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  • 26.11.2013 · IWW-Abrufnummer 140487

    Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 24.04.2013 – 1 K 1836/09

    1. Voraussetzung für die ermäßigte Besteuerung einer Entschädigung wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist eine
    Zusammenballung von Einkünften. Eine solche liegt vor, wenn der Steuerpflichtige in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum einschließlich
    der Entschädigung insgesamt mehr erhält, als er bei ungestörter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erhalten hätte.
    2. Bei der Vergleichsberechnung ist das, was der Steuerpflichtige in dem betreffenden Veranlagungszeitraum einschließlich
    der Entschädigung insgesamt erhält „Ist-Größe”), den Einkünften gegenüberzustellen, die er bei ungestörter Fortsetzung seines
    Arbeitsverhältnisses erhalten hätte „Soll-Größe”).
    3. Bei der „Ist-Größe” sind auch Lohnersatzleistungen wie im Streitfall das nach § 3 Nr. 2 EStG steuerfreie Arbeitslosengeld
    zu berücksichtigen.


    Im Namen des Volkes
    URTEIL
    In dem Finanzrechtsstreit
    hat der 1. Senat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht …, der Richter am Finanzgericht … und sowie der
    ehrenamtlichen Richterinnen … und … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 24. April 2013
    für Recht erkannt:
    1. Der Bescheid vom 27. Aug. 2008 über Einkommensteuer 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. Sept. 2009 wird
    dahin geändert, dass die Einkommensteuer auf 210 EUR herabgesetzt wird.
    2. Dem Beklagten werden die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.
    3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von
    110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in
    Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
    4. Die Revision wird zugelassen.
    Tatbestand
    Streitig ist, ob eine 2007 gezahlte Entlassungsentschädigung eine Zusammenballung von Einkünften begründet, die zu einer ermäßigten
    Besteuerung nach § 34 EStG führt.
    2006 erzielte der Kläger Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.H.v. 16.503 EUR (Einnahmen: 19.155 EUR). 2007 erzielte
    der Kläger Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 4.647 EUR. Außerdem erhielt er einen Bruttoarbeitslohn von 581 EUR für die
    Zeit vom 1. Febr. bis 31. Mai (Lohnsteuerbescheinigung, Bl. 25 Rb), Lohnersatzleistungen (Arbeitslosengeld) von 3.693 EUR
    und aufgrund eines Vergleichs vor dem Arbeitsgericht Leipzig eine Abfindung i.H.v. 10.000 EUR „für den Verlust des Arbeitsplatzes”
    von seinem Arbeitgeber (Bl. 10 ESt-Akte). In seiner Einkommensteuererklärung für 2007 beantragte der Kläger, 10.000 EUR von
    den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit (i.H.v. insgesamt 10.581 EUR) ermäßigt zu besteuern.
    Das FA setzte mit Bescheid vom 27. Aug. 2008 (Bl. 6 GA) die Einkommensteuer auf 1.346 EUR fest. Es lehnte eine ermäßigte Besteuerung
    der Entschädigung i.H.v. 10.000 EUR mit der Begründung ab, dass die Entschädigung die entgangenen Einnahmen aus dem Vorjahr
    i.H.v. 19.155 EUR nicht übersteige, weswegen es an einer Zusammenballung der Einkünfte fehle. Der hiergegen gerichtete Einspruch
    hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 16. Sept. 2009, Bl. 19 GA).
    Der Kläger meint, dass die Lohnersatzleistungen in die Vergleichsrechnung der Einkünfte einzubeziehen seien.
    Der Kläger beantragt,
    den Bescheid vom 27. Aug. 2008 über Einkommensteuer 2007 und die Einspruchsentscheidung vom 16. Sept. 2009 dahin zu ändern,
    dass die Einkommensteuer auf 210 EUR festgesetzt wird.
    Das FA beantragt,
    die Klage abzuweisen.
    Es meint, dass Lohnersatzleistungen nur bei einer Vergleichsrechnung der Einnahmen einzubeziehen seien. Es weist darauf hin,
    dass die Steuer für 2007 bei regulärer Besteuerung niedriger sei als im Vergleichzeitraum 2006.
    Entscheidungsgründe
    Die Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs.
    1 S. 1 FGO). Die Voraussetzungen einer als außerordentliche Einkünfte begünstigt zu besteuernden Entschädigung nach § 24 Nr.
    1 Buchst. a i.V.m. § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG liegen vor.
    Nach § 34 Abs. 1 S. 1 EStG ist die auf außerordentliche Einkünfte entfallende Einkommensteuer nach § 34 Abs. 1 S. 2 bis 4
    EStG (Fünftelregelung) zu berechnen. Als außerordentliche Einkünfte kommen nur die in § 34 Abs. 2 EStG aufgeführten Einkünfte
    in Betracht. Nach dem in § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG aufgeführten § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG gehören zu den Einkünften i.S.d. §
    2 Abs. 1 EStG auch Entschädigungen, die gewährt worden sind als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen. Dass die
    Voraussetzungen des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG vorliegen, steht zwischen den Beteiligten nicht im Streit. Das allein führt
    aber nicht dazu, dass die 2007 vereinnahmte Entschädigung ermäßigt zu besteuern ist. Vielmehr ist der Wortlaut des § 34 Abs.
    2 EStG entsprechend dem Normzweck, die Auswirkungen des progressiven Tarifs abzuschwächen, auf solche Einkünfte zu beschränken,
    die „zusammengeballt” zufließen (BFH-Urteil vom 27. Jan. 2010 – IX R 31/09, BFHE 229, 90 = BStBl II 2011, 28 Rz. 9, teleologische
    Reduktion der Norm, Rz. 12). Davon ist auszugehen, wenn der Steuerpflichtige infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses
    in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum einschließlich der Entschädigung insgesamt mehr erhält, als er bei ungestörter Fortsetzung
    des Arbeitsverhältnisses, also bei normalem Ablauf der Dinge erhalten hätte (BFH-Urteil vom 27. Jan. 2010 – IX R 31/09, BFHE
    229, 90 = BStBl II 2011, 28 Rz. 9). Die dafür notwendige, hypothetische und prognostische Betrachtung orientiert sich grundsätzlich
    an den Verhältnissen des Vorjahres, die dem Veranlagungszeitraum, in dem die Entschädigung zufließt, am nächsten liegen (BFH-Urteil
    vom 27. Jan. 2010 – IX R 31/09, BFHE 229, 90 = BStBl II 2011, 28 Rz. 10). Auch im Streitfall ist auf die Verhältnisse des
    Vorjahres abzustellen, da die Einnahmesituation dieses Jahres nicht durch außergewöhnliche Ereignisse geprägt ist (BFH in
    BStBl II 2011, 28 Rz. 10).
    Bei der Vergleichsberechnung sind zwei Größen einander gegenüberzustellen: die „Ist-Größe”, also das, was der Steuerpflichtige
    in dem betreffenden Veranlagungszeitraum (Streitjahr) einschließlich der Entschädigung insgesamt erhält, und die „Soll-Größe”,
    nämlich die Einkünfte, die der Steuerpflichtige bei ungestörter Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses (bei normalem Ablauf
    der Dinge) erhalten hätte (BFH-Beschluss vom 9. März 2011 – IX R 9/10, BFH/NV 2011, 1320 Rz. 12). Das 2007 erhaltene Arbeitslosengeld,
    das nach § 3 Nr. 2 EStG steuerfrei ist, ist bei der Ist-Größe zu berücksichtigen, weswegen der Kläger 2007 mehr erhalten hat,
    als er bei ungestörter Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses erhalten hätte. Grund für die Berücksichtigung des Arbeitslosengeldes
    ist, dass es die entgangenen Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit substituiert (Urteil des Thüringer FG – 3 K 965/08,
    EFG 2010, 1789 Rz. 19) bzw. dass der Bezug des Arbeitslosengeldes zu einer Erhöhung des Steuersatzes durch den Progressionsvorbehalt
    führt (Urteil des FG Köln vom 15. März 2005 – 15 K 4753/04, EFG 2005, 962; Horn in Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zur Einkommensteuer
    und Körperschaftsteuer, § 34 Rz. 54; Seitz, DStR 1998, 1377 [1378]). Entsprechend hat das FG Baden-Württemberg (Urteil vom
    6. Juli 2006 – 10 K 315/05, EFG 2006, 1677) das – nach § 3 Nr. 2 EStG steuerfreie – Überbrückungsgeld nicht in die Vergleichsberechnung
    einbezogen, da es nicht dem Progressionsvorbehalt unterliege und somit zu keiner erhöhten steuerlichen Belastung führen könne.
    Für die in dem BMF-Schreiben vom 24. Mai 2004 (BStBl I 2004, 505) in Rz. 12 getroffene Regelung, dass es bei Einkünften i.S.d.
    § 19 EStG „nicht zu beanstanden” sei, wenn die Vergleichsrechnung anhand der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit durchgeführt
    und (nur) dann dem Progressionsvorbehalt unterliegende Lohnersatzleistungen einbezogen werden, ist kein Grund ersichtlich.
    Dass die Steuer für 2007 bei regulärer Besteuerung niedriger ist als im Vergleichzeitraum 2006, schließt die Besteuerung nach
    der Fünftelregelung nicht aus, da es auf einen konkreten Progressionsnachteil nicht ankommt (BFH-Beschluss vom 9. März 2011
    IX R 9/10, BFH/NV 2011, 1320 Rz. 13; Wacker in Schmidt, EStG, 32. Aufl., § 34 Rz. 15; so auch BMF-Schreiben vom 24. Mai
    2004, BStBl I 2004, 505, Rz. 12). Ausreichend ist, dass von der Abfindung eine potentielle Progressionswirkung ausgeht (Seitz,
    DStR 1998, 1377).
    2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§
    151 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
    3. Die Revision war zuzulassen, da die Fragen,
    ob auch Lohnersatzleistungen wie das nach § 3 Nr. 2 EStG steuerfreie Arbeitslosengeld bei der „Ist-Größe” zu berücksichtigen
    sind,
    ob angesichts des Normzwecks des § 34 EStG, nämlich eine für den Steuerpflichtigen im Vergleich zu seiner regelmäßigen sonstigen
    Besteuerung einmalige und außergewöhnliche Progressionsbelastung abzumildern, nur im Fall einer tatsächlich höheren Progressionsbelastung
    der „Ist-Größe” die ermäßigte Besteuerung nach § 34 EStG zur Anwendung kommen sollte,
    grundsätzliche Bedeutung haben (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, vgl. BFH-Beschluss vom 9. März 2011 – IX R 9/10, BFH/NV 2011, 1320
    Rz. 12 f.).

    VorschriftenEStG § 34 Abs. 2 Nr. 2, EStG § 24 Nr. 1 Buchst. a, EStG § 3 Nr. 2