch nach Auszahlung des Rückkaufswerts noch möglich ist, wenn der VN bei Vertragsabschluss nicht hinreichend über sein Widerrufsrecht oder Rücktrittsrecht belehrt wurde (BGH, Urteil vom 7.5.2014, Az. IV ZR 76/11; Abruf-Nr. 141546).

 

Im Entscheidungsfall hatte der Kläger ursprünglich sowohl Schadenersatz gefordert und einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gegen den Versicherer geltend gemacht. Der BGH musste nur über den Bereicherungsanspruch entscheiden, weil das zuvor eingeschaltete Berufungsgericht, das OLG Stuttgart, den Schadenersatzanspruch abgewiesen und die Revision zum BGH nur bezüglich des Bereicherungsanspruchs zugelassen hatte.

 

BGH hält Widerruf für zulässig

Der BGH kommt nunmehr zu dem Ergebnis, dass der Kläger nicht in drucktechnisch deutlicher Form über sein Widerrufsrecht bei Abschluss des Vertrags belehrt wurde. Daher konnte er den Vertrag auch noch nach dessen Beendigung und Auszahlung der Versicherungssumme widerrufen.

 

Keine uneingeschränkte Prämienrückzahlung

Nach deutschem Bereicherungsrecht seien allerdings vom Versicherer nicht alle Prämien uneingeschränkt an den VN zurückzuerstatten, sondern es sei zu berücksichtigen, dass der VN während des Zeitraums der Prämienzahlung Versicherungsschutz hatte. Das heißt, dass der Versicherer während der Prämienzahlungszeit, wäre der Versicherungsfall eingetreten, im vereinbarten Umfang die Versicherungsleistung erbracht hätte.

 

Da der Versicherungsschutz ein Vermögensvorteil ist, den der Versicherer gewährte, muss der VN dem Versicherer den Wert des Versicherungsschutzes ersetzen. Sprich: Bei einer Kapitallebensversicherung, die eine Leistung für den Todesfall während der Laufzeit des Versicherungsvertrags und eine Leistung für den Erlebensfall bei Ablauf des Vertrags vorsieht,

  • kann der Versicherer den kalkulatorischen Anteil, der auf das Risiko Todesfallleistung entfällt, einbehalten, und
  • muss lediglich den Prämienanteil, der in den Ansparvorgang für die Leistung im Erlebensfall vorgesehen ist, an den VN zuzüglich Zinsen erstatten.

 

Wie geht es weiter?

Der BGH, der selbst keine Tatsachenfeststellungen trifft, hat das Verfahren daher an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dort wird, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme von versicherungsmathematischen Gutachten, zu klären sein, welcher Anteil der Prämie auf den Risikoschutz entfiel und welcher Anteil der Prämie in den Sparvorgang zur Bildung des im Erlebensfall auszuzahlenden Kapitals floss.

Auswirkungen des BGH-Urteils auf die Praxis

Für die Praxis ergeben sich damit folgende Prüfungsschritte:

 

  • 1. Wurde bei Abschluss des Vertrags zur Zeit der Geltung des § 5 a Abs. 2 Satz 4 VVG alter Fassung über das Widerrufsrecht nicht hinreichend belehrt bzw. lagen sonstige Umstände vor, die zum Widerruf oder Rücktritt berechtigten?
  • 2. Wenn ja, war die Summe der eingezahlten Prämien zuzüglich Zinsen höher als die Auszahlung des Versicherers bei Beendigung des Vertrags?
  • 3. Nur bei deutlichen Unterschieden lohnt es sich, von dem Versicherer die Erstattung des Differenzbetrags zu verlangen, da dieser vom Differenzbetrag den Wert des geleisteten Versicherungsschutzes abziehen kann.
  • 4. Ferner müssen Steuernachzahlungen einkalkuliert werden, wenn sich die Prämien im Jahr der Zahlung steuermindernd ausgewirkt haben.

 

In vielen Fällen wird sich ein kaum nennenswerter Betrag ergeben.

 

FAZIT | Durch das Urteil des BGH verlagert sich der Streit in den Bereich der Versicherungsmathematik. Denn nunmehr muss festegestellt werden, welchen Wert der Versicherungsschutz hatte bzw. welche wertbildenden Faktoren im Rahmen des Risikoschutzes von Bedeutung sind. Der VN, der selbst über keinerlei versicherungsmathematische Kenntnisse verfügt, wird damit gezwungen, einen sehr steinigen Weg zu gehen.

 

Weiterführender Hinweis

  • Beitrag „Ewiges Widerspruchsrecht für vor 2008 abgeschlossene Versicherungsverträge?“, WVM 4/2014, Seite 16
Quelle: Ausgabe 06 / 2014 | Seite 16 | ID 42708147