17.01.2012
Landesarbeitsgericht München: Urteil vom 13.10.2011 – 3 Sa 1187/10
1. Es besteht keine materiellrechtliche oder prozessuale Pflicht oder Obliegenheit des Arbeitnehmers zur Annahme des Fortsetzungsangebots, das in einer Erklärung des Arbeitgebers enthalten ist, die Kündigung sei gegenstandslos, aus ihr würden keinerlei Rechtsfolgen abgeleitet. Auf die Verletzung einer Pflicht zur Erklärung über ein solches Fortsetzungsangebot kann somit eine erneute Kündigung nicht gestützt werden.
2. Der Wegfall des bisherigen Arbeitsplatzes stellt für sich genommen keinen Grund für einen Auflösungsantrag des Arbeitgebers gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG dar.
In dem Rechtsstreit
V.
- Kläger und Berufungsbeklagter -
Prozessbevollmächtigte:
gegen
Al. GmbH
- Beklagte und Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigte:
hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 29. September 2011 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenfelder und die ehrenamtlichen Richter Roß und Onigbanjo
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 18.09.2008 - 23 Ca 6803/06 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen geändert und insgesamt neu gefasst:
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 25.02.2003 nicht aufgelöst ist.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnungen vom 10.02.2003 und 13.02.2003 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Der Auflösungsantrag der Beklagten wird zurückgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 1/7 und die Beklagte 6/7 zu tragen.
6. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise ordentlichen Arbeitgeberkündigung vom 25.02.2003, einen vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Weiterbeschäftigung sowie um den Anspruch auf Entfernung zweier Abmahnung aus der Personalakte.
Der am 00.00.0000 geborene Kläger war bei der Beklagten, die damals unter Ag. GmbH firmierte und zum Al.-Konzern gehörte, seit 01.04.2000 gegen ein Jahresgehalt in Höhe von zuletzt ca. 0,- € brutto als Leiter Rechnungswesen beschäftigt, lt. Ziff. 1 des Arbeitsvertrages vom 29.11.2000 in einem "außertariflichen Anstellungsverhältnis".
In einer E-Mail des Klägers vom 11.04.2002 teilte dieser "in eigener Sache" mit, er freue sich, Frau S. und Frau L. begrüßen zu können, die als weitere Referentinnen im Bereich Bilanzen und Finanzen/Debitoren eine wesentliche Entlastung für das Rechnungswesen bringen werde. Für ihn - den Kläger - werde nach fast 2 1/2 Jahren Ag. Mitte des Jahres der Zeitpunkt seines Austritts aus der Ag. kommen, um plangemäß in die Al.-Hauptverwaltung zurückzukehren. Ab 01.05. werde Herr K. das Controlling führen; als Nachfolger im Bereich Rechnungswesen/Finanzen sei Herr E. bestellt worden, der zum 01.05. in die Ag. eintreten werde und sich, solange der Kläger noch da sei, in sein zukünftiges Aufgabenfeld einarbeite. Er - der Kläger - danke den lieben Kolleginnen und Kollegen bereits heute für die gute Zusammenarbeit.
Mit Schreiben vom 28.11.2002 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich betriebsbedingt zum 31.12.2002. Der Kläger erhob hiergegen am 19.12.2002 Kündigungsschutzklage und machte für den Fall des Obsiegens Anspruch auf Weiterbeschäftigung geltend. Das Arbeitsgericht (München) bestimmte Termin zur Güteverhandlung auf 11.03.2003.
Seit Anfang August 2002 war der Kläger freigestellt. Er begründete zum 01.01.2003 ein anderweitiges Arbeitsverhältnis, das bis zum 30.06.2008 bestand.
Mit Schreiben vom 10.02.2003 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung, weil er sich entgegen der Aufforderung des Anwalts der Beklagten nicht dazu geäußert habe, ob und ggf. wann - unter Einhaltung der Probezeitkündigungsfrist bei seinem neuen Arbeitgeber - er das Anstellungsverhältnis bei Ag. wieder aufnehmen wolle. Die Beklagte forderte den Kläger in diesem Schreiben dann auf, spätestens am Mittwoch, den 12.02.2003, 9.00 Uhr bei Herrn R. zur Arbeit zu erscheinen. Im Wiederholungsfalle habe er mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung seines Anstellungsvertrages zu rechnen.
Mit Schreiben vom 13.02.2003 erteilte die Beklagte dem Kläger erneut eine Abmahnung, weil er der Aufforderung, spätestens am Mittwoch, den 12.02.2003, 9.00 Uhr zur Arbeit zu erscheinen, nicht gefolgt sei. Die unentschuldigte Missachtung dieser Aufforderung stelle einen schwerwiegenden Verstoß seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtungen dar. Die Beklagte mahne ihn deshalb ab und fordere ihn auf, spätestens am Montag, den 17.02.2003, 9.00 Uhr bei Herrn R. zur Arbeit zu erscheinen. Sollte er dieser Aufforderung nicht nachkommen, habe er mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung seines Anstellungsvertrages zu rechnen.
Den beiden Abmahnungen ging ein Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 22.01.2003 an den Prozessbevollmächtigten des Klägers voraus, in dem mitgeteilt wurde, die Kündigung zum 28.11.2002 werde verbindlich für gegenstandslos erklärt und es würden keinerlei Rechtsfolgen daraus abgeleitet; der Kläger werde aufgefordert, am Montag, den 27.01.2003 um 9.00 Uhr persönlich bei Herrn R. zur Arbeitsaufnahme zu erscheinen. Hierauf hatte der Kläger mit Anwaltsschreiben vom 24.01.2003 erwidern lassen, es werde zunächst um Vorlage einer Vollmachtsurkunde gebeten. Eine einseitige Zurücknahme einer Arbeitgeberkündigung sei nicht möglich. Zu dem in der entsprechenden Arbeitgebererklärung liegenden Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses werde sich der Kläger entsprechend in der nächsten Woche erklären. Bereits jetzt sei allerdings darauf hingewiesen, dass die Erklärung der bloßen Gegenstandslosigkeit der Kündigung nicht ausreichend sei. Die Beklagte möge daher im anhängigen gerichtlichen Verfahren ein Anerkenntnis des hiesigen Klageanspruchs zu Protokoll geben. Insbesondere müsse der Kläger seinen Weiterbeschäftigungsanspruch in titulierter Form gesichert haben. Eine kurzfristige Arbeitsaufnahme bereits am Morgen des 27.01.2003 müsse bereits aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen ausscheiden. Der Kläger unterliege im zwischenzeitlich eingegangenen anderweitigen Arbeitsverhältnis der vertraglichen Kündigungsfrist.
Hierauf entgegnete der Prozessbevollmächtigte der Beklagten (u. a.), es sei jedenfalls festzuhalten, dass der Kläger das Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht angenommen habe. Es dränge sich deshalb der Eindruck auf, dass er nicht ernsthaft an einer Fortsetzung des Anstellungsverhältnisses interessiert sei. Ihm werde letztmalig Gelegenheit gegeben, sich bis Dienstag, den 04.02.2003, 20.00 Uhr abschließend dahingehend zu erklären, ob und ggf. ab wann er unter Einhaltung der Probezeit-Kündigungsfrist bei seinem neuen Arbeitgeber das Anstellungsverhältnis bei der Beklagten wieder aufnehmen wolle.
Hierauf erfolgte keine weitere Erklärung des Klägers oder seines Prozessbevollmächtigten mehr, auch nicht mehr nach Erhalt der Abmahnungen vom 10.02. und 13.02.2003.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers erneut mit Schreiben vom 25.02.2003 außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31.03.2003. Nur noch diese Kündigung ist Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.
Am 11.03.2003 fand vor dem Arbeitsgericht München eine Güteverhandlung statt, in dem lt. Protokoll der Vorsitzende "im Einverständnis mit den Parteien" den Beschluss verkündete, neuer Termin werde auf Antrag einer Partei bestimmt werden. Ein Anerkenntnis des Klageanspruchs in Bezug auf die gegen die Kündigung vom 28.11.2002 erhobene Kündigungsschutzklage gab die Beklagte lt. Protokoll in dieser Güteverhandlung nicht ab.
Am Tag der Güteverhandlung, dem 11.03.2003, ging beim Arbeitsgericht München um 16.28 Uhr - also nach Schluss der Güteverhandlung, der auf 15.48 Uhr protokolliert wurde -, per Telefax ein auf den 10.03.2003 datierter Klageerweiterungsschriftsatz ein, in dem sich der Kläger nunmehr auch gegen die Kündigung vom 25.02.2003 sowie die Abmahnungen vom 10.02. und 13.02.2003 wandte.
Mit Schriftsatz vom 21.10.2003 regte die Beklagte beim Arbeitsgericht an, beim Kläger nachzufragen, ob er die Klage aufrecht erhalten wolle. Er habe in der Güteverhandlung erklärt, dass er bei erfolgreichem Überstehen seiner Probezeit die Klage zurücknehmen werde.
Auf die Bitte des Arbeitsgerichts zur Stellungnahme stellte der Kläger mit Schriftsatz vom 14.03.2006 einen Terminsantrag. Daraufhin fand am 16.11.2006 ein Termin zur Verhandlung vor der Kammer statt, in dessen Anschluss das Arbeitsgericht am 14.12.2006 einen Beschluss verkündete, demzufolge der Kläger die Kosten des Rechtsstreits trage. Zur Begründung führte das Arbeitsgericht aus, das Verfahren sei durch eine fingierte Klagerücknahme analog § 54 Abs. 5 Satz 4 ArbGG beendet, sodass der Kläger nach § 269 Abs. 3 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen habe. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers hob das Landesarbeitsgericht München mit Beschluss vom 23.04.2008 - 8 Ta 435/06 - die Entscheidung des Arbeitsgerichts auf und wies dieses an, das Verfahren über die im Klageerweiterungsschriftsatz vom 10.03.2003, Ziffn. 2 bis 4 gestellten Anträge fortzusetzen. Die Erklärung des Klägers, sein Klageantrag aus dem Schriftsatz vom 19.12.2002 sei erledigt, sei als teilweise Klagerücknahme im Hinblick auf die ursprüngliche Klage und der daraufhin gestellte Antrag der Beklagten als ein entsprechendes Einverständnis auszulegen. All dies ändere jedoch nichts daran, dass weiterhin die Klage anhängig sei, soweit sie Gegenstände des Klageerweiterungsschriftsatzes vom 10.03.2003 enthalte, der nach Schluss der Güteverhandlung am 11.03.2003 per Telefax beim Arbeitsgericht eingegangen sei. Über die Klage mit dem Inhalt des Klageerweiterungsschriftsatzes vom 10.03.2003 habe das Arbeitsgericht noch zu entscheiden.
Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29.09.2008 erneut vorsorglich außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31.12.2008 gekündigt. Hierüber ist beim Arbeitsgericht München ein Rechtsstreit (19a Ca 12414/08) anhängig.
Der Kläger hat im ersten Rechtszug geltend gemacht, die Kündigung vom 25.02.2003 sei rechtsunwirksam, weil weder für die außerordentliche noch für die vorsorgliche ordentliche Kündigung ein Kündigungsgrund bestehe. Auch werde die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats bestritten. Die Abmahnungen vom 10.02. und 13.02.2003 seien rechtsunwirksam.
Der Kläger hat beantragt:
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 25.02.2003 nicht aufgelöst ist, sondern unverändert fortbesteht.
2. Hilfsweise für den Fall des Obsiegens:
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu unveränderten Bedingungen als Leiter Rechnungswesen weiterzubeschäftigen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnung vom 10.02.2003 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnung vom 13.02.2003 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe durch das Nichtbetreiben des Kündigungsschutzprozesses über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren sein Klagerecht verwirkt. Der Betriebsrat sei zur Kündigung ordnungsgemäß angehört worden.
Das Arbeitsgericht hat mit Endurteil vom 18.09.2008, auf das hinsichtlich des im Tatbestand in Bezug genommenen Vortrags der Parteien und der Entscheidungsgründe verwiesen wird, der Klage stattgegeben, weil sowohl die Kündigung vom 25.02.2003 als auch die zuvor ausgesprochenen Abmahnungen vom 10.02. und 13.02.2003 mangels Bestehens einer Arbeitspflicht und damit auch mangels Vorliegens einer Arbeitsverweigerung des Klägers unwirksam seien. Auch sei eine Verwirkung des Klagerechts noch nicht eingetreten, weil zwar das Zeitmoment, nicht jedoch das Umstandsmoment erfüllt sei.
Gegen das ihr am 01.10.2008 zugestellte Endurteil vom 18.09.2008 hat die Beklagte am 25.09.2008 Berufung eingelegt und diese mit einem am 01.12.2008 eingegangenen Schriftsatz begründet.
Sie hat daran festgehalten, dass der Kläger sein Klagerecht verwirkt habe. Die Beklagte hat ferner ausgeführt, die Entscheidung des Arbeitsgerichts sei auch kündigungsrechtlich zu beanstanden. Nachdem sie ihre betriebsbedingte Kündigung vom 28.11.2002 verbindlich für gegenstandslos erklärt habe, habe sie erwarten dürfen, dass sich der Kläger innerhalb angemessener Frist, wie von ihm selbst in Aussicht gestellt, äußere. Stattdessen habe er den Ablauf seiner Bedenkzeit, die Aufforderung vom 31.01.2003 sowie die anschließende Abmahnung vom 10.02.2003 ignoriert und sich durch sein beharrliches Schweigen grob illoyal verhalten. Selbst wenn zu diesem Zeitpunkt formalrechtlich keine Arbeitspflicht bestanden haben sollte, sei er zumindest verpflichtet gewesen, die Beklagte nicht unangemessen lange im Unklaren zu lassen, ob er auf den Arbeitsplatz zurückkehre oder nicht.
Die Beklagte hat daher beantragt:
1. Das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 18.09.2008 - Az.: 23 Ca 6803/06 - wird aufgehoben.
2. Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat seinen erstinstanzlichen Vortrag insoweit wiederholt und ergänzt.
Das Landesarbeitsgericht München hat mit Urteil vom 10.02.2009 - 8 Sa 892/08 - auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 18.09.2008 geändert, die Klage abgewiesen und dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen auferlegt. Ferner hat es für ihn die Revision zugelassen.
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 25.11.2010 - 2 AZR 323/09 - auf die Revision des Klägers das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 10.02.2009 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Es hat zur Begründung ausgeführt, die Klage sei im noch interessierenden Umfang ordnungsgemäß erhoben. Eine Klagerücknahme liege nicht vor. Der Kläger habe weder sein Klagerecht noch ein materielles "Recht", sich auf die Unwirksamkeit der Kündigung zu berufen, verwirkt. Hinsichtlich der Einzelheiten des Tatbestands und der Entscheidungsgründe wird auf das genannte Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25.11.2010 verwiesen.
Die Parteien beziehen sich im vorliegenden (zweiten) Berufungsverfahren - 3 Sa 1187/10 - auf die bereits im Berufungsverfahren 8 Sa 892/08 gestellten Anträge.
Die Beklagte beantragt darüber hinaus,
das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber einen Betrag von 25.000,- € nicht überschreiten sollte, gem. §§ 9, 10 KSchG zum Ablauf des 31.03.2003 aufzulösen.
Der Kläger beantragt,
den Auflösungsantrag zurückzuweisen.
Die Beklagte begründet den Auflösungsantrag mit einem illoyalem Verhalten des Klägers ihr gegenüber. Sein gesamtes Vorgehen sei im Ergebnis als unzulässige, weil rein finanziell motivierte und damit missbräuchliche Rechtsausübung anzusehen, wobei ihm selbstverständlich auch bewusst sei, dass sein Arbeitsplatz bei ihr aufgrund zwischenzeitlich längst erfolgter Dispositionen bereits seit Jahren nicht mehr vorhanden sei und schon aus faktischen wie auch aus Rechtsgründen gar nicht wieder eingerichtet werden könne. Eine solch einseitige Verfolgung eigener Interessen auf Kosten und ohne jede Berücksichtigung der Belange des Vertragspartners schließe jede weitere gedeihliche Zusammenarbeit der Parteien für die Zukunft aus. Besonders gravierend aber wirke für sie der Umstand, dass er zur Erreichung seiner vermeintlichen Rechte nicht nur die berechtigten Interessen der Beklagten außer Acht lasse, sondern nicht einmal davor zurückschrecke, das Gericht mit nachweislich falschen Behauptungen zu entscheidungserheblichen Tatsachen zu bedienen. So sei seine Einlassung, im Gütetermin vom 11.03.2003 sei überhaupt nicht über das Bestehen der Probezeit beim neuen Arbeitgeber gesprochen worden, schlicht gelogen. Vielmehr habe er in diesem Termin ausdrücklich in Aussicht gestellt, er werde die Kündigungsschutzklage bei erfolgreichem Bestehen der Probezeit seines neuen Beschäftigungsverhältnisses zurücknehmen.
Hinsichtlich der Einzelheiten der von der Beklagten vorgebrachten Auflösungsgründe wird auf den Schriftsatz vom 26.09.2011 verwiesen.
Der Kläger bleibt dabei, dass sein prozessuales Verhalten angesichts der berechtigten Forderung nach Rechtssicherheit im Anwaltsschreiben vom 24.01.2003 völlig nachvollziehbar sei.
Hinsichtlich des sonstigen Vortrags der Parteien im Berufungsverfahren 3 Sa 1187/10 wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 08.12.2010 und 26.09.2011 sowie des Klägers vom 28.09.2011, ferner auf die Sitzungsniederschrift vom 29.09.2011 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist überwiegend unbegründet.
Die Kündigung vom 25.02.2003 ist sowohl als außerordentliche fristlose als auch als ordentliche Kündigung rechtsunwirksam, weil es an einer Pflichtverletzung des Klägers und damit an einem wichtigen Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB bzw. einem sozial rechtfertigenden Grund gem. § 1 Abs. 2 KSchG fehlt. Aus dem nämlichen Grunde sind die Abmahnungen vom 10.02. und 13.02.2003 unwirksam. Der Auflösungsantrag der Beklagten ist unbegründet. Dagegen ist die Berufung der Beklagten insoweit begründet, als der vom Kläger geltend gemachte Weiterbeschäftigungsanspruch aufgrund der zwischenzeitlich ausgesprochenen Kündigung vom 29.09.2008 nicht (mehr) besteht.
1. Die Kündigung vom 25.02.2003 ist sowohl als außerordentliche fristlose Kündigung als auch als ordentliche verhaltensbedingte Kündigung rechtsunwirksam, weil dem Kläger weder eine Verletzung der Arbeitspflicht bzw. eine Arbeitsverweigerung noch eine arbeitsvertragliche Pflicht zur Erklärung über die Annahme des Fortsetzungsangebots der Beklagten und damit eine Loyalitätspflichtverletzung (§ 241 Abs. 2 BGB) anzulasten ist.
Sowohl ein wichtiger Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB als auch ein die Kündigung sozial rechtfertigender verhaltensbedingter Grund i. S. v. § 1 Abs. 2 KSchG scheiden damit aus.
a) Den Kläger traf im Zeitpunkt der Kündigung vom 25.02.2003 aufgrund der zuvor mit Schreiben vom 28.11.2002 zum 31.12.2002 ausgesprochenen ordentlichen betriebsbedingten Kündigung keine Pflicht, die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Denn die Beklagte hat ihn durch Ausspruch der genannten ordentlichen Kündigung vom 28.11.2002 von der Pflicht zur Arbeitsleistung suspendiert. Deutlicher als durch eine Kündigung konnte sie nicht erklären, dass sie nicht mehr bereit sei, nach Ablauf der Kündigungsfrist seine Arbeitsleistung entgegenzunehmen und das Arbeitsverhältnis fortzusetzen.
Solange sie an der genannten Kündigung festhielt und den auf Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der Kündigung gerichteten Klageanspruch nicht anerkannte, durfte der Kläger davon ausgehen, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht erbringen zu müssen. Selbst wenn er erkannte, dass die Kündigung vom 28.11.2002 unwirksam war - und wenn sie objektiv unwirksam war -, lag im Zeitpunkt der Kündigung vom 25.02.2003 eine schuldhafte Arbeitspflichtverletzung nicht vor, weil er zu Recht davon ausgehen durfte, zur Arbeitsleistung nicht verpflichtet zu sein.
Daran ändern auch die mit der Aufforderung zur Arbeitsaufnahme verbundene "verbindliche Gegenstandsloserklärung" der Beklagten bzw. ihres Prozessbevollmächtigten vom 22.01.2003, die erneute schriftliche Arbeitsaufforderung vom 31.01.2003 sowie die Abmahnungen vom 10.02. und 13.02.2003 nichts.
Die Rücknahme oder Gegenstandsloserklärung der Kündigung durch den Kündigenden lässt die Kündigung oder ihre Rechtswirkungen für sich genommen nicht entfallen; die Wirkungen der Kündigung als rechtsgestaltende Willenserklärung werden dadurch nicht beseitigt. Vielmehr stellt eine solche Rücknahme oder Gegenstandsloserklärung lediglich ein Angebot des Kündigenden dar, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, z. B. BAG 19.08.1982, AP Nr. 9 zu § 9 KSchG 1969; BAG 16.03.2000, AP Nr. 114 zu § 102 BetrVG 1972).
Die Kündigungsschutzklage ist nicht als antizipierte Annahme dieses Fortsetzungsangebots zu werten (vgl. BAG 19.08.1982, aaO.; ErfK/Müller-Glöge, 7. Aufl., § 620 BGB Rn. 69, 70). Der Grund hierfür liegt darin, dass dem Arbeitnehmer die Möglichkeit aufrechterhalten bleiben muss, auch noch nach einem Anerkenntnis der Rechtsunwirksamkeit der Kündigung bis zum Schluss der letzten Tatsacheninstanz (Landesarbeitsgericht) den Auflösungsantrag nach § 9 KSchG zu stellen.
Auch die Fortsetzung des Rechtsstreits durch den Kläger nach Gegenstandsloserklärung der ordentlichen Kündigung vom 28.11.2002 durch die Beklagte, ohne dass dieser einen Auflösungsantrag gestellt hatte, ist hier nicht als konkludente Annahme des Fortsetzungsangebots zu werten, da sie die Kündigung nicht wegen ihrer Unwirksamkeit für gegenstandslos erklärt hat. Der Kläger hatte aber ein berechtigtes Interesse an der Klärung der Frage, ob die Kündigung rechtswirksam oder rechtsunwirksam sei. Denn er musste sonst befürchten, dass die für gegenstandslos erklärte Kündigung bzw. der Kündigungssachverhalt zur Stützung einer späteren Kündigung herangezogen würden (vgl. ErfK/Müller-Glöge, aaO., § 620 BGB Rn. 70).
Es bestand auch keine materiellrechtliche oder prozessuale Pflicht oder Obliegenheit des Klägers zur Annahme des Fortsetzungsangebots, solange nicht die Kündigung gerade wegen ihrer Rechtsunwirksamkeit für gegenstandslos erklärt wurde, was hier nicht der Fall war. Auch insoweit ist darauf hinzuweisen, dass ihm nicht die Möglichkeit genommen werden durfte, den Auflösungsantrag zu stellen und dass er ein berechtigtes Interesse an der gerichtlichen Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der Kündigung hatte.
Ein Anerkenntnis des auf die Kündigung vom 28.11.2002 bezogenen Feststellungsanspruchs des Klägers durch die Beklagte ist nicht erfolgt, insbesondere - lt. gerichtlicher Sitzungsniederschrift - nicht in der Güteverhandlung vom 11.03.2003.
War der Kläger somit im Zeitpunkt der Kündigung vom 25.02.2003 nicht zur Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung verpflichtet, scheiden sowohl die außerordentliche fristlose Kündigung als auch die vorsorglich ausgesprochene ordentliche Kündigung mangels eines sie tragenden wichtigen bzw. sozial rechtfertigenden Grundes aus.
Soweit die Beklagte geltend macht, der Kündigungsgrund bestehe (auch) darin, dass der Kläger nach der Arbeitsaufforderung vom 22.01.2003 sowie den Abmahnungen vom 10.02. und 13.02.2003 entgegen der Ankündigung seines Prozessbevollmächtigten im Schreiben vom 24.01.2003 sie darüber im Unklaren gelassen habe, ob er an den Arbeitsplatz zurückkehre, kann letzten Endes dahingestellt bleiben, ob eine arbeitsvertragliche Pflicht zur Erklärung über die Annahme des Fortsetzungsangebots bestand und ob die Nichterfüllung einer solchen Pflicht zwischen dem 22.01.2003 und dem Ausspruch der Kündigung vom 25.02.2003 an sich geeignet war, eine verhaltensbedingte ordentliche oder gar eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Denn es fehlt jedenfalls an einer auf dieses - behauptete - Fehlverhalten bezogenen, also einschlägigen, Abmahnung, derer es aber gerade hier bedurft hätte, weil die Frage, ob eine solche Pflicht überhaupt bestand, alles andere als klar zu beantworten ist.
Die Kündigung aus diesem Grunde ist somit unverhältnismäßig. Die Abmahnungen vom 10.02. und 13.02.2003 sind insoweit nicht einschlägig, weil sie sich nur mit der Verletzung der Arbeitspflicht befassen.
b) Der Kläger hat weder sein Klagerecht noch ein materielles "Recht", sich auf die Unwirksamkeit der Kündigung zu berufen, verwirkt. Insoweit wird auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25.11.2010 - 2 AZR 323/09 - im vorliegenden Verfahren (zu II. der Entscheidungsgründe) verwiesen.
2. Der Auflösungsantrag der Beklagten ist mangels eines Auflösungsgrundes i. S. v. § 9 Satz 2 KSchG unbegründet.
a) Soweit sich die Beklagte auf ein illoyales Verhalten des Klägers ihr gegenüber beruft, ist darauf hinzuweisen, dass er mit dem ihm vorgeworfenen Taktieren, was die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses betrifft, lediglich seine Interessen im Verlauf des Rechtsstreits - wenn auch in zuweilen widersprüchlich erscheinender und auf die Belange der Beklagten wenig Rücksicht nehmender Weise - wahrgenommen hat. Die dabei an den Tag gelegten taktischen Winkelzüge rechtfertigen jedoch nicht die Annahme, er werde generell nicht mehr bereit sein, das Seine zu einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit mit ihr beizutragen. Seine von ihr vermuteten taktischen Spielchen mit dem Ziel, einen maximalen finanziellen Vorteil aus der prozessualen Situation herauszuschlagen, mögen dem unbefangenen Betrachter befremdlich erscheinen. Der Kläger hat damit aber die Grenzen des berechtigten Interesses noch nicht verlassen. Ebenso wenig kann daraus - ohne konkrete Anhaltspunkte - abgeleitet werden, dass er auch außerhalb der per se spannungsreichen Situation eines Kündigungsschutzverfahrens seine Interessen im "Alltag des Arbeitsverhältnisses" generell und rücksichtslos über die Belange der Beklagten stellen würde.
b) In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass der Kammer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht wegen der erforderlichen organisatorischen und personellen Veränderungen sowie der notwendigen Einarbeitungszeit unzumutbar erscheint. Zum einen werden die vom Kläger ausgeübten Funktionen im Unternehmen nach wie vor ausgeübt, nur an anderer Stelle und in anderer organisatorischer Zuordnung.
Zum anderen erscheint schon nicht nachvollziehbar, weswegen die Weiterbeschäftigung des Klägers bei Ausnutzung der Organisationshoheit des Arbeitgebers - und ggf. der Möglichkeit, die arbeitsvertraglichen Bedingungen einvernehmlich oder im Wege der Änderungskündigung zu ändern - unzumutbar sein soll. Erst Recht nicht sind diese betrieblichen bzw. organisatorischen Schwierigkeiten ein ausreichender Grund für die Annahme, ein gedeihliches Zusammenwirken zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sei nicht zu erwarten. Der Vortrag der Beklagten, wegen der vollständigen Rückabwicklung der organisatorischen und inhaltlichen Stellenanforderungen sei nicht vorstellbar, dass in einem solchen Umfeld gedeihlich zusammengearbeitet werden könne, stellt eine Pauschalbehauptung dar, die nicht hinreichend durch konkrete Tatsachen untermauert ist.
3. Der Kläger kann von der Beklagten die Entfernung der Abmahnungen vom 10.02. und 13.02.2003 aus seiner Personalakte verlangen. Denn mangels Bestehens einer Arbeitspflicht im Zeitpunkt des Ausspruchs dieser Abmahnungen ist der darin enthaltene Vorwurf unberechtigt. Die Abmahnungen sind damit, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, unwirksam.
4. Der Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung nach den vom Bundesarbeitsgericht (vgl. BAG GS 27.02.1985, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht) entwickelten Grundsätzen. Denn er hat zwar ein noch nicht rechtskräftiges positives Kündigungsschutzurteil in Bezug auf die Kündigung vom 25.02.2003 erstritten, sodass sein Interesse an der Weiterbeschäftigung dasjenige des Arbeitgebers an einer Nichtbeschäftigung zunächst überwogen hat. Diese Interessenlage hat sich jedoch aufgrund des Ausspruchs der erneuten Kündigung vom 29.09.2008 umgekehrt (vgl. BAG 19.12.1985 - 2 AZR 190/85). Dass diese Kündigung offensichtlich unwirksam wäre, vermochte die Kammer nicht zu erkennen. Insbesondere fehlt hierzu jeglicher Vortrag des Klägers.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO.
6. Für die Zulassung der Revision besteht kein Anlass. Auf die Möglichkeit, Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht einzulegen (§ 72a ArbGG), wird hingewiesen.
Dr. Rosenfelder
Roß
Onigbanjo