04.05.2023 · IWW-Abrufnummer 235060
Finanzgericht Nürnberg: Urteil vom 09.01.2023 – 3 K 782/22
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Nürnberg
In dem Rechtsstreit
Prozessbev.:
gegen
Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit
- Beklagte -
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
B schloss ihre Schulzeit mit der Ablegung des Abiturs im Juni 2017 ab.
Vom 04.10.2017 bis 30.05.2018 leistete sie einen Bundesfreiwilligendienst in einer Rettungsdiensteinrichtung ab und absolvierte hierbei von Oktober 2017 bis März 2018 eine Ausbildung zum Rettungssanitäter. Auf die Bescheinigung über die Teilnahme am Bundesfreiwilligendienst und auf das Zeugnis über die abgelegte Prüfung zur Rettungssanitäterin vom 17.03.2018 wird verwiesen.
Ab dem 01.06.2018 stand sie in einem Arbeitsverhältnis als Rettungssanitäterin bei der Rettungsdiensteinrichtung. Die Arbeitszeit betrug zeitweise unter 20 Stunden, teilweise 40,5 Stunden in der Woche.
Im Wintersemester 2018/2019 war B an der Universität 1 im Studiengang "Betriebswirtschaft" immatrikuliert.
Seit dem 15.03.2019 ist B im Studiengang "Soziale Arbeit" an der Hochschule 1 in A-Stadt immatrikuliert.
Die Familienkasse gewährte daraufhin der Klägerin mit Bescheid vom 27.03.2019 Kindergeld für B ab April 2019.
Mit Schreiben vom 12.02.2022 übersandte die Klägerin einen mit Wirkung ab 01.01.2022 geänderten Arbeitsvertrag für B bei der Rettungsdiensteinrichtung als Rettungssanitäterin. Die Arbeitszeit beträgt demnach 30 Stunden in der Woche.
Mit Bescheid vom 04.04.2022 hob die Familienkasse die Festsetzung des Kindergeldes für das Kind B für den Zeitraum von Januar 2022 bis März 2022 auf und forderte das für den Zeitraum von Januar 2022 bis einschließlich März 2022 ausgezahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt 657 € zurück.
Die Entscheidung wurde damit begründet, dass die besonderen Anspruchsvoraussetzungen zur Berücksichtigung volljähriger Kinder nicht vorliegen würden. B habe die erste Berufsausbildung bzw. das Erststudium abgeschlossen. Sie habe die für das angestrebte Berufsziel erforderliche Ausbildung mit dem ersten erlangten Abschluss beendet. Aktuell befinde sie sich in einer weiteren Berufsausbildung. Daneben gehe sie einer Erwerbstätigkeit nach und könne daher nach § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG nicht berücksichtigt werden.
Der frühere Verfahrensbevollmächtigte erhob für die Klägerin Einspruch.
Es wurde vorgetragen, dass die Ausbildung zum Rettungssanitäter in der Bayerischen Rettungssanitäterverordnung (BayRettSanV) geregelt sei und nach § 2 eine Ausbildung von 520 Stunden zu je 45 Minuten umfasse. Er legte eine Bescheinigung der Rettungsdiensteinrichtung vom 01.03.2022 vor, wonach es sich bei dem Beruf als "Rettungssanitäter" um keinen staatlich anerkannten Ausbildungsberuf handele.
Die Familienkasse wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 27.06.2022 als unbegründet zurück.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums ein Kind in den Fällen des Satzes 1 Nummer 2 nur berücksichtigt werde, wenn das Kind keiner Erwerbstätigkeit nachgehe. Nach § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG seien eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis i. S. d. §§ 8 und 8a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch unschädlich.
Im Streitfall habe das Kind eine erstmalige Berufsausbildung abgeschlossen, da es eine Ausbildung zur Rettungssanitäterin erfolgreich absolviert habe. Zwar studiere B seit März 2019 im Studiengang "Soziale Arbeit". Sie arbeite aber als Rettungssanitäterin und gehe seit 01.01.2022 einer Erwerbstätigkeit mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 30 Stunden nach. Ein Anspruch auf Kindergeld bestehe daher für den Streitzeitraum nicht.
Im Streitfall sei die Regelung des § 9 Abs. 6 EStG nicht anzuwenden. Zwar enthalte § 9 Abs. 6 Satz 2 EStG eine Definition einer Erstausbildung. Diese beziehe sich aber explizit auf eine Erstausbildung im Rahmen des Satzes 1. Mit § 9 Abs. 6 EStG werde damit geregelt, wann im Rahmen einer Berufsausbildung oder eines Studiums Aufwendungen als Werbungskosten abgesetzt werden könnten. Da diese Ausführungen und Definitionen zu einer Erstausbildung lediglich in § 9 EStG geregelt worden seien, sei die Bestimmung aufgrund der Systematik auch lediglich im Rahmen des Ansatzes von Werbungskosten einschlägig. Eine Anwendung im Rahmen der kindergeldrechtlichen Beurteilung einer erstmaligen Berufsausbildung sei nicht möglich.
Aufgrund des erfolgreichen Abschlusses der Ausbildung zur Rettungssanitäterin habe das Kind daher bereits eine erstmalige Berufsausbildung abgeschlossen. Zwischen der Erstausbildung und dem weiteren Studium "Soziale Arbeit" bestehe gerade kein enger sachlicher und auch kein enger zeitlicher Zusammenhang. Beim Studiengang "Soziale Arbeit" handele es sich daher um ein Zweitstudium. Es könne deshalb keine einheitliche Erstausbildung bejaht werden.
Mit der Klage verfolgt die Klägerin ihr Klageziel, Kindergeld für B von Januar 2022 bis März 2022 zu erhalten, weiter und trägt zur Begründung im Wesentlichen vor:
B habe nach dem Abitur von Oktober 2017 bis Mai 2018 Bundesfreiwilligendienst abgeleistet. Von Oktober 2017 bis März 2018 habe sie dabei an einem Lehrgang zum Rettungssanitäter teilgenommen. Von März bis Mai 2018 habe B dann eine Tätigkeit als Rettungssanitäter im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes ausgeübt.
Entgegen der Auffassung der Familienkasse sei der im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes absolvierte Lehrgang zur Rettungssanitäterin keine abgeschlossene erstmalige Berufsausbildung. Der Freiwilligendienst sei grundsätzlich keine Berufsausbildung (Hinweis auf BFH-Urteile vom 07.04.2011 III R 11/09, BFH/NV 2011, 1325 m.w.N., und vom 09.02.2012 III R 78/09, BFH/NV 2012, 940). Auch handele es sich bei dem Lehrgang zum Rettungssanitäter im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes für das Kind B um keine Vorbereitung auf eine dem Berufsziel dienende Maßnahme zum Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind. B studiere derzeit soziale Arbeit, was das Berufsziel darstelle. Rettungssanitäter sei kein Berufsziel gewesen.
Es werde zudem darauf hingewiesen, dass der Begriff der Erstausbildung in § 9 Abs. 6 EStG mit einer Ausbildungszeit von mindestens 12 Monaten definiert sei. Der Lehrgang zum Rettungssanitäter habe von Oktober 2017 bis März 2018, mithin weniger als 12 Monate, gedauert. Es handele sich bei dem Lehrgang zum Rettungssanitäter demnach um keine Erstausbildung im Sinne des § 9 Abs. 6 EStG.
Der Prozessbevollmächtigte beantragt unter Aufhebung des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids vom 04.04.2022 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 27.06.2022 die Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld für B für den Zeitraum von Januar 2022 bis einschließlich März 2022 festzusetzen.
Weiter beantragt er die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären. Für den Fall des Unterliegens wird die Zulassung der Revision beantragt.
Die Familienkasse beantragt Klageabweisung und verweist zur Begründung auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis dazu erklärt, dass das Gericht ohne mündliche Verhandlung und der zum Berichterstatter bestellte Richter anstelle des Senats entscheidet (§§ 90 Abs. 2, 79 a Abse. 3 und 4 FGO).
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie die von der Familienkasse vorgelegte elektronisch geführte Kindergeldakte mit der Nr. XXX verwiesen.
Entscheidungsgründe
Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid der Familienkasse vom 04.04.2022 sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 27.06.2022 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten.
Die Klägerin hat für den Streitzeitraum einen Anspruch auf Gewährung von Kindergeld für B.
Das Kind hatte im Streitzeitraum eine erstmalige Berufsausbildung noch nicht abgeschlossen, weshalb es auf die Frage der Erwerbstätigkeit nicht ankommt.
Ein Kind wird für Zwecke des Kindergeldes über das 18. Lebensjahr hinaus nach den §§ 62 Abs. 1, 63 Abs. 1, 32 Abs. 4 EStG nur dann berücksichtigt, wenn einer der in § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG genannten Tatbestände vorliegt. Danach wird ein Kind beim Kindergeld unter anderem dann berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG), sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten befindet (Nr. 2 Buchst. b), eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatz nicht beginnen oder fortsetzen kann (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG), wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG) oder nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und bei der Agentur für Arbeit als Arbeitssuchender gemeldet ist (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG).
Nach § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung wird ein Kind nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne der §§ 8 und 8a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch sind unschädlich (§ 32 Abs. 4 Satz 3 EStG).
1. Es liegt der Berücksichtigungstatbestand für Kindergeld nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG (Ausbildung zu Beruf) vor, denn B ist an der Hochschule 1 in A-Stadt immatrikuliert und studiert dort im Studiengang "Soziale Arbeit".
2. Die im Streitzeitraum durchgeführte Erwerbstätigkeit mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von mehr als 20 Stunden (vgl. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) steht dem Anspruch auf Kindergeld nicht entgegen, da B im Streitzeitraum eine erstmalige Berufsausbildung noch nicht abgeschlossen hatte.
a) Die Voraussetzung "Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung" i.S. der Vorschrift liegt erst dann vor, wenn das Kind befähigt ist, einen von ihm angestrebten Beruf auszuüben. Dies hat zur Folge, dass auch erst dann der Verbrauch der Erstausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG eintreten kann. Hinsichtlich der Auslegung der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verwendeten Tatbestandsmerkmale erstmalige Berufsausbildung und Erststudium hat der BFH entschieden, dass das Erststudium nur einen Unterfall des Oberbegriffes erstmalige Berufsausbildung darstellt und der Erstausbildungsbegriff des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG enger auszulegen ist als das in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG verwendete Tatbestandsmerkmal "Kind, das ... für einen Beruf ausgebildet wird" (BFH-Urteile vom 19.02.2020 III R 28/19, BStBl. II 2020, 562, Rn. 11; und vom 03.07.2014 III R 52/13, BStBl. II 2015, 152, Rz 19 ff).
b) Die den Erstausbildungsbegriff des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG begrenzenden Kriterien hat der BFH dabei vor allem in folgenden Punkten gesehen. Es muss sich um einen öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang handeln (BFH-Urteil vom 03.07.2014 III R 52/13, BStBl. II 2015, 152). Dieser muss auf einen Abschluss ausgerichtet sein, der in Form einer Prüfung erfolgt. Durch die berufliche Ausbildungsmaßnahme muss das Kind die notwendigen fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse erwerben, die es zur Aufnahme eines Berufs befähigen, wodurch insbesondere eine Abgrenzung gegenüber dem Besuch einer allgemein bildenden Schule, aber auch gegenüber allgemeinen Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen wie etwa Sprach- und Computerkursen erfolgen soll (BFH-Urteil in BStBl. II 2015, 152, Rz 24). Liegen mehrere Ausbildungsabschnitte vor, können diese dann eine einheitliche Erstausbildung darstellen, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das vom Kind angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann (BFH-Urteil vom 19.02.2020 III R 28/19, BStBl. II 2020, 562, Rn. 11).
c) Da es im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG auf das angestrebte Berufsziel des Kindes ankommt, muss der Tatbestand "Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung" nicht bereits mit dem ersten (objektiv) berufsqualifizierenden Abschluss (z.B. in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang) erfüllt sein (BFH-Urteil vom 03.07.2014 III R 52/13, BStBl. II 2015, 152, Rz 25 ff.). Dies folgt u.a. aus einer gegenüber § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG (Kind, das "für einen Beruf ausgebildet wird") engeren Auslegung des Berufsausbildungsbegriffs (BFH-Urteil vom 15.04.2015 V R 27/14, BStBl. II 2016, 163, Rn. 19 m.w.N.; Schmidt/Loschelder, EStG 41. Auflage, § 32 Tz. 61). Ob die nach Erlangung des erstmaligen Abschlusses aufgenommene Berufstätigkeit die Hauptsache und die weiteren Ausbildungsmaßnahmen eine auf Weiterbildung und/oder Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig gerichtete Nebensache oder eine Erstausbildung darstellen, ist dabei anhand einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse zu entscheiden (vgl. BFH-Urteil vom 19.02.2020 III R 28/19, BStBl. II 2020, 562, Rz. 15; Schmidt/Loschelder, EStG 41. Auflage, § 32 Tz. 62).
d) Im Streitfall ist der Freiwilligendienst an sich grundsätzlich keine Berufsausbildung. Der Freiwilligendienst dient in der Regel nicht der Vorbereitung auf einen konkret angestrebten Beruf, sondern der Erlangung sozialer Erfahrungen und der Stärkung des Verantwortungsbewusstseins für das Gemeinwohl (BFH-Urteile vom 07.04.2011 III R 11/09, BFH/NV 2011, 1325 m.w.N., und vom 09.02.2012 III R 78/09, BFH/NV 2012, 940). Auch die im Rahmen des Freiwilligendienstes absolvierte Qualifikation zum Rettungssanitäter ist bei der vom Gericht vorzunehmenden Gesamtwürdigung der Verhältnisse keine Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, da sie durch die Erlangung sozialer Erfahrungen überlagert wird. B hat zwar von Oktober 2017 bis März 2018 eine Ausbildung zum Rettungssanitäter absolviert. Zwischen den Beteiligten ist auch unstreitig, dass B die Ausbildung im Rahmen eines öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgangs gemäß der Bayerischen Rettungssanitäterverordnung (BayRettSanV) mit der Abschlussprüfung gemäß dem Zeugnis über die Prüfung zur Rettungssanitäterin vom 17.03.2018 erfolgreich abgelegt hat. Die nur knapp 6 Monate dauernde Ausbildung bei einer Dienstausübung im Rahmen des Bundesfreiwilligendiensts ist jedoch keine erstmalige Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG. Wenn eine nur wenige Monate dauernde Qualifikation (§ 1 Abs. 1 BayRettSanV) unter Einbeziehung des Bundesfreiwilligendienstes negative Folgen für eine Kindergeldberechtigung hätte, würde dies dem sich aus dem Gesetz zur Förderung von Jugendfreiwilligendiensten (JFDG) ergebenden Förderungszweck widersprechen. Diesen sieht der Gesetzgeber in der Förderung der Bildungsfähigkeit der Jugendlichen und ihres bürgerschaftlichen Engagements (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 JFDG). Erwüchse aus der Ableistung des freiwilligen sozialen Jahrs ein Ausschlusstatbestand im Hinblick auf eine weitere Ausbildung, so würde dies dem dem JFDG innewohnenden Förderungszweck zuwiderlaufen (so auch Hessisches Finanzgericht zu ähnlicher Konstellation, Urteil vom 05.06.2020 5 K 34/20, EFG 2022, 1275). Schließlich ist der Jugendfreiwilligendienst selbst von einem allgemeinen Ausbildungscharakter getragen. Denn dieser Dienst stellt sich als eine besondere Lernform dar. So geht § 3 Abs. 1 JFDG von an Lernzielen orientierten praktischen Hilfstätigkeiten aus. § 3 Abs. 2 JFDG sieht eine pädagogische Begleitung des Dienstes vor.
3. Die im Streitzeitraum durchgeführte Erwerbstätigkeit steht dem Anspruch auf Kindergeld auch deshalb nicht entgegen, weil die Qualifikation zum Rettungssanitäter lediglich knapp 6 Monate dauerte und damit die Mindestdauer nach § 9 Abs. 6 Satz 2 EStG nicht erreicht wird.
a) Nach § 9 Abs. 6 Satz 2 EStG liegt eine Berufsausbildung als Erstausbildung vor, wenn eine geordnete Ausbildung mit einer Mindestdauer von 12 Monaten bei vollzeitiger Ausbildung und mit einer Abschlussprüfung durchgeführt wird. Der gesamte Absatz 6 wurde mit erstmaliger Geltung zum Veranlagungszeitraum 2015 eingeführt. Diese Definition der Berufsausbildung als Erstausbildung in Satz 2 ist nicht nur für den Bereich der Werbungskosten nach § 9 Abs. 6 Satz 1 EStG, sondern auch auf den Begriff der erstmaligen Berufsausbildung in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG anzuwenden, der keine eigene Beschreibung dieses Begriffes vorsieht.
b) Dies ergibt sich daraus, dass im EStG die Begriffe einheitlich auszulegen sind und § 9 Abs. 6 Satz 2 EStG den Begriff Berufsausbildung als Erstausbildung definiert, während die in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verwendeten Tatbestandsmerkmale nicht umschrieben werden (vgl. BFH-Urteil vom 12.02.2020 VI R 17/20 (VI R 64/12), BStBl. II 2020, 719). Auch in der Literatur wird ein Kontext der Regelung in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG mit § 9 Abs. 6 EStG gesehen, um gleichheitsrechtliche Bedenken auszuräumen (so Seiler in Kirchhof, EStG 21. Auflage, § 32 Tz. 16). Das Urteil des BFH vom 27.10.2011 (VI R 52/10, BStBl. II 2012, 825) kann hingegen, auch wenn es zur Ausbildung zum Rettungssanitäter ergangen ist, im Streitfall für die Beschreibung des Begriffs der "erstmaligen Berufsausbildung" nicht herangezogen werden, da es zur Gesetzesfassung des Jahres 2005 und damit für einen Zeitraum vor der Einführung des § 9 Abs. 6 EStG ergangen ist.
c) Im Streitfall absolvierte B die Ausbildung zum Rettungssanitäter von Oktober 2017 bis März 2018. Jedoch hat die Ausbildung zum Rettungssanitäter mit 520 Stunden zu je 45 Minuten für B nur knapp 6 Monate gedauert. Eine Mindestdauer der Ausbildung sieht die BayRettSanV nicht vor, insbesondere keine Mindestdauer von 12 Monaten. Die Ausbildung ist nach der Verordnung möglichst zusammenhängend abzuleisten, spätestens jedoch innerhalb von drei Jahren ab Beginn der Ausbildung mit der Abschlussprüfung zu beenden (§ 2 Abs. 2 BayRettSanV). Damit ist die Mindestdauer der erstmaligen Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht erreicht.
d) Mangels Abschlusses einer erstmaligen Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG mit einer Mindestdauer von 12 Monaten kommt es auf die Erwerbstätigkeit der B im Streitzeitraum nicht an. Damit entfällt eine Prüfung des § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG.
Aufgrund der dem Streitfall zugrundeliegenden schwierigen Sach- und Rechtsfragen war die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten der Klägerin sowie die Abwendungsbefugnis, der von Amts wegen zu erfolgen hat, ergibt sich aus den §§ 151 Abs. 1 Satz 1 FGO, 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
Urtiel vom 09.01.2023
In dem Rechtsstreit
A
- Klägerin -Prozessbev.:
gegen
Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit
- Beklagte -
wegen Kindergeld für B von Januar 2022 bis März 2022
hat der 3. Senat des Finanzgerichts Nürnberg durch den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ohne mündliche Verhandlung am 9. Januar 2023 für Recht erkannt:
Tenor:
- Unter Aufhebung des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids vom 04.04.2022 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 27.06.2022 wird die Familienkasse verpflichtet, Kindergeld für B für den Zeitraum von Januar 2022 bis einschließlich März 2022 festzusetzen.
- Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
- Das Urteil ist wegen der zu erstattenden Aufwendungen der Klägerin vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Aufwendungen der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Beschluss
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Tatbestand
Streitig ist das Kindergeld für B (geb.: 26.11.1998) für den Zeitraum von Januar 2022 bis März 2022.
B schloss ihre Schulzeit mit der Ablegung des Abiturs im Juni 2017 ab.
Vom 04.10.2017 bis 30.05.2018 leistete sie einen Bundesfreiwilligendienst in einer Rettungsdiensteinrichtung ab und absolvierte hierbei von Oktober 2017 bis März 2018 eine Ausbildung zum Rettungssanitäter. Auf die Bescheinigung über die Teilnahme am Bundesfreiwilligendienst und auf das Zeugnis über die abgelegte Prüfung zur Rettungssanitäterin vom 17.03.2018 wird verwiesen.
Ab dem 01.06.2018 stand sie in einem Arbeitsverhältnis als Rettungssanitäterin bei der Rettungsdiensteinrichtung. Die Arbeitszeit betrug zeitweise unter 20 Stunden, teilweise 40,5 Stunden in der Woche.
Im Wintersemester 2018/2019 war B an der Universität 1 im Studiengang "Betriebswirtschaft" immatrikuliert.
Seit dem 15.03.2019 ist B im Studiengang "Soziale Arbeit" an der Hochschule 1 in A-Stadt immatrikuliert.
Die Familienkasse gewährte daraufhin der Klägerin mit Bescheid vom 27.03.2019 Kindergeld für B ab April 2019.
Mit Schreiben vom 12.02.2022 übersandte die Klägerin einen mit Wirkung ab 01.01.2022 geänderten Arbeitsvertrag für B bei der Rettungsdiensteinrichtung als Rettungssanitäterin. Die Arbeitszeit beträgt demnach 30 Stunden in der Woche.
Mit Bescheid vom 04.04.2022 hob die Familienkasse die Festsetzung des Kindergeldes für das Kind B für den Zeitraum von Januar 2022 bis März 2022 auf und forderte das für den Zeitraum von Januar 2022 bis einschließlich März 2022 ausgezahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt 657 € zurück.
Die Entscheidung wurde damit begründet, dass die besonderen Anspruchsvoraussetzungen zur Berücksichtigung volljähriger Kinder nicht vorliegen würden. B habe die erste Berufsausbildung bzw. das Erststudium abgeschlossen. Sie habe die für das angestrebte Berufsziel erforderliche Ausbildung mit dem ersten erlangten Abschluss beendet. Aktuell befinde sie sich in einer weiteren Berufsausbildung. Daneben gehe sie einer Erwerbstätigkeit nach und könne daher nach § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG nicht berücksichtigt werden.
Der frühere Verfahrensbevollmächtigte erhob für die Klägerin Einspruch.
Es wurde vorgetragen, dass die Ausbildung zum Rettungssanitäter in der Bayerischen Rettungssanitäterverordnung (BayRettSanV) geregelt sei und nach § 2 eine Ausbildung von 520 Stunden zu je 45 Minuten umfasse. Er legte eine Bescheinigung der Rettungsdiensteinrichtung vom 01.03.2022 vor, wonach es sich bei dem Beruf als "Rettungssanitäter" um keinen staatlich anerkannten Ausbildungsberuf handele.
Die Familienkasse wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 27.06.2022 als unbegründet zurück.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums ein Kind in den Fällen des Satzes 1 Nummer 2 nur berücksichtigt werde, wenn das Kind keiner Erwerbstätigkeit nachgehe. Nach § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG seien eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis i. S. d. §§ 8 und 8a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch unschädlich.
Im Streitfall habe das Kind eine erstmalige Berufsausbildung abgeschlossen, da es eine Ausbildung zur Rettungssanitäterin erfolgreich absolviert habe. Zwar studiere B seit März 2019 im Studiengang "Soziale Arbeit". Sie arbeite aber als Rettungssanitäterin und gehe seit 01.01.2022 einer Erwerbstätigkeit mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 30 Stunden nach. Ein Anspruch auf Kindergeld bestehe daher für den Streitzeitraum nicht.
Im Streitfall sei die Regelung des § 9 Abs. 6 EStG nicht anzuwenden. Zwar enthalte § 9 Abs. 6 Satz 2 EStG eine Definition einer Erstausbildung. Diese beziehe sich aber explizit auf eine Erstausbildung im Rahmen des Satzes 1. Mit § 9 Abs. 6 EStG werde damit geregelt, wann im Rahmen einer Berufsausbildung oder eines Studiums Aufwendungen als Werbungskosten abgesetzt werden könnten. Da diese Ausführungen und Definitionen zu einer Erstausbildung lediglich in § 9 EStG geregelt worden seien, sei die Bestimmung aufgrund der Systematik auch lediglich im Rahmen des Ansatzes von Werbungskosten einschlägig. Eine Anwendung im Rahmen der kindergeldrechtlichen Beurteilung einer erstmaligen Berufsausbildung sei nicht möglich.
Aufgrund des erfolgreichen Abschlusses der Ausbildung zur Rettungssanitäterin habe das Kind daher bereits eine erstmalige Berufsausbildung abgeschlossen. Zwischen der Erstausbildung und dem weiteren Studium "Soziale Arbeit" bestehe gerade kein enger sachlicher und auch kein enger zeitlicher Zusammenhang. Beim Studiengang "Soziale Arbeit" handele es sich daher um ein Zweitstudium. Es könne deshalb keine einheitliche Erstausbildung bejaht werden.
Mit der Klage verfolgt die Klägerin ihr Klageziel, Kindergeld für B von Januar 2022 bis März 2022 zu erhalten, weiter und trägt zur Begründung im Wesentlichen vor:
B habe nach dem Abitur von Oktober 2017 bis Mai 2018 Bundesfreiwilligendienst abgeleistet. Von Oktober 2017 bis März 2018 habe sie dabei an einem Lehrgang zum Rettungssanitäter teilgenommen. Von März bis Mai 2018 habe B dann eine Tätigkeit als Rettungssanitäter im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes ausgeübt.
Entgegen der Auffassung der Familienkasse sei der im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes absolvierte Lehrgang zur Rettungssanitäterin keine abgeschlossene erstmalige Berufsausbildung. Der Freiwilligendienst sei grundsätzlich keine Berufsausbildung (Hinweis auf BFH-Urteile vom 07.04.2011 III R 11/09, BFH/NV 2011, 1325 m.w.N., und vom 09.02.2012 III R 78/09, BFH/NV 2012, 940). Auch handele es sich bei dem Lehrgang zum Rettungssanitäter im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes für das Kind B um keine Vorbereitung auf eine dem Berufsziel dienende Maßnahme zum Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind. B studiere derzeit soziale Arbeit, was das Berufsziel darstelle. Rettungssanitäter sei kein Berufsziel gewesen.
Es werde zudem darauf hingewiesen, dass der Begriff der Erstausbildung in § 9 Abs. 6 EStG mit einer Ausbildungszeit von mindestens 12 Monaten definiert sei. Der Lehrgang zum Rettungssanitäter habe von Oktober 2017 bis März 2018, mithin weniger als 12 Monate, gedauert. Es handele sich bei dem Lehrgang zum Rettungssanitäter demnach um keine Erstausbildung im Sinne des § 9 Abs. 6 EStG.
Der Prozessbevollmächtigte beantragt unter Aufhebung des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids vom 04.04.2022 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 27.06.2022 die Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld für B für den Zeitraum von Januar 2022 bis einschließlich März 2022 festzusetzen.
Weiter beantragt er die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären. Für den Fall des Unterliegens wird die Zulassung der Revision beantragt.
Die Familienkasse beantragt Klageabweisung und verweist zur Begründung auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis dazu erklärt, dass das Gericht ohne mündliche Verhandlung und der zum Berichterstatter bestellte Richter anstelle des Senats entscheidet (§§ 90 Abs. 2, 79 a Abse. 3 und 4 FGO).
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie die von der Familienkasse vorgelegte elektronisch geführte Kindergeldakte mit der Nr. XXX verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg.
Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid der Familienkasse vom 04.04.2022 sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 27.06.2022 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten.
Die Klägerin hat für den Streitzeitraum einen Anspruch auf Gewährung von Kindergeld für B.
Das Kind hatte im Streitzeitraum eine erstmalige Berufsausbildung noch nicht abgeschlossen, weshalb es auf die Frage der Erwerbstätigkeit nicht ankommt.
Ein Kind wird für Zwecke des Kindergeldes über das 18. Lebensjahr hinaus nach den §§ 62 Abs. 1, 63 Abs. 1, 32 Abs. 4 EStG nur dann berücksichtigt, wenn einer der in § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG genannten Tatbestände vorliegt. Danach wird ein Kind beim Kindergeld unter anderem dann berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG), sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten befindet (Nr. 2 Buchst. b), eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatz nicht beginnen oder fortsetzen kann (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG), wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG) oder nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und bei der Agentur für Arbeit als Arbeitssuchender gemeldet ist (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG).
Nach § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung wird ein Kind nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne der §§ 8 und 8a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch sind unschädlich (§ 32 Abs. 4 Satz 3 EStG).
1. Es liegt der Berücksichtigungstatbestand für Kindergeld nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG (Ausbildung zu Beruf) vor, denn B ist an der Hochschule 1 in A-Stadt immatrikuliert und studiert dort im Studiengang "Soziale Arbeit".
2. Die im Streitzeitraum durchgeführte Erwerbstätigkeit mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von mehr als 20 Stunden (vgl. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) steht dem Anspruch auf Kindergeld nicht entgegen, da B im Streitzeitraum eine erstmalige Berufsausbildung noch nicht abgeschlossen hatte.
a) Die Voraussetzung "Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung" i.S. der Vorschrift liegt erst dann vor, wenn das Kind befähigt ist, einen von ihm angestrebten Beruf auszuüben. Dies hat zur Folge, dass auch erst dann der Verbrauch der Erstausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG eintreten kann. Hinsichtlich der Auslegung der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verwendeten Tatbestandsmerkmale erstmalige Berufsausbildung und Erststudium hat der BFH entschieden, dass das Erststudium nur einen Unterfall des Oberbegriffes erstmalige Berufsausbildung darstellt und der Erstausbildungsbegriff des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG enger auszulegen ist als das in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG verwendete Tatbestandsmerkmal "Kind, das ... für einen Beruf ausgebildet wird" (BFH-Urteile vom 19.02.2020 III R 28/19, BStBl. II 2020, 562, Rn. 11; und vom 03.07.2014 III R 52/13, BStBl. II 2015, 152, Rz 19 ff).
b) Die den Erstausbildungsbegriff des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG begrenzenden Kriterien hat der BFH dabei vor allem in folgenden Punkten gesehen. Es muss sich um einen öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang handeln (BFH-Urteil vom 03.07.2014 III R 52/13, BStBl. II 2015, 152). Dieser muss auf einen Abschluss ausgerichtet sein, der in Form einer Prüfung erfolgt. Durch die berufliche Ausbildungsmaßnahme muss das Kind die notwendigen fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse erwerben, die es zur Aufnahme eines Berufs befähigen, wodurch insbesondere eine Abgrenzung gegenüber dem Besuch einer allgemein bildenden Schule, aber auch gegenüber allgemeinen Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen wie etwa Sprach- und Computerkursen erfolgen soll (BFH-Urteil in BStBl. II 2015, 152, Rz 24). Liegen mehrere Ausbildungsabschnitte vor, können diese dann eine einheitliche Erstausbildung darstellen, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das vom Kind angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann (BFH-Urteil vom 19.02.2020 III R 28/19, BStBl. II 2020, 562, Rn. 11).
c) Da es im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG auf das angestrebte Berufsziel des Kindes ankommt, muss der Tatbestand "Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung" nicht bereits mit dem ersten (objektiv) berufsqualifizierenden Abschluss (z.B. in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang) erfüllt sein (BFH-Urteil vom 03.07.2014 III R 52/13, BStBl. II 2015, 152, Rz 25 ff.). Dies folgt u.a. aus einer gegenüber § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG (Kind, das "für einen Beruf ausgebildet wird") engeren Auslegung des Berufsausbildungsbegriffs (BFH-Urteil vom 15.04.2015 V R 27/14, BStBl. II 2016, 163, Rn. 19 m.w.N.; Schmidt/Loschelder, EStG 41. Auflage, § 32 Tz. 61). Ob die nach Erlangung des erstmaligen Abschlusses aufgenommene Berufstätigkeit die Hauptsache und die weiteren Ausbildungsmaßnahmen eine auf Weiterbildung und/oder Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig gerichtete Nebensache oder eine Erstausbildung darstellen, ist dabei anhand einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse zu entscheiden (vgl. BFH-Urteil vom 19.02.2020 III R 28/19, BStBl. II 2020, 562, Rz. 15; Schmidt/Loschelder, EStG 41. Auflage, § 32 Tz. 62).
d) Im Streitfall ist der Freiwilligendienst an sich grundsätzlich keine Berufsausbildung. Der Freiwilligendienst dient in der Regel nicht der Vorbereitung auf einen konkret angestrebten Beruf, sondern der Erlangung sozialer Erfahrungen und der Stärkung des Verantwortungsbewusstseins für das Gemeinwohl (BFH-Urteile vom 07.04.2011 III R 11/09, BFH/NV 2011, 1325 m.w.N., und vom 09.02.2012 III R 78/09, BFH/NV 2012, 940). Auch die im Rahmen des Freiwilligendienstes absolvierte Qualifikation zum Rettungssanitäter ist bei der vom Gericht vorzunehmenden Gesamtwürdigung der Verhältnisse keine Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, da sie durch die Erlangung sozialer Erfahrungen überlagert wird. B hat zwar von Oktober 2017 bis März 2018 eine Ausbildung zum Rettungssanitäter absolviert. Zwischen den Beteiligten ist auch unstreitig, dass B die Ausbildung im Rahmen eines öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgangs gemäß der Bayerischen Rettungssanitäterverordnung (BayRettSanV) mit der Abschlussprüfung gemäß dem Zeugnis über die Prüfung zur Rettungssanitäterin vom 17.03.2018 erfolgreich abgelegt hat. Die nur knapp 6 Monate dauernde Ausbildung bei einer Dienstausübung im Rahmen des Bundesfreiwilligendiensts ist jedoch keine erstmalige Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG. Wenn eine nur wenige Monate dauernde Qualifikation (§ 1 Abs. 1 BayRettSanV) unter Einbeziehung des Bundesfreiwilligendienstes negative Folgen für eine Kindergeldberechtigung hätte, würde dies dem sich aus dem Gesetz zur Förderung von Jugendfreiwilligendiensten (JFDG) ergebenden Förderungszweck widersprechen. Diesen sieht der Gesetzgeber in der Förderung der Bildungsfähigkeit der Jugendlichen und ihres bürgerschaftlichen Engagements (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 JFDG). Erwüchse aus der Ableistung des freiwilligen sozialen Jahrs ein Ausschlusstatbestand im Hinblick auf eine weitere Ausbildung, so würde dies dem dem JFDG innewohnenden Förderungszweck zuwiderlaufen (so auch Hessisches Finanzgericht zu ähnlicher Konstellation, Urteil vom 05.06.2020 5 K 34/20, EFG 2022, 1275). Schließlich ist der Jugendfreiwilligendienst selbst von einem allgemeinen Ausbildungscharakter getragen. Denn dieser Dienst stellt sich als eine besondere Lernform dar. So geht § 3 Abs. 1 JFDG von an Lernzielen orientierten praktischen Hilfstätigkeiten aus. § 3 Abs. 2 JFDG sieht eine pädagogische Begleitung des Dienstes vor.
3. Die im Streitzeitraum durchgeführte Erwerbstätigkeit steht dem Anspruch auf Kindergeld auch deshalb nicht entgegen, weil die Qualifikation zum Rettungssanitäter lediglich knapp 6 Monate dauerte und damit die Mindestdauer nach § 9 Abs. 6 Satz 2 EStG nicht erreicht wird.
a) Nach § 9 Abs. 6 Satz 2 EStG liegt eine Berufsausbildung als Erstausbildung vor, wenn eine geordnete Ausbildung mit einer Mindestdauer von 12 Monaten bei vollzeitiger Ausbildung und mit einer Abschlussprüfung durchgeführt wird. Der gesamte Absatz 6 wurde mit erstmaliger Geltung zum Veranlagungszeitraum 2015 eingeführt. Diese Definition der Berufsausbildung als Erstausbildung in Satz 2 ist nicht nur für den Bereich der Werbungskosten nach § 9 Abs. 6 Satz 1 EStG, sondern auch auf den Begriff der erstmaligen Berufsausbildung in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG anzuwenden, der keine eigene Beschreibung dieses Begriffes vorsieht.
b) Dies ergibt sich daraus, dass im EStG die Begriffe einheitlich auszulegen sind und § 9 Abs. 6 Satz 2 EStG den Begriff Berufsausbildung als Erstausbildung definiert, während die in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verwendeten Tatbestandsmerkmale nicht umschrieben werden (vgl. BFH-Urteil vom 12.02.2020 VI R 17/20 (VI R 64/12), BStBl. II 2020, 719). Auch in der Literatur wird ein Kontext der Regelung in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG mit § 9 Abs. 6 EStG gesehen, um gleichheitsrechtliche Bedenken auszuräumen (so Seiler in Kirchhof, EStG 21. Auflage, § 32 Tz. 16). Das Urteil des BFH vom 27.10.2011 (VI R 52/10, BStBl. II 2012, 825) kann hingegen, auch wenn es zur Ausbildung zum Rettungssanitäter ergangen ist, im Streitfall für die Beschreibung des Begriffs der "erstmaligen Berufsausbildung" nicht herangezogen werden, da es zur Gesetzesfassung des Jahres 2005 und damit für einen Zeitraum vor der Einführung des § 9 Abs. 6 EStG ergangen ist.
c) Im Streitfall absolvierte B die Ausbildung zum Rettungssanitäter von Oktober 2017 bis März 2018. Jedoch hat die Ausbildung zum Rettungssanitäter mit 520 Stunden zu je 45 Minuten für B nur knapp 6 Monate gedauert. Eine Mindestdauer der Ausbildung sieht die BayRettSanV nicht vor, insbesondere keine Mindestdauer von 12 Monaten. Die Ausbildung ist nach der Verordnung möglichst zusammenhängend abzuleisten, spätestens jedoch innerhalb von drei Jahren ab Beginn der Ausbildung mit der Abschlussprüfung zu beenden (§ 2 Abs. 2 BayRettSanV). Damit ist die Mindestdauer der erstmaligen Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht erreicht.
d) Mangels Abschlusses einer erstmaligen Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG mit einer Mindestdauer von 12 Monaten kommt es auf die Erwerbstätigkeit der B im Streitzeitraum nicht an. Damit entfällt eine Prüfung des § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG.
Aufgrund der dem Streitfall zugrundeliegenden schwierigen Sach- und Rechtsfragen war die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten der Klägerin sowie die Abwendungsbefugnis, der von Amts wegen zu erfolgen hat, ergibt sich aus den §§ 151 Abs. 1 Satz 1 FGO, 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.