· Fachbeitrag · Provisionsrückforderungen
Versicherer kommt Anforderungen an die Nachbearbeitung vor dem LG Fulda nicht nach
von Rechtsanwalt Kai-Uwe Recker, Kanzlei Dr. Heinicke, Eggebrecht & Partner mbB Rechtsanwälte, München
| Die gesetzlichen Regeln für Provisionsrückforderungen sind streng. Die Anforderungen an den Vortrag des Versicherers, die Nachbearbeitung notleidender Verträge darzulegen, sind somit entsprechend hoch. Ein neuerer Beleg dafür ist ein Urteil des LG Fulda. Dessen praktische Bedeutung erläutert der nachfolgende Beitrag. |
Provisionsrückforderungen und Nachbearbeitung durch VU
Der Anspruch auf Provision besteht auch wenn feststeht, dass der Versicherer das Geschäft ganz oder teilweise nicht oder nicht so ausführt, wie es abgeschlossen worden ist (§ 87a Abs. 3 HGB). Der Anspruch entfällt nur, wenn und soweit dies auf Umständen beruht, die der Versicherer nicht zu vertreten hat.
Der Versicherer hat die Nichtausführung (Stornierung) des Vertrags dann nicht zu vertreten, wenn er notleidende Verträge im gebotenen Umfang nachbearbeitet hat. Art und Umfang der dem Versicherer obliegenden Nachbearbeitung notleidender Versicherungsverträge bestimmen sich nach den Umständen des Einzelfalls. Der Versicherer kann
- eigene Maßnahmen zur Stornoabwehr ergreifen oder
- sich darauf beschränken, dem Versicherungsvertreter durch eine Stornogefahrmitteilung Gelegenheit zu geben, den notleidend gewordenen Vertrag selbst nachzubearbeiten.
Ergreift der Versicherer eigene Maßnahmen, müssen diese nach Art und Umfang ausreichend sein. Das muss im Streitfall der Versicherer darlegen und beweisen. Der Versicherer muss im Rahmen der Nacharbeit auch vortragen,
- was getan worden sein soll, mit welchem Inhalt die Nacharbeit konkret durchgeführt worden sein soll und warum das erfolglos geblieben ist, oder
- warum die Nacharbeit oder weitere Maßnahmen von vornherein entbehrlich gewesen sein sollen (ständige Rechtsprechung des BGH, zuletzt BGH, Urteil vom 28.06.2012, Az. VII ZR 130/11, Abruf-Nr. 122324).
LG Fulda: Mangelnde Substantiierung ‒ keine Rückforderung
Das AG Fulda hat die Klage abgewiesen: Der Versicherer habe seine Provisionsrückforderung nicht substantiiert dargelegt. Das LG Fulda kommt zum gleichen Schluss (LG Fulda, Urteil vom 08.11.2019, Az. 1 S 38/19, Abruf-Nr. 213645). Es bezog sich dabei auf die konkrete vom BGH aufgestellte und mit Urteil vom 28.06.2012 bestätigte Pflicht zur Nacharbeit des Versicherers. Nach Ansicht des LG ist der Versicherer in seinem Vortrag den Anforderungen an die Nacharbeit nicht gerecht geworden:
Fehlende Nacharbeit in den Fällen der Beitragsfreistellung/Nichtzahlung
Im Interesse des Vertreters ist der Versicherer in jedem Fall gehalten, die Gründe für die Beitragsfreistellung/Nichtzahlung zu erforschen und gemeinsam mit dem Versicherungsnehmer (VN) nach einer Lösung zu suchen. Hierfür wird regelmäßig eine persönliche Rücksprache mit dem Schuldner erforderlich sein, bei der etwa eine Vertragsänderung diskutiert werden kann (OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.01.2017, Az. I-16 U 32/16, Abruf-Nr. 192124).
Wichtig | Im vorliegenden Fall wurde dem VN aber gerade nur die Konsequenz der derzeitigen Beitragsstilllegung vor Augen geführt, was keine Nachbearbeitungsmaßnahme darstellt.
Fehlende Nacharbeit in den Fällen von Beitragsrückstand
Allein aus einem Beitragsrückstand kann nach Ansicht des LG nicht auf eine Entbehrlichkeit der Nachbearbeitung geschlossen werden. Im Gegenteil: Ausbleibende Beitragszahlungen sind der klassische Fall, in dem ein Bemühen um eine Rettung des notleidenden Versicherungsvertrags stattzufinden hat. Der Versicherer darf sich gerade nicht einfach auf die Berechtigung zur Kündigung und den Eintritt der Kündigungsfiktion gemäß § 38 VVG zurückziehen, sondern muss um die Aufrechterhaltung des Vertrags in geeigneter, den Wünschen und finanziellen Möglichkeiten des VN wie des Versicherungsvertreters Rechnung tragender Gestalt bemüht sein (vgl. Emde, in: Staub, HGB, 5. Auflage, § 92 Rz. 12).
Der Versicherer muss versuchen, die Gründe für die Nichtzahlung zu erforschen, und gemeinsam mit dem Prämienschuldner nach einer Lösung suchen. Hierfür werden regelmäßig
- eine persönliche Rücksprache mit dem Schuldner sowie
- eine nachdrückliche Zahlungsaufforderung erforderlich sein.
Wichtig | Derartige Nachbearbeitungsbemühungen hat der Versicherer im vorliegenden Fall nicht dargelegt.
Ausforschungsbeweis in den Fällen unzureichender Darlegung unzulässig
In den Fällen, in denen der Versicherer seine Nachbearbeitungsbemühungen nicht dargelegt hat (Beitragsfreistellung, Nichtzahlung, Beitragsrückstand), kommt die Vernehmung des Versicherten nicht in Frage. Das LG betont, dass dies eine unzulässige Ausforschung des Sachverhalts darstellen würde.
Fehlende Nacharbeit in den Fällen der Kündigung durch VN
Nachbearbeitungsmaßnahmen sind auch bei Verträgen, die durch den VN gekündigt wurden, grundsätzlich erforderlich. Denn ob eine Nachbearbeitung der Versicherungen ausnahmsweise entbehrlich ist, weil sie nicht erfolgversprechend ist, kann nicht allein aus der Art der Beendigung des Vertrags hergeleitet werden (LG Hamburg, Beschluss vom 12.06.2018, Az. 305 S 52/17, Abruf-Nr. 217342).
Wichtig | Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Vortrag des Versicherers nicht, warum der jeweilige VN überhaupt gekündigt hat. Somit ist nach Ansicht des LG die Behauptung des Versicherers, der Kündigungsausspruch sei unabänderlich, ins Blaue hinein und ohne jegliche Substanz erfolgt.
Das Standard-Schreiben an den VN, in dem auf die wirtschaftlichen Nachteile einer Kündigung hingewiesen wird, stellt keine ausreichende Nachbearbeitungsmaßnahme dar (BGH, Urteil vom 01.12.2010, Az. VIII ZR 310/09, Abruf-Nr. 110310).
Ebenso wenig gilt das für das in dem Schreiben ausgesprochene Angebot, zur Vermeidung der Kündigung ein persönliches Gespräch mit dem VN zu führen. Bei dieser Standardformulierung, die für den jeweiligen VN auch eindeutig erkennbar ist, ist nicht davon auszugehen, dass irgendjemand dieses Angebot von sich aus in Anspruch nimmt. Damit handelt es sich nicht um ein aktives Tätigwerden des Versicherers und damit auch nicht um eine ausreichende Nachbearbeitungsmaßnahme.
Das Schreiben ist daher insgesamt nur ein allgemeiner Hinweis auf die wirtschaftlichen Konsequenzen der Kündigung. Ein Bemühen des Versicherers zur Rettung des Vertrags ist darin nicht zu sehen. Es liegt gerade keine Gleichwertigkeit mit dem ‒ fiktiven ‒ Bemühen eines Versicherungsvertreters vor, der üblicherweise seinen persönlichen Kontakt zum Kunden nutzen wird, um die Gründe der Kündigung aufzuklären und Möglichkeiten einer Abhilfe auszuloten (OLG Brandenburg, Urteil vom 09.07.2009, Az. 12 U 254/08, Abruf-Nr. 092885).
Wichtig | Die Darstellung der Nachteile einer Kündigung oder das Angebot eines Gesprächs sind keine ausreichenden Maßnahmen der Nacharbeit; es fehlt am Bemühen des Versicherers.
Bei Kleinstorni entfällt Nacharbeit nicht automatisch
Bei den sog. Kleinstorni schließt sich das LG der mit dem BGH konformen Ansicht an, dass es in punkto Nacharbeit auf die Umstände des jeweiligen Falls ankommt. Der Versicherer müsste daher
- den Grund der Stornierung und
- die weiteren Umstände des Einzelfalls, wie
- Gesamtzahl der Versicherungen desselben VN und
- Vertragsdauer der Verträge, vortragen.
Denn schließlich kommt es, wie das OLG Düsseldorf (Urteil vom 13.01.2017, Az. I-16 U 32/16, Abruf-Nr. 192124) angibt, auf die Geschäftsbeziehung mit dem VN an, der regelmäßig mehr als nur eine einzige Versicherung hat. Ohne den entsprechenden Vortrag kann aber nicht beurteilt werden, ob eine Nacharbeit im Einzelfall erforderlich ist oder eben nicht.
Nach Aussage des LG ist der Versicherer auch für die Fälle der Kleinstorni seiner Darlegungs- und Beweislast nicht ausreichend nachgekommen. Er hat nicht einmal den Grund der Stornierung angegeben.
Weiterführende Hinweise
- Sonderausgabe „Provision des Versicherungsvertreters: Das sind die wichtigsten Spielregeln“, auf wvv.iww.de → Abruf-Nr. 44817379
- Beitrag „Hohe Anforderungen an Rückbelastung von Provisionen: Vertreter wehrt sich erfolgreich“, WVV 8/2019, Seite 5 → Abruf-Nr. 45988033