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  • 09.11.2021 · IWW-Abrufnummer 225738

    Finanzgericht Münster: Urteil vom 01.06.2021 – 15 K 2712/17 U

    Diese Entscheidung enhält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.



    Tenor:

    Der USt-Bescheid für 2012 vom 14.7.2017 in der Fassung der Einspruchsent-scheidung datierend auf den 31.8.2017 (richtig wohl 31.7.2017) wird dahinge-hend geändert, dass die (bislang der Regelbesteuerung unterworfenen) Umsätze mit Alten- und Pflegeheimen in Höhe von 27.297,50 € (brutto) als steuerfrei be-handelt werden und die Umsatzsteuer 2012 unter entsprechender anteiliger Kür-zung der Vorsteuern um 4.029,98 € niedriger auf 18.717,63 € festgesetzt wird.

    Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

    Die Revision wird zugelassen.

    Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
     
    1

    Tatbestand
    2

    Die Beteiligten streiten darüber, ob und inwieweit der Kläger als selbständige "Hygienefachkraft" an "Alten- bzw. Pflegeheime" im Jahr 2012 (Streitjahr) umsatzsteuerfreie Dienstleistungen erbracht hat.
    3

    Der Kläger ist Fachkrankenpfleger für Krankenhaushygiene und seit 1995 als Hygienefachkraft selbständig tätig. Er führt --neben weiteren Leistungen für andere Kunden-- u.a. für Krankenhäuser, Altenheime und Pflegezentren folgende Tätigkeiten aus:
    4

    -          Erarbeitung von Hygienekonzepten;
    5

    -          Erstellung von Hygieneplänen, Infektionsstatistiken und Mitwirkung bei der Einhaltung der Regeln der Krankenhaushygiene und Altenheimhygiene;
    6

    -          Mitwirkung bei der Erkennung von Krankheit mit Infektionen;
    7

    -          allgemeine und bereichsspezifische Beratung;
    8

    -          Schulung, Beratung, Fortbildung und fachliche Anleitung von Pflegekräften, Ärzten und sonstigem Personal;
    9

    -          mehrmalige Hausbegehungen im Jahr (Arbeitsablauf, Beobachtung, Mitarbeiterbefragung, Kontrolle der Mängelbeseitigung, Kontrolle von Geräten);
    10

    -          Telefonische Auskünfte, Dokumentation/Berichtswesen (Mängelliste);
    11

    -          Festlegung der Vorgehensweise bei einer Isolierung von Patienten.
    12

    In seiner USt-Erklärung für 2012 vom 30.12.2013 erklärte er steuerpflichtige Umsätze zu 19 % in Höhe von 100.337 € und unentgeltliche Wertabgaben in Höhe von 2.490 € sowie nach § 4 Nr. 14a bzw. 21a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) steuerfreie Umsätze in Höhe von 145.577 € und Vorsteuern in Höhe von 3.225,16 € (festzusetzende USt danach: 16.311,97 €). Zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung war bereits ein „Musterverfahren“ des Klägers zur Umsatzsteuerfreiheit seiner Tätigkeit als Hygienefachkraft für das Jahr 2008 nach stattgebendem Urteil des Senates vom 13.12.2011 (15 K 4458/08 U, Entscheidungen der Finanzgerichte ‒ EFG ‒ 2013, 980 im Revisionsverfahren beim Bundesfinanzhof ‒ BFH ‒ unter dem Az. XI R 11/13 anhängig).
    13

    Der Beklagte erteilte zunächst die Zustimmung zur Erklärung (Mitteilung vom 29.1.2014); mit Bescheid vom 17.4.2014, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stand, unterwarf er bislang als steuerfrei behandelte (Brutto-)Umsätze des Klägers in Höhe von 145.712,14 € in Höhe des Nettobetrages von 122.447,18 € der Regelbesteuerung und setzte die Umsatzsteuer auf 39.576,90 € fest.
    14

    Zur Begründung seines hiergegen eingelegten Einspruchs machte der Kläger die Umsatzfreiheit hinsichtlich der Tätigkeit „Hygieneberatung“ gem. § 4 Nr. 14 UStG geltend (Umsätze brutto: 143.008 €; netto: 120.175 €). Die weiteren steuerfrei erklärten Umsätze in Höhe von 2.704,30 € brutto resultierten aus seiner Dozenten- und Lehrtätigkeit und seien gem. § 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. bb i.V.m. Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG steuerfrei. Auf die dem Einspruchsschreiben beigefügte Berechnung wird Bezug genommen.
    15

    Der Beklagte erließ daraufhin (nach Vorlage entsprechender Bescheinigungen) am 25.7.2014 einen Änderungsbescheid, in dem er die Umsätze aus Lehrtätigkeit als steuerfrei behandelte und entsprechend die Umsatzsteuer für 2012 auf 39.145,22 € herabsetzte.
    16

    Nachdem das „Musterverfahren“ (betreffend Umsatzsteuer 2008) nach Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils durch den BFH (Urteil vom 5.11.2014 XI R 11/13, BFHE 248, 389, HFR 2015, 156) und Rückverweisung an den Senat sich Ende 2016 einvernehmlich erledigt hatte, reichte der Kläger im Einspruchsverfahren Auskunftsschreiben der Alten- und Pflegeeinrichtungen ein, die darin dem Kläger durch Ankreuzen in dem entsprechenden Feld bestätigten, dass für die jeweilige Einrichtung ein Vertrag nach § 75 SGB XI besteht bzw. sie einem Verband angehören, der einen entsprechenden Vertrag geschlossen hat. Zugleich bestätigten sie durch entsprechendes Ankreuzen, soweit diese Daten von ihnen erhoben wurden, dass die Betreuungs- und Pflegekosten in der jeweiligen Einrichtung mindestens zu 40 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder der Sozialhilfe oder der für die Durchführung der Kriegsopfervorsorge zuständigen Versorgungsverwaltung einschließlich der Träger der Kriegs-opferfürsorge ganz oder überwiegend vergütet werden. Auf diese Auskunftsschreiben wird Bezug genommen.
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    Am 22.2.2017 reichte der Kläger eine berichtigte USt-Erklärung für 2012 (USt danach: 18.840,06 €) ein nebst gesonderter Berechnung sowie eine Liste der Hygieneberatungsumsätze aufgeteilt auf einzelne Krankenhäuser und Pflege-/Altenheime, auf die Bezug genommen wird. Danach entfielen steuerfreie Umsätze in Höhe von 112.245,54 € auf Leistungen für Krankenhäuser, in Höhe von 27.297,50 € auf Leistungen für Alten- und Pflegeeinrichtungen und in Höhe von 2.569,30 € auf die Dozenten-/Lehrtätigkeit, insgesamt 142.112,34 €. Demgegenüber behandelte der Kläger einzelne Hygiene-Umsätze in Höhe von 3.480 € (u.a. Pflegedienst …, Wohnheim …, …, … Altenheim) als steuerpflichtig zum Regelsteuersatz. Vorsteuern erklärte er nunmehr im Verhältnis der steuerpflichtigen Umsätze an den Gesamtumsätzen als abziehbar.
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    Nachdem der Beklagte im Schreiben vom 6.3.2017 zunächst auf eine Steuerschuld nach § 14c UStG im Zusammenhang mit der Ausstellung von Rechnungen mit offenen Umsatzsteuerausweis hingewiesen hatte, trug der Kläger anlässlich eines Gesprächs an Amtsstelle am 27.3.2017 vor, dass er für das Streitjahr Rechnungen ohne USt-Ausweis ausgestellt habe. Im Nachgang zum Gespräch reichte er mit Schreiben vom 22.4.2017 alle Rechnungen, die er an die Krankenhäuser in 2012 ausgestellt hatte, ein. Eine Rechnungsberichtigung sei insoweit nicht erforderlich.
    19

    Nachdem der Beklagte mitgeteilt hatte, dass nur die Krankenhausumsätze nach seiner Auffassung steuerfrei seien, nicht jedoch die Umsätze betreffend Alten-/Pflegeheime, reichte der Kläger auf dieser Basis eine neue Berechnung ein (Schriftsatz vom 13.6.2017 nebst Anlage). Entsprechend dieser Berechnung erließ der Beklagte am 14.7.2017 einen Teilabhilfebescheid, in dem er die Umsatzsteuer auf 22.747,65 € herabsetzte. Mit Einspruchsentscheidung vom 31.8.2017 (richtig wohl: 31.7.2017, da ausweislich des Eingangsstempels am 2.8.2017 beim Prozessbevollmächtigten eingegangen) wies er den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück.
    20

    Hiergegen haben der Kläger und seine Ehefrau am 31.8.2017 Klage erhoben. Die (versehentlich) von der Ehefrau erhobene Klage ist später zurückgenommen worden.
    21

    Zur Begründung trägt der Kläger vor, dass eine Differenzierung zwischen Leistungen an Krankenhäuser und Altenheime unzulässig sei und gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG) verstoße. Nach § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG seien Krankenhausbehandlungen sowie die damit eng verbundenen Leistungen steuerfrei. Hierzu zähle der Gesetzgeber nunmehr seit 1.7.2013 auch die in § 4 Nr. 14 Buchst. e geregelten infektionshygienischen Leistungen.
    22

    Dies müsse dementsprechend auch im Bereich des § 4 Nr. 16 UStG und den Leistungen an (nur) pflegebedürftige Personen gelten. Ausgangslage zur rechtlichen Beurteilung seien Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und g MwStSystRL. Seine strittigen Leistungen stellten Dienstleistungen im Bereich der Sozialfürsorge dar und seien eng damit verbunden.
    23

    Aufgrund permanenter Überlastung der Krankenhäuser und aus Kostengründen würden stationäre Krankenhausaufenthalte nach Möglichkeit vermieden oder massiv gekürzt. Pflegeheime übernähmen an dieser Stelle pflegerische Aufgaben, die früher regelmäßig im Bereich der Krankenhauspflege ausgeführt worden seien.
    24

    Der Gesetzgeber schreibe im Infektionsschutzgesetz (IfSG) die streitgegenständlichen Leistungen auch bei Altenheimen vor. Alle Alten- und Pflegeheime seien aufgrund des Rahmenvertrages nach § 75 Abs. 1 SGB XI verpflichtet, Behandlungspflege zur Verfügung zu stellen. Dazu gehörten auch medizinische Maßnahmen.
    25

    Da auch Alten- und Pflegeheime nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 IfSG Hygienepläne für die innerbetriebliche Verfahrensweise zur Infektion festlegen müssten und damit der infektionshygienischen Überwachung unterlägen, müsste auch hier die Befreiung erfolgen. Gleiches ergebe sich aus § 11 Abs. 1 Nr. 9 Heimgesetz (HeimG), wonach der Betrieb eines Heimes nur erlaubt sei, wenn der Träger und die Leitung einen ausreichenden Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner vor Infektionen gewährleisteten und sicherstellten, dass von den Beschäftigten die für ihren Aufgabenbereich einschlägigen Anforderungen der Hygiene eingehalten würden.
    26

    Auch aus § 4 Abs. 4 Wohn- und Teilhabegesetz NRW (WTG) ergebe sich, dass die Wohn- und Pflegeheime gesetzlich verpflichtet sind, einen ausreichenden Schutz vor Infektionen zu gewährleisten und sicherzustellen, dass die Beschäftigten die Hygieneanforderungen nach dem anerkannten Stand der fachlichen Erkenntnisse einhalten.
    27

    Darüber hinaus habe die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert-Koch-Institut entsprechende Infektionspräventionen auch für Heime empfohlen (Ziffer 4.2 und 4.5).
    28

    Zudem sei nach § 75 Abs. 1 SGB Xl jedes Alten- und Pflegeheim verpflichtet, Behandlungspflege zur Verfügung zu stellen und vorzubereiten. Alten- und Pflegeheime, die eine Behandlungspflege vorhalten müssten, um überhaupt eine Betriebsgenehmigung zu erhalten, müssten also sämtliche hygienischen Anforderungen erfüllen. Bereits aus diesem Grunde seien letztendlich diese Einrichtungen insgesamt auch Krankenhäusern gleichzustellen. Eine unterschiedliche umsatzsteuerliche Behandlung würde einen Verstoß gegen Art. 3 GG darstellen.
    29

    Im Übrigen beruft sich der Kläger unmittelbar auf die Anwendung der Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL. Es handele sich um einen „eng verbundenen Umsatz“, denn als solcher sei auch eine Leistung anzusehen, die für die Pflege und Versorgung der von den dort genannten Einrichtungen aufgenommenen Personen unerlässlich sei. Insofern sei ergänzend darauf hinzuweisen, dass keine unmittelbare Leistungsbeziehung zwischen dem die steuerfreie Leistung ausführenden Unternehmen und dem Träger der sozialen Sicherheit erforderlich sei.
    30

    Weiter müsse es eine Einrichtung mit sozialem Charakter sein. Auch dies sei bei dem Führen von Altenheimen gegeben. Dies ergebe sich nunmehr auch unmittelbar aus § 4 Nr. 16 UStG.
    31

    Er, der Kläger, erfülle auch die vom BFH in seinem Urteil vom 5.11.2014 XI R 11/13 (BFHE 248, 389, HFR 2015, 156) aufgestellten Anforderungen und verweist in diesem Zusammenhang auf die vorgelegten Auskunftsschreiben der Einrichtungen.
    32

    Unabhängig davon sei nach aktueller Rechtslage eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG gegeben. Seine Leistungen könnten als „Teil des Gesamtverfahrens zur Durchführung von Heilbehandlungen" eingestuft werden. Auch diesbezüglich sei erneut darauf hinzuweisen, dass sämtliche Altenheime verpflichtet seien, eine Behandlungspflege anzubieten. Es komme daher nicht darauf an, in welchem Umfang diese tatsächlich ausgeübt werde. Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang die Auffassung vertrete, er, der Kläger, müsse im Einzelnen darlegen, in welchem konkreten Umfang eine Heilbehandlung in den Altenheimen ausgeführt werde, sei er insofern nicht beweisbelastet. Ihm sei es nicht möglich und auch nicht zumutbar, diese konkreten Daten vorzulegen. Jedenfalls könnten keine Daten vorgelegt werden, die über die pauschalen Anfragen und beigefügten Unterlagen hinausgingen.
    33

    Er könne sich zudem als Hygienefachkraft auf § 4 Nr. 14 Buchst. e UStG berufen.
    34

    Auch habe er im Rahmen im Rahmen seiner Möglichkeiten bereits den Nachweis nach § 4 Nr. 16 Buchst. k UStG erbracht. Weitere Darlegungen seien ihm nicht zumutbar. Ausweislich der Daten des Statistischen Bundesamtes würden im Wesentlichen die Kosten der Heimbewohner durch die Pflegeversicherung und die Sozialhilfeträger getragen. Dabei decke schon die Pflegeversicherung ca. 50% der Kosten in allen Fällen, hinzu komme eine Vielzahl von Leistungen der Hilfe zur Pflege. Soweit der Beklagte meine, hier müsste der Kläger „buchmäßig" alle Leistungen der Bewohner der Altenheime offenlegen, für die er Leistungen erbringe, so habe dies Züge, die einem Rechtsstaat nicht mehr gerecht würden.
    35

    Des Weiteren vertrete der Beklagte die Auffassung, dass Personen, die sich in einem Alten- und Pflegeheim befänden, nicht hilfsbedürftig seien. Auch hier sei es ihm, dem Kläger, aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich, einen weiteren Sachvortrag zu erbringen.
    36

    Soweit der Beklagte ergänzend darauf abstelle, dass unmittelbar der Leistungserbringende eine Einrichtung im Sinne von § 75 SGB XII sein müsse, gehe auch dies fehl. Er, der Kläger, sei als „Zulieferer" ein Teil der Gesamtleistung.
    37

    Der Kläger beantragt,
    38

    den Umsatzsteuerbescheid für 2012 vom 14.7.2017 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 31.8.2017 (richtig wohl 31.7.2017) dahingehend zu ändern, dass die (bislang der Regelbesteuerung unterworfenen) Umsätze mit Alten- und Pflegeheimen in Höhe von 27.297,50 € als steuerfrei behandelt werden.
    39

    Der Beklagte beantragt,
    40

                  die Klage abzuweisen.
    41

    Zur Begründung nimmt er Bezug auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, dass die Hygieneleistungen gegenüber Altenheimen keine eng verbundenen Umsätze nach § 4 Nr. 16 UStG darstellten und dass für die Steuerfreiheit infektionshygienischer Leistungen ein unmittelbarer Bezug zu einer Heilbehandlung erforderlich sei.
    42

    Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
    43

    Entscheidungsgründe
    44

    Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -FGO-).
    45

    I. Die Klage ist zulässig und begründet. Der Umsatzsteuerbescheid 2012 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 14.7.2017 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 31.8.2017 (richtig wohl 31.7.2017) ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO), soweit der Beklagte die strittigen Leistungen des Klägers an Alten- und Pflegeheimen zu Unrecht nicht als umsatzsteuerfrei behandelt hat.
    46

    Nachdem der Beklagte bereits die an die Krankenhäuser erbrachten Leistungen des Klägers zu Recht entsprechend den Ausführungen im BFH-Urteil vom 5.11.2014 XI R 11/13, BFHE 248, 389, HFR 2015,156 im Einspruchsverfahren im Teilabhilfebescheid vom 14.7.2017 als steuerfrei mit entsprechender Kürzung der Vorsteuern behandelt hat, ist vorliegend allein noch die Steuerfreiheit der Umsätze an Alten- bzw. Pflegeheime/-zentren strittig.
    47

    Die Hygiene-Dienstleistungen des Klägers an Alten- und Pflegeheime sind gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG steuerbar und nach nationalem Recht weder nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung des UStG (nachfolgend unter 1.), noch nach § 4 Nr. 14 Buchst. e UStG (unter 2.) oder § 4 Nr. 16 Buchstaben d), e) oder h) UStG (unter 3.) von der Umsatzsteuer befreit. Der Kläger kann sich jedoch unmittelbar auf die unionsrechtliche Befreiungsregelung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL berufen (unter 4.).
    48

    1. Die strittigen Umsätze des Klägers sind nicht nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG steuerbefreit.
    49

    Nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG sind "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden" steuerfrei. Die Vorschrift beruht auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL, wonach Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden, steuerfrei sind.
    50

    a) Der Begriff der Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin ist "nicht besonders eng auszulegen" (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union --EuGH-- Dornier vom 6.11.2003 C-45/01, EU:C:2003:595, Rz 42, 48). Er umfasst die Diagnose, die Behandlung und, soweit möglich, die Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen. Heilbehandlungen müssen einen therapeutischen Zweck haben. Zu den Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin gehören auch Leistungen, die zum Zweck der Vorbeugung erbracht werden, wie vorbeugende Untersuchungen und ärztliche Maßnahmen an Personen, die an keiner Krankheit oder Gesundheitsstörung leiden, sowie Leistungen, die zum Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht werden. Daraus folgt, dass ärztlichen Leistungen, die zu dem Zweck erbracht werden, die menschliche Gesundheit zu schützen, aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen, die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL vorgesehene Steuerbefreiung zugutekommt (vgl. z.B. EuGH-Urteil Klinikum Dortmund vom 13.03.2014 C-366/12, EU:C:2014:143, Rz 30, m.w.N.; Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18.03.2015 XI R 15/11, BFHE 249, 359, BStBl II 2015, 1058; vom 8.03.2012 V R 30/09, BFHE 237, 263, BStBl II 2012, 623; vom 26.08.2014 XI R 19/12, BFHE 247, 246, BStBl II 2015, 310; vom 5.11.2014 XI R 11/13, BFHE 248, 389, BFH/NV 2015, 297, jeweils m.w.N.).
    51

    b) Allerdings kann der Begriff "ärztliche Heilbehandlung" nicht auf sämtliche Leistungen, die mit der Behandlung von Patienten zusammenhängen, ausgedehnt werden. Denn die bei der Auslegung des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG zu berücksichtigende Bestimmung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL enthält --im Gegensatz zu Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL-- keine Bezugnahme auf Umsätze, die "mit ärztlichen Heilbehandlungen eng verbunden" sind. Deshalb erfasst Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL mit ärztlichen Heilbehandlungen "eng verbundene Umsätze" grundsätzlich nicht (vgl. EuGH-Urteil Klinikum Dortmund, EU:C:2014:143, Rz 32; BFH-Urteil in BFHE 249, 359, BStBl II 2015, 1058, Rz 21). Keine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin sind daher ärztliche Leistungen, Maßnahmen oder medizinische Eingriffe, die zu anderen Zwecken erfolgen (z.B. BFH-Urteile vom 18.08.2011 V R 27/10, BFHE 235, 58, BFH/NV 2011, 2214; vom 30.04.2009 V R 6/07, BFHE 225, 248, BStBl II 2009, 679).
    52

    Dabei steht der Steuerbefreiung nicht entgegen, wenn Leistungen nicht gegenüber Patienten oder Krankenkassen erbracht werden. Denn für die Steuerfreiheit kommt es nicht auf die Person des Leistungsempfängers an, da sich die personenbezogene Voraussetzung der Steuerfreiheit auf den Leistenden bezieht, der Träger eines ärztlichen oder arztähnlichen Berufs sein muss (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 8.08.2013 V R 8/12, BFHE 242, 548, BFH/NV 2014, 119).
    53

    Entgegen der vom Kläger geforderten generellen Gleichstellung der von ihm erbrachten Leistungen an Alten- und Pflegeheimen mit seinen (unstrittig) steuerfreien Leistungen an Krankenhäuser ist nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 5.11.2014 XI R 11/13, BFHE 248, 389, HFR 2015, 156, Rz 43) für die Steuerfreiheit infektionshygienischer Leistungen ein unmittelbarer Bezug zu einer Heilbehandlungstätigkeit in Krankenhäusern oder anderen medizinischen Einrichtungen erforderlich. Die Leistungsempfänger müssen mit den empfangenen Leistungen bei der Ausübung ihrer Heilbehandlungstätigkeit die hierfür bestehenden medizinisch unerlässlichen und gesetzlich vorgeschriebenen infektionshygienischen Anforderungen im Einzelfall erfüllen.
    54

    Dass bzw. in welchem Umfang die Alten- und Pflegeheime als Empfänger der Leistungen des Klägers solche Tätigkeiten ausgeübt haben, konnte der Kläger im Einzelfall nicht nachweisen und steht daher zur Überzeugung des erkennenden Senates nicht fest. Das Vorliegen einer Heilbehandlung kann ohne Nachweis im Einzelfall ‒ entsprechend den Ausführungen des BFH im Urteil vom 5.11.2014 XI R 11/13 (BFHE 248, 389, HFR 2015, 156, Rzn. 45 ff.) ‒ auch nicht ohne Weiteres zu Gunsten des Klägers unterstellt werden. Der fehlende Nachweis, dass bzw. in welchem Umfang die Empfänger der Leistungen solche Heilbehandlungen ausgeübt haben, geht zum Nachteil des Klägers, der sich auf die für ihn günstige Steuerbefreiung beruft.
    55

    2. Die Leistungen des Klägers sind auch nicht nach § 4 Nr. 14 Buchst. e UStG steuerbefreit.
    56

    Nach dieser Vorschrift sind die zur Verhütung von nosokomialen Infektionen und zur Vermeidung der Weiterverbreitung von Krankheitserregern, insbesondere solcher mit Resistenzen, erbrachten Leistungen eines Arztes oder einer Hygienefachkraft an die in § 4 Nr. 14 Buchst. a, b und d UStG genannten Einrichtungen steuerfrei, die diesen dazu dienen, ihre Heilbehandlungsleistungen ordnungsgemäß unter Beachtung der nach dem IfSG und den Rechtsverordnungen der Länder nach § 23 Abs. 8 IfSG bestehenden Verpflichtungen zu erbringen. Unabhängig davon, dass diese Regelung, die durch das Amtshilferichtlinien-Umsetzungsgesetz (AmtshilfeRLUmsG) vom 26.06.2013, (BGBl I 2013, 1809) erst mit Wirkung zum 1. Juli 2013 eingeführt worden ist und damit erst für Besteuerungszeiträume nach dem Streitjahr, würde eine Anwendung vorliegend auch daran scheitern, dass der erforderliche Nachweis, dass die Hygieneleistungen mit konkreten Heilbehandlungen im Zusammenhang stehen, vom Kläger nicht erbracht wurde. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen unter 1. Bezug genommen.
    57

    3. Die Voraussetzungen für eine Befreiung der Umsätze nach § 4 Nr. 16 Buchst. d oder e UStG sind nicht gegeben. Nach diesen Vorschriften sind die eng mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelische hilfsbedürftiger Personen eng verbundenen Leistungen steuerbefreit, die von Einrichtungen erbracht werden, die Leistungen der häuslichen Krankenpflege oder Haushaltshilfe erbringen (Buchst. d) oder die von Einrichtungen erbracht werden, mit denen eine Vereinbarung nach § 111 SGB IX besteht (Buchst. e). Diese Voraussetzungen liegen entweder nicht vor (keine häusliche Krankenpflege durch die Alten-/Pflegeheime erbracht) oder konnten vom Kläger nicht nachgewiesen werden, der die strittigen Leistungen gegenüber den Alten-/Pflegeheimen erbracht hat und nicht unmittelbar gegenüber den Heimbewohnern und selbst auch nicht die Voraussetzungen für die in der nationalen Vorschrift genannten Einrichtungen erfüllt. Auch die weiteren Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG sind nicht nachgewiesen worden. Aufgrund dessen bedarf es vorliegend auch keiner Entscheidung darüber, wie der Nachweis für die weitere Voraussetzung, dass die Leistungen an hilfsbedürftige Personen erbracht werden, zu führen ist und ob insoweit, wie von der Finanzverwaltung gefordert, für jede betreute oder gepflegte Person deren Hilfsbedürftigkeit beleg- und buchmäßig nachgewiesen werden muss (vgl. hierzu Abschn. 4.16.2 UStAE).
    58

    4. Der Kläger kann sich jedoch unmittelbar auf die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL berufen. Entgegen der Auffassung des Beklagten erbringt der Kläger steuerfreie Leistungen.
    59

    Der Ausschluss des Klägers von der Steuerbefreiung für eng mit der Betreuung oder Pflege hilfsbedürftiger Personen verbundenen Leistungen durch die in § 4 Nr. 16 UStG aufgestellten Voraussetzungen ist nicht mit der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL geregelten Steuerbefreiung vereinbar. Die Unvereinbarkeit führt zur unmittelbaren Anwendbarkeit der Richtlinienvorschrift (a)), deren Voraussetzungen der Kläger erfüllt (b) bis e)).
    60

    a) Nach der Rechtsprechung des EuGH kann sich ein Steuerpflichtiger vor einem nationalen Gericht auf eine Bestimmung der MwStSystRL berufen (vgl. z.B. EuGH-Urteile Kügler vom 10.09.2002 - C-141/00, EU:C:2002:473, Rz 51; Zimmermann vom 15.11.2012 - C-174/11, EU:C:2012:716, Rz 32; BFH-Urteile vom 19.10.2011 - XI R 16/09, BFHE 235, 532, BStBl II 2012, 371, Rz 24 f.; vom 16.10.2013 - XI R 19/11, BFH/NV 2014, 190, Rz 21; vom 29.07.2015 - XI R 35/13, BFHE 251, 91, BStBl II 2016, 797, Rz 15; vom 16.09.2015 - XI R 27/13, BFH/NV 2016, 252, Rz 37; BFH-Beschluss vom 31.07.2019 - XI B 15/19, BFH/NV 2019, 1259), wenn die entsprechende Bestimmung inhaltlich unbedingt und hinreichend genau ist und die innerstaatliche Regelung mit dieser Bestimmung unvereinbar ist. Der Kläger hat sich auf die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL normierte Steuerbefreiung berufen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, die durch den erkennenden Senat geteilt wird, als inhaltlich unbedingt und hinreichend genau angesehen wurde (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 25.4.2013 V R 7/11, BFHE 241, 475, BStBl II 2013, 976).
    61

    Die nationale Vorschrift des § 4 Nr. 16 UStG setzt Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL nicht vollständig um. Der Kläger fällt, wie bereits unter 3. ausgeführt, nicht in den persönlichen Anwendungsbereich von § 4 Nr. 16 UStG, obwohl er, wie noch unter I. 4. d) auszuführen sein wird, zu den anerkannten Einrichtungen mit sozialem Charakter gehört. § 4 Nr. 16 UStG kann nach Auffassung des erkennenden Senats nicht entsprechend den abweichenden Vorgaben des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL richtlinienkonform ausgelegt werden, da es dieser Vorschrift an einer § 4 Nr. 14 Buchst. e UStG vergleichbaren Ausweitung auf begünstigte Hygienefachkräfte fehlt und es im Hinblick auf den persönlichen Anwendungsbereich auch an einem Auffangtatbestand mangelt, so dass die Wortlautgrenze erreicht ist. Eine unionsrechtkonforme Auslegung ist bei Überschreiten der Wortlautgrenze nicht möglich (vgl. zur Maßgeblichkeit der Wortlautgrenze BFH-Urteil vom 11.10.2012 V R 9/10, BFHE 238, 570, BStBl II 2014, 279), sodass die Richtlinienvorgabe des Art. 132 Buchst. g MwStSystRL unmittelbar anwendbar ist.
    62

    b) Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL befreien die Mitgliedstaaten "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen ..., einschließlich derjenigen, die durch ... Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden".
    63

    Die Steuerbefreiung knüpft an leistungs- und an personenbezogene Voraussetzungen an: Es muss sich um eng mit der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen handeln, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen erbracht werden, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt worden sind (vgl. BFH-Urteile vom 18.08.2005 - V R 71/03, BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143, unter II.2.d cc, Rz 45 und 46; vom 07.12.2016 - XI R 5/15, BFHE 256, 550; EuGH, Urteil vom 26.05.2005 Kingscrest Associates und Montecello, C-498/03, EU:C:2005:322, Rz 34).
    64

    c) Die Hygieneleistungen des Klägers sind "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen".
    65

    aa) Hierbei handelt es sich um einen eigenständigen Begriff des Unionsrechts, der eine unionsrechtliche Definition erfordert (vgl. EuGH, Urteil vom 26.05.2005 Kingscrest Associates und Montecello, C-498/03, EU:C:2005:322, Rz 22, m.w.N.). Gleichwohl hat der EuGH diesen Begriff in zunächst in seiner Rechtsprechung weder definiert noch näher umschrieben, sondern sich darauf beschränkt, für die jeweils streitgegenständlichen Tätigkeiten zu entscheiden, ob diese unter die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL fallen. Zu den nach bisheriger EuGH-Rechtsprechung befreiten Umsätzen gehören insbesondere der Betrieb von Heimen für betreutes Wohnen (Kingscrest Associates Ltd. und Montecello Ltd., EU:C:2005:322), Leistungen der ambulanten Pflege (vgl. EuGH-Urteil Zimmermann, EU:C:2012:716, Rz 24), Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftliche Versorgung für körperlich oder wirtschaftlich hilfsbedürftige Personen (vgl. EuGH-Urteil Kügler, EU:C:2002:473, Rz 44; BFH-Urteil vom 18.01.2005 - V R 99/01, BFH/NV 2005, 1392, unter II.2.g, Rz 25), das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung und das Waschen der Kleidung (vgl. BFH-Urteil vom 22.04.2004 - V R 1/98, BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849, unter II.2.a, Rz 36), die Gestellung einer Haushaltshilfe (vgl. BFH-Urteil vom 30.07.2008 - XI R 61/07, BFHE 222, 134, BStBl II 2009, 68, unter II.1.b, Rz 13), Leistungen der Kinderbetreuung (vgl. EuGH-Urteil vom 09.02.2006, Kinderopvang Enschede, C-415/04, EU:C:2006:95, Rz 27), Legasthenie-Behandlungen im Rahmen der Eingliederungshilfe (vgl. BFH-Urteile in BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143, unter II.2.d cc (1), Rz 48; vom 01.02.2007 - V R 34/05, BFH/NV 2007, 1201, unter II.2.g, Rz 28) oder Betreuungsleistungen (vgl. BFH-Urteile vom 17.02.2009 - XI R 67/06, BFHE 224, 183, BStBl II 2013, 967; vom 25.04.2013 - V R 7/11, BFHE 241, 475, BStBl II 2013, 976, Rz 17; in BFH/NV 2014, 190).
    66

    Spätestens seit der Entscheidung des EuGH vom 8.10.2020 (Urteil Finanzamt D,C-657/19, EU:C:2020:811, Rz 36 und 39) ist (über den konkreten Einzelfall hinaus) ab-strakt geklärt, dass die Leistungen dann eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden sind, wenn die fraglichen Dienstleistungen für die Durchführung der Maßnahmen der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit als solche unerlässlich sind. Dies ist der Fall, sofern ihre Belastung mit Mehrwertsteuer zwangsläufig dazu führen würde, die Kosten der genannten Umsätze zu erhöhen.
    67

    Zwar sind die Begriffe, mit denen die in Art. 132 MwStSystRL vorgesehenen Steuerbefreiungen umschrieben sind, eng auszulegen. Die Auslegung dieser Begriffe muss jedoch mit den Zielen im Einklang stehen, die mit den Befreiungen verfolgt werden, und den Erfordernissen des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität entsprechen, auf dem das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht. Diese Regel einer engen Auslegung bedeutet also nicht, dass die zur Definition der Steuerbefreiungen im Sinne von Art. 132 verwendeten Begriffe in einer Weise auszulegen sind, die den Befreiungen ihre Wirkung nähme (EuGH, Urteil vom 8.10.2020 Finanzamt D, C-657/19, EU:C:2020:811, Rz. 28 unter Verweis auf das EuGH-Urteil vom 15.11.2012, Zimmermann, C-174/11, EU:C:2012:716, Rz 22 und die dort angeführte Rechtsprechung). Was den Zweck angeht, der mit der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL vorgesehenen Steuerbefreiung verfolgt wird, so zielt diese Befreiung dadurch, dass sie für bestimmte im sozialen Sektor erbrachte Leistungen, die dem Gemeinwohl dienen, eine günstigere Mehrwertsteuerbehandlung gewährt, darauf ab, die Kosten dieser Leistungen zu senken und dadurch diese Leistungen dem Einzelnen, der sie in Anspruch nehmen könnte, zugänglicher zu machen (vgl. in diesem Sinne EuGH-Urteil vom 21.1.2016, Les Jardins de Jouvence, C-335/14, EU:C:2016:36, Rz 41).
    68

    Was als Erstes die Voraussetzung anbelangt, dass die Dienstleistungen eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden sein müssen, so ist diese Voraussetzung im Licht von Art. 134 Buchst. a MwStSystRL zu betrachten, wonach die betreffenden Lieferungen von Gegenständen bzw. Dienstleistungen jedenfalls für die der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unterfallenden Umsätze unerlässlich sein müssen (EuGH, Urteil vom 8.10.2020, Finanzamt D, C-657/19, EU:C:2020:811, Rz 31; vom 9.02.2006, Stichting Kinderopvang Enschede, C-415/04, EU:C:2006:95, Rz 24 und 25).
    69

    So hat z.B. in Bezug auf die Tätigkeit des Medizinischen Dienstes einer Pflegekasse (MDK) der EuGH und nachfolgend der BFH entschieden, dass auch das Erbringen von gutachterlichen Leistungen --selbst wenn sie durch einen Subunternehmer im Auftrag eines MDK erbracht werden-- eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Umsätze sind (vgl. EuGH, Urteil vom 8.10.2020, Finanzamt D, C-657/19, EU:C:2020:811, HFR 2020, 1205, Rz 34; BFH-Urteil vom 24.02.2021 XI R 30/20 (XI R 11/17), Der Betrieb --DB-- 2021, 1513). Der EuGH hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass, wie aus der Erwähnung der durch Altenheime erbrachten Dienstleistungen in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL hervorgeht, die in dieser Vorschrift vorgesehene Steuerbefreiung u. a. für Unterstützungs- und Versorgungsleistungen gilt, die unmittelbar den von den betreffenden Maßnahmen der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit erfassten Personen zugutekommen, aber weder der Wortlaut dieser Vorschrift noch ihr Zweck Anhaltspunkte dafür geben, dass von dieser Steuerbefreiung solche Dienstleistungen ausgeschlossen wären, die, ohne unmittelbar an die genannten Personen erbracht zu werden, gleichwohl für die Umsätze im Bereich der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unerlässlich sind .
    70

    bb) Die hier zu beurteilenden strittigen Hygieneleistungen des Klägers sind danach unerlässlich für die der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unterfallenden Umsätze der Alten- und Pflegeheime.
    71

    Die Einhaltung hygienischer Anforderungen ist gerade in Alten-/Pflegeheimen unerlässlich, wie insbesondere während der noch andauernden Corona-Pandemie mehr als deutlich geworden ist. Gerade Bewohner in Alten-/Pflegeheimen, die ohnehin alters- und/oder krankheitsbedingt für Infektionen anfälliger sind und bei denen der Infektionsverlauf oftmals schwerer verläuft, sind besonders schutzbedürftig. Aufgrund nicht sachgerechter oder unzureichender Hygienemaßnahmen waren und sind sie von der Pandemie überproportional zur Gesamtbevölkerung besonders getroffen. Ausreichende Hygieneregelung, deren Erstellung und Überwachung sind in den Alten-/Pflegeheimen zur Erhaltung der Gesundheit deren Bewohner unerlässlich.
    72

    Auch steht die Tatsache, dass der Kläger seine Hygienefachleistungen nicht gegenüber den Alten- und Pflegeheimbewohner selbst, sondern gegenüber den Betreibern der Alten- und Pflegeheimen erbracht hat, der Annahme eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundener Leistungen nicht entgegen.
    73

    d) Der Kläger ist auch eine „andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen“ im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL.
    74

    aa) Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL legt weder die Voraussetzungen noch die Modalitäten einer Anerkennung des sozialen Charakters von anderen Einrichtungen als solchen des öffentlichen Rechts fest. Es ist daher grundsätzlich Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen diesen Einrichtungen eine solche Anerkennung gewährt werden kann, wobei die Mitgliedstaaten über ein Ermessen verfügen (vgl. in diesem Sinne EuGH-Urteil vom 21.01.2016, Les Jardins de Jouvence, C-335/14, EU:C:2016:36, Rz 32 und 34).
    75

    Aus der Rechtsprechung des EuGH ergibt sich zunächst, dass auch eine natürliche Person eine „Einrichtung“ sein kann (EuGH-Urteil vom 15.11.2012, Zimmermann, C-174/11, EU:C:2012:716). Weiter ergibt sich aus der Rechtsprechung des EuGH, dass die nationalen Behörden bei der Anerkennung des sozialen Charakters von Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, im Einklang mit dem Unionsrecht und unter der Kontrolle der nationalen Gerichte mehrere Gesichtspunkte zu berücksichtigen haben. Zu ihnen können das Bestehen spezifischer Vorschriften ‒ seien es nationale oder regionale, Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit ‒, das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse, die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und der Gesichtspunkt zählen, dass die Kosten der fraglichen Leistungen unter Umständen zum großen Teil von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden, insbesondere, wenn die privaten Wirtschaftsteilnehmer vertragliche Beziehungen zu diesen Einrichtungen unterhalten (EuGH, Urteile vom 8.10.2020, Finanzamt D, C-657/19, EU:C:2020:811, Rz 44 ; vom 10.09.2002, Kügler, C-141/00, EU:C:2002:473, Rz 58, und vom 21.01.2016, Les Jardins de Jouvence, C-335/14, EU:C:2016:36, Rz 35).
    76

    Dabei haben die nationalen Behörden im Einklang mit dem Unionsrecht und unter der Kontrolle der nationalen Gerichte die für die Anerkennung maßgeblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 256, 550, Rz 29). Zu diesen gehören
    77

    - das Bestehen spezifischer Vorschriften, bei denen es sich um nationale oder regionale Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit handeln kann,
    78

    - das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse,
    79

    - die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und
    80

    - die Übernahme der Kosten der fraglichen Leistungen zum großen Teil durch Krankenkassen oder durch andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit (vgl. EuGH-Urteil Finanzamt D, EU:C:2020:811, Rz 44, m.w.N.).
    81

    Diese für die Anerkennung maßgeblichen Kriterien müssen nicht kumulativ vorliegen (vgl. BFH-Urteile vom 25.04.2013 - V R 7/11, BFHE 241, 475, BStBl II 2013, 976, Rz 28; vom 06.04.2016 - V R 55/14, BFHE 253, 466, Rz 37; in BFHE 256, 550, Rz 33).
    82

    bb) Der Senat stützt seine Auffassung, wonach der Kläger eine als Einrichtung mit sozialem Charakter anzuerkennen ist, auf folgende Erwägungen:
    83

    (1) Es bestehen spezifische Vorschriften, die den Tätigkeitsbereich des Klägers ‒ zumindest mittelbar ‒ regeln.
    84

    Die Tätigkeit des Klägers ermöglicht es den jeweiligen Heimbetreibern, ihren gesetzlichen Verpflichtungen aus § 11 Abs. 1 Heimgesetz (HeimG) nachzukommen. Danach ist es u.a. Aufgabe des Trägers und der Leitung, einen ausreichenden Schutz vor Infektionen zu gewährleisten und sicherzustellen, dass von den Beschäftigten die für ihren Aufgabenbereich einschlägigen Anforderungen der Hygiene eingehalten werden (§ 11 Abs. 1 Nr. 9 HeimG). Konkret dient die Tätigkeit des Klägers der Umsetzung der Empfehlungen der beim Robert-Koch-Institut eingerichteten Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention „Infektionsprävention in Heimen“ (Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention, Infektionsprävention in Heimen. Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz, 2005. 48: p. 1061-1080).
    85

    (2) Die Tätigkeit des Klägers ist von überragendem Gemeinwohlinteresse.
    86

    Nach Auffassung des Senats besteht ‒ wie gerade die hohen Sterblichkeitsraten in den Alten-/Pflegeheimen während der Corona-Pandemie gezeigt haben ‒ ein überragendes Gemeinwohlinteresse an der Einhaltung höchster hygienischer Standards in den Alten- und Pflegeheimen.
    87

    e) Die Steuerbefreiung ist nicht nach Art. 134 MwStSystRL ausgeschlossen, da die dort genannten Voraussetzungen im Streitfall nicht gegeben sind.
    88

    5. Soweit die strittigen Umsätze (27.297,50 € brutto) in Höhe des Nettobetrages (22.939,08 €) zu Unrecht der Regelbesteuerung unterworfen worden ist, sind diese als steuerfrei zu behandeln unter gleichzeitiger entsprechender Kürzung der Vorsteuern (Änderung des Schlüssels der abziehbaren Vorsteuern von bislang 52,82 % auf nunmehr 42,64 %, abziehbare Vorsteuern danach 1.375,83 €), so dass die Umsatzsteuer 2012 auf 18.717,63 € herabgesetzt wird.
    89

    II. Die Kostenentscheidung ergeht gem. § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
    90

    III. Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.