18.09.2014 · IWW-Abrufnummer 142741
Bundesfinanzhof: Urteil vom 17.07.2014 – VI R 42/13
1.Mehrkosten für die Anschaffung eines größeren Grundstücks zum Bau eines behindertengerechten Bungalows sind nicht als außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33 EStG zu berücksichtigen.
2.Sie entstehen nicht zwangsläufig. Denn sie sind nicht vornehmlich der Krankheit oder Behinderung geschuldet, sondern in erster Linie Folge des frei gewählten Wohnflächenbedarfs des Steuerpflichtigen.
Gründe
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I. Streitig ist, ob Mehrkosten für die Anschaffung eines größeren Grundstücks zum Bau eines behindertengerechten Bungalows als außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen sind.
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Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Die Klägerin leidet unter Multipler Sklerose und ist schwerbehindert (Grad der Behinderung 80). In den Jahren 2009 und 2010 errichteten die Kläger zu eigenen Wohnzwecken einen Bungalow. Aufgrund der behinderungsbedingten Anforderungen an die Wohnfläche entschieden sie sich u.a. nach fachkundiger Beratung für einen eingeschossigen Bungalow. Die gegenüber einem mehrgeschossigen Bungalow erforderliche Grundfläche des Gebäudes erforderte aufgrund der im Bebauungsplan vorgeschriebenen Grundflächenzahl von 0,3 den Erwerb einer um 151,67 qm größeren Grundstücksfläche. Dadurch ergaben sich bei einem Preis von 87 €/qm Mehrkosten für den Baugrund in Höhe von 13.195,29 €. Ferner entstand den Klägern in 2009 durch erforderliche behinderungsgerechte Baumaßnahmen ein behinderungsbedingter Mehraufwand von 205,45 €, den die Kläger nach Abzug von Zuschüssen der Kranken- und Pflegekassen als Eigenanteil selbst zu tragen hatten.
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In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2009) machten die Kläger zunächst keinen behinderungsbedingten Mehraufwand für den Bau des Bungalows als außergewöhnliche Belastung geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) setzte daraufhin die Einkommensteuer 2009 zuletzt mit Einkommensteuerbescheid vom 14. Februar 2011 fest. Dagegen legten die Kläger Einspruch ein. Diesen begründeten sie damit, dass ihnen durch den Hausbau in 2009 Mehrkosten wegen behinderungsbedingter Baumaßnahmen in Höhe von 13.400,74 € entstanden seien, die als außergewöhnliche Belastung steuermindernd zu berücksichtigen seien. Da die Klägerin u.a. an einer schweren Gehbehinderung leide und ihr das Steigen von Treppen nicht möglich sei, seien sie auf eine eingeschossige Bauweise des Bungalows angewiesen gewesen. Ferner sei zu berücksichtigen, dass sanitäre Einrichtungen großzügig ausgelegt sein mussten, um die pflegerische und betreuende Unterstützung durch andere Personen zu ermöglichen, und Wendeflächen für den Rollstuhl, breitere Türen und niedrigere Schwellen, Haltegriffe und eine barrierefreie Duschkabine mit einem Klappsitz erforderlich gewesen seien. Dadurch habe sich eine um 45,5 qm größere Grundfläche des Bungalows gegenüber einem Bungalow ergeben, der ohne Berücksichtigung der Behinderung der Klägerin hätte gebaut werden können. Aufgrund der im Baugebiet vorgegebenen Grundflächenzahl seien sie gezwungen gewesen, ein 151,67 qm größeres Grundstück zu kaufen, um das Gebäude entsprechend realisieren zu können. Dadurch hätten sich für das Grundstück Mehrkosten in Höhe von 13.195,29 € ergeben. Weitere Aufwendungen in Höhe von 205,45 € ergäben sich durch den nicht bezuschussten Eigenanteil der erforderlichen Mehraufwendungen.
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Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 783 veröffentlichten Gründen statt.
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Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 33 EStG.
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Es beantragt,
das Urteil des Niedersächsischen FG vom 17. Januar 2013 14 K 399/11 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
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II. Die Revision des FA ist begründet. Das FG hat die Mehrkosten für die Anschaffung eines größeren Grundstücks zum Bau eines behindertengerechten Bungalows zu Unrecht als außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33 EStG berücksichtigt. Die Vorentscheidung ist daher aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung).
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1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG).
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a) Mehraufwendungen für einen behindertengerechten Um- oder Neubau eines Hauses oder einer Wohnung können als außergewöhnliche Belastungen i.S. des § 33 Abs. 1 EStG abziehbar sein, denn es sind größere Aufwendungen, als sie der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie gleichen Familienstandes erwachsen. Diese Aufwendungen sind weder durch den Grund- oder Kinderfreibetrag (§ 32a Abs. 1 EStG, § 32 Abs. 6 EStG) noch durch den Behinderten- und Pflege-Pauschbetrag abgegolten. Grund- und Kinderfreibetrag decken den gewöhnlichen Wohnbedarf des gesunden und nicht behinderten Steuerpflichtigen und seiner Angehörigen ab. Der Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 1 bis 3 EStG gilt nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nur laufende und typische Mehraufwendungen des Behinderten ab, so dass "zusätzliche Krankheitskosten" nicht von der Abgeltungswirkung des Pauschbetrags erfasst werden. Dies gilt erst recht für den Pauschbetrag nach § 33b Abs. 6 EStG, der nur die durch die Pflege einer Person veranlassten Aufwendungen erfasst (Senatsurteil vom 22. Oktober 2009 VI R 7/09, BFHE 226, 536, BStBl II 2010, 280, [BFH 22.10.2009 - VI R 7/09] m.w.N.).
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b) Mehraufwendungen für die behindertengerechte Gestaltung des Wohnumfelds erwachsen in der Regel auch zwangsläufig (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Aufwendungen infolge Körperbehinderung waren ebenso wie Krankheitskosten von jeher ein Anwendungsfall der Zwangsläufigkeit aus tatsächlichen Gründen. Dies gilt insbesondere auch für behinderungsbedingte Mehrkosten eines Um- oder Neubaus. Denn eine schwerwiegende Behinderung des Steuerpflichtigen oder eines Angehörigen begründet eine tatsächliche Zwangslage, die eine behindertengerechte Gestaltung des Wohnumfelds unausweichlich macht (Senatsurteil vom 24. Februar 2011 VI R 16/10, BFHE 232, 518, BStBl II 2011, 1012, [BFH 24.02.2011 - VI R 16/10] m.w.N.).
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2. Anschaffungskosten für ein Grundstück zählen hierzu jedoch nicht. Ihnen fehlt es an der für den Abzug als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 Abs. 2 EStG erforderlichen Zwangsläufigkeit.
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a) Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen nur zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann. Das ist der Fall, wenn die Gründe der Zwangsläufigkeit derart von außen auf die Entschließung des Steuerpflichtigen einwirken, dass er ihnen nicht ausweichen kann, er also tatsächlich keine Entscheidungsfreiheit hat, bestimmte Aufwendungen vorzunehmen oder zu unterlassen. Liegt eine maßgeblich vom menschlichen Willen beeinflusste Situation vor, so handelt es sich dagegen um keine Zwangslage in diesem Sinne. Dies gilt auch für die Herstellung eines Hauses für den eigenen Wohnbedarf.
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b) Entschließt sich der Steuerpflichtige ein Grundstück zu erwerben, um hierauf einen Neubau zu errichten, hängen sowohl die Größe des Grundstücks als auch die konkrete Gestaltung des neuen Hauses, insbesondere dessen Wohnfläche, zunächst von seinem Geschmack, seinen Lebensgewohnheiten, den ihm für den Bau zur Verfügung stehenden Mitteln und anderen selbstbestimmten Vorentscheidungen ab (Senatsurteil in BFHE 232, 518, [BFH 24.02.2011 - VI R 16/10] BStBl II 2011, 1012, [BFH 24.02.2011 - VI R 16/10] m.w.N.). Das gilt selbst dann, wenn der Steuerpflichtige oder ein in seinem Haushalt lebender Angehöriger infolge einer Krankheit oder eines Unfalls in seiner bisherigen Wohnung bzw. in seinem bisherigen Haus nicht wohnen bleiben kann. Denn Anschaffungskosten für ein Grundstück weisen zunächst keinen Bezug zur Krankheit oder Behinderung des Steuerpflichtigen auf, da sie einem gesunden Steuerpflichtigen ebenfalls entstanden wären. Es handelt sich insoweit um übliche Aufwendungen der Lebensführung, die durch den Grundfreibetrag abgegolten und daher aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind (vgl. Senatsurteil vom 14. November 2013 VI R 20/12, BFHE 244, 285, BStBl II 2014, 456, [BFH 14.11.2013 - VI R 20/12] m.w.N.). Aber auch die Mehrkosten für ein --wie im Streitfall-- größeres Grundstück, das erforderlich ist, um die persönlichen Wohnvorstellungen behinderten- oder krankheitsgerecht zu verwirklichen, sind nicht nach § 33 EStG abzugsfähig. Denn diese Mehrkosten sind, anders als bauliche Maßnahmen, die --wie beispielsweise der Einbau einer barrierefreien Dusche oder eines Treppenlifts (Senatsurteil vom 6. Februar 2014 VI R 61/12, BFHE 244, 395, BStBl II 2014, 458 [BFH 06.02.2014 - VI R 61/12])-- den krankheits- und behinderungsbedingten Lebenserschwernissen des Steuerpflichtigen oder eines Angehörigen Rechnung tragen, nicht vornehmlich der Krankheit oder Behinderung geschuldet, sondern in erster Linie Folge der frei gewählten Wohnungsgröße (Wohnflächenbedarf) des Steuerpflichtigen. Sie werden daher ebenfalls von der Abgeltungswirkung des Grundfreibetrags erfasst und können nicht nochmals nach § 33 EStG steuerliche Berücksichtigung finden (vgl. Senatsurteil in BFHE 232, 518, [BFH 24.02.2011 - VI R 16/10] BStBl II 2011, 1012 [BFH 24.02.2011 - VI R 16/10]).
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3. Die Vorentscheidung beruht auf einer anderen Rechtsauffassung. Sie ist daher aufzuheben und die Klage --wegen der von den Klägern zu tragenden zumutbaren Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG)-- auch im Hinblick auf die unstreitig enstandenden behinderungsbedingten Mehrkosten in Höhe von 205,45 € sowie die behinderungsbedingten Fahrtkosten in Höhe von pauschal 900 € abzuweisen.