02.09.2015 · IWW-Abrufnummer 179266
Bundesfinanzhof: Beschluss vom 08.07.2015 – III R 4/15
Tenor:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 20. November 2013 2 K 934/12 wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Gründe
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I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wendet sich gegen die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung durch die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse). Einspruch und Klage blieben erfolglos. Die Revision wurde vom Finanzgericht (FG) nicht zugelassen.
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Auf die Beschwerde der Klägerin ließ der Senat mit Beschluss vom 20. Januar 2015, der Klägerin zugestellt am 30. Januar 2015, die Revision zu. Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 26. Februar 2015, per Telefax eingegangen am 27. Februar 2015, legte die Klägerin ausdrücklich Revision ein. Mit Schreiben der Vorsitzenden vom 18. März 2015 wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass die Frist zur Begründung der Revision am 2. März 2015 abgelaufen sei und eine Begründung der Revision noch nicht vorliege.
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Mit Schriftsatz vom 7. April 2015 begründete der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Revision und stellte zugleich Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der vers äumten Frist. Zur Begründung des Antrags trug er vor, er habe mittels eines digitalen Übertragungsgeräts verfügt, eine einmonatige Begründungsfrist zu notieren. Diese Verfügung sei von seiner erfahrenen und zuverlässigen Mitarbeiterin akustisch nicht verstanden worden. Die Mitarbeiterin sei sich nicht sicher gewesen, was er gesagt habe. Sie habe daraufhin den rechtlichen Hinweis des Senats durchgelesen, sei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Revision innerhalb von zwei Monaten zu begründen sei, und habe demgemäß ohne nochmalige Rücksprache Frist bis "30. März 2015" notiert. Er selbst prüfe zwar gelegentlich nach, ob notierte Fristen zutreffend seien, im Streitfall sei dies aber unterblieben.
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Zur Glaubhaftmachung fügte der Prozessbevollmächtigte eine eidesstattliche Versicherung seiner Mitarbeiterin sowie eine eigene eidesstattliche Versicherung bei. Darin gibt der Prozessbevollmächtigte an, er habe verfügt, "dass eine 1–monatige Rechtsmittelfrist einzutragen ist".
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Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des FG, den Aufhebungsbescheid vom 18. Februar 2011 und die Einspruchsentscheidung vom 18. April 2012 aufzuheben.
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Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.
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Sie bezweifelt, dass ein Wiedereinsetzungsgrund vorliegt und hält die Revision auch in der Sache für unbegründet.
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II. Die Revision ist unzulässig und daher durch Beschluss zu verwerfen (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
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1. Die Klägerin hat die Revision nicht rechtzeitig begründet. Hat der Bundesfinanzhof (BFH) der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, ist die Revision innerhalb von einem Monat nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses zu begründen (§ 116 Abs. 7 Satz 2 Halbsatz 1, § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO).
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Im Streitfall ist diese Frist für den am 30. Januar 2015 zugestellten Beschluss nach § 54 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 und Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 und 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 2. März 2015 (Montag) abgelaufen. Der erst am 7. April 2015 beim BFH eingegangene Schriftsatz war mithin verspätet.
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2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht.
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a) Nach § 56 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 FGO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dabei müssen sich die Beteiligten nach § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden ihres Bevollmächtigten zurechnen lassen. Jedes Verschulden, auch einfache Fahrlässigkeit, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 13. September 2012 XI R 40/11, BFH/NV 2013, 213, Rz 14, m.w.N., und vom 28. August 2014 VII B 12/14, BFH/NV 2015, 43, Rz 8). Auf Grundlage der zur Begründung vorgebrachten Tatsachen muss sich beurteilen lassen, ob die Fristversäumnis auf einer vom Prozessbevollmächtigten verschuldeten Fehlorganisation des Kanzleibetriebs oder auf einem von ihm nicht zu vertretenden einmaligen Versehen der Bürokraft beruhte (BFH-Urteil vom 30. Juli 2009 VI R 56/08, BFH/NV 2009, 1996, unter II.).
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b) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Das Vorbringen des Prozessbevollmächtigten ist in einem wesentlichen Punkt unvollständig und zudem in einem anderen unschlüssig.
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aa) Es fehlt jede Darstellung der regelmäßigen Handhabung der Fristenkontrolle, insbesondere zur Führung eines Postausgangsbuchs und eines Fristenkontrollbuchs. Ohne eine solche Darstellung ist es aber nicht möglich, das Fehlen eines Organisationsmangels festzustellen (Senatsurteil vom 18. Januar 2007 III R 65/05, BFH/NV 2007, 945, unter II.2.b aa).
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Ein Prozessbevollmächtigter ist verpflichtet, eine Fristenkontrolle anhand eines Postausgangsbuchs und eines Fristenkontrollbuchs am Abend eines jeden Arbeitstages sicherzustellen (BFH-Beschlüsse vom 14. Oktober 1998 X R 87/97, BFH/NV 1999, 621, und vom 25. März 2003 I B 166/02, BFH/NV 2003, 1193, unter 2.b; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 56 Rz 20, Stichworte "Fristenkontrolle" und "Postausgangskontrolle"). Trifft er hierfür keine Vorkehrungen, liegt ein Organisationsmangel vor.
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Ein solcher Organisationsmangel wäre im Streitfall auch kausal für die Fristversäumnis gewesen (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2009, 1996, unter II.b). Bei einer ordnungsgemäßen Fristenkontrolle musste es auffallen, wenn Revision eingelegt wurde, obwohl keine Revisionsfrist notiert war. Dies hätte Anlass zu weiteren Nachforschungen gegeben, bei denen die fehlerhafte Notierung der Revisionsbegründungsfrist deutlich geworden wäre.
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bb) Der Wiedereinsetzungsantrag lässt zudem nicht erkennen, weshalb der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ausdrücklich Revision eingelegt hat, obwohl er —wie er vorträgt— die Revisionsbegründungsfrist selbst richtig verfügt haben will. In diesem Fall war ihm entweder aufgrund des rechtlichen Hinweises im Zulassungsbeschluss (§ 116 Abs. 7 Satz 3 FGO) oder aufgrund eigener Prüfung anhand des Gesetzes bekannt, dass es der Einlegung der Revision durch die Klägerin im Streitfall nicht bedurfte (§ 116 Abs. 7 Satz 1 Halbsatz 2 FGO). Insofern hätte es für eine schlüssige Darstellung näherer Erläuterung bedurft, warum der Kläger eine nicht erforderliche Revisionseinlegung unterzeichnete, ohne auf das Fehlen der erforderlichen und von ihm verfügten Revisionsbegründung in der gleichen Sache aufmerksam zu werden.
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cc) Insofern kommt es nicht mehr darauf an, ob der Prozessbevollmächtigte seinen Vortrag glaubhaft gemacht hat. Der Senat kann daher offenlassen, welche Folgerungen daraus zu ziehen sind, dass der Prozessbevollmächtigte in seinem Wiedereinsetzungsantrag vorträgt, er habe die Revisionsbegründungsfrist richtig verfügt, in seiner eidesstattlichen Versicherung aber angibt, er habe "eine 1–monatige Rechtsmittelfrist" eintragen lassen, die im Streitfall gerade nicht gegeben war.
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 2 FGO.