· Fachbeitrag · Personalmanagement
BAG: Pflicht zur Erfassung und Aufzeichnung von Arbeitszeiten ‒ die wichtigsten Punkte
| Im September hatte das BAG mit einer Pressemitteilung, in der es die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Erfassung und Aufzeichnung von Arbeitszeiten bejaht hatte, für große Furore gesorgt. Jetzt liegen die Entscheidungsgründe vor. Diese enthalten eine Reihe von Präzisierungen. ASR liefert Ihnen die wichtigsten Punkte, die sich aus der neuen Rechtslage für die betriebliche Zeiterfassung ergeben. |
Der Hintergrund zur BAG-Entscheidung
Der Entscheidung des BAG bezieht sich auf die Vorgaben des europäischen Arbeitszeitrechts; es spielt damit auf das Urteil des EuGH vom 19.05.2019 (Rs. C-55/18, Abruf-Nr. 215595) zur Zeiterfassung an. Dort hielt es der EuGH für geboten, Arbeitgeber zu verpflichten, ein „objektives, verlässliches und zugängliches System“ einzurichten, mit dem die von einem jeden Mitarbeiter geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Der deutsche Gesetzgeber hat allerdings bislang nicht auf das EuGH-Urteil reagiert. Nunmehr hat das BAG dem Urteil des EuGH quasi auf dem Umweg des Arbeitsschutzgesetzes auch ohne eine Gesetzesänderung zur faktischen Durchsetzung auch im deutschen Arbeitsrecht verholfen.
Entscheidungsgründe enthalten Präzisierungen für die Praxis
Die Begründung der Entscheidung des BAG enthält eine Reihe von Konkretisierungen für die betriebliche Zeiterfassung, gerade im Hinblick auf Form und Umfang der Zeiterfassung und in puncto Vertrauensarbeitszeit (BAG, Beschluss vom 13.09.2022, Az. 1 ABR 22/21, Abruf-Nr. 231296).
Die wichtigsten Punkte in puncto betriebliche Zeiterfassung
Aus der Entscheidung ergeben sich die folgenden wichtigsten Punkte:
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1. | Es besteht auf der Grundlage des Arbeitsschutzgesetzes eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Erfassung und Aufzeichnung von Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Mitarbeiter. |
2. | Die Erfassung von Beginn und Ende der Pausen oder privaten Arbeitsunterbrechungen ist nicht zwingend geboten. |
3. | Eine bestimmte Form der Erfassung und Aufzeichnung von Arbeitszeiten besteht nicht. Bei der Umsetzung der Zeiterfassung haben die Unternehmen weite Gestaltungsspielräume. |
4. | Die Delegation der Erfassung und Aufzeichnung von Arbeitszeiten auf den einzelnen Mitarbeiter ist zulässig; der Mitarbeiter kann aber nicht freiwillig auf die Erfassung verzichten. |
5. | Die Einhaltung der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung wird von den Aufsichtsbehörden kontrolliert werden. Diese können entsprechende Anordnungen zur Umsetzung treffen und gegebenenfalls auch mit Bußgeld bis zu 30.000 Euro sanktionieren. |
6. | Es besteht keine Verpflichtung zur Einführung einer betrieblichen Zeitkontenführung. Vertrauensarbeitszeit bleibt als Arbeitszeitmodell möglich, solange die arbeitszeitgesetzlichen Grenzen beachtet und durch entsprechende Zeiterfassung überwacht werden. |
7. | Der Betriebsrat hat kein Initiativrecht zur Erzwingung einer elektronischen Zeiterfassung, ist jedoch bei der Ausgestaltung des Zeiterfassungssystems zu beteiligen. |
8. | Eine gesetzliche Vorgabe für die Aufbewahrungsfrist aufgezeichneter Arbeitszeitdaten besteht nur im Rahmen des Arbeitszeitgesetzes. |
9. | Unternehmen müssen sich auf eine arbeitszeitgesetzliche Neuregelung der Zeiterfassungspflicht einstellen. |
Verpflichtende Zeiterfassung für leitende Angestellte?
Viele Autohaus-Inhaber beschäftigt nach Veröffentlichung der Begründung zur BAG-Entscheidung insbesondere die Frage, ob die Pflicht zur Erfassung und Aufzeichnung der Arbeitszeit auch für leitende Angestellte gilt.
Leitende Angestellte im Autohaus
Leitende Angestellte sind Mitarbeiter, die in ihrem Verantwortungsbereich unternehmerische Aufgaben mit großer Entscheidungsfreiheit wahrnehmen. Im Autohaus sind das z. B. der Werkstattleiter oder der Verkaufsleiter.
BAG lässt Frage nicht unbeantwortet
Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gilt derzeit auch für leitende Angestellte. Denn in den Entscheidungsgründen des BAG heißt es: „Die sich aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz ergebende Verpflichtung der Arbeitgeber, ein System einzuführen und zu verwenden, mit dem Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeiten einschließlich Überstunden erfasst werden, bezieht sich auf alle im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer i. S. v. § 5 Abs. 1 S. 1 BetrVG.“
Das bedeutet: Die Verpflichtung gilt gegenüber allen Mitarbeitern, für die das Arbeitsschutzgesetz gilt. Dieses gilt ‒ im Gegensatz zum Arbeitszeitgesetz ‒ auch für leitende Angestellte. In der Folge gilt die Pflicht zur Erfassung und Aufzeichnung von Arbeitszeiten auch für sie. Bislang hat der Gesetzgeber von der Möglichkeit, leitende Angestellte von der sich aus dem Arbeitsschutzgesetz ergebenden Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung auszunehmen, keinen Gebrauch gemacht. Lediglich das Arbeitszeitgesetz sieht entsprechende Einschränkungen vor, die jedoch nicht die sich aus dem Arbeitsschutzgesetz ergebende Pflicht aushebeln können. Das erscheint insbesondere auch dann stringent, wenn man einen Blick auf die Intention hinter der BAG-Entscheidung wirft. Denn: Das BAG bekräftigt mit seinem Urteil die Wichtigkeit des Gesundheitsschutzes von Mitarbeitern. Dazu sind die Einhaltung der Höchstarbeitszeit und das Wahrnehmen von Ruhezeiten unerlässlich. Um dies zu gewährleisten, wird der Arbeitgeber durch das BAG-Urteil verpflichtet, ein Arbeitszeiterfassungssystem bereitzustellen. Das muss aus Gründen des Arbeitsschutzes auch für leitende Angestellte gelten.
Wichtig | Die Frage ist umstritten. Erst eine vom Gesetzgeber einzuführende gesetzliche Regelung wird es ermöglichen, leitende Angestellte von der Arbeitszeiterfassung nach dem Arbeitsschutzgesetz auszunehmen. Eine Berufung auf die im Arbeitszeitgesetz bereits vorgesehene Entbindung der leitenden Angestellten von der Zeiterfassungspflicht ist nicht möglich.
PRAXISTIPP | Bis zu einer Gesetzesänderung ist es ratsam, auf Nummer sicher zu gehen und auch für leitende Angestellte eine Zeiterfassung einzuführen. |