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· Rechtsprechung

Arbeitnehmer trägt Beweislast für erbrachte vergütungspflichtige Überstunden

Bild: © fotomek - stock.adobe.com

| Wann sind Überstunden des Arbeitnehmers vergütungspflichtig? Diese Frage birgt viel Konfliktpotenzial zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ‒ und so mancher Streit landet vor Gericht. In solchen Streitigkeiten liegt die Darlegungs- und Beweislast dafür grundsätzlich bei den Arbeitnehmern, hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz in einer neuen Entscheidung entschieden und damit gängige Rechtspraxis bestätigt ( LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.02.2021, Az. 8 Sa 169/20 ). In seinen Urteilsgründen geht das Gericht ausführlich auf die Grundsätze für vergütungspflichtige Überstunden bzw. Darlegungs- und Beweispflichten ein. |

Der Fall: Arbeitnehmer forderte Überstundenvergütung für 1.615 Stunden

In dem Rechtsstreit hatte ein Arbeitnehmer auf Überstundenvergütung für einen Zeitraum von fast drei Jahren geklagt. Laut einer Klausel im Arbeitsvertrag war der Arbeitgeber berechtigt, aus dringenden betrieblichen Erfordernissen eine Änderung der Arbeitszeiteinteilung vorzunehmen sowie Mehrarbeit anzuordnen. Weiterhin enthielt der Arbeitsvertrag eine Ausschlussklausel, wonach Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis „innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit, spätestens jedoch innerhalb von drei Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schriftlich gegenüber der anderen Vertragspartei geltend zu machen“ sind ‒ sonst seien sie verfallen.

 

 

Der Arbeitnehmer arbeitete in zwei Einsatzbereichen: zum einen im sogenannten Onsite-Support mit längerfristigen Tätigkeiten vor Ort bei demselben Kunden; zum anderen im „Field-Service“ mit technischer Betreuung bei wechselnden Kunden bzw. unterschiedlichen Betriebsstätten eines Kunden. Diese Einsätze waren oft von geringer Dauer, aber mit Anfahrten verbunden.

 

Die Wegezeiten des Arbeitnehmers wurden nicht als Arbeitszeit erfasst, sondern lediglich die An- und Abmeldungen beim Kunden, obwohl die Dienstfahrzeuge dank GPS-Ausstattung dazu in der Lage gewesen wären. Da der Arbeitnehmer die Wegezeiten als vergütungspflichtige Arbeitszeit ansah, erfasste er seine Bewegungen über eine Anwendung auf seinem Mobiltelefon und forderte schließlich eine Überstundenvergütung von über 1.615 (!) Stunden, die er alle auf Anforderung des Arbeitgebers erbracht habe. U. a. unter Verweis auf die arbeitsvertragliche Ausschlussklausel verweigerte der Arbeitgeber die Zahlung, woraufhin der Arbeitnehmer klagte.

Das Urteil: Arbeitnehmer konnte die strengen Darlegungsanforderungen nicht erfüllen

Damit scheiterte er jedoch. Laut LAG hat er über die unstreitig gestellten Überstunden hinaus keine weiteren Zahlungsansprüche. Er habe die strengen Darlegungsanforderungen einer Überstundenklage nicht erfüllt und zudem für die Erbringung der Arbeitsleistung im behaupteten Umfang auch keine tauglichen Beweismittel angeboten. Er müsse darlegen können, dass er die Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden zeitlichen Umfang verrichtet hat, wenn der Arbeitgeber dies bestreitet. Dazu sei ein Schriftsatz erforderlich, aus dem hervorgeht, an welchen Tagen er von wann bis wann gearbeitet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat. Gelingt ein solcher Vortrag, müsse der Arbeitgeber im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast substantiiert im Einzelnen vortragen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat und wann er diesen Weisungen nicht nachgekommen ist.

 

Wann ist von einer konkludenten Billigung des Arbeitgebers für Überstunden auszugehen?

Laut Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) liegt eine konkludente Anordnung von Überstunden vor, wenn die Arbeitsleistung betrieblich notwendig war, so das LAG weiter. Hierzu muss der Arbeitnehmer darlegen, dass eine bestimmte angewiesene Arbeit innerhalb der Normalarbeitszeit nicht zu leisten ist oder ihm zur Erledigung der aufgetragenen Arbeiten ein bestimmter Zeitrahmen vorgegeben war, der nur durch die Leistung von Überstunden eingehalten werden konnte. Dabei begründet allein die Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb oder an einem Arbeitsort außerhalb des Betriebs keine Vermutung dafür, dass die Überstunden zur Erbringung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen sind (BAG, Urteil vom 10.04.2013, Az. 5 AZR 122/12).

 

Mit der ausdrücklichen oder konkludenten Billigung von (in der Vergangenheit geleisteten) Überstunden ersetzt der Arbeitgeber die fehlende vorherige Anordnung schon geleisteter Überstunden. Die Duldung von (künftigen) Überstunden bedeutet, dass der Arbeitgeber in Kenntnis einer Überstundenleistung diese hinnimmt und keine Vorkehrungen trifft, die Leistung von Überstunden künftig zu unterbinden. Dazu muss der Arbeitnehmer darlegen, welche Überstunden er wann geleistet hat und wann und wie der Arbeitgeber wann Kenntnis erlangt haben soll. Erst dann ist von einer Duldung durch den Arbeitgeber auszugehen, wenn dieser dem Hinweis nicht nachgeht und gegen nicht gewollte Überstunden auch nicht einschreitet.

 

Überstunden seien „allesamt auf Anforderung des Arbeitgebers“ erfolgt ‒ diese Begründung ist zu pauschal

Bei Anwendung dieser Grundsätze habe der Arbeitnehmer die Erbringung der Arbeitsleistung im Urteilsfall nicht nachvollziehbar dargelegt und ebensowenig die vermeintliche Anordnung von Überstunden. Der äußerst pauschale Vortrag des Arbeitnehmers, Überstunden seien „allesamt auf Anordnung des Arbeitgebers“ geleistet worden, ihm seien Kundenbesuche übertragen worden und die von ihm aufgezeichneten Zeiten seien diejenigen, die zur Erledigung des jeweiligen Auftrags „erforderlich“ gewesen seien, sei nicht ausreichend. Das ebenso pauschale Bestreiten der „angeordneten Überstunden“ durch den Arbeitgeber sei nicht zu beanstanden, da der Arbeitnehmer dazu keinerlei Beweis angeboten habe.

 

Beweiserleichterungen bei bestimmten Berufsgruppen

Bei bestimmten Berufsgruppen lasse jedoch abhängig von deren Tätigkeit und den betrieblichen Abläufen allein die Zuweisung bestimmter Arbeiten auf die konkludente Anordnung von Überstunden schließen. So wurden beispielsweise Darlegungserleichterungen zugunsten eines LKW-Fahrers angenommen. Wenn ein Kraftfahrer für eine angewiesene Tour eine bestimmte Zeit benötigt und sie nur unter Leistung von Überstunden ausführen kann, waren die Überstunden ‒ unabhängig von einer ausdrücklichen Anordnung ‒ zur Erledigung der Arbeit notwendig (BAG, Urteil vom 16.05.2012, Az. 5 AZR 347/11. Eine vergleichbare Situation habe im Urteilsfall aber nicht vorgelegen.

 

Bezugnahme auf Anlagen zulässig

Gegen die Bezugnahme auf Anlagen ‒ hier GPS-Daten aus dem Mobiltelefon ‒ hatte das LAG keine grundsätzlichen Bedenken, wenn die Darstellung aus sich heraus verständlich ist. An dieser Verständlichkeit fehlte es jedoch im vorliegenden Fall. Eine der drei auf CD-ROM vorgelegten pdf-Dateien trage bereits den Namen „GPS-Zeiterfassung Fahrtenbuch (unsortiert).pdf“ ‒ und erweise sich auch inhaltlich mit ihren 417 Seiten als solche.

 

 

(Ke)

 

Quelle

  • LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.02.2021, Az. 8 Sa 169/20
Quelle: ID 47459325