30.08.2016 · IWW-Abrufnummer 188324
Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 16.06.2016 – 1 K 3229/14
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Baden-Württemberg
Urt. v. 16.06.2016
Az.: 1 K 3229/14
In dem Finanzrechtsstreit
1. Kl
... straße, A
2. Klin
... straße, A
- Kläger -
prozessbevollmächtigt:
gegen
Finanzamt
- Beklagter -
wegen Einkommensteuer 2013
hat der 1. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 durch
Vorsitzenden Richter am Finanzgericht
Richter am Finanzgericht
Ehrenamtliche Richter
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung im Streitjahr (2013) vorliegen.
Die Kläger sind zusammenveranlagte Eheleute. Der Kläger ist nichtselbständig in B tätig. Er hat zwei leibliche Kinder: K 1, geboren am xx.xx. 1989, und K 2, geboren am xx.xx. 1991. K 1 studierte im Streitjahr an der Fachhochschule X und wohnte in X. Als ihre Nebenwohnung hatte sie die Wohnung der leiblichen Mutter, M, im ... weg, Z angemeldet. K 2 studierte vom 1. Oktober 2012 bis August 2013 an der Universität Y. Seit September 2013 wird sie zur Kauffrau in Y ausgebildet und wohnte im Streitjahr bei der leiblichen Mutter, M, im ... weg, Z.
Die Klägerin hat ebenfalls zwei leibliche Kinder: S 1, geboren am xx.xx. 1992, und S 2, geboren am xx.xx. 1995. S 1 studiert seit 1. Januar 2013 an der Universität B. S 2 besuchte eine Schule in L. Beide leiblichen Kinder wohnten im Streitjahr bei der Klägerin.
Die Kläger sind seit dem 15. Oktober 2010 verheiratet und wohnten seit 1. Februar 2010 bis zur Abmeldung der Wohnung am 18. April 2013 in der ... Allee in A in einem Haus mit 160 m2 für eine Nettomiete von x.xxx Euro (Gerichtsakte, Bl. 123 ff.). Der Kläger schloss am 27. Dezember 2012 einen Mietvertrag über eine Zwei-Zimmerwohnung mit 53 m3 in der ... straße, C für eine Nettomiete von xxx Euro ab. Das Mietverhältnis begann am 1. März 2013 (ESt-Akte, Lasche 2014, Bl. 15 ff.). Am 11. Februar 2013 mietete die Klägerin eine Drei-Zimmerwohnung mit 82 m2 ... straße" A für eine Nettomiete i.H. von monatlich xxx Euro von einer V. Das Mietverhältnis begann am 15. April 2013 auf unbestimmte Zeit zu laufen (ESt-Akte, Lasche 2014, Bl. 12 ff.).
Am 8. Oktober 2013 stellte der Kläger einen Antrag auf Lohnsteuer-Ermäßigung für 2014. Hierin beantragte er aufgrund einer doppelten Haushaltsführung eine Erhöhung seines bisherigen Jahresfreibetrags von x.xxx Euro auf x.xxx Euro (ESt-Akte, Lasche 2014, Bl. 1 ff.). Dem Antrag wurde stattgegeben (ESt-Akte, Lasche 2014, Bl. 9). Am 2. Dezember 2013 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass er beabsichtige, eine Eigentumswohnung im ... weg in D zu kaufen und diese ab 1. April 2014 zu nutzen. Diese Wohnung - so der Kläger - befände sich im Einzugsbereich seiner regelmäßigen Arbeitsstätte, so dass nach wie vor ein schnelles und unmittelbares tägliches Aufsuchen der Arbeitsstätte möglich sei (ESt-Akte, Lasche 2014, Bl. 22). Eine Änderung des Jahresfreibetrags durch den Beklagten erfolgte daraufhin nicht. Der Kläger wurde jedoch im Schreiben vom 11. Dezember 2013 darauf hingewiesen, dass die endgültige Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung bei der Bearbeitung der Einkommensteuererklärung getroffen werde (ESt-Akte, Lasche 2014, Bl. 24). Mit notariellem Vertrag vom 12. Dezember 2013 erwarb der Kläger die Eigentumswohnung im ... weg in D für einen Kaufpreis von xxx.xxx Euro und nutzt diese seit 1. April 2014.
In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr vom 24. Februar 2014 setzte der Kläger - wie schon in den Einkommensteuererklärungen für die Veranlagungszeiträume 2010 bis 2012 - die einfache Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit 47 km an. Außerdem machte er Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung i.H. von insgesamt xx.xxx Euro geltend, wobei x.xxx Euro auf die Kosten der Unterkunft am Beschäftigungsort und x.xxx Euro auf weitere notwendige Aufwendungen entfallen sollen (ESt-Akte, Lasche 2013, Bl. 23 f. und Rb-Akte a.E. mit Rechnungen).
Im Schreiben vom 10. April 2014 teilte der Beklagte den Klägern mit, dass er die in der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr geltend gemachten Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung nicht anerkennen werde, da eine ausschließliche oder weit überwiegende berufliche Veranlassung aufgrund der Gesamtumstände nicht gegeben sei. Zudem liege die zeitliche Ersparnis für das tägliche Aufsuchen der regelmäßigen Arbeitsstätte unter einer Stunde, so dass - genauso wie bei Umzugskosten - ein Abzug der Aufwendungen als Werbungskosten nicht in Betracht komme (Rb-Akte, Bl. 1 f).
Hierauf - mit Schreiben vom 15. April 2014 - brachte der Kläger vor, dass die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung aus seiner Sicht vorlägen. Insbesondere habe sich seine arbeitstägliche Gesamtfahrzeit durch die Zweitwohnung ... straße, C von 142 Minuten um 82 Minuten auf 60 Minuten verkürzt. Aber auch seine neue Wohnung in D im ... weg, führe noch zu einer Gesamtfahrzeitersparnis von ca. 70 Minuten, da er "öffentliche Verkehrsmittel genutzt habe und auch künftig nutzen werde" (Rb-Akte, Bl. 3). Demgegenüber gab der Kläger in den Einkommensteuererklärungen 2010 bis 2013 an, arbeitstäglich mit dem eigenen oder zur Nutzung überlassenen Pkw gefahren zu sein.
Im Einkommensteuerbescheid 2013 vom 24. April 2014 erkannte der Beklagte die doppelte Haushaltsführung nicht an.
Hiergegen legten die Kläger am 28. April 2014 Einspruch ein. Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 9. September 2014 als unbegründet zurückgewiesen. Der Beklagte führte hierzu aus, dass der Kläger seinen Arbeitsplatz in B von A aus in zumutbarer Weise aufsuchen könne. Denn eine Entfernung von 35 km bei einer durchschnittlichen Fahrzeit von 45 Minuten (einfach) sei mit dem Pkw unter "großstädtischen Bedingungen" als täglicher Weg zur Arbeit üblich und zumutbar.
Die Kläger erhoben am 6. Oktober 2014 Klage und tragen erneut vor, dass die Zweitwohnung durch den Kläger aus beruflichen Gründen erforderlich gewesen sei. Insbesondere betrage die einfache Entfernung zwischen dem Arbeitsplatz des Klägers in B und A 38 km. Die "realistisch" aufzubringende Zeit für eine einfache Fahrt sei mit mindestens 70 Minuten, "eher" 80 Minuten zu veranschlagen. Auf die Berechnung mit dem Verkehrsmittel Pkw komme es nicht an, da er - der Kläger - nach Bezug der Zweitwohnung nicht mehr mit dem Pkw, sondern mit öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren sei. Daher müsse geprüft werden, welche Fahrzeit er vorher mit öffentlichen Verkehrsmitteln benötigt hätte. Die tägliche "Gesamtwegezeit" von A nach B mit öffentlichen Verkehrsmitteln gaben die Kläger zunächst - mit der Klageschrift vom 6. Oktober 2014 - mit 150 Minuten an (Gerichtsakte, Bl. 5) und später - mit Schriftsatz vom 21. November 2014 mit Hinweis auf einen Schreibfehler mit 75 Minuten an (Gerichtsakte, Bl. 23).
Am 17. November 2015 hat der Berichterstatter den Sach- und Streitstand mit den Beteiligten erörtert. Hierzu wurde die Vermieterin der Klägerin, Frau V, als Zeugin geladen. Daraufhin teilte die Tochter, Frau T V, mit, dass die Zeugin im Mai 2014 verstorben sei (Gerichtsakte, Bl. 121). Im Übrigen wird auf die Niederschrift vom 17. November 2015 verwiesen. Am 16. Juni 2016 fand eine mündliche Verhandlung statt, in der die Zeugen Z 1, K 1, Z 2 und T V vernommen wurden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, die Behördenakten (Einkommensteuer- und Rechtsbehelfsakte) sowie auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) können als Werbungskosten auch notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung entstehen, abgezogen werden. Voraussetzung ist nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG, dass ein Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Beschäftigungsort ist der Ort der regelmäßigen, dauerhaften Arbeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG.
a) Mit dem "Hausstand" ist der Ort umschrieben, an dem sich der Arbeitnehmer - abgesehen von den Zeiten der Arbeitstätigkeit und ggf. Urlaubsfahrten - regelmäßig aufhält, den er fortwährend nutzt und von dem aus er sein Privatleben führt, also seinen Lebensmittelpunkt hat. Das Vorhalten einer Wohnung außerhalb des Beschäftigungsortes für gelegentliche Besuche oder für Ferienaufenthalte ist dagegen nicht als Unterhalten eines Hausstandes zu werten. Die Entscheidung über die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung ist anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles zu treffen (Beschluss des Bundesfinanzhof -- BFH-- vom 2. Dezember 2009 VI B 124/08, BFH/NV 2010, 638). Bei dieser Beurteilung ist die Lebensführung des Steuerpflichtigen am Beschäftigungsort einkommensteuerrechtlich grundsätzlich unerheblich. Erst wenn sich der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen vom eigenen Hausstand an den Beschäftigungsort verlagert und die Wohnung dort zum Ort der eigentlichen Haushaltsführung wird, entfällt deren berufliche Veranlassung als Wohnung am Beschäftigungsort (BFH-Urteil vom 28. März 2012 VI R 25/11, BFHE 237, 429, BStBl II 2012, 831 [BFH 28.03.2012 - VI R 25/11]).
b) Der Senat zweifelt nicht daran, dass der Kläger seinen Lebensmittelpunkt auch nach der Anmietung der Wohnung in C, ... straße weiterhin in A, zunächst in der ... Allee, später ... straße, hatte.
Die Zeugen haben übereinstimmend ausgesagt, dass der Kläger gemeinsam mit der Klägerin in die Wohnung ... straße" A einzog und dort an den Wochenenden lebte. So sagte der Zeuge Z 2 aus, dass er den Kläger regelmäßig am Morgen beim Bäcker getroffen habe. Er sei "ständig" - wenn er nicht in B gearbeitet hätte - in der Wohnung der Klägerin gewesen. Die Familie habe am Wochenende Ausflüge unternommen. Zudem sei aus seiner Sicht die Drei-Zimmerwohnung für die Kläger und die beiden Kinder der Klägerin etwas zu eng gewesen. Deshalb sei es auch manchmal laut gewesen. Die Abstellmöglichkeiten für die Fahrräder hätten kaum ausgereicht.
Dies deckt sich im Wesentlichen mit der Aussage der Zeugin T V. Diese sagte zwar aus, dass sie zunächst davon ausgegangen sei, dass die Klägerin für sich und die beiden Kinder eine Wohnung gesucht habe. Andererseits sei der Kläger aber beim Besichtigungstermin dabei gewesen. Zudem sei die erste Nebenkostenabrechnung wesentlich höher ausgefallen als erwartet, so dass sie die Abschlagszahlungen hätten anpassen müssen. Bei Telefonaten mit der Klägerin, die sie, die Zeugin, zur Unterstützung ihrer eigentlich vermietenden Mutter geführt habe, habe sie, die Zeugin, die Stimme des Klägers immer im Hintergrund vernommen. Dass sich die Kläger im Streitjahr angeblich getrennt und später wieder versöhnt hätten, sei nur eine Vermutung, die sich auf eine entsprechende Andeutung ihrer besten Freundin, einer F, stütze. Dazu, ob diese Vermutung zutreffend sei, konnte sie allerdings nichts sagen.
Auch die Tochter des Klägers, die Zeugin K 1, sagte aus, dass der Kläger dauerhaft in der Wohnung ... straße" A gelebt habe. Er habe gemeinsam mit Klägerin auf einer ausziehbaren Couch im Wohnzimmer übernachtet. Die beiden weiteren Zimmer seien von den Kindern der Klägerin bewohnt worden. Der Kläger habe sich aufgrund von gesundheitlichen Problemen - bedingt durch das Berufspendeln - eine Wohnung an seinem Arbeitsplatz in B gesucht. Entsprechendes bestätigt auch die Zeugin Z 1.
Demzufolge ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass die Kläger ihren gemeinsamen Hausstand im Streitjahr in A hatten. Diesem Umstand entnimmt der Senat zugleich, dass sich der Kläger die Wohnung ... straße, C aus beruflichen Gründen gesucht hat.
2. Dennoch war der Klage der Erfolg zu versagen, denn als weitere Voraussetzung einer doppelten Haushaltsführung müssen der Ort des eigenen Hausstandes und des Beschäftigungsortes i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG auseinanderfallen.
a) Dabei ist unter Beschäftigungsort nicht die jeweilige politische Gemeinde zu verstehen, sondern der Bereich, der zu der konkreten Anschrift der Arbeitsstätte noch als Einzugsgebiet anzusehen ist (Finanzgericht --FG-- Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Dezember 2015 7 K 7366/13, Revision eingelegt, Az. des BFH: VI R 2/16; FG Hamburg, Urteile vom 26. Februar 1 K 234/12, rkr., EFG 2014, 1185 und vom 17. Dezember 2014 2 K 113/14, rkr., EFG 2015, 808; FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. Juli 1985 VIII 221/84, rkr., EFG 1986, 286).
Ein Arbeitnehmer wohnt deshalb bereits dann am Beschäftigungsort, wenn er von seiner Wohnung aus ungeachtet von Gemeinde- und Landesgrenzen seine Arbeitsstätte in zumutbarer Weise täglich aufsuchen kann (Loschelder in Schmidt, EStG, 35. Aufl., 2016, § 9 Rn. 212 m.w.N.). Denn dann ist der Arbeitnehmer nicht i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG "außerhalb des Ortes", in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, sondern bereits am Ort des eigenen Hausstandes beschäftigt. Dies schließt eine doppelte Haushaltsführung aus.
Ausschlaggebend ist insoweit nicht allein die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Es ist vielmehr auf alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls abzustellen und neben der Entfernung auch auf die Verkehrsanbindung mit privaten und öffentlichen Verkehrsmitteln, die Erreichbarkeit dieser Verkehrsmittel bei Arbeitsbeginn und -ende sowie eventuelle besondere Umstände beim Arbeitsablauf abzustellen. Eine Wohnung am Beschäftigungsort kann danach regelmäßig angenommen werden, wenn sie in einem Bereich liegt, von dem aus der Arbeitnehmer üblicherweise täglich zu diesem Ort fahren kann. Dabei liegen Fahrzeiten von etwa einer Stunde für die einfache Strecke noch in einem zeitlichen Rahmen, in dem es einem Arbeitnehmer zugemutet werden kann, von seinem Hausstand die Arbeitsstätte aufzusuchen. Zur Ermittlung der Fahrzeiten kann der Senat auf die Daten von Routenplanern zurückgreifen (FG Hamburg, Urteil vom 9. Oktober 2008 5 K 33/08, rkr., EFG 2009, 244 [FG Hamburg 09.10.2008 - 5 K 33/08]).
Für das Streitjahr hat der Kläger in seiner Einkommensteuererklärung erklärt, an 42 Tagen mit dem eigenen oder zur Nutzung überlassenen Pkw 47 km und an 178 Tagen 10 km zur regelmäßigen Arbeitsstätte zurückgelegt zu haben. Bei der Bestimmung des täglich zumutbaren Weges zur Arbeit muss deshalb im konkreten Sachverhalt von der Erreichbarkeit mit dem Pkw ausgegangen werden. Nach dem Routenplaner www.google.de/maps lässt sich der einfache Arbeitsweg von A, ... straße, nach B, von 36 km in 34 Minuten bewältigen. Aufgrund von Staulagen zu den Hauptverkehrszeiten ist zur Bestimmung der tatsächlichen arbeitstäglichen Fahrzeit ein Zuschlag von täglich rund 20 bis 30 Minuten je einfache Fahrt zu machen. Unter Berücksichtigung dieses Zeitzuschlages ist mithin davon auszugehen, dass die Fahrzeit für eine einfache Strecke im Bereich von einer Stunde liegt. Selbst wenn man öffentliche Verkehrsmitteln einbezieht, ergibt sich ein vergleichbares Bild, denn der klägerische Arbeitsplatz ist von A, ... straße, nach der elektronischen Auskunft des Verkehrs- und Tarifverbund B durchschnittlich in 1:05 Stunden bis 1:11 Stunden erreichbar.
Unter den Bedingungen einer Großstadt, in der sich schon aufgrund des im Innenstadtbereich herrschenden Preisniveaus typischerweise die Wohnstätten der Beschäftigten in Randbereiche und auch über die politischen Grenzen einer Gemeinde hinaus verlagern, sind solche Fahrzeiten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von etwa einer Stunde üblich und ohne weiteres zumutbar. Dies gilt insbesondere dann, wenn es - so wie hier - ein ausgebautes Straßennetz sowie gut erreichbare öffentliche Nahverkehrsverbindungen gibt (so auch FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Dezember 2015 7 K 7366/13, nrkr.; FG Hamburg, Urteil vom 17. Dezember 2014 2 K 113/14, rkr., EFG 2015, 808, a.A. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. Juli 1985 VIII 221/84, rkr., EFG 1986, 286, das auf den "Radius" eines üblichen Haushalts für Besorgungen und Aktivitäten wie Spaziergänge abstellt).
b) Bei der Beurteilung der Gesamtumstände kommt es nach Auffassung des Senats nicht darauf an, ob eine tägliche Fahrzeitverkürzung von mindestens einer Stunde eintritt. Denn diese Voraussetzung besteht nur bei der Frage der steuerlichen Berücksichtigung von Umzugskosten (vgl. BFH-Urteil vom 23. März 2001 VI R 189/97, BFHE 196, 478, BStBl II 2002, 56 [BFH 23.03.2001 - VI R 189/97]; zuletzt BFH-Urteil vom 7. Mai 2015 VI R 73/13, HFR 2015, 1025).
Überdies liegt die tägliche Zeitersparnis beim Aufsuchen des Arbeitsortes durch die Nutzung der Wohnung in der ... straße, C nicht bei mindestens einer Stunde. Von seiner Wohnung in der ... straße, C benötigt der Kläger - wie in der Einkommensteuererklärung angegeben mit dem eigenen oder zur Nutzung überlassenen Pkw - laut www.google.de/maps zwar 15 Minuten für eine einfache Fahrt von 7 km. Im innerstädtischen Bereich muss aber auch hier ein staubedingter Zuschlag von 20 bis 30 Minuten vorgenommen werden. Dies berücksichtigend verbleibt ein täglicher Zeitvorteil von etwa 40 bis 50 Minuten.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
4. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen. Die Frage, inwieweit Wohnungen als noch zum Beschäftigungsort gehörend anzusehen sind, ist derzeit ungeklärt. Zu dieser Frage ist überdies ein Revisionsverfahren anhängig (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Dezember 2015, 7 K 7366/13, Revision eingelegt, Az. des BFH: VI R 2/16).
Urt. v. 16.06.2016
Az.: 1 K 3229/14
In dem Finanzrechtsstreit
1. Kl
... straße, A
2. Klin
... straße, A
- Kläger -
prozessbevollmächtigt:
gegen
Finanzamt
- Beklagter -
wegen Einkommensteuer 2013
hat der 1. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 durch
Vorsitzenden Richter am Finanzgericht
Richter am Finanzgericht
Ehrenamtliche Richter
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung im Streitjahr (2013) vorliegen.
Die Kläger sind zusammenveranlagte Eheleute. Der Kläger ist nichtselbständig in B tätig. Er hat zwei leibliche Kinder: K 1, geboren am xx.xx. 1989, und K 2, geboren am xx.xx. 1991. K 1 studierte im Streitjahr an der Fachhochschule X und wohnte in X. Als ihre Nebenwohnung hatte sie die Wohnung der leiblichen Mutter, M, im ... weg, Z angemeldet. K 2 studierte vom 1. Oktober 2012 bis August 2013 an der Universität Y. Seit September 2013 wird sie zur Kauffrau in Y ausgebildet und wohnte im Streitjahr bei der leiblichen Mutter, M, im ... weg, Z.
Die Klägerin hat ebenfalls zwei leibliche Kinder: S 1, geboren am xx.xx. 1992, und S 2, geboren am xx.xx. 1995. S 1 studiert seit 1. Januar 2013 an der Universität B. S 2 besuchte eine Schule in L. Beide leiblichen Kinder wohnten im Streitjahr bei der Klägerin.
Die Kläger sind seit dem 15. Oktober 2010 verheiratet und wohnten seit 1. Februar 2010 bis zur Abmeldung der Wohnung am 18. April 2013 in der ... Allee in A in einem Haus mit 160 m2 für eine Nettomiete von x.xxx Euro (Gerichtsakte, Bl. 123 ff.). Der Kläger schloss am 27. Dezember 2012 einen Mietvertrag über eine Zwei-Zimmerwohnung mit 53 m3 in der ... straße, C für eine Nettomiete von xxx Euro ab. Das Mietverhältnis begann am 1. März 2013 (ESt-Akte, Lasche 2014, Bl. 15 ff.). Am 11. Februar 2013 mietete die Klägerin eine Drei-Zimmerwohnung mit 82 m2 ... straße" A für eine Nettomiete i.H. von monatlich xxx Euro von einer V. Das Mietverhältnis begann am 15. April 2013 auf unbestimmte Zeit zu laufen (ESt-Akte, Lasche 2014, Bl. 12 ff.).
Am 8. Oktober 2013 stellte der Kläger einen Antrag auf Lohnsteuer-Ermäßigung für 2014. Hierin beantragte er aufgrund einer doppelten Haushaltsführung eine Erhöhung seines bisherigen Jahresfreibetrags von x.xxx Euro auf x.xxx Euro (ESt-Akte, Lasche 2014, Bl. 1 ff.). Dem Antrag wurde stattgegeben (ESt-Akte, Lasche 2014, Bl. 9). Am 2. Dezember 2013 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass er beabsichtige, eine Eigentumswohnung im ... weg in D zu kaufen und diese ab 1. April 2014 zu nutzen. Diese Wohnung - so der Kläger - befände sich im Einzugsbereich seiner regelmäßigen Arbeitsstätte, so dass nach wie vor ein schnelles und unmittelbares tägliches Aufsuchen der Arbeitsstätte möglich sei (ESt-Akte, Lasche 2014, Bl. 22). Eine Änderung des Jahresfreibetrags durch den Beklagten erfolgte daraufhin nicht. Der Kläger wurde jedoch im Schreiben vom 11. Dezember 2013 darauf hingewiesen, dass die endgültige Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung bei der Bearbeitung der Einkommensteuererklärung getroffen werde (ESt-Akte, Lasche 2014, Bl. 24). Mit notariellem Vertrag vom 12. Dezember 2013 erwarb der Kläger die Eigentumswohnung im ... weg in D für einen Kaufpreis von xxx.xxx Euro und nutzt diese seit 1. April 2014.
In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr vom 24. Februar 2014 setzte der Kläger - wie schon in den Einkommensteuererklärungen für die Veranlagungszeiträume 2010 bis 2012 - die einfache Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit 47 km an. Außerdem machte er Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung i.H. von insgesamt xx.xxx Euro geltend, wobei x.xxx Euro auf die Kosten der Unterkunft am Beschäftigungsort und x.xxx Euro auf weitere notwendige Aufwendungen entfallen sollen (ESt-Akte, Lasche 2013, Bl. 23 f. und Rb-Akte a.E. mit Rechnungen).
Im Schreiben vom 10. April 2014 teilte der Beklagte den Klägern mit, dass er die in der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr geltend gemachten Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung nicht anerkennen werde, da eine ausschließliche oder weit überwiegende berufliche Veranlassung aufgrund der Gesamtumstände nicht gegeben sei. Zudem liege die zeitliche Ersparnis für das tägliche Aufsuchen der regelmäßigen Arbeitsstätte unter einer Stunde, so dass - genauso wie bei Umzugskosten - ein Abzug der Aufwendungen als Werbungskosten nicht in Betracht komme (Rb-Akte, Bl. 1 f).
Hierauf - mit Schreiben vom 15. April 2014 - brachte der Kläger vor, dass die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung aus seiner Sicht vorlägen. Insbesondere habe sich seine arbeitstägliche Gesamtfahrzeit durch die Zweitwohnung ... straße, C von 142 Minuten um 82 Minuten auf 60 Minuten verkürzt. Aber auch seine neue Wohnung in D im ... weg, führe noch zu einer Gesamtfahrzeitersparnis von ca. 70 Minuten, da er "öffentliche Verkehrsmittel genutzt habe und auch künftig nutzen werde" (Rb-Akte, Bl. 3). Demgegenüber gab der Kläger in den Einkommensteuererklärungen 2010 bis 2013 an, arbeitstäglich mit dem eigenen oder zur Nutzung überlassenen Pkw gefahren zu sein.
Im Einkommensteuerbescheid 2013 vom 24. April 2014 erkannte der Beklagte die doppelte Haushaltsführung nicht an.
Hiergegen legten die Kläger am 28. April 2014 Einspruch ein. Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 9. September 2014 als unbegründet zurückgewiesen. Der Beklagte führte hierzu aus, dass der Kläger seinen Arbeitsplatz in B von A aus in zumutbarer Weise aufsuchen könne. Denn eine Entfernung von 35 km bei einer durchschnittlichen Fahrzeit von 45 Minuten (einfach) sei mit dem Pkw unter "großstädtischen Bedingungen" als täglicher Weg zur Arbeit üblich und zumutbar.
Die Kläger erhoben am 6. Oktober 2014 Klage und tragen erneut vor, dass die Zweitwohnung durch den Kläger aus beruflichen Gründen erforderlich gewesen sei. Insbesondere betrage die einfache Entfernung zwischen dem Arbeitsplatz des Klägers in B und A 38 km. Die "realistisch" aufzubringende Zeit für eine einfache Fahrt sei mit mindestens 70 Minuten, "eher" 80 Minuten zu veranschlagen. Auf die Berechnung mit dem Verkehrsmittel Pkw komme es nicht an, da er - der Kläger - nach Bezug der Zweitwohnung nicht mehr mit dem Pkw, sondern mit öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren sei. Daher müsse geprüft werden, welche Fahrzeit er vorher mit öffentlichen Verkehrsmitteln benötigt hätte. Die tägliche "Gesamtwegezeit" von A nach B mit öffentlichen Verkehrsmitteln gaben die Kläger zunächst - mit der Klageschrift vom 6. Oktober 2014 - mit 150 Minuten an (Gerichtsakte, Bl. 5) und später - mit Schriftsatz vom 21. November 2014 mit Hinweis auf einen Schreibfehler mit 75 Minuten an (Gerichtsakte, Bl. 23).
Am 17. November 2015 hat der Berichterstatter den Sach- und Streitstand mit den Beteiligten erörtert. Hierzu wurde die Vermieterin der Klägerin, Frau V, als Zeugin geladen. Daraufhin teilte die Tochter, Frau T V, mit, dass die Zeugin im Mai 2014 verstorben sei (Gerichtsakte, Bl. 121). Im Übrigen wird auf die Niederschrift vom 17. November 2015 verwiesen. Am 16. Juni 2016 fand eine mündliche Verhandlung statt, in der die Zeugen Z 1, K 1, Z 2 und T V vernommen wurden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, die Behördenakten (Einkommensteuer- und Rechtsbehelfsakte) sowie auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) können als Werbungskosten auch notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung entstehen, abgezogen werden. Voraussetzung ist nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG, dass ein Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Beschäftigungsort ist der Ort der regelmäßigen, dauerhaften Arbeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG.
a) Mit dem "Hausstand" ist der Ort umschrieben, an dem sich der Arbeitnehmer - abgesehen von den Zeiten der Arbeitstätigkeit und ggf. Urlaubsfahrten - regelmäßig aufhält, den er fortwährend nutzt und von dem aus er sein Privatleben führt, also seinen Lebensmittelpunkt hat. Das Vorhalten einer Wohnung außerhalb des Beschäftigungsortes für gelegentliche Besuche oder für Ferienaufenthalte ist dagegen nicht als Unterhalten eines Hausstandes zu werten. Die Entscheidung über die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung ist anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles zu treffen (Beschluss des Bundesfinanzhof -- BFH-- vom 2. Dezember 2009 VI B 124/08, BFH/NV 2010, 638). Bei dieser Beurteilung ist die Lebensführung des Steuerpflichtigen am Beschäftigungsort einkommensteuerrechtlich grundsätzlich unerheblich. Erst wenn sich der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen vom eigenen Hausstand an den Beschäftigungsort verlagert und die Wohnung dort zum Ort der eigentlichen Haushaltsführung wird, entfällt deren berufliche Veranlassung als Wohnung am Beschäftigungsort (BFH-Urteil vom 28. März 2012 VI R 25/11, BFHE 237, 429, BStBl II 2012, 831 [BFH 28.03.2012 - VI R 25/11]).
b) Der Senat zweifelt nicht daran, dass der Kläger seinen Lebensmittelpunkt auch nach der Anmietung der Wohnung in C, ... straße weiterhin in A, zunächst in der ... Allee, später ... straße, hatte.
Die Zeugen haben übereinstimmend ausgesagt, dass der Kläger gemeinsam mit der Klägerin in die Wohnung ... straße" A einzog und dort an den Wochenenden lebte. So sagte der Zeuge Z 2 aus, dass er den Kläger regelmäßig am Morgen beim Bäcker getroffen habe. Er sei "ständig" - wenn er nicht in B gearbeitet hätte - in der Wohnung der Klägerin gewesen. Die Familie habe am Wochenende Ausflüge unternommen. Zudem sei aus seiner Sicht die Drei-Zimmerwohnung für die Kläger und die beiden Kinder der Klägerin etwas zu eng gewesen. Deshalb sei es auch manchmal laut gewesen. Die Abstellmöglichkeiten für die Fahrräder hätten kaum ausgereicht.
Dies deckt sich im Wesentlichen mit der Aussage der Zeugin T V. Diese sagte zwar aus, dass sie zunächst davon ausgegangen sei, dass die Klägerin für sich und die beiden Kinder eine Wohnung gesucht habe. Andererseits sei der Kläger aber beim Besichtigungstermin dabei gewesen. Zudem sei die erste Nebenkostenabrechnung wesentlich höher ausgefallen als erwartet, so dass sie die Abschlagszahlungen hätten anpassen müssen. Bei Telefonaten mit der Klägerin, die sie, die Zeugin, zur Unterstützung ihrer eigentlich vermietenden Mutter geführt habe, habe sie, die Zeugin, die Stimme des Klägers immer im Hintergrund vernommen. Dass sich die Kläger im Streitjahr angeblich getrennt und später wieder versöhnt hätten, sei nur eine Vermutung, die sich auf eine entsprechende Andeutung ihrer besten Freundin, einer F, stütze. Dazu, ob diese Vermutung zutreffend sei, konnte sie allerdings nichts sagen.
Auch die Tochter des Klägers, die Zeugin K 1, sagte aus, dass der Kläger dauerhaft in der Wohnung ... straße" A gelebt habe. Er habe gemeinsam mit Klägerin auf einer ausziehbaren Couch im Wohnzimmer übernachtet. Die beiden weiteren Zimmer seien von den Kindern der Klägerin bewohnt worden. Der Kläger habe sich aufgrund von gesundheitlichen Problemen - bedingt durch das Berufspendeln - eine Wohnung an seinem Arbeitsplatz in B gesucht. Entsprechendes bestätigt auch die Zeugin Z 1.
Demzufolge ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass die Kläger ihren gemeinsamen Hausstand im Streitjahr in A hatten. Diesem Umstand entnimmt der Senat zugleich, dass sich der Kläger die Wohnung ... straße, C aus beruflichen Gründen gesucht hat.
2. Dennoch war der Klage der Erfolg zu versagen, denn als weitere Voraussetzung einer doppelten Haushaltsführung müssen der Ort des eigenen Hausstandes und des Beschäftigungsortes i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG auseinanderfallen.
a) Dabei ist unter Beschäftigungsort nicht die jeweilige politische Gemeinde zu verstehen, sondern der Bereich, der zu der konkreten Anschrift der Arbeitsstätte noch als Einzugsgebiet anzusehen ist (Finanzgericht --FG-- Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Dezember 2015 7 K 7366/13, Revision eingelegt, Az. des BFH: VI R 2/16; FG Hamburg, Urteile vom 26. Februar 1 K 234/12, rkr., EFG 2014, 1185 und vom 17. Dezember 2014 2 K 113/14, rkr., EFG 2015, 808; FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. Juli 1985 VIII 221/84, rkr., EFG 1986, 286).
Ein Arbeitnehmer wohnt deshalb bereits dann am Beschäftigungsort, wenn er von seiner Wohnung aus ungeachtet von Gemeinde- und Landesgrenzen seine Arbeitsstätte in zumutbarer Weise täglich aufsuchen kann (Loschelder in Schmidt, EStG, 35. Aufl., 2016, § 9 Rn. 212 m.w.N.). Denn dann ist der Arbeitnehmer nicht i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG "außerhalb des Ortes", in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, sondern bereits am Ort des eigenen Hausstandes beschäftigt. Dies schließt eine doppelte Haushaltsführung aus.
Ausschlaggebend ist insoweit nicht allein die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Es ist vielmehr auf alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls abzustellen und neben der Entfernung auch auf die Verkehrsanbindung mit privaten und öffentlichen Verkehrsmitteln, die Erreichbarkeit dieser Verkehrsmittel bei Arbeitsbeginn und -ende sowie eventuelle besondere Umstände beim Arbeitsablauf abzustellen. Eine Wohnung am Beschäftigungsort kann danach regelmäßig angenommen werden, wenn sie in einem Bereich liegt, von dem aus der Arbeitnehmer üblicherweise täglich zu diesem Ort fahren kann. Dabei liegen Fahrzeiten von etwa einer Stunde für die einfache Strecke noch in einem zeitlichen Rahmen, in dem es einem Arbeitnehmer zugemutet werden kann, von seinem Hausstand die Arbeitsstätte aufzusuchen. Zur Ermittlung der Fahrzeiten kann der Senat auf die Daten von Routenplanern zurückgreifen (FG Hamburg, Urteil vom 9. Oktober 2008 5 K 33/08, rkr., EFG 2009, 244 [FG Hamburg 09.10.2008 - 5 K 33/08]).
Für das Streitjahr hat der Kläger in seiner Einkommensteuererklärung erklärt, an 42 Tagen mit dem eigenen oder zur Nutzung überlassenen Pkw 47 km und an 178 Tagen 10 km zur regelmäßigen Arbeitsstätte zurückgelegt zu haben. Bei der Bestimmung des täglich zumutbaren Weges zur Arbeit muss deshalb im konkreten Sachverhalt von der Erreichbarkeit mit dem Pkw ausgegangen werden. Nach dem Routenplaner www.google.de/maps lässt sich der einfache Arbeitsweg von A, ... straße, nach B, von 36 km in 34 Minuten bewältigen. Aufgrund von Staulagen zu den Hauptverkehrszeiten ist zur Bestimmung der tatsächlichen arbeitstäglichen Fahrzeit ein Zuschlag von täglich rund 20 bis 30 Minuten je einfache Fahrt zu machen. Unter Berücksichtigung dieses Zeitzuschlages ist mithin davon auszugehen, dass die Fahrzeit für eine einfache Strecke im Bereich von einer Stunde liegt. Selbst wenn man öffentliche Verkehrsmitteln einbezieht, ergibt sich ein vergleichbares Bild, denn der klägerische Arbeitsplatz ist von A, ... straße, nach der elektronischen Auskunft des Verkehrs- und Tarifverbund B durchschnittlich in 1:05 Stunden bis 1:11 Stunden erreichbar.
Unter den Bedingungen einer Großstadt, in der sich schon aufgrund des im Innenstadtbereich herrschenden Preisniveaus typischerweise die Wohnstätten der Beschäftigten in Randbereiche und auch über die politischen Grenzen einer Gemeinde hinaus verlagern, sind solche Fahrzeiten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von etwa einer Stunde üblich und ohne weiteres zumutbar. Dies gilt insbesondere dann, wenn es - so wie hier - ein ausgebautes Straßennetz sowie gut erreichbare öffentliche Nahverkehrsverbindungen gibt (so auch FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Dezember 2015 7 K 7366/13, nrkr.; FG Hamburg, Urteil vom 17. Dezember 2014 2 K 113/14, rkr., EFG 2015, 808, a.A. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. Juli 1985 VIII 221/84, rkr., EFG 1986, 286, das auf den "Radius" eines üblichen Haushalts für Besorgungen und Aktivitäten wie Spaziergänge abstellt).
b) Bei der Beurteilung der Gesamtumstände kommt es nach Auffassung des Senats nicht darauf an, ob eine tägliche Fahrzeitverkürzung von mindestens einer Stunde eintritt. Denn diese Voraussetzung besteht nur bei der Frage der steuerlichen Berücksichtigung von Umzugskosten (vgl. BFH-Urteil vom 23. März 2001 VI R 189/97, BFHE 196, 478, BStBl II 2002, 56 [BFH 23.03.2001 - VI R 189/97]; zuletzt BFH-Urteil vom 7. Mai 2015 VI R 73/13, HFR 2015, 1025).
Überdies liegt die tägliche Zeitersparnis beim Aufsuchen des Arbeitsortes durch die Nutzung der Wohnung in der ... straße, C nicht bei mindestens einer Stunde. Von seiner Wohnung in der ... straße, C benötigt der Kläger - wie in der Einkommensteuererklärung angegeben mit dem eigenen oder zur Nutzung überlassenen Pkw - laut www.google.de/maps zwar 15 Minuten für eine einfache Fahrt von 7 km. Im innerstädtischen Bereich muss aber auch hier ein staubedingter Zuschlag von 20 bis 30 Minuten vorgenommen werden. Dies berücksichtigend verbleibt ein täglicher Zeitvorteil von etwa 40 bis 50 Minuten.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
4. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen. Die Frage, inwieweit Wohnungen als noch zum Beschäftigungsort gehörend anzusehen sind, ist derzeit ungeklärt. Zu dieser Frage ist überdies ein Revisionsverfahren anhängig (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Dezember 2015, 7 K 7366/13, Revision eingelegt, Az. des BFH: VI R 2/16).
RechtsgebietEStGVorschriften§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG