· Fachbeitrag · Agenturvertrag
Fristlose Kündigung nach Sperrung des Zugangs zum Online-System des Versicherers
von Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Habel, Habel Böhm & Partner, Erfurt
| Immer wieder sperren Versicherer dem Vertreter den Zugang zu ihrem Online-System, sobald der Vertreter seinen Agenturvertrag gekündigt hat. Der Vertreter kann darauf mit einer fristlosen Kündigung antworten, er muss aber den Versicherer vorher abgemahnt haben. Diese Lehre ziehen wir aus einem Urteil des OLG München. |
Sperrung des Zugangs zum Online-System
Die Vertreterin hatte den Vertretervertrag 2012 „zum nächstmöglichen Termin“ ordentlich gekündigt. Aufgrund einer vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist von 18 Monaten zum 30. September wäre dies der 30. September 2014 gewesen.
Das Unternehmen reagierte auf die Kündigung, indem es der Vertreterin mit sofortiger Wirkung den Zugang zu seinem Online-System sperrte. Darauf reagierte wieder die Vertreterin, indem sie das Vertragsverhältnis fristlos kündigte. Kurz danach wurde sie für ein Konkurrenzunternehmen tätig. Das nahm das Unternehmen zum Anlass, auf Unterlassung der Konkurrenztätigkeit und Schadenersatz zu klagen.
Fristlose Kündigung ja - aber erst nach Abmahnung
Der Vertretervertrag enthielt ein Wettbewerbsverbot, dieses war aber nicht auf die Zeit nach Beendigung des Vertrags erstreckt (kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot). Daher war entscheidend, ob die fristlose Kündigung wirksam war:
- War die fristlose Kündigung wirksam, war das Vertragsverhältnis beendet. Die Vertreterin unterlag in diesem Fall keinem weiteren Wettbewerbsverbot. Sie konnte ihrer neuen Tätigkeit ungehindert nachgehen.
- War die fristlose Kündigung dagegen unwirksam, galt der Vertrag weiter und auch das vertragliche Wettbewerbsverbot. Mit ihrer Tätigkeit für ein Konkurrenzunternehmen verstieß die Vertreterin somit gegen das Wettbewerbsverbot. Und sie machte sich schadenersatzpflichtig und konnte auf Unterlassung in Anspruch genommen werden.
Unzumutbarkeit als fristloser Kündigungsgrund
Die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung hängt in einem solchen Fall zunächst davon ab, dass es dem Kündigenden unzumutbar ist, den Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist abzuwarten. Das ist jedenfalls immer dann zumutbar, wenn der Betreffende während dieser Zeit ordnungsgemäß weiterarbeiten kann. In einem solchen Fall ist für eine fristlose Kündigung kein Raum.
Wichtig | Auch geringfügige, insgesamt unwesentliche Beeinträchtigungen der Arbeitsmöglichkeit reichen nicht aus, um den Vertrag fristlos kündigen zu können.
Im Urteilsfall hatte das Unternehmen der Vertreterin die Möglichkeit eingeräumt, den Online-Zugang eines anderen Vertreters nach jeweiliger Rücksprache und Terminvereinbarung mitnutzen zu können. Dieser unterhielt sein Büro zwar in der gleichen Stadt, aber in einem anderen Stadtteil als die Vertreterin. Sie hätte daher bei Kundenanfragen stets dessen Büro aufsuchen und mehrmals hin und her fahren müssen.
Das OLG München hat die beiderseitigen Interessen abgewogen und kam zu dem Schluss, dass ein Weiterarbeiten der Vertreterin bis zum Ende der ordentlichen Kündigungsfrist unter diesen Bedingungen unzumutbar sei:
- Die Verweigerung eines eigenen Zugangs zum Online-System des Unternehmens und Verweis auf die Mitnutzung eines Zugangs in einem anderen Büro erschwere ihre Tätigkeit in ganz erheblichem Ausmaß.
- Der Aufwand für die Beantwortung von Kundenanfragen als auch für die Neuvermittlung von Verträgen sei dadurch in unzumutbarer Weise erhöht.
- Der Zeitraum von mehr als 2,5 Jahren bis Vertragsende sei erheblich.
Versäumte Abmahnung lässt fristlose Kündigung scheitern
Obwohl die Abwägung der widerstreitenden Interessen zugunsten der Vertreterin ausging, war ihr damit nicht geholfen: Sie hatte es in den Augen des OLG versäumt, vor der fristlosen Kündigung eine Abmahnung auszusprechen und die Reaktion des Unternehmens hierauf abzuwarten. Das aber sei Voraussetzung jeder fristlosen Kündigung, die sich auf die Leistung bzw. Nichtleistung der Gegenseite stützt - und nicht auf ein zerrüttetes Vertrauensverhältnis, bei dem keine Abmahnung erforderlich sei.
Im Ergebnis war die fristlose Kündigung der Vertreterin letztlich unwirksam. Die Vertreterin wurde zu Unterlassung und Schadenersatz verurteilt (OLG München, Urteil vom 23.1.2014, Az. 23 U 1955/13; Abruf-Nr. 142692).
PRAXISHINWEISE | Das im Ergebnis negative Urteil gibt wertvolle Hinweise, wie Sie vorgehen sollten, wenn Ihnen der Versicherer nach einer ordentlichen Kündigung des Agenturvertrags Ihre Arbeitsmöglichkeiten während des Ablaufs der Kündigungsfrist erheblich einschränkt:
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Weiterführender Hinweis
- Beitrag „Vertreter darf bei Benachteiligung nach ordentlicher Kündigung fristlos kündigen“, WVV 10/2010, Seite 5