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  • · Nachricht · Überlange Verfahrensdauer

    Keine Entschädigung bei Vorteil aus zwischenzeitlicher Rechtsprechungsänderung

    | Hat der Kläger im Ausgangsverfahren ausschließlich wegen der überlangen Dauer dieses Verfahrens obsiegt, weil zu einem Zeitpunkt, in dem das Ausgangsverfahren bereits als verzögert anzusehen war, eine zugunsten des Klägers wirkende Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in der für das Ausgangsverfahren maßgebenden Rechtsfrage eingetreten ist, hat der Kläger durch die überlange Dauer des Ausgangsverfahrens keinen Nachteil i.S. von § 198 Abs. 1 S. 1 GVG erlitten, so dass er weder eine Geldentschädigung noch die Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer beanspruchen kann ( BFH 20.11.13, X K 2/12 ). |

     

    Der Kläger hat mit seiner Einkommensteuererklärung 2004 Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastung erfolglos geltend gemacht. 2005 ging die Klage beim FG Hessen ein, die 2010 abgewiesen wurde. Dieses Urteil hatte aber 2011 vor dem BFH keinen Bestand und die Sache wurde an das FG zurückverwiesen, das die Berücksichtigung erneut ablehnte. Der Kläger legte eine Nichtzulassungsbeschwerde ein, woraufhin der BFH die Revision zuließ und dem Kläger Recht gab. Im Mai 2012 reichte der Kläger dann eine Entschädigungsklage wegen unangemessen langer Verfahrensdauer ein, da das FG Hessen im ersten Rechtszug mehr als vier Jahre und neun Monate gebraucht hatte.

     

    Die Klage ist nach Auffassung des BFH unbegründet. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer noch auf Entschädigung. Dabei kann es dahinstehen, ob das Verfahren des FG unangemessen lang war; denn der Kläger hat hierdurch jedenfalls keinen Nachteil i.S. von § 198 Abs. 1 S. 1 GVG erlitten.

     

    Die lange Verfahrensdauer hat dem Kläger - abgesehen von der langen Ungewissheit über den Verfahrensausgang - ausschließlich gewichtige Vorteile verschafft. Bei dieser Sachlage ist die Nachteilsvermutung als widerlegt anzusehen. Der im Ergebnis für den Kläger positive Ausgang des gesamten Rechtsstreits - die Anerkennung der Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastung - ist nur durch die lange Verfahrensdauer bei dem FG ermöglicht worden. Erst mit der Entscheidung im Mai 2011 (BFH, 12.5.11, VI R 42/10, BStBl II 11, 1015) änderte der BFH seine Rechtsprechung und erkannte Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen i.S. von § 33 EStG über die bisherigen Grundsätze hinaus auch dann an, wenn der Steuerpflichtige den Zivilprozess unter verständiger Würdigung des Für und Wider einschließlich des Kostenrisikos eingegangen war, mithin (nur) dann nicht, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung aus Sicht eines verständigen Dritten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bot. Nach diesen geänderten Rechtsprechungsgrundsätzen war dem Begehren des Klägers zu folgen. Die geänderte Rechtsprechung war aber noch nicht einmal zum Zeitpunkt der Entscheidung des FG im zweiten Rechtsgang am 12. April 2011 bekannt. Erst im nachfolgenden Rechtsmittelverfahren konnte das Begehren des Klägers letztlich Erfolg haben.

     

    Wenn der Kläger meint, die lange Verfahrensdauer habe ihn auch in den Folgejahren in Rechtsbehelfe getrieben, die ihn belastet hätten, ist dies unschlüssig. Soweit diese Veranlagungen mit Rücksicht auf den anhängigen Rechtsstreit des Jahres 2004 über Jahre hinweg nicht bestandskräftig wurden, war das ebenso wie die lange Verfahrensdauer hinsichtlich des Jahres 2004 für den Kläger nur von Vorteil. Nur so konnte er auch für die Folgejahre den Nutzen aus der Änderung der Rechtsprechung ziehen. Hätte das FG im Sinne der damaligen Rechtsprechung zügig entschieden, hätte ihm dies die Rechtsbehelfe in den Folgejahren gerade nicht erspart, sondern er hätte auch dort den Streit in der Sache endgültig verloren.

     

    PRAXISHINWEIS | Hat der Verfahrensbeteiligte infolge der Dauer eines Gerichtsverfahrens keinen Nachteil erlitten, findet eine Wiedergutmachung weder durch Feststellung unangemessener Verfahrensdauer noch durch Entschädigung statt. Nach § 198 Abs. 1 S. 1 GVG ist ein - ggf. nach § 198 Abs. 2 S. 1 GVG vermuteter - Nachteil zwingende Voraussetzung der Entschädigung.

    Quelle: ID 42507825