16.10.2024 · IWW-Abrufnummer 244289
Finanzgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 30.08.2024 – 3 K 1285/22
Eine Gehaltsumwandlung im Rahmen eines Geldkartenmodells erfüllt das "Zusätzlichkeitserfordernis" des § 8 Abs. 4 EStG nicht, wenn der Arbeitslohn zugunsten der monatlichen Aufladungen auf die Geldkarte reduziert wird. Die Einführung des § 8 Abs. 4 EStG durch das Jahressteuergesetz 2021 stellt eine zulässige unechte Rückwirkung dar, da das Gesetz auf einen noch nicht abgeschlossenen Veranlagungszeitraum der Einkommensteuer angewendet wird. Der Vertrauensschutz auf eine unveränderte Fortgeltung der früheren Rechtslage wird durch das Interesse des Gesetzgebers an der Klarstellung der steuerlichen Voraussetzungen für Sachbezüge überwogen. Lohnsteuer und Einkommensteuer sind im Hinblick auf die Anwendung des "Zusätzlichkeitserfordernisses" einheitlich zu betrachten, wobei der Arbeitgeber verpflichtet ist, rückwirkende Gesetzesänderungen beim Lohnsteuerabzug zu berücksichtigen.
In dem Finanzrechtsstreit
der
- Klägerin -
prozessbevollmächtigt:
gegen
das Finanzamt
- Beklagter -
für Recht erkannt:
II. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Die Klägerin betreibt ein international operierendes Handelsunternehmen in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft.
Der Beklagte erteilte am 27. August 2018 sowie am 23. Oktober 2018 antragsgemäß (Antrag vom 24. Juli 2018) eine Anrufungsauskunft nach § 42 e des Einkommensteuergesetzes (EStG), mit der er den Rechtsstandpunkt des Beklagten in Bezug auf die Lohnsteuerfreiheit der Gehaltsumwandlung im Rahmen des vom Beklagten praktizierten Geldkartenmodells bestätigte. Die Klägerin stellte ihren Mitarbeitern im Rahmen dieses Geldkartenmodells Kreditkarten (...-...card) zur Verfügung. Monatlich wurden den Kreditkartenkonten der Mitarbeiter jeweils 44,- Euro gutgeschrieben. Dementsprechend wurde nach vertraglich vereinbarter Gehaltsumwandlung der monatliche Bruttoarbeitslohn um 44.- Euro reduziert. Der einem Kreditkartenkonto zugeführte Betrag durfte nur für die Bezahlung von Sach- oder Dienstleistungen verwendet werden, eine Barauszahlung durfte nicht erfolgen. Der infolge der vom Beklagten bestätigten Steuerfreiheit reduzierte Lohnsteuerbetrag wurde der betrieblichen Altersvorsorge der Mitarbeiter der Klägerin zugeführt.
Diese rechtliche Handhabung entspricht auch einer im Jahre 2019 ergangenen Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH, Urteil vom 1. August 2019, VI R 32/18, das Urteil wurde am 24. Oktober 2019 veröffentlicht) zu den Voraussetzungen, nach denen Sachbezüge und Zuschüsse für eine Beschäftigung zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht werden (§ 8 EStG). Nach dieser Entscheidung liege "ohnehin geschuldeter" Arbeitslohn vor, wenn der Lohn verwendungsfrei und ohne eine bestimmte Zweckbindung bezogen werde. Das Tatbestandsmerkmal "zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn" (so genanntes Zusätzlichkeitserfordernis) werde im Einkommensteuergesetz in verschiedenen Begünstigungstatbeständen verwendet. Es sei erfüllt bei Bezügen, die der Arbeitgeber (im Zeitpunkt der Lohnzahlung) nur verwendungs- bzw. zweckgebunden leiste, wobei kein arbeitsvertraglicher Anspruch gegeben sein müsse.
Das Bundesministerium der Finanzen wendete das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 1. August 2019 nicht über den Einzelfall hinaus an. Im BMF-Schreiben vom 5. Februar 2020 (GZ IV C 5 - S 2334/19/10017: 002 DOK 2020/0097878) zur Anwendung des Urteils vom 1. August 2019 wurde zu der in der Bestimmung der 44-Euro-Freigrenze bei Gutscheinen und Geldkarten in § 8 Abs. 2 Satz 11 Halbsatz 2 EStG enthaltenen Voraussetzung ausgeführt: "zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn im Vorgriff auf eine entsprechende Gesetzesänderung abweichend von der neuen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und über den Einzelfall hinaus zur Gewährleistung der Kontinuität der Rechtsanwendung" gelte weiterhin, dass die Leistung nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet werden dürfe, der Anspruch auf Arbeitslohn nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt werden dürfe, die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt und bei Wegfall der Leistung der Arbeitslohn nicht erhöht werden dürfe.
Der Beklagte änderte gemäß § 207 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) die der Klägerin erteilte Anrufungsauskunft vom 23. Oktober 2018 am 20. März 2020. Der Einspruch gegen die Änderung wurde vom Beklagten als unbegründet zurückgewiesen (Einspruchsentscheidung vom 30. April 2020).
Der Beklagte setzte ab April 2020 die Lohnsteuer fest und berücksichtigte die im Rahmen des Geldkartenmodells gutgeschriebenen Beträge nicht als steuerfreie Sachbezüge. Für den Voranmeldungszeitraum April 2020 (Festsetzung vom 15. Juni 2020) ergab sich ein Mehr-Steuerbetrag in Höhe von ... Euro. Die Klägerin erhob in der Folge jeweils Einspruch gegen die für die Monate bis Dezember 2020 festgesetzten Lohnsteuerbeträge (Übersicht: Einspruchsentscheidung vom 30. April 2020 Seite 3, Blatt 12 der Akte, die Verfahren für die Voranmeldungszeiträume nach April 2020 ruhen). Sämtliche zusätzlichen Lohnsteuerbeträge wurden von der Klägerin entrichtet.
Das vorliegende Verfahren betrifft die Festsetzung der Lohnsteuer für den Voranmeldungszeitraum April 2020. Gegen diesen Bescheid vom 15. Juni 2020 (Blatt 21 der Akte) legte die Klägerin am 1. Juli 2020 form- und fristgerecht Einspruch ein. Zur Begründung führte sie zunächst aus, die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 1. August 2020 stehe der Nichtberücksichtigung der Steuerfreiheit von Bezügen im Geldkartenmodell entgegen.
Im Laufe des Einspruchsverfahrens wurde im Jahressteuergesetz 2021 vom 21. Dezember 2020 in § 8 des Einkommensteuergesetzes Absatz 4 angefügt, mit dem das Merkmal "zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn" definiert wurde. Das in § 8 Abs. 4 EStG enthaltene "Zusätzlichkeitserfordernis" betrifft die Anwendung der 44-Euro-Freigrenze bei Gutscheinen und Geldkarten (§ 8 Abs. 2 Satz 11 Halbsatz 2 EStG). Nach § 52 Absatz 1 EStG ist § 8 Abs. 4 EStG erstmals anzuwenden auf Leistungen des Arbeitgebers oder auf seine Veranlassung eines Dritten (Sachbezüge oder Zuschüsse), die in einem nach dem 31. Dezember 2019 endenden Lohnzahlungszeitraum oder als sonstige Bezüge nach dem 31. Dezember 2019 zugewendet werden.
Die Klägerin machte im Rahmen der Begründung des Einspruchs danach geltend, dass die auf den 1. Januar 2020 rückwirkende gesetzliche Legaldefinition des Zusätzlichkeitserfordernisses verfassungswidrig sei. Die konkrete Ausgestaltung des Gesetzes sei bis zur Verabschiedung des Jahressteuergesetzes im Dezember 2020 unklar gewesen. Die Gesetzesänderung stelle eine echte und damit unzulässige Rückwirkung dar, weil die Lohnsteuer nach dem Zeitpunkt ihrer Entstehung nachträglich geändert werde, obwohl der den Steuertatbestand begründende Sachverhalt bereits abgeschlossen sei.
In der Einspruchsentscheidung vom 2. März 2020 führte der Beklagte aus, dass es sich bei der Einführung von § 8 Abs. 4 EStG um einen zulässigen Fall der echten Rückwirkung handle. Ein schutzwürdiges Interesse der Klägerin habe im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht bestanden. Die Rückwirkung sei aufgrund der Vorhersehbarkeit der Rechtsänderung im vorliegenden Fall gerechtfertigt. Die Gesetzesänderung sei konkret angekündigt worden. Weiterhin sei mangels Veröffentlichung des BFH-Urteils im Bundessteuerblatt keine verwaltungsinterne Rechtsbindung eingetreten. Auch mangels langjährig gefestigter Rechtsprechung sei daher kein Vertrauen gegeben, da ernsthaft mit einer entsprechenden Gesetzesänderung zu rechnen gewesen wäre.
Spätestens die Aufhebung der Anrufungsauskunft habe die Erwartung einer Neuregelung ausgelöst. Zu diesem Zeitpunkt habe die BFH-Rechtsprechung kein schützenswertes Vertrauen mehr entfaltet. Somit habe die Klägerin mit der Rechtsänderung rechnen und spätestens ab April 2020 hätten die infrage stehenden Beträge versteuert werden müssen.
Weiterhin weist der Beklagte darauf hin, dass aufgrund des erfolgten Nichtanwendungserlasses ohnehin die Grundsätze des BMF-Schreibens vom 5. Februar 2020 anstelle der begünstigenden BFH-Rechtsprechung anzuwenden seien.
Die Klägerin trägt vor, der Haftungs- und Nachforderungsbescheid über Lohnsteuer und sonstige Lohnabzüge vom 15. Juni 2020 für den Monat April 2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. März 2022 sei rechtswidrig. Entgegen der Auffassung des Beklagten liege hinsichtlich der monatlichen Aufladungen auf die so genannte ...-...card ein steuerfreier Sachbezug im Sinne des § 8 Abs. 2 Satz 11 EStG vor. Danach blieben dem Arbeitnehmer gewährte Sachbezüge lohnsteuerlich außer Ansatz, wenn der geldwerte Vorteil einen Betrag von 44.- Euro pro Kalendermonat nicht übersteige. Dies gelte für die nach § 8 Abs. 1 Satz 3 nicht zu den Einnahmen in Geld gehörenden Gutscheine und Geldkarten nur, wenn sie zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gewährt würden (§ 8 Abs. 2 Satz 11 Halbsatz 2 EStG).
Diese Voraussetzungen seien hinsichtlich der ...-...card gegeben. Zunächst handle es sich dabei um einen Sachbezug, der zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gewährt werde. Die ...-...card berechtige ausschließlich zum Bezug von Waren und Dienstleistungen. Eine Barauszahlungsfunktion sei ausgeschlossen. Auch eine IBAN liege nicht vor. Die Kriterien des § 2 Abs. 1 Nr. 10 ZAG seien erfüllt. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 10 ZAG sei kein sachbezugsschädlicher Zahlungsdienst gegeben, wenn sich der Erwerb auf den Emittenten oder ein begrenztes Netzwerk von Dienstleistern beschränke, die Guthabenkarte lediglich zum Erwerb eines sehr begrenzten Waren- und Dienstleistungsspektrums berechtige oder eine Inlandsbeschränkung vorliege und eine Gewährung für soziale oder steuerliche Zwecke erfolge. Aufgrund ihrer Ausgestaltung erfülle die ...-...card zwei der vorstehend genannten Voraussetzungen. Zum einen sei der Anwendungsbereich der Guthabenkarte ausschließlich auf ...card-Akzeptanzstellen beschränkt. Diese hätten regelmäßig eine Vereinbarung mit dem Anbieter der -card abgeschlossen. Mithin sei eine Beschränkung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. a ZAG auf ein begrenztes Netzwerk von Dienstleistern, die eine Vereinbarung mit dem Emittenten abgeschlossen hätten, gegeben. Zum anderen erfolge eine Beschränkung des Anwendungsbereichs auf das Inland sowie eine Gewährung für soziale Zwecke gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. c ZAG. Aufgrund der Steuereinsparungen durch Inanspruchnahme der Sachbezugsfreigrenze solle eine Förderung der betrieblichen Altersvorsorge erzielt werden.
Die ...-...card sei nach Maßgabe des BFH-Urteils vom 1. August 2019 "zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn" gewährt worden. Im Zeitpunkt des Lohnsteuerabzugs (April 2020) habe es sich nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs um einen steuerfreien Sachbezug gehandelt. § 8 Abs. 4 EStG stehe einer Steuerfreiheit grundsätzlich entgegen. Diese Regelung dürfe nicht rückwirkend angewendet werden. Bei der ...-...card handle es sich um eine zweckgebundene Leistung. Das Aufladen von Guthaben auf die ...-...card diene nicht primär einer Verringerung der effektiven Steuerbelastung, sondern vielmehr der sozialen Fürsorgeverpflichtung des Arbeitgebers zum Aufbau einer Altersvorsorge der Mitarbeiter. Die Finanzierung im Rahmen einer Gehaltsumwandlung sei zudem unschädlich für die Qualifikation als "zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn geleistet". Schließlich sei eine bloße schädliche Umwandlung (Verrechnung) von Vergütungsbestandteilen zu verneinen. Im Zuge der vertraglichen Vereinbarungen zwischen der Klägerin und den Arbeitnehmern werde der Bruttolohn arbeitsrechtlich wirksam herabgesetzt und im Gegenzug die Aufladung auf die ...card vereinbart. Es liege keine begünstigungsschädliche Gehaltsumwandlung vor. Die Klägerin könne auch nicht einseitig, ohne Vertragsänderung, eine im Hinblick auf die vorhandenen Begünstigungstatbestände optimierte Berechnung der Lohnsteuer bewirken. Der Arbeitnehmer müsse die Gehaltsumwandlung vielmehr ausdrücklich bei der Klägerin beantragen. Mithin werde nicht einseitig auf das Interesse des Arbeitgebers abgestellt, vielmehr stehe das Interesse des Arbeitnehmers im Vordergrund der Gehaltsumwandlung. Weiterhin sei gemäß § 3 Abs. 5 der Vertragsbedingungen betreffend die ...-...card eine Anrechnung der Sachleistungen auf tariflich vereinbarte Entgeltansprüche vertraglich ausgeschlossen.
Für die Qualifikation der steuerbegünstigten Leistungen sei der Zuflusszeitpunkt der tatsächlichen Leistung allein maßgeblich. Die Zusätzlichkeit der Leistung sei vorliegend im Zeitpunkt der Aufladung von Guthaben zu prüfen. Dabei sei nicht auf die vergangenen Vereinbarungen, sondern vielmehr auf die im Zuflusszeitpunkt geltenden vertraglichen Abreden abzustellen. Folglich sei ausschließlich die Vereinbarung unter Berücksichtigung der Gehaltsumwandlung inhaltlich maßgeblich; vergangene Vereinbarungen seien hingegen in diesem Kontext bei der Betrachtung ausdrücklich zu vernachlässigen.
§ 8 Abs. 4 EStG stehe der Steuerfreiheit nicht entgegen. Die ...-...card erfülle aufgrund der in diesem Zusammenhang durchgeführten Gehaltsumwandlung im Kalenderjahr 2020 nicht die Voraussetzungen des § 8 Abs. 4 EStG und sei daher nicht als "zusätzlich" zu werten. Eine Gewährung zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn liege nach Maßgabe des Gesetzeswortlauts nicht vor. Die Anwendung des § 8 Abs. 4 EStG vor dem Zeitpunkt der Verkündung des Jahressteuergesetzes 2020 sei jedoch unzulässig.
Die Lohnsteuerschuld werde nach ihrem gesetzlichen Entstehungszeitpunkt und der Berücksichtigung in der monatlichen Lohnsteueranmeldung der Klägerin nachträglich erhöht. Aufgrund des monatlichen Entstehungszeitpunkts der Lohnsteuerschuld sei die Lohnversteuerung im hier gegenständlichen Sachverhalt mit Zufluss des Arbeitslohns für den Kalendermonat April abgeschlossen gewesen. Eine abweichende Entstehung der Einkommensteuerschuld sei hingegen unbeachtlich.
Da die Abgeschlossenheit eines Sachverhaltes regelmäßig anhand des Zeitpunkts der Entstehung der jeweiligen Steuerschuld zu beurteilen sei, liege eine echte Rückwirkung vor, weil die Steuerschuld nach dem Zeitpunkt der Entstehung nachträglich geändert werde. Die Lohnsteuer entstehe bereits im Zeitpunkt des tatsächlichen Zuflusses von Arbeitslohn, § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG. Da den Arbeitnehmern der Klägerin das entsprechende Guthaben im Rahmen der ...-...card grundsätzlich monatlich zugeflossen sei, entstehe die Lohnsteuerschuld im vorliegenden Sachverhalt folglich ebenfalls monatlich. Die (pauschale) Nachversteuerung der ...-...card unter konkludenter Anwendung des § 40 Abs. 1 EStG begründe eine entsprechende monatliche Abgeschlossenheit des jeweils streitigen Steuertatbestandes. Die Lohnversteuerung gelte im Zeitpunkt des Lohnsteuereinbehalts final als abgegolten. Eine entsprechende Abgeltung begründe dabei ein Indiz für eine entsprechende Abgeschlossenheit. Der im Rahmen des Klageverfahrens angegriffene Bescheid beziehe sich vollumfänglich auf bereits abgeschlossene Sachverhalte, da der im Rahmen des Verwaltungsaktes entsprechend angegriffene Arbeitslohnbestandteil für den Kalendermonat April 2020 vor Verkündung des Jahressteuergesetzes 2020 im Bundesgesetzblatt am 28. Dezember 2020 zugeflossen ist.
Im Streitfall liege die Besonderheit darin, dass nicht die persönliche Einkommensteuerschuld des jeweiligen Arbeitnehmers, sondern die Lohnsteuerschuld des Arbeitgebers nachträglich modifiziert werde. Die Einkommensteuerschuld entstehe mit Ablauf eines Kalenderjahres. Die Lohnsteuerschuld entstehe nicht jahresbezogen, sondern vielmehr taggenau.
Die Voraussetzungen einer echten Rückwirkung seien erfüllt. Die belastende Rechtsfolge trete nicht nach Verkündung des entsprechenden Gesetzes ein, vielmehr sei der vom Gesetz betroffene Sachverhalt bereits zu einem Zeitpunkt vor der Verkündung des Gesetzes ausgelöst worden. Die Gewährung einer ...-...card sei im Rahmen einer einzelvertraglichen Abrede zwischen Klägerin und ihren Arbeitnehmern auf Grundlage einer entsprechenden Betriebsvereinbarung aus dem Jahre 2018 vor der Verkündung des Gesetzes vereinbart worden. Die monatliche Gewährung des entsprechenden Guthabens sei insoweit mit Abschluss der Vereinbarung für die Zukunft beschlossen worden. Der maßgebliche Auslöser des Sachverhalts könne im Abschluss der entsprechenden Vereinbarung, mindestens jedoch im monatlichen Zufluss des entsprechenden Guthabens angenommen werden. Aufgrund des Zuflusses des Guthabens vor Verkündung des Gesetzes im Bundesgesetzblatt sei der hier gegenständliche Besteuerungstatbestand bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes ausgelöst worden.
Die echte Rückwirkung sei unzulässig. Ausnahmen vom Grundsatz der Unzulässigkeit echter Rückwirkungen seien nicht gegeben. Eine solche Ausnahme könne gegeben sein, wenn der Betroffene schon im Zeitpunkt, auf den die Rückwirkung bezogen werde, nicht auf den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung haben vertrauen dürfen, sondern mit deren Änderung habe rechnen müssen. Ein Vertrauensschutz komme insbesondere dann nicht in Betracht, wenn die Rechtslage so unklar und verworren sei, dass eine Klärung habe erwartet werden müsste, oder wenn das bisherige Recht in einem Maße systemwidrig und unbillig gewesen sei, dass ernsthafte Zweifel an seiner Verfassungsmäßigkeit bestanden hätten. Der Vertrauensschutz müsse ferner zurücktreten, wenn überragende Belange des Gemeinwohls, die dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgingen, eine rückwirkende Beseitigung erfordern, wenn der Bürger sich nicht auf den durch eine ungültige Norm erzeugten Rechtsschein habe verlassen dürfen oder wenn durch die sachlich begründete rückwirkende Gesetzesänderung kein oder nur ganz unerheblicher Schaden verursacht werde (Bagatellvorbehalt).
Keine dieser Ausnahmen sei einschlägig. Die Klägerin habe nicht mit der Normierung der Regelung in § 8 Abs. 4 EStG rechnen müssen. Die bis zur Einführung von § 8 Abs. 4 EStG geltende Rechtslage sei nicht unklar oder verworren gewesen.
In der Gesetzesbegründung zum Jahressteuergesetz 2020 werde die Klarstellung der Rechtslage als Zweck des § 8 Abs. 4 EStG bezeichnet und auch die Beschlussempfehlung des Bundesrates verweise auf die Wiederherstellung der dem gesetzgeberischen Willen entsprechenden Rechtslage. Der klarstellende Charakter einer Rechtsnorm sei nicht anhand der Gesetzesbegründung zu bemessen. Eine verworrene Rechtslage liege nicht vor. Die Abkehr von Rechtsprechungsgrundsätzen habe zu einer neuen Beurteilung des Tatbestandsmerkmals "zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn" geführt, dies widerspreche der Auffassung der Finanzverwaltung, die Rechtslage sei abschließend geklärt worden.
Das Urteil des Bundesfinanzhofs sei im Bundessteuerblatts veröffentlicht worden (BStBl. II 2020 Seite 6). Der von Seiten der Finanzverwaltung ergangene Nichtanwendungserlass vom 5. Februar 2020 stelle die Äußerung einer Rechtsmeinung dar. Die Rechtsmeinung der Exekutive habe keinen höheren Stellenwert als die der Judikative. Es sei grundsätzlich unbeachtlich, ob die entsprechende BFH-Rechtsprechung seitens der Finanzverwaltung mit einem Nichtanwendungserlass belegt werde. Das Vertrauen in die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs habe durch den Nichtanwendungserlass nicht erschüttert werden können. Mit der Veröffentlichung des Urteils vom 1. August 2019 im Bundessteuerblatt sei zudem ein Vertrauenstatbestand entstanden, nach dem die Klägerin auf die entsprechende Anwendbarkeit der Rechtsprechung habe vertrauen dürfen.
Die Rechtslage in Bezug auf die Geldkartenmodelle sei nicht systemwidrig, unbillig oder nichtig. Dies gelte auch für die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs. Die Finanzverwaltung habe eine Anwendung der Rechtsprechung für die Zeiträume bis 2020 selbst angeordnet. Von einem Bagatellfall können nicht die Rede sein, im Rahmen der Gesetzesbegründung sei auf den umfangreichen Anwendungsbereich des § 8 Abs. 4 EStG sowie dessen praktischer Bedeutung hingewiesen worden.
Insbesondere sei das Zusätzlichkeitserfordernis in § 8 Abs. 2 Satz 11 EStG erst nach Verkündung der entsprechenden Rechtsprechung legal definiert worden. Mithin könne davon ausgegangen werden, dass bei Einführung einer Gesetzesnorm unter Kenntnis diesbezüglicher BFH-Rechtsprechung ohne entsprechende gesetzliche Klärung der Auslegung eine Anwendbarkeit der entsprechenden Rechtsprechungsgrundsätze anzunehmen sei.
Die Vermeidung von Ankündigungseffekten sowie überragende Belange des Gemeinwohls könnten zwar ausnahmsweise die Zulässigkeit der echten Rückwirkung begründen. Diese seien jedoch nicht einschlägig. Von einer Vermeidung entsprechender Ankündigungseffekte im Sinne einer Verlagerung entsprechend eingeschränkter Handlungen vor den Zeitpunkt des Inkrafttretens der entsprechenden materiell-rechtlichen Regelung könne nicht ausgegangen werden. Die Betriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersvorsorge sei bereits im Jahr 2018 abgeschlossen worden, somit sei kein Verlagerungseffekt erwartbar gewesen. Auch der langfristige Charakter der Vereinbarung stehe einer kurzfristigen Umdisponierung substanziell entgegen. Weiterhin werde das Tatbestandsmerkmal "zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn" vielfach im Zusammenhang mit laufenden Arbeitslohnbestandteilen in Anspruch genommen. Da diese ihrem Wesen nach monatlich geleistet würde, sei eine Verlagerung entsprechender Zuwendungen in Vorperioden in hohem Maße unwahrscheinlich, aufgrund der monatlichen Betrachtung der Sachbezugsfreigrenze im Streitfall sogar gänzlich ausgeschlossen.
Überragende Belange des Gemeinwohls seien vorliegend nicht betroffen. Eine solche Konstellation liege nur vor, wenn eine "schwerste Gefahr für höchste Verfassungsgüter" bestehe. Zwar würden durch entsprechende Gehaltsumwandlungen regelmäßig die zu leistenden Sozialversicherungsbeiträge und somit auch die Ansprüche des Arbeitnehmers im Leistungsfall reduziert. Gleichwohl sei die entsprechende Minderung nicht als "schwerste Gefahr" im Sinne der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung einzustufen. Insbesondere komme es aufgrund der Inanspruchnahme der Sachbezugsfreigrenze zu einer jährlichen Minderung des sozialversicherungspflichtigen Entgelts um 528 Euro. Die hierauf im Kalenderjahr 2020 entfallenden Sozialversicherungsbeiträge scheinen kein ausreichendes Volumen zu erreichen, um eine entsprechende Gefahr für die Belange des Gemeinwohls belastbar begründen zu können. Überdies würden etwaige sozialversicherungsrechtliche Einbußen durch eine entsprechende Investition in eine betriebliche Altersvorsorge mindestens ausgeglichen.
Ein überwiegendes Interesse des Gesetzgebers an der Rückwirkung der entsprechenden Rechtsnorm sei nicht gegeben. Dieses wäre ausschließlich in extrem gelagerten Fällen wie unerwarteten Mindereinnahmen oder einem außerordentlichen Finanzbedarf anzunehmen gewesen. Die Identifikation eines allgemeinen Änderungsbedarfs sowie eine allgemeine Missbrauchsbekämpfung in Form der Einschränkung eines vergünstigenden Ziels ohne Dringlichkeit oder der reguläre Bedarf nach steuerlichen Mehreinkünften sind hingegen nicht ausreichend für die entsprechende Rechtfertigung einer echten Rückwirkung.
Die Rückwirkung sei auch nicht deshalb zulässig, weil es sich um ein nach der Rechtsprechung des BVerfG als zulässig erachtetes Nichtanwendungsgesetz handle. Führe der Gesetzgeber nach Änderung einer langjährigen Rechtsprechung mit Wirkung auch für abgelaufene Veranlagungszeiträume eine Regelung ein, die im Ergebnis die frühere Rechtsprechung wiederherstelle, so könne sich kein Vertrauen des Steuerpflichtigen bilden, das der Gesetzgeber hätte enttäuschen können. Vor seinem Urteil vom 1. August 2019 habe der Bundesfinanzhof im Rahmen seiner Rechtsprechung ausdrücklich die Auffassung vertreten, dass es für die Qualifikation "zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn" allein auf die Freiwilligkeit der Leistung ankomme. Auf eine solche Freiwilligkeit werde im Rahmen des § 8 Abs. 4 EStG jedoch eindeutig nicht abgestellt. Die Grundsätze der zuletzt ergangenen BFH-Rechtsprechung würden demnach nicht wiederhergestellt.
Entgegen den Ausführungen des Bundesrats im Rahmen der Beschlussempfehlung zum Jahressteuergesetz 2020 könne nicht von einer Vorhersehbarkeit ausgegangen werden. Der Entwurf des § 8 Abs. 4 EStG sei im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Grundrentengesetz eingebracht worden. Die Vorschrift sei jedoch sogar wieder aus dem Gesetzgebungsverfahren ausgenommen worden. Insofern sei eine entsprechende Neuregelung mit Wirkung für das Kalenderjahr 2020 aus Sicht des objektivierten Empfängerhorizonts nicht abzusehen gewesen. Die Vorsehbarkeit und eine belastbare Planbarkeit seien nicht gegeben und auch nicht möglich gewesen. Da die entsprechende Rechtsnorm bereits einmal aus dem Gesetzesentwurf ausgenommen worden sei, sei es auch im späteren Verlauf des Jahres nicht unwahrscheinlich gewesen, dass auch in diesem Gesetzgebungsverfahren eine entsprechende weitere Vertagung oder endgültige Nicht-Aufnahme der Rechtsnorm für das Gesetzgebungsverfahren beschlossen worden wäre.
Selbst wenn im Streitfall lediglich eine unechte Rückwirkung anzunehmen wäre, müsse ebenfalls von einer Unzulässigkeit ausgegangen werden. Eine besondere Dringlichkeit sei im Hinblick auf die Einführung des § 8 Abs. 4 EStG nicht gegeben. Wäre dies der Fall gewesen, hätte die Einführung der gesetzlichen Neuregelung, wie ursprünglich angedacht, im Rahmen des Grundrentengesetzes umgesetzt werden können.
Ein Abwägungsergebnis zugunsten des Vertrauensschutzes ergebe sich vorliegend daraus, dass die Rückwirkung im Verhältnis zum Gesetzeszweck nicht geeignet und nicht erforderlich sei und das Interesse des Geschädigten am Fortbestand des Rechts den entsprechenden Gesetzeszweck überwiege. Es sei mehr als die Erwartung des Fortbestands der Rechtslage erforderlich, um ein überwiegendes Interesse des Bürgers zu begründen. Das Vertrauen der Klägerin gehe vorliegend maßgeblich über die reine Erwartung hinaus. Es bestehe ein besonders schützenswertes Interesse am Fortbestand der Rechtslage, vor allem zum Schutz der betrieblichen Altersvorsorge der Arbeitnehmer. Die Wahrung oder Begründung sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche stelle ein besonders schützenswertes Anliegen (Bundestags-Drucksache 19/22850, Seite 3) dar. Zwar werde dieses Anliegen auch als Begründung für eine entsprechende Einführung des § 8 Abs. 4 EStG vorgetragen, gleichwohl scheint das Interesse des Gesetzgebers an einer grundsätzlichen Einschränkung der Nettolohnoptimierung den sozialen Gesichtspunkten zu überwiegen.
Weiterhin sei bei einer entsprechenden Abwägung, insbesondere auch die Intensität und die Schutzwürdigkeit des Vertrauens zu berücksichtigen. Ein Vertrauenstatbestand könne auf Grundlage einer vertraglichen Vereinbarung bestehen (BVerfG vom 7. Juli 2010, 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, Rn. 72). Die monatliche Aufladung der ...-...card sei nach den im Zeitpunkt des Zuflusses geltenden Rechtsgrundsätzen als steuerfreier Arbeitslohn behandelt worden. Mithin stehe der Klägerin sowie ihren Arbeitnehmern ein entsprechend vertrauensrechtlich geschützter Anspruch auf Fortbestand der Rechtslage im Zeitpunkt der Aufladung der ...-...card zu. Hierdurch sei im Ergebnis ein Vertrauen auf den Fortbestand der Rechtslage bei den Vertragsparteien ausgelöst worden.
Zudem sei es aufgrund des langfristig orientierten Charakters der betrieblichen Altersvorsorge der Klägerin unzumutbar, das entsprechende Gesamtkonstrukt zeitlich innerhalb weniger Monate dergestalt umzustrukturieren, dass die Arbeitnehmer nicht benachteiligt würden und eine Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben gewährleistet werde. Nach Abwägung der gesetzgeberischen Zielsetzung mit den Vertrauensgrundsätzen ergebe sich ein überwiegendes Gewicht auf Seiten des Vertrauensschutzes. Auch eine unechte Rückwirkung der Rechtsnorm sei mithin im Ergebnis unzulässig.
Für den Fall, dass § 8 Abs. 4 EStG rückwirkend für das Jahr 2020 anzuwenden sein sollte, wäre eine teleologische Reduktion des § 8 Abs. 4 EStG dahingehend erforderlich, dass Sachverhalte wie der vorliegende nicht von dem Anwendungsbereich des § 8 Abs. 4 EStG erfasst seien. Das in § 8 Abs. 4 EStG gesetzlich kodifizierte Zusätzlichkeitserfordernis schließe Gehaltsumwandlungen aus. Hierdurch würden bei einer Vielzahl an Vergütungssystemen diverse lohnsteuerliche Vergünstigungen versagt. Eine Benachteiligung des hier gegenständlichen Vergütungskonzepts scheine vor dem zugrundeliegenden Gesetzeszweck unbeabsichtigt. Ein Ausschluss sei seitens des Gesetzgebers vor dem Hintergrund in die Norm aufgenommen worden, dass ein Missbrauch lohnsteuerlicher Vergünstigungsnormen den Arbeitnehmer langfristig benachteiligen würde. So habe es in der Begründung zum § 8 Abs. 4 EStG wie folgt (Bundestags-Drucksache 19/22850, Seite 3) geheißen:
"Gehaltsverzicht oder -umwandlungen sind auch im Hinblick auf die soziale Absicherung des Arbeitnehmers nicht unproblematisch, denn der sozialversicherungspflichtige Grundarbeitslohn wird dadurch regelmäßig dauerhaft zugunsten von Zusatzleistungen abgesenkt. Bei prozentualen Lohnerhöhungen werden Zusatzleistungen oft nicht in die Bemessungsgrundlage einbezogen, so dass dieser Teil des Arbeitslohns dauerhaft von Erhöhungen ausgeschlossen ist. Außerdem werden die Rentenansprüche des Arbeitnehmers durch eine Beitragsfreiheit im Rahmen der Sozialversicherung gemindert."
Das hier gegenständliche Modell habe jedoch nicht eine Vorteilsnahme durch den Arbeitgeber als Intention, sondern sei gerade ganz gezielt als Bestandteil einer freiwilligen Altersvorsorge ausgestaltet worden. Mithin habe nicht die nettolohnoptimierende Wirkung, sondern die damit einhergehende Möglichkeit der Investition in eine betriebliche Altersvorsorge im Vordergrund gestanden. Die durch den Gesetzgeber kritisierte Wirkung von Gehaltsumwandlungen habe vorliegend gerade nicht eintreten sollen. Das Gegenteil sei im Ergebnis intendiert. Dies schlage sich vorliegend darin nieder, dass die "eingesparten" Sozialversicherungsbeiträge im Rahmen der Investition in die betriebliche Altersvorsorge durch die Klägerin im Ergebnis grundsätzlich ausgeglichen und die ...-...card im Rahmen der Bemessungsgrundlage für künftige Lohnerhöhungen sowie etwaige Sonderzahlungen berücksichtigt würden. Im Ergebnis handle es sich nicht um eine missbräuchliche Inanspruchnahme lohnsteuerlicher Gestaltungspotenziale, sondern um ein soziales Gesamtkonstrukt, das bereits aufgrund der innerbetrieblichen Teilnehmerzahlen sowie der langfristig angelegten Orientierung nicht innerhalb kürzester Zeit überarbeitet bzw. aufgelöst werden könne. Der Anwendungsbereich des § 8 Abs. 4 EStG müsse entsprechend teleologisch reduziert werden. Zumindest jedoch wäre es angebracht, entsprechend redlichen Konzepten zumindest im Billigkeitswege eine Übergangsfrist zur Etablierung eines arbeitnehmerfreundlichen Alternativkonzepts einzuräumen. Die teleologische Reduktion sei auch deshalb erforderlich, weil anderenfalls verfassungsrechtliche Bedenken in Bezug auf Artikel 3 Abs. 1 GG entstünden.
Die Klägerin beantragt,
den Lohnsteuerbescheid für April 2020 vom 15. Juni 2020 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 2. März 2022 dahin zu ändern, dass die Lohnsteuer um ... Euro niedriger festgesetzt wird,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt vor, der Gesetzgeber sei befugt, den Inhalt einer von ihm gesetzten Norm jederzeit zu ändern und damit gegebenenfalls eine fachgerichtliche Rechtsprechung zu korrigieren, mit der er nicht einverstanden sei. Wenn der Gesetzgeber eine Norm in einen Gesetzesentwurf aufnehme, diese sodann aber aus dem Entwurf streiche, so spreche dies nicht dafür, dass der Gesetzgeber dieses Gesetz überhaupt nicht mehr bedenken oder in jedem nachfolgenden Gesetzesverfahren verwerfen werde. Allein aus diesem Grund könne kein Vertrauensschutz abgeleitet werden, zumal der Nichtanwendungserlass vom 5. Februar 2020 ergangen sei.
Auch die von der Klägerin aufgezeigte Argumentation, wonach § 8 Abs. 4 EStG zum Jahressteuergesetz 2019 gehören müsste, weil die BFH-Rechtsprechung vom 1. August 2019 damals schon existent gewesen sei, könne nicht überzeugen. Mit einem Inkrafttreten im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2019 habe schon aus tatsächlichen (Zeit-)Gründen nicht gerechnet werden können. Die durchschnittliche Dauer eines Gesetzgebungsverfahrens zwischen 2009 und 2014 habe 19 Monate betragen. Da das in Rede stehende BFH-Urteil erst im August 2019 ergangen sei, habe mit einer Verabschiedung Ende 2019 nicht gerechnet werden können. Außerdem sei der Gesetzgeber jederzeit befugt, den Inhalt einer von ihm gesetzten Norm zu ändern. Er sei an keine zeitliche Grenze gebunden.
Ein besonderer Umstand, der ein schutzwürdiges Vertrauen habe begründen können, liege auch nicht darin, dass es eine Rechtsprechung zu § 8 Abs. 2 Satz 11 Halbsatz 2 EStG, welche erstmalig das Tatbestandsmerkmal der Zusätzlichkeit in den § 8 EStG eingefügt habe, zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 1. August 2019 noch nicht gegeben habe. Das Tatbestandsmerkmal der Zusätzlichkeit sei nicht neu und der damit verbundene Rechtsgedanke ebenfalls nicht. Es könne eine gefestigte Rechtsprechung und Auslegung zu einem mehrfach verwendeten Tatbestandsmerkmal geben, ohne dass dieser in der streitgegenständlichen Norm kodifiziert worden sei, denn der Rechtsgedanke verändere sich nicht dadurch, dass dieses bestimmte Tatbestandsmerkmal in eine Norm neu eingefügt werde. Vielmehr werde es dem Gesetzgeber gerade darauf angekommen sein, ein anerkanntes Tatbestandsmerkmal in § 8 EStG einzuführen, dessen Auslegungsmaßstäbe bereits bekannt gewesen seien. Zu § 8 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 EStG habe auch keine angepasste Rechtsprechung vorgelegen, da es zum Zusätzlichkeitserfordernis bereits eine langjährige Rechtsprechung gegeben habe und der Kerninhalt dieses Zusätzlichkeitserfordernisses - namentlich die Verhinderung der Umwandlung von regulär besteuertem Arbeitslohn in steuerfreie Zuschüsse - auch in § 8 EStG haben verwendet werden sollen. § 8 Abs. 4 EStG füge dem Gesetz eine konkrete Definition des Tatbestandsmerkmals "zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn" hinzu, um die langjährige und gefestigte Auslegung dieses Tatbestandes zu kodifizieren und diese damit klarzustellen und zu bestätigen. Damit werde die langjährige Auslegungspraxis gerade fortgeführt. Aufgrund der erstmaligen grundlegenden Abweichung von der geregelten Rechtsprechungspraxis im BFH-Urteil vom 1. August 2019 sei geradezu damit zu rechnen gewesen, dass der Gesetzgeber eingreifen würde.
Eine teleologische Reduktion des § 8 Abs. 4 EStG komme nicht in Betracht. Der Gesetzgeber habe mit dem § 8 Abs. 4 EStG eine Klarstellung des Zusätzlichkeitserfordernisses erreichen wollen. Zweck des § 8 Abs. 4 EStG sei es, zu verhindern, dass Gehaltsumwandlungen zu steuerfreien Zuschüssen führten, weil solche Umwandlungen aus Sicht des Arbeitnehmers zu sozialversicherungsrechtlichen Nachteilen (z. B. geringere Rente) führen könnten. Insbesondere würden Zusatzleistungen bei prozentualen Lohnerhöhungen oftmals nicht in die Bemessungsgrundlage einbezogen, sodass dieser Teil des Arbeitslohns dauerhaft von Erhöhungen ausgeschlossen sei. Aufgrund des Subordinationsverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sei es richtig, dass der Gesetzgeber seine Fürsorgepflicht gegenüber Arbeitnehmern erfülle.
Soweit die Klägerin vortrage, dass eine teleologische Reduktion des § 8 Abs. 4 EStG deshalb geboten sei, weil ihre Intention hinter der Gehaltsumwandlung in der betrieblichen Altersversorgung liege und daher die in der Gesetzesbegründung geschilderte Gefahr der sozialversicherungsrechtlichen Nachteile gar nicht gegeben sei, müsse dem entgegengehalten werden, dass die Gehaltsumwandlung von Teilen des Arbeitslohns in einen steuerfreien Sachbezug von den Einzahlungen in die betriebliche Altersversorgung zu trennen sei. Zum einen investierten laut eigener Aussage nur ein Teil der Arbeitnehmer die ersparten Steuer- und Sozialversicherungsbeträge. Zum anderen werde die Klägerin keineswegs daran gehindert, unabhängig von der Gehaltsumwandlung in die betriebliche Altersversorgung ihrer Arbeitnehmer zu investieren. Auch bestehe für arbeitnehmerfinanzierte Sparleistungen zu Gunsten einer betrieblichen Altersversorgung bereits ein gesetzlicher Anspruch auf Entgeltumwandlung gemäß § 1 a des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung - Betriebsrentengesetz (BetrAVG) - sowie Steuerfreiheit gemäß § 3 Nummer 63 des Einkommensteuergesetzes in den versicherungsförmigen Durchführungswegen. Einer vorhergehenden Gehaltsumwandlung in die ...-Geldkarte zur Durchführung der "...-Rente" bedürfe es daher nicht; eine rechtliche Verknüpfung dieser beiden Instrumente komme nicht in Betracht. Da allerdings eine Gehaltsumwandlung vorliege, greife der vom Gesetzgeber verfolgte Schutzgedanke dennoch. Es liege genau die Fallkonstellation vor, die nach der Intention des Gesetzgebers ausgeschlossen sein sollte. Gerade die Gehaltsumwandlung sorge dafür, dass der Arbeitnehmer weniger Sozialabgaben abführe, da sein Gehalt verringert sei. Zwar gebe es hier gewissermaßen einen Ausgleich, da 20 % der eingesparten Lohnsteuer in die betriebliche Altersversorgung eingezahlt werde, jedoch ändere dies nichts an dem Eingreifen des Schutzzweckes des § 8 Abs. 4 EStG. Insbesondere ändere diese Einzahlung in die betriebliche Altersversorgung nichts daran, dass die Gehaltsumwandlung die Bemessungsgrundlage für künftige prozentualen Lohnsteigerungen verringere und somit einen Nachteil für den Arbeitnehmer bilde.
Entscheidungsgründe
Der angefochtene Lohnsteuerbescheid für April 2020 vom 15. Juni 2020 ist rechtmäßig.
I.
Die Voraussetzungen einer Steuerbefreiung nach § 8 Abs. 2 Satz 11 EStG liegen nicht vor.
Nach § 8 Abs. 4 EStG in der Fassung durch das Jahressteuergesetz vom 21. Dezember 2020 sind die Voraussetzungen für die Zusatzleistungen bei den Arbeitnehmern der Klägerin im Hinblick auf die ...-...card nicht erfüllt. Die Klägerin hat als Arbeitgeberin ihren Mitarbeitern Bezüge gewährt, die nach der Regelung des § 8 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht worden sind, weil vertraglich der Anspruch auf Arbeitslohn zugunsten des Betrages herabgesetzt wurde und insoweit eine Gutschrift auf dem Konto der ...-...card erfolgt ist. Erst nach Abschluss der Änderungsvereinbarung zum Arbeitsvertrag konnte ein Arbeitnehmer die monatliche Aufladung der Guthabenkarte in Höhe von 44 Euro beantragen, zuvor musste ein Entgeltverzicht in gleicher Höhe erklärt werden. Der verwendungsfreie Arbeitslohn wurde damit im Sinne eines Lohnformwechsels zugunsten verwendungs- oder zweckgebundener Leistungen des Arbeitgebers arbeitsrechtlich wirksam herabgesetzt und nicht im Sinne einer "echten Zusatzleistung" dem Lohnanspruch hinzugefügt. Damit entspricht der angefochtene Lohnsteuerbescheid diesbezüglich der für den Lohnfortzahlungszeitraum April 2020 anzuwendenden Rechtslage.
1.
Nach § 8 Abs. 2 Satz 11 Halbsatz 1 EStG bleiben Einnahmen, die nicht in Geld bestehen und die nach § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG zu bewerten sind, außer Ansatz, wenn die sich nach Anrechnung der vom Steuerpflichtigen gezahlten Entgelte ergebenden Vorteile insgesamt 44,- Euro im Kalendermonat nicht übersteigen. Geldkarten, die ausschließlich zum Bezug von Waren oder Dienstleistungen berechtigen und die Kriterien des § 2 Abs. 1 Nr. 10 des Zahlungsdiensteaufsichtsgesetzes (ZAG) erfüllen, gehören nach § 8 Abs. 1 Satz 3 EStG nicht zu den Einnahmen in Geld. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 ZAG muss es sich um Zahlungsinstrumente handeln, die für den Erwerb von Waren oder Dienstleistungen in den Geschäftsräumen des Emittenten oder innerhalb eines begrenzten Netzes von Dienstleistern im Rahmen einer Geschäftsvereinbarung mit einem professionellen Emittenten eingesetzt werden können, für den Erwerb eines sehr begrenzten Waren- oder Dienstleistungsspektrums eingesetzt werden können oder beschränkt sind auf den Einsatz im Inland und auf Ersuchen eines Unternehmens oder einer öffentlichen Stelle für bestimmte soziale oder steuerliche Zwecke nach Maßgabe öffentlich-rechtlicher Bestimmungen für den Erwerb der darin bestimmten Waren oder Dienstleistungen von Anbietern, die eine gewerbliche Vereinbarung mit dem Emittenten geschlossen haben, bereitgestellt werden. § 8 Abs. 2 Satz 11 Halbsatz 2 EStG bestimmt weiter für Geldkarten, dass Einnahmen insoweit nur dann außer Ansatz bleiben, wenn sie zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gewährt werden. Gemäß Artikel 1 Nr. 6 b sowie Artikel 50 Abs. 1 des Jahressteuergesetzes 2020 vom 21. Dezember 2020 (BGBl. I 2020, 3096) wurde Absatz 4 mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2020 dem § 8 EStG angefügt. Das Merkmal "zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn" wird durch vier negativ gefasste Voraussetzungen legal definiert: Die Leistung darf nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet werden, der Arbeitslohnanspruch darf nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt werden, die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung darf nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Lohnerhöhung gewährt werden und bei Wegfall der Leistung darf sich der Arbeitslohn nicht erhöhen.
2.
Zwar steht zwischen den Parteien außer Streit, dass das Geldkartenmodell "...-...card" die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 Satz 11 Halbsatz 1 EStG an sich erfüllt und insgesamt monatlich in Höhe von 44 Euro von der Besteuerung ausgenommen sein kann. Jedoch ist im Streitfall das Zusätzlichkeitserfordernis nach § 8 Abs. 4 EStG nicht gegeben.
a)
Die arbeitsvertraglichen Regelungen der Klägerin sehen vor, dass unter Einhaltung der Vorgaben des § 2 Abs. 1 Nr. 10 ZAG ein Bargeldbezug, etwas durch das Abheben von Bargeld an einem Geldautomaten, ausgeschlossen ist. Dementsprechend hat die Klägerin, gestützt auf die vom Beklagten erteilte Lohnsteueranrufungsauskunft vom 23. Oktober 2018, zu Gunsten derjenigen Arbeitnehmer, die am Geldkartenmodell teilnahmen, den Lohnsteuerabzug im Rahmen der Freibetragsregelung vermindert. Da die Beteiligten des Rechtsstreits insoweit übereinstimmen, sieht der Senat von weiteren Ausführungen hierzu ab.
b)
Nach Auffassung des Senats ist das "Zusätzlichkeitserfordernis" im Streitfall nicht erfüllt, damit ist die Inanspruchnahme der steuerlichen Begünstigung für das streitgegenständliche Geldkartenmodell ausgeschlossen (§ 8 Abs. 3 Satz 11 Halbsatz 2 EStG). Für den Lohnzahlungszeitraum April 2020 ist der zeitliche Anwendungsbereich des § 8 Absatz 4 EStG eröffnet (§ 52 Abs. 1 EStG in der Fassung des JStG 2020, vgl. Bundestags-Drucksache 19/22850, Seite 83).
aa)
Zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn wird danach ein Sachbezug erbracht, wenn der Anspruch auf Arbeitslohn nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt wird. Davon ist auszugehen, wenn der Arbeitnehmer weniger als den ihm vertraglich zustehenden Lohnanspruch erhält und diese Einbuße der Einnahmen in Geld durch einen Sachbezug kompensiert wird. Diese Interpretation entspricht dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers, der in der Gesetzesbegründung zur Einführung von § 8 Abs. 4 EStG zum Ausdruck gebracht hat, dass im Falle einer Gehaltsumwandlung das Zusätzlichkeitserfordernis nicht vorliege und nur "echte" Zusatzleistungen steuerlich begünstigt sein sollen (Bundestags-Drucksache 19/22850, 83). Im Streitfall kommt es demnach darauf an, dass die Klägerin mit ihren am Geldkartenmodell partizipierenden Arbeitnehmern eine Minderung des bisherigen Arbeitslohns als teilweisen Gehaltsverzicht vereinbart und stattdessen eine als Sachbezug ausgestaltete Gutschrift, die einen Anspruch des Arbeitnehmers gegenüber einem Finanzdienstleister begründet, umgewandelt hat. Der gesamte Arbeitslohn unterliegt der regulären Lohnversteuerung (Kister in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 326. Lieferung, 6/2024, § 8 EStG, Rn. 183).
bb)
Wie mit den Parteien in der mündlichen Verhandlung am 30. August 2024 erörtert, kommt es nach Auffassung des Senats nicht auf den Zeitpunkt an, zu dem ein Gehaltsverzicht vereinbart worden ist. Anders, als dies von der Klägerin und im Schrifttum vertreten wird (vgl. Mitterer, in: Küttner, Personalbuch 2024, Stichwort Arbeitgeberzuschuss, 31. Auflage 2024), besteht eine Folge der Einführung von § 8 Abs. 4 EStG darin, dass auch solche Gestaltungen, für die nach Maßgabe der BFH-Rechtsprechung vom 1. August 2019 das Zusätzlichkeitserfordernis als erfüllt anzusehen wäre ("Altfälle"), die steuerliche Begünstigung versagt werden kann. Der Wortlaut der in der Gegenwartsform ("herabgesetzt . . . . wird") und nicht in der Vergangenheitsform ("herabgesetzt . . . . wurde") gefassten Vorschrift des § 8 Abs. 4 Nr. 2 EStG gebietet keine Beschränkung auf solche Lohnumwandlungen, die erst seit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vorschrift in § 8 Abs. 4 EStG vereinbart worden sind. In § 8 EStG wird die Gegenwartsform durchgängig verwendet, sämtliche Bestimmungen gelten für die Verhältnisse während eines Veranlagungszeitraumes. Damit bietet der Tempus der gesetzlichen Bestimmung kein Indiz dafür, dass die Regelung dahin verstanden werden kann, dass nur zukünftige Sachverhalte erfasst sein sollen, Verzichtserklärungen der Vergangenheit aber verschont bleiben. Es sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass der Gesetzgeber in Absatz 4 der Vorschrift von der Verwendung der Gegenwartsform abweichen und Altfälle einer anderen steuerlichen Behandlung unterliegen sollten. Die in § 8 Abs. 4 Nr. 2 EStG verwendete, auf den Lohnanspruch bezogene Formulierung muss nach Auffassung des Senats in Zusammenhang mit den zivilrechtlichen Bestimmungen über die Fälligkeit eines Anspruchs auf Arbeitsentgelt gesehen werden. Diese richtet sich nach den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen und hilfsweise nach den gesetzlichen Vorschriften. Wird eine monatliche Zahlung vereinbart, wird nach § 614 Satz 2 BGB der Anspruch auf Zahlung des Arbeitsentgelts "nach dem Ablauf der einzelnen Zeitabschnitte", also nach Ablauf des jeweiligen Kalendermonats fällig. Der Wortlaut ("Anspruch ... herabgesetzt ... wird") bezieht sich auf die Höhe des während eines Veranlagungszeitraums in den einzelnen Monaten bezogenen Arbeitsentgeltes, nicht auf den Rechtsakt des Gehaltsverzichtes, der die Rechtsgrundlage für die Herabsetzung bildet. Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 8 Abs. 4 EStG (Bundestags-Drucksache 19/22850, Seite 83) sollte mit der ausdrücklichen Regelung des Zusätzlichkeitserfordernisses "für das gesamte Einkommensteuergesetz klargestellt werden, dass nur echte Zusatzleistungen des Arbeitsgebers steuerbegünstigt sind". Der Gesetzesbegründung lässt sich nicht entnehmen, dass der Zeitpunkt des Gehaltsverzichts (oder der Gehaltsumwandlung) im Hinblick auf den zeitlichen Anwendungsbereich der Norm, zu dem sich die Gesetzesbegründung ebenfalls ausdrücklich verhält, relevant sein könnte. Vielmehr lässt sich der Gesetzesbegründung entnehmen, dass der Gesetzgeber die im August 2019 geänderte BFH-Rechtsprechung zum Zusätzlichkeitserfordernis als singuläres Ereignis eingeordnet hat und sämtliche betroffenen Sachverhalte ab dem Veranlagungszeitraum 2020 einer einheitlichen Regelung zuführen wollte.
II.
Der Lohnsteuerbescheid für April 2020 vom 15. Juni 2020 ist im Streitfall nicht wegen eines Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot wegen der dem Bescheid zugrundeliegenden Änderung des § 8 Abs. 4 EStG durch das Jahressteuergesetz vom 21. Dezember 2020 und der in § 52 Abs. 1 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung angeordneten Geltung der Regelung für nach dem 31. Dezember 2019 geltende Lohnfortzahlungszeiträume zu beanstanden.
1.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 2010, 2 BvL 1/03, BVerfGE 127, 31) entfaltet eine Rechtsnorm eine - grundsätzlich unzulässige - "echte" Rückwirkung, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll ("Rückbewirkung von Rechtsfolgen"). Bis zu deren Verkündung, zumindest aber bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss muss der von einem Gesetz Betroffene grundsätzlich darauf vertrauen können, dass seine auf geltendes Recht gegründete Rechtsposition nicht durch eine zeitlich rückwirkende Änderung der gesetzlichen Rechtsfolgenanordnung nachteilig verändert wird.
Soweit belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden ("tatbestandliche Rückanknüpfung"), liegt eine "unechte" Rückwirkung vor. Eine solche unechte Rückwirkung ist nicht grundsätzlich unzulässig, denn die Gewährung vollständigen Schutzes zugunsten des Fortbestehens der bisherigen Rechtslage würde den dem Gemeinwohl verpflichteten Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung im Hinblick auf einen Wandel der Lebensverhältnisse in nicht mehr vertretbarer Weise zu Lasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht insbesondere nicht so weit, den Staatsbürger vor jeder Enttäuschung zu bewahren. Soweit nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten, genießt die bloß allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz. Der Gesetzgeber muss aber, soweit er für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpft, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung tragen. Die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage sind abzuwägen. Eine unechte Rückwirkung ist mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes daher nur vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt.
Die maßgebliche Rechtsfolge steuerrechtlicher Normen ist das Entstehen der Steuerschuld. Im Sachbereich des Steuerrechts liegt eine echte Rückwirkung (Rückbewirkung von Rechtsfolgen) daher nur vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert. Für den Bereich des Einkommensteuerrechts bedeutet dies, dass die Änderung von Normen mit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum der Kategorie der unechten Rückwirkung zuzuordnen ist; denn nach § 38 AO in Verbindung mit § 36 Abs. 1 EStG entsteht die Einkommensteuer erst mit dem Ablauf des Veranlagungszeitraums, das heißt nach § 25 Abs. 1 EStG des Kalenderjahres. Auch dann aber, wenn der Gesetzgeber das Einkommensteuerrecht während des laufenden Veranlagungszeitraums umgestaltet und die Rechtsänderungen auf dessen Beginn bezieht, bedürfen die belastenden Wirkungen einer Enttäuschung schutzwürdigen Vertrauens stets einer hinreichenden Begründung nach den Maßstäben der Verhältnismäßigkeit. Hier muss der Normadressat eine Enttäuschung seines Vertrauens in die alte Rechtslage ebenfalls nur hinnehmen, soweit dies aufgrund besonderer, gerade die Rückanknüpfung rechtfertigender öffentlicher Interessen unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 2010, 2 BvL 1/03, BVerfGE 127, 31).
2.
Nach diesen Grundsätzen erweist sich die Steuerfestsetzung durch den Beklagten als rechtmäßig. Aufgrund der Änderung der Anrufungsauskunft nach § 42 e EStG vom 23. Oktober 2018 bzw. 27. August 2018 durch den Beklagten mit Bescheid vom 20. März 2020 stehen der Klägerin keine Vertrauensschutzgesichtspunkte zur Seite, aus denen sie einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot herleiten könnte. Nach der Änderung der Anrufungsauskunft durfte die Klägerin nicht mehr darauf vertrauen, dass die von ihr begehrte Sachbehandlung für den gesamten Veranlagungszeitraum 2020 vom Beklagten vorgenommen wird. Denn dadurch musste die Klägerin die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sich die Steuerfestsetzung durch den Beklagten aufgrund künftiger Rechtsänderungen nach dem Beginn des Lohnsteueranmeldungszeitraums April 2020, aber noch im Veranlagungszeitraum 2020 mit Geltung für diesen als rechtmäßig erweist. Dies gilt umso mehr, als sich eine Gesetzesänderung durch den Nichtanwendungserlass vom 5. Februar 2020 (BMF-Schreiben vom 5. Februar 2020, IV C 5-S 2334/19/10017:002) abzeichnete und wenigstens eine entsprechende Gesetzesinitiative zu erwarten war. In einem solchen Fall reichen die legitimen Änderungsinteressen des Gesetzgebers sogar zur Rechtfertigung einer Enttäuschung des im Zeitpunkt der entsprechenden Dispositionen bestehenden Vertrauens in den künftigen Fortbestand des Rechts aus (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 2010, 2 BvL 1/03, BVerfGE 127, 31).
3.
Der Senat verkennt nicht, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Gesetzgeber mit der rückwirkenden Neuregelung einen gerichtlichen Rechtsstandpunkt nur eingeschränkt korrigieren oder ausschließen darf. Im vorliegenden Fall wurden die verfassungsrechtlichen Grenzen einer solchen (rückwirkenden) Korrekturmöglichkeit nicht überschritten.
a)
Eine rückwirkende Klärung der Rechtslage durch den Gesetzgeber kann als konstitutiv rückwirkende Regelung anzusehen sein, wenn der Gesetzgeber damit nachträglich einer höchstrichterlich geklärten Auslegung des Gesetzes den Boden zu entziehen sucht. Der Gesetzgeber hat es für die Vergangenheit grundsätzlich hinzunehmen, dass die Gerichte das damals geltende Gesetzesrecht in den verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung verbindlich auslegen. Entspricht diese Auslegung nicht oder nicht mehr dem politischen Willen des Gesetzgebers, kann er das Gesetz für die Zukunft ändern.
Im Streitfall wurde § 8 EStG geändert, weil die Auslegung der Vorschrift nicht den gesetzgeberischen Vorstellungen entsprach. Der Gesetzgeber bezeichnete die Einführung des § 8 Abs. 4 EStG ausdrücklich als "Klarstellung" (Bundestags-Drucksache 19/22850, Seite 60). Materiell-rechtlich beinhaltet die Vorschrift einen Auslegungsmaßstab, der dem im Urteil des Bundesfinanzhofs vom 1. August 2019 (VI R 32/18) herausgearbeiteten Auslegung des Begriffs "zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn" vorgehen soll. Die so nach der Intention des Gesetzgebers begründete Steuerbarkeit von Zusatzleistungen sei sachlich zutreffend, da sonst derjenige, der zum Ausgleich für zusätzliche Leistungen seines Arbeitgebers Vorteile erhalte, steuerlich günstiger gestellt werde als ein Steuerpflichtiger, der solche Leistungen nicht erhalte (Bundestags-Drucksache 19/22850, Seite 82).
b)
Die Regelung zum Zusätzlichkeitserfordernis in § 8 Abs. 4 EStG, das in einer Reihe von Begünstigungstatbeständen des Einkommensteuergesetzes verwendet wird (z. B. § 3 Nrn. 15, 33, 34, 34 a, 37, 46, § 8 Abs. 2 Satz 11, § 37 b Abs. 2 Satz 1, § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5, § 100 Abs. 3 Nr. 2 EStG), betrifft in der streitgegenständlichen Konstellation zwar bereits abgeschlossene Anmeldungszeiträume der Lohnsteuer. § 8 Abs. 4 EStG wurde mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2020 und damit zum 1. Januar 2020 (Artikel 50 Abs. 1 des Jahressteuergesetzes 2020 vom 21. Dezember 2020, BGBl. I 20, 3096, § 52 Abs. 1 EStG; Bundestags-Drucksache 19/25160, 209; Bundestags-Drucksache 19/22850, 83) in Kraft gesetzt und gilt für die Erhebung von Lohnsteuer im Erhebungszeitraum April 2020. Die Jahreslohnsteuer wird nach dem Arbeitslohn eines Kalenderjahres bemessen, sie entspricht der Einkommensteuer, die der Arbeitnehmer schuldet, wenn er ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt (§ 38 a Abs. 2 EStG). Anders als die Einkommensteuer entsteht die Lohnsteuer nicht nach Ablauf eines Veranlagungszeitraums (§ 36 Abs. 1 EStG), sondern nach § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG zu dem Zeitpunkt der Lohnzahlung. Nach § 41 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG hat der Arbeitgeber spätestens am zehnten Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums dem Finanzamt, in dessen Bezirk sich die Betriebsstätte (§ 41 Abs. 2 EStG) befindet, eine Steuererklärung einzureichen, in der er die Summen der im Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohnsteuer, getrennt nach den Kalenderjahren, in denen der Arbeitslohn bezogen wird oder als bezogen gilt, angibt. Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum ist dabei der Kalendermonat (§ 41 a Abs. 2 Satz 1 EStG). Damit kommt es für die Entstehung der Lohnsteuer auf den Zeitpunkt an, in dem der laufende Arbeitslohn oder sonstige Bezug dem Arbeitnehmer zufließt (BFH, Urteil vom 10. August 2023, VI R 11/21, BStBl. II 2024, 202, Rn. 16).
c)
Der Gesetzgeber hat für die Lohnsteuer-Anmeldungszeiträume des Jahres 2020, bei denen es sich insofern um abgeschlossene Sachverhaltskomplexe handelt, eine Regelung geschaffen, die den verfahrensgegenständlichen Lohnerhebungszeitraum April/2020 erfasst. Materiell-rechtlich handelt es sich bei Lohn- und Einkommensteuer jedoch nicht um verschiedene Steuerarten, sondern um ein und dieselbe Steuer (BFH, Vorlagebeschluss vom 6. November 2002, XI R 42/01, BStBl. II 2003, 257, Rn. 30). Daraus folgt nach Auffassung des Senats, dass sich eine Rückwirkung im Veranlagungszeitraum 2020 nicht ergibt, da es für die Frage der Rückwirkung auf den für die Einkommensteuer geltenden Veranlagungszeitraum und nicht auf den Zeitpunkt der Entstehung der Lohnsteuer ankommt.
d)
Zudem muss ein Arbeitgeber eine rückwirkende gesetzliche Regelung im Regelungsbereich der Lohnsteuer grundsätzlich hinnehmen. § 41 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG enthält eine Bestimmung zu den Folgen bei unzutreffendem Lohnsteuereinbehalt, die auch bei rückwirkender Gesetzesänderung gilt (zu verfassungsrechtlichen Bedenken siehe Holzner, BeckOK EStG 19. Edition, 1. Juli 2024, EStG § 41c Rn. 6). Diese Regelung wurde durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl. I 1999, 402, Bundestags-Drucksache 14/443, Seite 66) eingeführt. Lohnsteuer, die auf Grundlage der zum Zeitpunkt ihrer Entstehung geltenden Gesetzeslage korrekt einbehalten wurde, aber durch eine rückwirkende Gesetzesänderung erhöht wird, gilt als "zu wenig erhoben" und kann vom Arbeitnehmer nachgefordert werden (BFH, Vorlagebeschluss vom 6. November 2002, XI R 42/01, BStBl. II 2003, 257, Rn. 27).
Der Arbeitgeber ist sogar verpflichtet (vgl. dazu Krüger, in: Schmidt EStG, 43. Auflage 2024, § 41c Rn. 3: "bedenklich"), nachträglich Lohnsteuer einzubehalten, wenn ihm dies wirtschaftlich zumutbar ist (§ 41 c Abs. 2 Satz 2 EStG). Sollte der Arbeitgeber von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machen oder die Lohnsteuer nicht mehr nachträglich einbehalten können, muss er dies nach § 41 c Abs. 4 Satz 1 EStG unverzüglich dem Betriebstätten-Finanzamt anzeigen. Diese Regelung eröffnet dem Arbeitgeber die Möglichkeit, einer Haftungsinanspruchnahme zu entgehen, indem er die Finanzbehörde über den unzutreffenden Lohnsteuereinbehalt informiert.
Wird ein gerichtlicher Rechtsstandpunkt durch eine Gesetzesnovelle revidiert, kann der Arbeitgeber eine Haftung abwenden, indem er die Unzumutbarkeit der nachträglichen Lohnsteuererhebung geltend macht. Damit wird der Arbeitgeber nicht völlig rechtlos gestellt, sondern hat die Möglichkeit, sich den Nachteilen einer rückwirkenden Gesetzesänderung zu entziehen oder diese zu neutralisieren. Letztlich ist nicht der Arbeitgeber, sondern der Arbeitnehmer der Schuldner der als Lohnsteuer erhobenen Einkommensteuer (§ 38 Abs. 2 EStG).
4.
Hinzu kommt im Streitfall, dass die Klägerin nicht von einem Einbehalt der Lohnzahlungen bezüglich einer im Vertrauen auf den Fortbestand der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs mit Urteil vom 1. August 2019 (BFH, Urteil vom 1. August 2019, VI R 32/18, BStBl. II 2020, 106) abgesehen hat.
a)
Die Klägerin hat die von ihr begehrte Lohnversteuerung nach Gehaltsumwandlung zu Gunsten von steuerlich privilegierten Sachbezügen nicht in Hinblick auf das Vertrauen einer von ihr vertretenen Gesetzesauslegung, sondern im Vertrauen auf eine vom Beklagten erteilte Anrufungsauskunft vorgenommen. Nach Änderung der Auskunft durch den Beklagten mit Schreiben vom 20. März 2020 konnte die Klägerin daher nicht mehr darauf vertrauen, dass die von ihr begehrte Sachbehandlung durch den Beklagten auch für den Lohnzahlungszeitraum April 2020 fortgeführt wird und konnte auch nicht darauf vertrauen, dass ihr Einspruch gegen die Änderung vom 7. April 2020 Erfolg haben wird.
b)
Außerdem kann nicht von einer gefestigten Rechtslage zu Gunsten der Klägerin ausgegangen werden.
Wie der Nichtanwendungserlass vom 5. Februar 2020 (BMF-Schreiben vom 5. Februar 2020, IV C 5-S 2334/19/10017:002) darlegt, waren nach der früheren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nur freiwillige Arbeitgeberleistungen, also Leistungen, die der Arbeitgeber arbeitsrechtlich nicht schuldet, als zusätzlich im Sinne erbracht steuerbegünstigt. Mit Urteilen vom 1. August 2019 (BFH, Urteil vom 1. August 2019, VI R 32/18, BStBl. II 2020, 106, sowie VI R 21/17, NV und VI R 40/17, NV) hat der Bundesfinanzhof seine Rechtsprechung zu der in verschiedenen Steuerbefreiungs- und Pauschalbesteuerungsnormen oder anderen steuerbegünstigenden Normen des Einkommensteuergesetzes enthaltenen Tatbestandsvoraussetzung, wonach die jeweilige Steuervergünstigung davon abhängt, dass eine bestimmte Arbeitgeberleistung "zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn" erbracht werden muss (so genanntes Zusätzlichkeitserfordernis), aufgegeben. Da der Gesetzgeber regelmäßig auf die Formulierung "zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn" zurückgegriffen hat, wenn Sachverhalte mit Gehaltsverzicht oder -umwandlung explizit von der Steuerbegünstigung ausgeschlossen werden sollten, gilt daher nach dem Nichtanwendungserlass zu der Tatbestandsvoraussetzung "zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn" im Vorgriff auf eine entsprechende Gesetzesänderung abweichend von der neuen BFH-Rechtsprechung und über den Einzelfall hinaus zur Gewährleistung der Kontinuität der Rechtsanwendung für die Finanzverwaltung weiterhin, dass Leistungen des Arbeitgebers oder auf seine Veranlassung eines Dritten (Sachbezüge oder Zuschüsse) für eine Beschäftigung nur dann "zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn" erbracht werden, wenn
die Leistung nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet,
der Anspruch auf Arbeitslohn nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt,
die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt und
bei Wegfall der Leistung der Arbeitslohn nicht erhöht wird,
was im Ergebnis die Fortgeltung der früheren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zum so genannten Zusätzlichkeitserfordernis bedeutet.
c)
Nach den vorstehenden Ausführungen zeigt sich, dass die Klägerin sich hinsichtlich des von ihr geltend gemachten Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot weder darauf berufen kann, dass eine Gesetzeslage oder gefestigte Rechtslage bestanden hat, die durch die Neuregelung geändert wurde, noch dass ihr Vertrauensschutz in Hinblick auf eine Anrufungsauskunft zuzugestehen ist, welche zwar im Einklang mit der neueren, geänderten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH, Urteil vom 1. August 2019, VI R 32/18, BStBl. II 2020, 106, sowie VI R 21/17 und VI R 40/17) ergangen, in Hinblick auf den Nichtanwendungserlass aber widerrufen worden ist. Die Klägerin konnte insoweit nicht darauf vertrauen, dass die von ihr gewählte Gestaltung "bis in alle Zukunft" steuerbegünstigt fortgeführt werden kann.
Auch mit ihrer Klage unter Berufung auf das Rückwirkungsverbot könnte die Klägerin ohnehin nur die steuerbegünstigte Fortführung der von ihr gewählten Gestaltung für den Veranlagungszeitraum 2020 erreichen. Eine solche würde im Ergebnis aber bedeuten, dass man der Änderung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs die gleiche Rechtswirkung beimessen würde, wie einem "nach Maßgabe alten Rechts erwachsenen konkreten Vermögensbestand" und dem nach der Anrufungsauskunft umgesetzten "Geldkartenmodell" einem "Sachverhalt mit einem gesteigerten Grad an Abgeschlossenheit". Solch weitgehenden Schutz bietet das Rückwirkungsverbot aber nicht, denn, wie sich gezeigt hat, kann der Bundesfinanzhof eine Rechtsprechung (wieder) ändern. Von einer gefestigten Rechtsprechung kann nach einem Urteil des Bundesfinanzhofs jedenfalls nicht ausgegangen werden, wenn dieses eine länger bestehende anderweitige Rechtsprechung seinerseits ändert.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Die Revision war aus Gründen der Rechtsfortbildung zuzulassen, weil zur Auslegung von § 8 Abs. 4 EStG sowie zur Rückwirkungsproblematik, insbesondere im Kontext der Lohnsteuer - wie mit den Parteien in der mündlichen Verhandlung erörtert - noch keine höchstrichterliche Entscheidung ergangen ist (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).