02.07.2020 · IWW-Abrufnummer 216565
Bundesfinanzhof: Beschluss vom 28.04.2020 – IX R 11/19
Das BMF wird aufgefordert, dem Verfahren beizutreten, um zu der Frage Stellung zu nehmen, ob wiederkehrende Leistungen im Zusammenhang mit einer Übertragung von nicht nach § 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 2 Buchst. a bis c EStG n.F. begünstigtem Vermögen grundsätzlich als Entgelt (bzw. im Ausnahmefall als Unterhaltsleistung) anzusehen sind (so die Auffassung im BMF-Schreiben vom 11.03.2010, BStBl I 2010, 227 Tz 57 und 65) oder gleichwohl als nicht begünstigte (d.h. nicht zum Sonderausgabenabzug berechtigende), aber dem Grunde nach unentgeltliche "Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen" gelten können.
Tenor:
Das Bundesministerium der Finanzen wird aufgefordert, dem Verfahren IX R 11/19 beizutreten.
Gründe
I.
1
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden als Eheleute im Streitjahr (2013) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Streitig ist, in welchem Umfang von der Klägerin an ihren Vater (V) geleistete lebenslange monatliche Zahlungen als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen sind.
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Mit notariell beurkundetem Grundstücksübertragungsvertrag vom 05.10.2011 übertrug der im Jahr 1939 geborene V ein in seinem Eigentum stehendes vermietetes Mehrfamilienhaus auf seine Tochter, die Klägerin. Nach § 4 des Grundstücksübertragungsvertrages erfolgte die Übertragung "unentgeltlich im Wege der Schenkung"; zugunsten des V war jedoch eine lebenslange, wiederkehrende, nicht wertgesicherte Leistung von monatlich 2.000 € zu erbringen. Zur Absicherung des Leistungsanspruchs bewilligten und beantragten die Beteiligten die Eintragung einer Reallast zugunsten des V. In § 1 des Grundstücksübertragungsvertrages verpflichtete sich die Klägerin, V von der Mithaft für alle im Grundbuch eingetragenen dinglichen Belastungen freizustellen; ferner verpflichtete sie sich, über den übertragenen Grundbesitz nur mit Zustimmung des Übertragenden zu verfügen, insbesondere diesen zu verkaufen oder zu belasten.
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Nachdem eine Grundpfandgläubigerin die in § 1 des Grundstücksübertragungsvertrages vorgesehene Schuldübernahme nicht genehmigt hatte, löste V die noch offenen Darlehensvaluten ab. Vor diesem Hintergrund verpflichtete sich die Klägerin in einem unter dem 22.12.2011 geschlossenen geänderten Grundstücksübertragungsvertrag, dem V den für die Ablösung der Darlehensvaluten aufgewendeten Betrag in Höhe von 50.544,28 € zu ersetzen und ihm eine lebenslange, wiederkehrende, nicht wertgesicherte Leistung von monatlich 2.500 € zu bezahlen.
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In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr berücksichtigte die Klägerin die vertraglich vereinbarten wiederkehrenden Leistungen an V in Höhe von (2.500 € × 12 Monate =) 30.000 € als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus Vermietung und Verpachtung aus dem vermieteten Mehrfamilienhaus. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) bewertete die Zahlungen der Klägerin als Leibrente i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 29.07.2015 lediglich den sich aus § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG ergebenden Ertragsanteil in Höhe von 3.900 € jährlich (13 % von 30.000 €) als Werbungskosten. Der hiergegen gerichtete Einspruch der Kläger hatte keinen Erfolg.
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Mit ihrer Klage machten die Kläger geltend, die Abzugsbeschränkung gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Satz 2 EStG sei verfassungswidrig; sie verstoße gegen das objektive Nettoprinzip. Bei der Klägerin komme es aufgrund der Rentenzahlungen zu einem Liquiditätsabfluss in Höhe von 30.000 € pro Jahr. Bei wirtschaftlicher Betrachtung minderten diese Zahlungen das sog. Markteinkommen der Klägerin. Die Beschränkung der Abzugsfähigkeit für Leibrenten auf den Ertragsanteil der Rente berücksichtige dies nicht und durchbreche die Systematik des Zu- und Abflussprinzips gemäß § 11 EStG .
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Es vertrat die Auffassung, die Leibrentenzahlungen der Klägerin stünden nicht i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Satz 1 EStG in wirtschaftlichem Zusammenhang mit den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung der Klägerin und seien daher nicht als Werbungskosten abziehbar. Ein Übergabevertrag, mit dem ein Grundstück unter Vorwegnahme der Erbfolge auf einen Abkömmling gegen Gewährung einer Versorgungsleistung übertragen werde, sei steuerrechtlich nicht als entgeltliches Veräußerungsgeschäft zu betrachten; vielmehr handele es sich um eine unentgeltliche Übertragung unter Vorbehalt eines Teils der Erträge - vergleichbar einem Nießbrauchsvorbehalt. In derartigen Fällen stellten die wiederkehrenden Versorgungsleistungen weder ein Veräußerungsentgelt des Übergebers noch Anschaffungskosten des Übernehmers dar, sondern seien spezialgesetzlich den Sonderausgaben ( § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F.; wortgleich mit: § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG n.F.) und wiederkehrenden Bezügen ( § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG ) zugeordnet. An dieser grundsätzlichen Zuordnung ändere auch der Umstand nichts, dass Versorgungsleistungen im Zusammenhang mit der Übertragung eines Mietwohngrundstücks seit der Änderung des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F. durch das Jahressteuergesetz 2008 (JStG 2008) vom 20.12.2007 (BGBl I 2007, 3150) nicht (mehr) zum Sonderausgabenabzug zugelassen seien. Die Beschränkung des Sonderausgabenabzugs auf wiederkehrende Leistungen im Zusammenhang mit bestimmten Vermögensübertragungen sei auch nicht von Verfassungs wegen zu beanstanden. Zwar führe der von der Klägerin an V gezahlte Einmalbetrag in Höhe von 50.544,28 € grundsätzlich zu Anschaffungskosten, die im Wege der Absetzungen für Abnutzung (AfA) zu berücksichtigen seien; im Streitfall läge ein möglicher AfA-Betrag jedoch nicht über dem —nach Auffassung des FG zu Unrecht— im Zuge der Veranlagung vom FA gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Satz 2 EStG berücksichtigten Leibrentenbetrag.
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Hiergegen wenden sich die Kläger mit der Revision. Sie vertreten die Auffassung, dass die Übertragung von Vermögen gegen wiederkehrende Leistungen in Fällen, in denen die Voraussetzungen eines Sonderausgabenabzuges nach § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG n.F. nicht vorlägen, als (teil‒)entgeltliche Rechtsgeschäfte zu behandeln seien. Vor diesem Hintergrund könnten die Rentenzahlungen der Klägerin nicht dem privaten Bereich und der Einkommensverwendung zugeordnet werden, sondern seien, wie von der Klägerin erklärt, als Werbungskosten zu berücksichtigen. Die spezielle Abzugsbeschränkung in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Satz 2 EStG sei verfassungswidrig.
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Die Kläger beantragen,
das angefochtene Urteil des FG vom 25.10.2018 ‒ 1 K 165/17 (3) aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2013 vom 15.09.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.09.2017 mit der Maßgabe zu ändern, dass die von der Klägerin geleisteten Rentenzahlungen in Höhe von 30.000 € in voller Höhe als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigt werden.
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Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Es vertritt die Auffassung, dass die von der Klägerin geleisteten wiederkehrenden Leibrentenzahlungen nach Maßgabe der einschlägigen rechtlichen Bestimmungen nur in Höhe des Zinsanteils (Ertragsanteil) in Höhe von jährlich 3.900 € bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung steuermindernd in Abzug zu bringen seien; dies verstoße nicht gegen das objektive Nettoprinzip.
II.
10
Der Senat nimmt das Revisionsverfahren zum Anlass, sich grundlegend mit der Rechtsfrage zu befassen, ob wiederkehrende Leistungen im Zusammenhang mit einer Übertragung von nicht nach § 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 2 Buchst. a bis c EStG n.F. begünstigtem Vermögen grundsätzlich als Entgelt (bzw. im Ausnahmefall als Unterhaltsleistung) anzusehen sind (so die Auffassung im Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen —BMF— vom 11.03.2010, BStBl I 2010, 227 Tz 57 und 65) oder gleichwohl als nicht begünstigte (d.h. nicht zum Sonderausgabenabzug berechtigende), aber dem Grunde nach unentgeltliche "Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen" gelten können. Die Rechtsfrage ist —so auch im Streitfall— u.a. von Bedeutung, wenn die Entgeltlichkeit einer Vermögensübertragung, welche die Voraussetzungen eines Sonderausgabenabzugs nach § 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 2 EStG n.F. nicht erfüllt, Tatbestandsvoraussetzung für die Berücksichtigung steuerlichen Aufwands bildet. Vor diesem Hintergrund hält es der Senat für angezeigt, das BMF an diesem Revisionsverfahren zu beteiligen und zum Beitritt aufzufordern ( § 122 Abs. 2 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung ).
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Zur weiteren Förderung des Verfahrens weist der Senat auf Folgendes hin:
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Bei der Neufassung des § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 EStG durch das JStG 2008 (nunmehr § 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 1 EStG n.F.) hat der Gesetzgeber den Begriff der Versorgungsleistungen und die hierzu von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG in der vor dem 01.01.2008 geltenden a.F. entwickelten Rechtsgrundsätze übernommen (zu den Rechtsgrundsätzen s. Beschlüsse des Großen Senats des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 05.07.1990 ‒ GrS 4‒6/89, BFHE 161, 317 [BFH 05.07.1990 - GrS 4-6/89] , BStBl II 1990, 847, und vom 15.07.1991 ‒ GrS 1/90 , BFHE 165, 225, BStBl II 1992, 78; zur Übernahme der Begriffsdefinition s. Kulosa inHerrmann/Heuer/Raupach, § 10 EStG Rz 244; Schulze zur Wiesche, Betriebs-Berater 2007, 2379). In diesem Zusammenhang hat der Gesetzgeber des JStG 2008 erkennbar den Wunsch nach Beibehaltung der Unentgeltlichkeit der Vermögensübergabe in seinen gesetzgeberischen Reformwillen aufgenommen (s. BTDrucks 16/6290, 53). Motiviert durch Überlegungen zur Förderung von Vermögensübergängen im Zuge vorweggenommener Erbfolge und zum Erhalt vorhandener Arbeitsplätze (s. BTDrucks. 16/6290, 53) hat der Gesetzgeber ferner die überkommene, von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geprägte Struktur des Rechtsinstituts der unentgeltlichen Vermögensübergabe in die neue Gesetzesregelung des § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 EStG i.d.F. des JStG 2008 aufgenommen und lediglich die Grenzen des Anwendungsbereiches —d.h. die Reichweite des Sonderausgabenabzugs bei der Vereinbarung von Versorgungsleistungen— in Satz 2 der Regelung neu definiert (Hecht, Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen, 2012, 187).
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Die Bestimmungen des § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG n.F. sind ihrem Wortlaut getreu auszulegen; eine teleologische Extension des Gesetzeswortlauts kommt vor dem Hintergrund der Gesetzeshistorie grundsätzlich nicht in Betracht ( BFH-Urteil vom 20.03.2017 ‒ X R 35/16 , BFHE 258, 283, BStBl II 2017, 985, zu § 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 2 Buchst. c EStG ; s.a. BFH-Urteile vom 25.06.2014 ‒ X R 16/13 , BFHE 246, 172, BStBl II 2014, 889, Rz 18; vom 12.07.2017 ‒ VI R 59/15 , BFHE 258, 444, BStBl II 2018, 461, Rz 23, jeweils zum Abzug von Leistungen des Nutzungsberechtigten als Sonderausgaben beim Wirtschaftsüberlassungsvertrag). Denn der Gesetzgeber wollte das Rechtsinstitut der Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen mit den durch das JStG 2008 eingeführten Änderungen auf seinen Kernbereich zurückführen und Mitnahmeeffekte und missbräuchliche Gestaltungen verhindern (BTDrucks 16/6290, 53). In diesem Zusammenhang wird der Senat zu prüfen haben, ob der Auffassung im BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 227 Tz 57 und 65, wonach regelmäßig von einer (teil‒)entgeltlichen Vermögensübertragung gegen wiederkehrende Leistungen auszugehen sei, wenn kein begünstigtes Vermögen i.S. des § 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 2 EStG n.F. übertragen wird und mithin der Sonderausgabenabzug für die wiederkehrenden Leistungen nicht eröffnet ist, vor dem Hintergrund des Wortlauts der Norm gefolgt werden kann.