22.11.2024 · IWW-Abrufnummer 245014
Finanzgericht Köln: Urteil vom 29.02.2024 – 7 K 95/23
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln
Tenor:
Unter Änderung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides 2019 vom 03. September 2021 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 22. November 2022 wird die Einkommensteuer 2019 mit der Maßgabe festgesetzt, dass der aufgrund des notariell beurkundeten Vertrages vom 00.00. 2019 (UR-Nr. ... der Notarin A mit Amtssitz in B) an die Klägerin gezahlte Ablösebetrag i. H. v. ... EUR als nicht steuerbar behandelt wird.
Dem Beklagten wird aufgegeben, die geänderte Steuerfestsetzung nach Maßgabe der Urteilsgründe zu errechnen und den Bescheid neu bekannt zu geben.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand
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Streitig ist, ob die Zahlungen, die der Klägerin im Zusammenhang mit der Ablösung ihrer Nießbrauchsrechte an zwei Geschäftsanteilen zugeflossen sind, dem Grunde nach einkommensteuerbar sind.
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Dem Rechtsstreit liegt folgender, zwischen den Beteiligten unstreitige Sachverhalt zugrunde:
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Die Klägerin war bis zum Februar des Jahres 2012 mit einem Geschäftsanteil im Nennwert von ... EUR und damit zu 49 % des Stammkapitals an der C GmbH (eingetragen im Handelsregister des AG D, HRB ...) beteiligt. Den weiteren 51 %-igen Anteil hielt die E GmbH.
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Mit Vertrag vom 00.00.2012 wurde der Geschäftsanteil der Klägerin zunächst geteilt und die beiden neu entstandenen Geschäftsanteile im Nennwert von jeweils ... EUR sodann von der Klägerin an ihre beiden Töchter F und G, jeweils unter Vorbehalt eines lebenslangen und unentgeltlichen Nießbrauchsrechts, verschenkt.
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Der Nießbrauch beschränkte sich nach Teil 1, Ziff. II des Vertrages vom 00.00.2012 auf die Ziehung der Nutzungen aus den Geschäftsanteilen, wozu insbesondere der anteilige Bilanzgewinn zählte. Nicht zu den Nutzungen gehörten ausweislich der vertraglichen Vereinbarungen hingegen die Ausübung der Mitgliedschaftsrechte. Diese standen nach Teil 1, Ziff. II, 1.2 des Vertrages vom 00.00.2012 einzig den beiden neuen Gesellschafterinnen zu. Ferner wurde vereinbart, dass sich der Nießbrauch der Klägerin automatisch an Surrogaten der Beteiligung fortsetzt, wozu auch der Erlös aus einer Beteiligungsveräußerung zählt (Teil 1, Ziff. II, 1.4 des Vertrages vom 00.00.2012). In Teil 2 des Vertrages schlossen die Töchter der Klägerin eine Poolvereinbarung über die einheitliche Ausübung der Mitgliedschaftsrechte an der C GmbH. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Vertrages vom 00.00.2012 verwiesen (Bl. 34 f. der elektronischen Gerichtsakte).
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Nach der Übertragung der Geschäftsanteile auf die Töchter versteuerte der Beklagte die (anteiligen) Gewinnausschüttungen der C GmbH in den Veranlagungszeiträumen 2012 bis 2018 unverändert und erklärungsgemäß bei der Klägerin als Einkünfte aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Die C GmbH wies insoweit in ihren Gewinnverwendungsbeschlüssen auf den Vorbehaltsnießbrauch der Klägerin hin. Den jeweiligen anteiligen Ausschüttungsbetrag zahlte sie an die Klägerin aus. Auf den im Zusammenhang mit der jeweiligen Kapitalertragsteuer-Anmeldung erstellten Steuerbescheinigungen wurde Frau H, die Klägerin, als Empfängerin der jeweiligen Netto-Auszahlung ausgewiesen.
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Bei dieser steuerlichen Behandlung stützte sich die Klägerin auf ein Gutachten von Herrn Rechtsanwalt und Steuerberater I, wonach die Gewinnausschüttungen der Klägerin und nicht ihren Töchtern zuzurechnen seien und die Klägerin die Zahlungen im Rahmen ihrer Einkommensteuer zu versteuern habe.
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Bei den Töchtern der Klägerin wurden die Gewinnausschüttungen als Einkünfte der Mutter betrachtet und daher ‒ spiegelbildlich ‒ in ihren Steuererklärungen und Steuerebescheiden nicht erfasst.
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Mit einem weiteren notariellen Vertrag vom 00.00.2019 verkauften die Töchter der Klägerin ihre Geschäftsanteile an der C GmbH an die E GmbH. Da der Verkauf nach Ziff. 2.1 und 2.2 des Vertrages vom 00.00.2019 lastenfrei erfolgen sollte, gab die Klägerin in Ziff. 3, 6.3 des Vertrags ihre Nießbrauchsrechte an beiden verkauften Geschäftsanteilen gegen Zahlung des hier gegenständlichen Ablösebetrags von jeweils ... EUR, insgesamt ... EUR, gegenüber den Verkäuferinnen, ihren Töchtern, auf. Die Höhe des Ablösebetrags vereinbarten die Parteien auf der Grundlage des Kapitalwerts des Nießbrauchs gem. § 14 Abs. 1 BewG, den die Klägerin von ihrem steuerlichen Berater, Herrn J, ermitteln ließ. Der Ablösebetrag wurde sodann unmittelbar von der E GmbH an die Klägerin gezahlt.
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Der Vertrag vom 00.00.2019 (Bl. 64 ff. der elektronischen Gerichtsakte) enthält hierzu unter Ziff. 6 folgende Regelungen:
12
„...
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Gegenleistung, Kaufpreis, Zahlungsmodalitäten
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6.1 Als Gegenleistung für den Verkauf und die Abtretung der verkauften Geschäftsanteile schuldet die Käuferin den Verkäuferinnen einen fixen Kaufpreis in Höhe von ... EUR (in Worten: ... Euro).
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(„Anteils-Kaufpreis“).
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6.2 Der Anteils-Kaufpreis verteilt sich gleichmäßig (zu je ein Halb) auf die Verkäuferinnen.
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6.3 Als Gegenleistung für die Aufgabe ihres Nießbrauchrechts gemäß Ziffer 3 schulden die Verkäuferinnen der Nießbrauchsberechtigten je einen fixen Betrag in Höhe von ... EUR, zusammen ... EUR (in Worten: ... Euro).
18
(„Ablösebetrag“).
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6.4 Der Ablösebetrag und der Anteils-Kaufpreis sind jeweils am Vollzugsstichtag in Euro per (unwiderruflicher) Überweisung mit gleichtägiger Gutschrift frei von jeglichen Kosten, Spesen und Gebühren auf die noch anzugebenden Konten der Nießbrauchsberechtigten und der Verkäuferinnen zur Zahlung fällig. Die Zahlung des Ablösebetrags erfolgt hierbei im Wege des abgekürzten Zahlungsweges direkt und mit schuldbefreiender Wirkung für die Verkäuferinnen von der Käuferin auf das Konto der Nießbrauchsberechtigten. Der anschließend von der Käuferin an die Verkäuferinnen noch zu leistende Restzahlbetrag auf den Anteils-Kaufpreis beträgt dementsprechend ... EUR.
20
...“
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Bei der Einkommensteuerveranlagung 2019 für die Töchter der Klägerin wurde die Zahlung für die Ablösung des Vorbehaltsnießbrauchs bei der Ermittlung der Einkünfte nach § 17 EStG jeweils hälftig als nachträgliche Anschaffungskosten wie folgt berücksichtigt (Beträge in Euro):
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anteiliger Veräußerungspreis: ...
abzgl. Stammkapital: ...
abzgl. nachträgliche AK wegen Abfindung Nießbrauchsrecht: ...
abzgl. Veräußerungskosten: ...
= ...
Teileinkünfteverfahren 60%: ...
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Mit einem ersten, unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO stehenden Bescheid vom 22. Februar 2021 veranlagte der Beklagte die Klägerin zur Einkommensteuer 2019 und ließ dabei den Ablösebetrag für die Aufgabe des Nießbrauchsrechts erklärungsgemäß unberücksichtigt.
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Mit Schreiben vom 11. Juni 2021 kündigte der Beklagte an, die Einkommensteuerfestsetzung für 2019 zu ändern und dabei den Ablösebetrag i.H.v. ... EUR als Einkünfte der Klägerin gem. § 24 Nr. 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu berücksichtigen. Mit dem hier streitigen Änderungsbescheid vom 03. September 2021 setzte er die Einkommensteuer 2019 dementsprechend gegenüber der Klägerin i.H.v. ... EUR fest.
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Gegen diesen geänderten Steuerbescheid legte die Klägerin, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigte, mit Schreiben vom 01. Oktober 2021 Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 22. November 2022 als unbegründet zurückwies.
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Zur Begründung führte der Beklagte aus, die Ablösezahlung i.H.v. ... EUR sei rechtmäßig als Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 24 Nr. 1 i.V.m. 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG versteuert worden. Zwar sei im Zeitpunkt der Schenkung in 2012 nicht nur das zivilrechtliche, sondern auch das wirtschaftliche Eigentum an den Gesellschaftsanteilen auf die Töchter der Klägerin übergegangen. Zwischen der zunächst erfolgten Übertragung der Anteile unter Nießbrauchsvorbehalt und der später für die Ablösung des Nießbrauchsrechts geleisteten Zahlung bestehe aber kein erkennbarer sachlicher Zusammenhang, sodass der entgeltliche Verzicht auf das Nutzungsrecht als selbständiges Rechtsgeschäft einzustufen sei. Den Ausführungen der Klägerin, es handele sich um einen nicht steuerbaren Vorgang, könne nicht gefolgt werden. Die von der Klägerin zur Begründung herangezogene BFH-Rechtsprechung (u.a. BFH-Urteil vom 07. Mai 1965 VI 303/64; HFR 1965, 506-507) könne auf den vorliegenden Sachverhalt nicht übertragen werden, da es sich im dort entschiedenen Fall um die Gegenleistung für die Aufgabe eines Wohnrechts gehandelt habe. Das vorbehaltene Nießbrauchsrecht sei ein eigenständiges Wirtschaftsgut und könne, jedenfalls in der Form des entgeltlichen Verzichts hierauf, Gegenstand eines selbständigen Rechtsgeschäfts sein. Das Entgelt werde für die Aufgabe dieses Wirtschaftsguts gezahlt. Aufgrund der Verpflichtung zur Zahlung einer Einmalzahlung als „Ablösung“ des lebenslänglichen Nießbrauchsrechts verzichte die Nießbrauchsberechtigte ausdrücklich auf zukünftige Gewinnausschüttungen. Nach Wacker, in Schmidt, EStG 41. Auflage 2022, § 24 Rn. 6, stehe der Anwendung des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG nicht entgegen, dass der Steuerpflichtige an der Entstehung des Schadens in Gestalt des Einnahmeausfalls (Gewinnausschüttungen) mitwirke. Darüber hinaus sei in der Rechtsprechung des BFH zu erkennen, dass das Gericht von dem Erfordernis einer Zwangslage abrücke bzw. hierauf generell verzichte. Soweit die Klägerin auf das bei den Töchtern liegende zivilrechtliche und wirtschaftliche Eigentum an den Gesellschaftsanteilen abstelle, sei darauf hinzuweisen, dass der BFH offengelassen habe, ob ggf. eine Erfassung der Ablösezahlung beim Nießbrauchsberechtigten als Entschädigung für die entgangenen Dividendenansprüche nach § 24 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, § 20 Abs. 2a Satz 3 EStG oder nach § 24 Nr. 2, § 17 Abs. 2 EStG in Betracht komme (Hinweis auf BFH-Urteile vom 25. November 1992 X R 34/89, BFHE 170, 76, BStBI II 1996, 663, unter 11.1.b, und vom 23. Mai 2012 IX R 32/11, BFHE 237, 234, BStBI II 2012, 675). Auch im Urteil des BFH vom 18. November 2014 IX R 49/13 (BStBl II 2015, 224), habe das wirtschaftliche und zivilrechtliche Eigentum beim Beschenkten und Anteilsveräußerer gelegen (vgl. auch vorinstanzliches Urteil des FG Düsseldorf vom 26.04.2013, 1 K 1143/12 E, Rn. 81).
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 22. November 2022 hingewiesen.
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Gegen die Einspruchsentscheidung hat die Klägerin am 19. Januar 2022 und damit außerhalb der Klagefrist Klage erhoben.
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Zunächst war im Klageverfahren die Zulässigkeit der Klage wegen Verfristung streitig, insbesondere, ob der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei. Im Verlauf des Verfahrens ist dieser Streitpunkt nach einem entsprechenden gerichtlichen Hinweis vom 20. Oktober 2023 (Bl. 243 der elektronischen Gerichtsakte) zwischen den Beteiligten unstreitig geworden. Der Beklagte hat sich der Auffassung der Klägerin und des Senats, dass Wiedereinsetzung zu gewähren sei, angeschlossen. Aus diesem Grund wird zu diesem Punkt auf eine weitere Sachverhaltsdarstellung verzichtet.
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Zur Begründung ihrer Klage führt die Klägerin aus, die Aufgabe ihrer Nießbrauchsrechte gegen Abfindungszahlung verwirkliche keinen gesetzlichen Einkünftetatbestand. Die von ihr vereinnahmte Abfindungszahlung begründe keine Einkünfte gem. § 24 Nr. 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1, Abs. 5 S. 3 EStG. Das sei schon deshalb ausgeschlossen, weil sie zuvor aufgrund des Nießbrauchs keine steuerbaren Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) erzielt habe. Die von der C GmbH auf die belasteten Anteile ausgeschütteten Dividenden seien gem. § 20 Abs. 5 Satz 1, 2 EStG ihren Töchtern zuzurechnen gewesen. § 24 Nr. 1 EStG begründe keine eigene Einkunftsart, so dass eine von ihr bezogene Abfindung, welche sie für bei ihr nicht steuerbare Einnahmen erziele, nicht gem. § 24 Nr. 1 EStG steuerpflichtig sein könne (Hinweis auf Wacker, in L. Schmidt, EStG41, § 24 Rz. 2; sinngemäß auch BFH v. 25. Oktober 1994, VIII R 79/91, BStBl. II 1995,121 - Mehrbedarfsrenten).
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Darüber hinaus verwirkliche die Aufgabe eines Nießbrauchsrechts gegen Abfindung keinen der drei in § 24 Nr. 1 EStG genannten Tatbestände.
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Die Variante gem. § 24 Nr. 1 Buchst. c EStG scheide von vorneherein aus, weil die Ablösung eines Nießbrauchs am Kapitalgesellschaftsanteil in Rede steht und nicht die Ausgleichszahlung an einen Handelsvertreter.
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Die Variante gem. § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG komme ebenfalls nicht in Betracht, da sie weder eine Tätigkeit noch eine Gewinnbeteiligung aufgegeben, sondern einen Vermögensgegenstand veräußert habe. Unter einer „Gewinnbeteiligung" in diesem Sinne werde vor dem Hintergrund von § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG ein Anteil an Einkünften i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 EStG verstanden (BFH v. 10. Oktober 2001 XI R 50/99, BStBl. II 2002, 347). Zwar lasse sich der Verzicht auf einen Nießbrauch begrifflich unter die in der Norm genannte „Aufgabe einer Gewinnbeteiligung" subsumieren. Jedoch seien Gewinne aus Veräußerungsvorgängen nicht tatbestandsmäßig (Hinweis auf Mellinghoff, in: Kirchhof/Seer, 21. Auflage 2022, § 24 Rz. 19; Eversloh, in: Bordewin/ Brandt, EStG, § 24 Rz. 105 (Stand: 07/2017)). Eine Gewinnbeteiligung im Sinne des § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG sei bei einem Nießbrauch an Kapitalgesellschaftsanteilen selbst dann ausgeschlossen, wenn - anders als im vorliegenden Fall - dem Nießbraucher die Dividendeneinkünfte steuerlich zuzurechnen seien. Es handele sich dabei nämlich um Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG). Nach der Rechtsprechung des BFH handele es sich bei der Aufgabe um einen Vorgang im Bereich des Vermögens und nicht im Bereich der laufenden Einkünfte (Hinweis auf BFH v. 07. Mai 1965 VI 303/64, HFR 1965, 506; v. 09. August 1990 X R 140/88, BStBl. II 1990, 1026; v. 25. November 1992 X R 34/89, BStBl. II 1996, 663, jeweils zu Nutzungsrechten an Grundstücken). Dagegen spreche nicht, dass sie auf den Nießbrauch verzichtet habe, der damit untergegangen sei. Denn durch den Verzicht sei wirtschaftlich die Beteiligung am Gewinn der C GmbH von ihr auf den Gesellschafter übergegangen. Es liege somit keine Beendigung der Gewinnbeteiligung vor, wie es § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG voraussetze. Die nämliche Gewinnbeteiligung stehe jetzt einem anderen Steuerpflichtigen zu.
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Die Variante § 24 Nr. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG (Entschädigung) scheide auch aus, weil es vorliegend an steuerbaren Einkünften nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG fehle, an deren Stelle die Abfindung hätte treten können. Einkünfte nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG erziele der Anteilseigner (§ 20 Abs. 5 S. 1 EStG). Für den Nießbraucher gelte aufgrund von § 20 Abs. 5 S. 3 EStG etwas anderes. Er gelte nur dann als Anteilseigner, wenn und soweit ihm die Einkünfte zuzurechnen seien (Hinweis auf BFH-Urteil v. 14. Februar 2022 VIII R 29/18, BStBl. II 2022, 544, juris, Tz. 16 m.w. Nachw. aus der Literatur). Die auf die belasteten Anteile ausgeschütteten Dividenden wären in den Jahren 2012 bis 2019 abweichend von der tatsächlich durchgeführten Besteuerung ihren beiden Töchtern als Inhaberinnen der Anteile zuzurechnen gewesen. Eine Zurechnung bei ihr scheide aus, und zwar ungeachtet der Tatsache, dass die Gesellschaft - ausweislich der von dieser ausgestellten Bescheinigung gem. § 45a Abs. 2 EStG ‒ von einer anderen, irrigen Rechtsauffassung ausgegangen sei.
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Allgemein erfülle nur derjenige den Tatbestand der Erzielung von Einkünften aus Kapitalvermögen, der Kapital im eigenen Namen und auf eigene Rechnung gegen Entgelt zur Nutzung überlasse, d.h. derjenige, der die rechtliche und tatsächliche Macht habe, das in § 20 Abs. 1 Nr. 1 bis 7 EStG genannte Kapitalvermögen entgeltlich auf Zeit zur Nutzung zu überlassen. Entscheidend sei das Rechtsverhältnis, auf dem die Überlassung des betreffenden Kapitalvermögens beruhe (Hinweis auf BFH-Urteile v. 29. November 1982 GrS 1/81, BStBl. II 1983, 272; v. 26. November 1997 X R 114/94, BStBl. II 1998, 190; v. 08. Juli 1998 I R 112/97, BStBl. II 1999, 123 jeweils mit weiteren Nachweisen; ebenso FG Münster v. 16. Mai 2013 2 K 577/11 E, EFG 2014, 270). Einem Nießbraucher am Kapitalvermögen könnten die Einnahmen demnach nur dann zugerechnet werden, wenn er in der Lage sei, Marktchancen zu nutzen, das Vermögen zu verwalten, die an einem Anteil hängenden Stimm-, Anfechtungs- und andere Mitgliedschaftsrechte auszuüben, die Modalität der Kapitalanlage zu verändern oder die Leistung durch Zurückziehen des Kapitalvermögens zu verweigern (Hinweis auf Buge, in: HHR, EStG/KStG, § 20 Rz. 24, 26 (Stand: 10/2019). Nach der finanzgerichtlichen Rechtsprechung und den überwiegenden Stimmen in der Literatur scheide daher eine Zurechnung zum Nießbraucher aus, wenn seine Stellung - wie vorliegend ‒ darauf beschränkt sei, lediglich die Erträge aus dem Kapitalvermögen zu realisieren (FG Münster, Urteil v. 14. Januar 2003 7 K 2638/00 E, EFG 2003, 690; Urteil v. 16. Mai 2013 - 2 K 577/11 E, EFG 2014, 270; Bleschick, in: Kirchhof/Seer, EStG, 21. Auflage 2022, § 20 Rz. 167; Ratschow, in: Brandis/Heuermann, § 20 EStG Rz. 455 (Stand: 03/2020); Schmidt, in: Kirchhof/Kulosa/Ratschow, EStG, § 20 Rz. 478 (Stand: 10/2022)).
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Die höchstrichterliche Rechtsprechung habe diese Frage beim Vorbehaltsnießbrauch am Kapitalgesellschaftsanteil zwar bisher wiederholt ausdrücklich offengelassen (BFH-Urteile v. 28. Januar 1992 VIII R 207/85, BStBl. II 1992, 605 (juris-Tz. 25); v. 29. Mai 2001 VIII R 11/00, BFH/NV 2001, 1393, juris, Tz. 25). Jüngst habe der BFH sie aber für den Zuwendungsnießbrauch am Kapitalgesellschaftsanteil entschieden (BFH-Urteil v. 14. Februar 2022 VIII R 29/18, BStBl. II 2022, 544). Danach sei dem Nießbrauchsberechtigten die Ausschüttung auf belastete Anteile „nur dann einkommensteuerlich zuzurechnen, wenn ihm die Dispositionsbefugnis über die Einkunftsquelle eingeräumt sei und seine Rechtsposition somit über das bloße Empfangen der Einkünfte hinausgehe“ (BFH-Urteil v. 14. Februar 2022 VIII R 29/18, BStBl. II 2022, 544, juris, Tz. 16). Die notwendige Dispositionsbefugnis konkretisiere der BFH an vorzitierter Stelle in der Weise, dass der Nießbrauchsberechtigte z.B. durch Übergang der Mitverwaltungsrechte, insbesondere der Stimmrechte oder durch Einräumung einer Stimmrechtsvollmacht, eine Rechtsposition innehabe, die ihm entscheidenden Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft verschaffe und insofern dem zivilrechtlichen Gesellschafter gleichstelle. Diese Rechtsprechungsgrundsätze müssten auch für den Vorbehaltsnießbrauch gelten. Der BFH leite sie folgerichtig aus den Grundsätzen seiner ständigen Rechtsprechung zur subjektiven Zurechnung von Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG) ab.
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Anders als noch in den früheren Urteilen zum Nießbrauch am Kapitalvermögen im Allgemeinen, fehle jeder Hinweis darauf, dass der BFH nach dem Typ des Nießbrauchs unterscheiden wolle (Hinweis auf BFH-Urteil v. 24. August 2005 VIII B 4/02, BFH/NV 2006, 273, zum Vorbehaltsnießbrauch an einer Kapitalforderung).
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Nach diesen Grundsätzen habe sie, die Klägerin, seit der Schenkung 2012 keine Dispositionsbefugnis über die Geschäftsanteile der C GmbH mehr gehabt. Sämtliche Mitgliedschaftsrechte seien ausdrücklich aus den ihr zugewiesenen Nutzungen ausgenommen worden (Teil 1 Ziff. II 1.2 des Vertrags vom 00.00.2012). Ihre Rechtstellung sei so weit hinter der eines Gesellschafters zurückgeblieben, dass ihr die für eine Zurechnung von Kapitaleinkünften notwendige Befugnis gefehlt habe. Sie sei auch nicht wirtschaftliche Inhaberin der Anteile gewesen. Für eine Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums i.S.v. § 39 Abs. 1 AO bei einem anderen als dem zivilrechtlichen Eigentümer müsse diese Person die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise ausüben, dass sie den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen könne. Der Nießbraucher habe eine solche Position nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nicht inne (Hinweis auf BFH-Urteile v. 08. Dezember 1983 IV R 20/82, BStBl. II 1984, 202; v. 28. März 2007 IX R 37/05, BFH/NV 2007,1891; v. 27. November 2007 IX R 27/07, BStBl. II 2008, 349; v. 24. Januar 2012 IX R 51/10, BStBl. II 2012, 308). Ausgehend von dem Gesamtbild der Verhältnisse seien die Voraussetzungen einer ausnahmsweisen Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums zu ihrer Person weder in Bezug auf die Verwaltungsrechte noch in Bezug auf die Vermögensrechte zu erkennen. Alle Mitgliedschaftsrechte seien im Rahmen der Schenkung von ihr, der Klägerin, auf ihre Töchter übergegangen. Auch in vermögensrechtlicher Hinsicht sei ihre Rechtsstellung nicht über die eines typischen Nießbrauchers hinausgegangen. Sie habe an Gewinnausschüttungen, nicht jedoch an der Vermögenssubstanz der Geschäftsanteile partizipiert. Auch die Poolvereinbarung (Teil 2 des Vertrags vom 00.00.2012) ändere an dieser Bewertung nichts. Denn die Willensbildung innerhalb der Poolversammlung sei nach Maßgabe des Nennwerts des jeweiligen Gesellschaftsanteils erfolgt, so dass sie, die Klägerin, mangels Inhaberschaft an einem solchen Anteil in der Poolversammlung von vornherein (stimm-)rechtlos gewesen sei. Das entspreche auch der Ansicht des Beklagten, der ebenfalls davon ausgehe, dass das wirtschaftliche Eigentum auf die Töchter übergegangen sei.
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Entsprechend wären - nach richtiger Betrachtung - die auf die belasteten Anteile ausgeschütteten Dividenden ihren Töchtern zuzurechnen gewesen, so dass der entgeltliche Verzicht auf den Nießbrauch nicht zu nachträglichen Einkünften aus Kapitalvermögen nach § 24 Nr. 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG bei ihr führen könne.
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Die Variante des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG sei auch deshalb nicht einschlägig, weil sie den Verzicht freiwillig und ohne erheblichen wirtschaftlichen, rechtlichen oder tatsächlichen Druck ausgesprochen habe. Letzteres sei nach herkömmlicher Rechtsprechung des BFH Voraussetzung für eine Entschädigung gem. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, falls der Ausfall der Einnahmen vom Steuerpflichtigen selbst oder mit dessen Zustimmung herbeigeführt worden sei (Hinweis auf BFH-Urteile v. 11. Januar 2005 IX R 67/02, BFH/NV 2005, 1044, juris-Tz. 12; v. 29. Februar 2012 IX R 28/11, BStBl II 2012, 569, juris, Tz. 14).
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Die jüngere Rechtsprechung des IX. und des X. Senats des BFH habe offengelassen, ob an diesem Kriterium festzuhalten sei (Hinweis auf BFH-Urteile v. 23. November 2016 X R 48/14, BStBl. II 2017, 383; v. 13. Mai 2018 IX R 16/17, BStBl. II 2018, 709). Dies führe allerdings im vorliegenden Fall zu keinem anderen Ergebnis. Unverändert seien bei der Prüfung des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG nämlich Entschädigungen von Erfüllungsleistungen abzugrenzen (Hinweis auf BFH-Urteile v. 27. Oktober 2015 X R12/13, juris, Tz. 31; v. 13. Februar 1987 VI R168/83, juris, Tz. 22; Horn in: HHR, EStG/KStG, § 24, Rz. 15 (291. Lfg. 4/2019). Die Änderung der bloßen Zahlungsmodalität könne daher keine Entschädigung i.S.v. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG bewirken. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise handelte es sich bei ihrer Aufgabe des Nießbrauchs gegen Abfindung um eine Veränderung der Modalität der Zahlungen, von wiederkehrenden jährlichen Zahlungen in einen Einmalbetrag, was nach höchstrichterlicher Rechtsprechung gerade keine Entschädigung gem. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG sei (Hinweis auf BFH-Urteil v. 13. Februar 1987 VI R 168/83, juris). Sie habe als Abfindung genau den Betrag erhalten, der sich auf den Stichtag des Vertrags als Kapitalwert des Nießbrauchs gem. § 14 Abs. 1 S. 1 BewG errechnet habe.
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Hervorzuheben sei noch, dass es sich bei der entgeltlichen Ablösung eines Nießbrauchs grundsätzlich nicht um eine Entschädigung für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit handele. Der in § 24 Nr. 1 EStG verwendete Entschädigungsbegriff setze in seiner allgemeinen Bedeutung voraus, dass der Steuerpflichtige infolge einer Beeinträchtigung der durch die einzelnen Vorschriften geschützten Güter einen finanziellen Schaden erlitten habe und die Zahlung unmittelbar dazu bestimmt sei, diesen Schaden auszugleichen (Hinweis auf BFH-Urteile v. 13. Februar 1987 VI R 230/83, BStBl. II 1987, 386; v. 08. August 1986 VI R 28/84, BStBl. II 1987,106; EStH 2020 R 24.1). Die Ablösung des Nießbrauchs mit seinem stichtagsbezogenen Kapitalwert stelle nach diesen Grundsätzen gerade keine Entschädigung dar, da sie keinen zusätzlichen Schaden ausgleiche sondern lediglich ein aliud des ursprünglichen Rechts gewähre (so BFH-Urteil v. 25. November 1992 X R 34/89, BStBl. II 1996, 663, ausdrücklich zur Ablösung eines Vorbehaltsnießbrauchs). Der Wert des Nießbrauchs und der Wert der gezahlten Ablösung seien identisch gewesen.
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Warum die Grundsätze des BFH-Urteils v. 07. Mai 1965 VI 303/64 (HFR 1965, 506) ‒ wie vom Beklagten behauptet ‒ nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar sein sollten, erschließe sich nicht. Die grundsätzliche Wertung, dass § 24 Abs. 1 EStG Einnahmen im einkommensteuerrechtlichen Sinne voraussetze, sei unabhängig von der Frage zu beachten, ob ein Wohnrecht oder ein Nießbrauch vorliege.
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Sie, die Klägerin, habe auch keine Einkünfte aus § 17 EStG erzielt, weder unmittelbar noch als sog. nachträgliche Einkünfte im Sinne des § 24 Nr. 2 EStG. Die Aufgabe des Nießbrauchs gegen Abfindung sei keine Veräußerung gem. § 17 EStG. Derartige Gewinne könne nur derjenige erzielen, dem die betreffende Beteiligung steuerrechtlich zuzurechnen ist, weil er zivilrechtlicher oder zumindest wirtschaftlicher Eigentümer sei (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AO) sei (Hinweis auf BFH-Urteile v. 20. Juli 2010 IX R 38/09, BFH/NV 2011, 43, v. 26. Januar 2011 IX R 7/09, BStBl. II 2011, 540; v. 01. August 2012 IX R 6/11, BFH/NV 2013, 9; Schmidt, in: HHR, EStG/KStG, § 17 EStG Rz. 53 (Stand: 08/2018)).
45
Sie sei aber seit dem Vollzug des Vertrags aus dem Jahre 2012 nicht mehr Gesellschafterin und auch keine wirtschaftliche Eigentümerin an der C gewesen. Eine Übertragung einer wesentlichen Beteiligung i.S. von § 17 EStG unter Vorbehalt eines Nießbrauchsrechts sei unentgeltlich und somit keine Veräußerung i.S. von § 17 Abs. 1 EStG. Anders als vom Beklagten ausgeführt, wirke die vollständige Ablösung des Nießbrauchsrechts wirtschaftlich auch nicht auf den Übertragungsvorgang der Anteile zurück. Entscheidend für die Frage der Rückwirkung i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sei, ob ein zeitlich gestreckter, in verschiedenen Veranlagungszeiträumen verwirklichter Tatbestand vorliege und das später verwirklichte Tatbestandsmerkmal ein rückwirkendes Ereignis darstelle. Bereits der Beklagte stelle in seiner Einspruchsbegründung dazu fest, dass zwischen der zunächst erfolgten Übertragung der Anteile unter Nießbrauchsvorbehalt und der später für die Ablösung des Nießbrauchsrechts geleisteten Zahlung kein erkennbarer sachlicher Zusammenhang bestehe, sodass der entgeltliche Verzicht auf das Nutzungsrecht als selbstständiges Rechtsgeschäft einzustufen sei. Warum von dieser Einschätzung im Klageverfahren nunmehr Abstand genommen werde, erscheine nicht nachvollziehbar. Jedenfalls liege nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch dann kein Fall der (rückwirkenden) Anteilsveräußerung vor, wenn das Nießbrauchsrecht später abgelöst werde und der Nießbraucher für seinen Verzicht eine Abstandszahlung erhalte, sofern der Verzicht auf einer neuen Entwicklung der Verhältnisse beruhe (Hinweis auf BFH-Urteil v. 14. Juni 2005 VIII R 14/04, BStBl. II 2006,15; FG Niedersachsen, Urteil v. 04. Dezember 2003 10 K 294/00, EFG 2004, 652).
46
Ein für § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO erforderlicher Zusammenhang liege bei einem abgeschlossenen Rechtsgeschäft nur vor, wenn der Rechtsgrund für die später geleisteten Zahlungen bereits in diesem Rechtsgeschäft - hier im Schenkungsvertrag angelegt worden sei (Hinweis auf BFH-Urteil v. 14. Juni 2005 VIII R 14/04, BStBl. II 2006, 15). Ein solcher Zusammenhang habe jedoch offenkundig nicht bestanden. Zwischen der Schenkung der Anteile im Jahr 2012 und der Nießbrauchsablösung im Rahmen des Verkaufs der Anteile durch die Töchter im Jahre 2019 habe ein langer, mehrjähriger Zeitraum gelegen. Im Zeitpunkt der Schenkung sei weder für sie noch für ihre Töchter ein Verkauf der Anteile und eine Nießbrauchsablösung geplant gewesen. Ein Verkauf habe bereits deswegen außerhalb der Vorstellung der Vertragsbeteiligten gelegen, weil aufgrund der Vinkulierung der Anteile nach dem bestehenden Gesellschaftsvertrag in der Fassung vom 00.00.2007 faktisch nahezu keine möglichen Käufer in Betracht gekommen seien. Der Verkauf der Anteile und der Verzicht auf das Nießbrauchsrecht habe hier auf einer neuen Entwicklung der Verhältnisse beruht. Im Jahr 2015 sei Herr K, ihr Ehemann und Vater ihrer Töchter, verstorben. Herr K sei Inhaber des ...büros K gewesen, das sich mit der Entwicklung der Gegenstände beschäftigt habe, die von der C GmbH hergestellt worden seien. Die Produktion der C GmbH habe auf einer Lizenz ihres verstorbenen Mannes basiert. Mit dessen Tod sei dessen Expertise vollständig weggefallen. Er habe seinen Töchtern damit auch nicht mehr als erfahrener Berater zur Verfügung gestanden. Erst aufgrund dieses Umstandes hätten die Töchter sukzessiv einen Entschluss zum Verkauf der Anteile gefasst.
47
Die Aufgabe des Nießbrauchrechts habe auch nicht zu nachträglichen Einkünften gem. § 24 Nr. 2 EStG i.V.m. § 17 Abs. 2 EStG geführt. Zumindest dann, wenn der Nießbrauch im Rahmen einer unentgeltlichen Übertragung des Kapitalgesellschaftsanteils als Vorbehaltsnießbrauch begründet worden sei, scheide die Besteuerung einer Abfindung des Nießbrauchers für die spätere Aufgabe des Rechts auf der Grundlage von § 24 Nr. 2 EStG i.V.m. § 17 Abs. 2 EStG aus. Zweck dieser Vorschrift sei die sachliche Zuordnung von zeitlich später zufließenden Einnahmen zu früher erzielten Einkünften. Dies setze denklogisch voraus, dass der Steuerpflichtige früher entsprechende Einkünfte erzielt habe. Insoweit habe die Vorschrift - jenseits der darin enthaltenen und hier nicht einschlägigen persönliche Zuordnung zum Rechtsnachfolger - nur klarstellende Wirkung (Hinweis auf Horn in: HHR, EStG/KStG, § 24 Rz. 70, 291. Lfg. 4/2019). Sie habe aber im Jahre 2012 ihre Geschäftsanteile an der C GmbH unentgeltlich übertragen. Dieser unentgeltliche Vorgang werde nicht dadurch in einen entgeltlichen umqualifiziert, dass für die Aufgabe des Nießbrauchs, der ein selbständiges Wirtschaftsgut bilde, eine Abfindung geleistet werde (FG Niedersachsen, Urteil v. 04. Dezember 2003 10 K 294/00, EFG 2004, 652, rkr.). Für den Veranlagungszeitraum 2012 sei sie im Übrigen bestandskräftig veranlagt.
48
Die Ablösung des Nießbrauchs führe auch nicht zu sonstigen Einkünften i.S.d. § 22 EStG. Einkünfte aus Leistungen gem. § 22 Nr. 3 EStG würden bereits deshalb ausscheiden, weil Veräußerungsvorgänge und veräußerungsähnliche Vorgänge im privaten Bereich, bei denen ein Entgelt dafür gezahlt werde, dass ein Vermögenswert in seiner Substanz endgültig aufgegeben werde, vom Anwendungsbereich der Vorschrift ausgenommen seien (Hinweis auf Weber-Grellet, in: Schmidt, EStG, 42. Aufl. 2023, § 22 Rz. 136 m.w.N.). Genau dies geschehe jedoch beim entgeltlichen Verzicht auf den dinglichen Vorbehaltsnießbrauch (Hinweis auf BFH-Urteil v. 25. November1992 X R 34/89, BStBl. II1990, 663; zu einem testamentarisch vermachten obligatorischen Wohnrecht bereits BFH-Urteil v. 09. August 1990 X R 140/88, BStBl. 1990, 1026).
49
Es handele sich bei den Zahlungen auch nicht um sonstige Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften gem. § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 EStG. Zwar sei der Nießbrauch ein Wirtschaftsgut (Hinweis auf BFH-Urteile v. 09. August 1989 X R 20/86, BStBl. II 1990,128; v. 14. März 2006 I R 109/04, BFH/NV 2006,1812). Bei diesem handele es sich auch nicht um ein Grundstück (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG) oder um einen Gegenstand des täglichen Gebrauchs (§ 23 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG), sodass § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG grundsätzlich einschlägig sein könnte. Allerdings erfülle der Verzicht auf ihren Nießbrauch gegen Entgelt nicht die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen. Sie habe den Nießbrauch im Zeitpunkt der Ablösung bereits mehr als ein Jahr innegehabt. Eine Verlängerung der Frist auf zehn Jahre (§ 23 Abs. 1 Nr. 2 Satz 4 EStG) scheide aus. Zum einen habe sie den Nießbrauch nicht als Einkunftsquelle genutzt. Die Einnahmen, die aus den Anteilen in Form von Dividenden geflossen seien, hätten ihren Töchtern als Einkünfte zugerechnet werden müssen. Ungeachtet des Nießbrauchs hätten ihre Töchter Einkünfte erzielt und diese zu ihren Gunsten verwendet. Dies habe bei ihr zwar zu Einnahmen nicht aber zu Einkünften geführt.
50
Darüber hinaus sei der entgeltliche Verzicht auf ihren Vorbehaltsnießbrauch kein Veräußerungsgeschäft i.S.v. § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Voraussetzung hierfür wäre, dass sie den Nießbrauch angeschafft, also ihrerseits durch einen entgeltlichen Vorgang von einem Dritten erworben hätte (Hinweis auf BFH-Urteile v. 02. Mai 2000 IX R 73/98, BStBl. II 2000, 614; v. 20. April 2004 IX R 5/02, BStBl. II 2004, 987; v. 19. August 2008 IX R 71/07, BStBl. II 2009, 13; v. 8. November 2017 IX R 25/15, BStBl. II 2018, 518). Daran fehle es nach höchstrichterlicher Rechtsprechung bei der unentgeltlichen Zuwendung eines Erbbaurechts (Hinweis auf BFH-Urteil v. 08. November2017 IX R 25/15, BStBl. II 2018, 518). Bei einem Vorbehaltsnießbrauch könne nichts anderes gelten.
51
Die Klägerin beantragt,
52
unter Änderung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides 2019 vom 03. September 2021 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 22. November 2022 die Einkommensteuer mit der Maßgabe festzusetzen, dass der aufgrund des notariell beurkundeten Vertrages vom 00.00.2019 (UR-Nr. ... der Notarin A mit Amtssitz in B) an die Klägerin gezahlte Ablösebetrag i. H. v. ... EUR als nicht steuerbar behandelt wird,
53
hilfsweise die Revision zuzulassen.
54
Der Beklagte beantragt,
55
die Klage abzuweisen,
56
hilfsweise die Revision zulassen.
57
Er hält daran fest, dass im vorliegenden Fall § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG einschlägig sei. Wie in der Einspruchsentscheidung vom 22. November 2022 dargestellt, sei das vorbehaltene Nießbrauchsrecht ein eigenständiges Wirtschaftsgut und könne, jedenfalls in der Form des Verzichts hierauf, Gegenstand eines selbständigen Rechtsgeschäfts sein, wenn hierauf ein Entgelt gezahlt werde. Das Entgelt werde für die Aufgabe dieses Wirtschaftsguts gezahlt. Es handele sich entgegen der Auffassung der Klägerin hierbei nicht um ein Aliud des ursprünglichen Rechts, sondern um eine neue Rechtsgrundlage.
58
Hilfsweise komme ebenfalls die Anwendung des § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG in Betracht. § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG erfasse Entschädigungen, die für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit, für die Aufgabe einer Gewinnbeteiligung oder einer Anwartschaft auf eine solche gezahlt würden. Der Verzicht der Klägerin auf das Nießbrauchsrecht stelle eine Aufgabe einer Gewinnbeteiligung in diesem Sinne dar. Dem Argument der Klägerin, dass es sich nicht um eine Aufgabe einer Gewinnbeteiligung handele, weil diese einem anderen Steuerpflichtigen zustünde, könne nicht gefolgt werden. Denn das Tatbestandsmerkmal der Aufgabe einer Gewinnbeteiligung im Sinne des § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG könne sonst nur in Fällen des Untergangs des zur Gewinnbeteiligung verpflichteten Rechtssubjektes bejaht werden.
59
Auch den von der Klägerin vorgebrachten Argumenten, eine Besteuerung der Ablösezahlung nach § 17 EStG i.V.m. § 24 Nr. 2 EStG komme nicht in Betracht, sei nicht zu folgen. Hilfsweise käme auch eine Besteuerung nach dieser Vorschrift in Betracht, da die vollständige Ablösung des Nießbrauchsrechts wirtschaftlich auf den Übertragungsvorgang der GmbH-Anteile zurückwirke. Ursprünglich seien nämlich schenkweise mit einem Nießbrauchsvorbehalt belastete GmbH-Anteile übertragen worden, deren Belastung aber in Gänze zu einem späteren Zeitpunkt durch Zahlung einer Ablösesumme bzw. einer Einmalzahlung als Gegenleistung entfallen sei. Dies lege den Schluss nahe, dass eine Übertragung der GmbH-Anteile ohne Gewährung des Vorbehaltsnießbrauchs auch nur entgeltlich und eben nicht unentgeltlich erfolgt wäre.
60
Von besonderer Bedeutung sei, dass der BFH in seinem Urteil vom 18. November 2014 IX R 49/13 (BStBl. II 2015, 224) offengelassen habe, ob ggf. eine Erfassung der Ablösezahlung beim Nießbrauchsberechtigten als Entschädigung für die entgangenen Dividendenansprüche nach § 24 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1, § 20 Abs. 2a S. 3 EStG oder nach § 24 Nr. 2, § 17 Abs. 2 EStG in Betracht komme.
61
Im Übrigen verweist der Beklagte auf die in der Einspruchsentscheidung vom 22. November 2022 sowie im Schriftsatz vom 30. März 2023 dargestellte Begründung seiner Rechtsauffassung.
62
Entscheidungsgründe
63
Die Klage ist zulässig (I.) und begründet (II.).
64
I.
65
Die Klage ist nicht verfristet, denn der Klägerin ist hinsichtlich der Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
66
Nach § 56 Abs. 1 FGO ist einem Beteiligten auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn dieser ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, und er den Antrag binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt hat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO). Die in § 47 Abs. 1 FGO normierte einmonatige Klagefrist ist eine gesetzliche Frist im Sinne des § 56 FGO, an deren Einhaltung die Klägerin durch ein Versehen einer Mitarbeiterin der Prozessbevollmächtigten der Klägerin unverschuldet gehindert war. Im Hinblick darauf, dass zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in die Klagefrist vorliegen, wird von einer weiteren Begründung abgesehen und auf das Hinweisschreiben des Gerichts vom 20. Oktober 2023 (Bl. 243 der elektronischen Gerichtsakte) verwiesen.
67
II.
68
Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2019 vom 03. September 2021 und diehierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 22. November 2022 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO).
69
Zu Unrecht hat der Beklagte die Ablösezahlung für die Aufgabe der Nießbrauchsrechte im angefochtenen Steuerbescheid als steuerpflichtige Einnahmen behandelt. Die streitgegenständliche Abfindungszahlung wird von keinem Einkünftetatbestand erfasst und ist dementsprechend nicht steuerbar.
70
1.
71
Es liegen zunächst keine Einkünfte im Sinne des § 24 Nr.1 Buchst. a EStG i.V.m. § 20 Abs. 1 EStG vor.
72
Nach § 24 Nr.1 Buchst. a EStG gehören zu den Einkünften im Sinne des § 2 Absatz 1 EStG auch Entschädigungen, die gewährt worden sind als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen.
73
Eine Gegenleistung für den Verzicht auf einen Vorbehaltsnießbrauch an einer Kapitalbeteiligung ist keine Entschädigung für entgehende Einnahmen i.S. von § 24 Nr.1 Buchst. a EStG i.V.m. § 20 Abs.1 Nr.1 S. 1 EStG (vgl. BFH-Urteil v. 25. November 1992 X R 34/89, BStBl II 1996, 663 m.w.N., zum Verzicht auf Vorbehaltsnießbrauch an einem Grundstück).
74
Bei den Einnahmen im Sinne des § 24 Nr.1 Buchst. a EStG handelt es sich, was auch von beiden Beteiligten so gesehen wird, nur dann um eine Entschädigung i.S.d. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, wenn die Zahlung im Zusammenhang mit steuerpflichtigen Einkünften steht. Denn § 24 EStG schafft keine Einkunftsquelle, sondern er setzt das Vorhandensein einer Einkunftsquelle voraus (vgl. FG Münster, Urteil vom 15. Dezember 2020 2 K 2866/18 E , juris).
75
Daran fehlt es im Streitfall, weil die Dividendenansprüche, an denen zugunsten der Klägerin ein Nießbrauch bestanden hat, nach § 20 Abs. 5 S. 1 EStG für sie keine Einkunftsquelle dargestellt haben. Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 Abs 1 Nr. 1 und Nr. 2 EStG erzielt nach § 20 Abs. 5 S. 1 EStG der Anteilseigner. Anteilseigner ist nach § 20 Abs. 5 S. 2 EStG derjenige, dem nach § 39 AO die Anteile an dem Kapitalvermögen im Sinne des § 20 Abs 1 Nr. 1 EStG im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses zuzurechnen sind. Gemäß § 20 Abs. 5 S. 3 EStG gilt ein Nießbraucher oder Pfandgläubiger als Anteilseigner, wenn ihm die Einnahmen im Sinne des § 20 Abs 1 Nr. 1 und Nr. 2 EStG zuzurechnen sind.
76
Ist an einem Kapitalgesellschaftsanteil ein Nießbrauch bestellt, der dem Nießbrauchberechtigten lediglich einen Anspruch auf den mit der Beteiligung verbundenen Gewinnanteil einräumt, ohne dass dieser wesentliche Verwaltungsrechte, insbesondere die Stimmrechte, ausüben und im Konfliktfall effektiv durchsetzen kann, sind die Kapitaleinnahmen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG ertragsteuerlich weiterhin dem Anteilseigner zuzurechnen (BFH-Urteil vom 14. Februar 2022 VIII R 29/18, BStBl II 2022, 544). Zurechnungssubjekt einer Ausschüttung durch eine GmbH ist daher grundsätzlich der Anteilseigner (§ 20 Abs. 2a Sätze 1 und 2 EStG, § 39 Abs. 1 AO). Einem zivilrechtlich hiervon abweichenden Gläubiger der Ausschüttung (z.B. aufgrund einer Abtretung gemäß § 398 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB-- oder aufgrund einer Nießbrauchbestellung gemäß § 1068 BGB) ist diese nur dann einkommensteuerlich zuzurechnen, wenn ihm die Dispositionsbefugnis über die Einkunftsquelle eingeräumt ist und seine Rechtsposition somit über das bloße Empfangen der Einkünfte hinausgeht (BFH-Urteil vom 29.03.2001 IV R 71/99, BFH/NV 2001, 1251 unter 1.a; FG Münster, Urteil v. 14. Januar 2003 - 7 K 2638/00 E, EFG 2003, 690, unter 2.c). Hierfür reicht es nicht aus, wenn an einem GmbH-Geschäftsanteil unentgeltlich ein Nießbrauch zugunsten eines Dritten bestellt wurde, der dem Nießbrauchberechtigten lediglich einen Anspruch auf den mit der Beteiligung verbundenen Gewinnanteil gemäß § 1068 Abs. 2, § 1030 i.V.m. § 99 Abs. 2, § 100, § 101 Nr. 2 BGB einräumt. Erforderlich ist vielmehr, dass der Nießbrauchberechtigte --z.B. durch Übergang der Mitverwaltungsrechte, insbesondere der Stimmrechte oder durch Einräumung einer Stimmrechtsvollmacht-- eine Rechtsposition innehat, die ihm entscheidenden Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft verschafft und insofern dem zivilrechtlichen Gesellschafter gleichstellt (so die herrschende Meinung, z.B. BFH-Urteile v. 18. November 2014 IX R 49/13, BStBl II 2015, 224, Rz 15; v. 24. Januar 2012 IX R 51/10, BStBl II 2012, 308, Rz 17 und 18; vgl. auch BGH-Beschluss v. 05. April 2011 II ZR 173/10, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2011, 1061; Bleschick in Kirchhof/Seer, EStG, 20. Aufl., § 20 Rz 167; Buge in Herrmann/Heuer/Raupach --HHR--, § 20 EStG Rz 26; Jochum in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff --KSM--, EStG, § 20 Rz B 56, G 11; Brandis/Heuermann/Ratschow, § 20 EStG Rz 455; Schmidt/Levedag, EStG, 40. Aufl., § 20 Rz 236).
77
Daran mangelt es im Streitfall, weil der Klägerin ‒ was insoweit zwischen den Beteiligten unstreitig ist ‒ eine solche Dispositionsbefugnis nicht zustand. Sie war lediglich Empfängerin der Zahlung, hatte aber keinen weiteren Einfluss auf die Geschicke der GmbH. Denn der Nießbrauch beschränkte sich nach Teil 1, Ziff. II des Schenkungsvertrages vom 00.00.2012 auf die Ziehung der Nutzungen aus den Geschäftsanteilen, wozu insbesondere der anteilige Bilanzgewinn zählte. Nicht zu den Nutzungen gehörte ausweislich der vertraglichen Vereinbarungen hingegen die Ausübung der Mitgliedschaftsrechte. Diese standen nach Teil 1, Ziff. II, 1.2 des Vertrags einzig den beiden neuen Gesellschafterinnen zu. Der Nießbrauch hätte bei der Klägerin im Falle einer weiteren ratierlichen Auszahlung daher nicht zu steuerpflichtigen Einkünften geführt. Aus diesem Grund kann auch die zusammengeballte Vereinnahmung dieser Zahlungen nicht zu steuerpflichtigen Einkünften führen, weil § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG in diesem Falle eine Einkunftsquelle schaffen würde. Insofern kann der Beklagte einen Besteuerungsanspruch nicht auf § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG stützen.
78
2.
79
Es liegen auch keine Einkünfte im Sinne des § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG vor. Zu den Einkünften im Sinne des § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG gehören Entschädigungen, die gewährt werden für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit, für die Aufgabe einer Gewinnbeteiligung oder einer Anwartschaft auf eine solche. Als Gewinnbeteiligung im Sinne des § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG kommen lediglich gesellschaftsrechtliche Beteiligungen in Betracht (vgl. BFH-Urteile v. 10. Oktober 2001 XI R 50/99, BStBl. II 2002, 347; v. 19. Januar 1976 VI R 67/75, BFHE 118, 17, BStBl II 1976, 286). Diese Voraussetzung ist bei einem Nießbrauch an einem Kapitalgesellschaftsanteil, der sich letztlich auf die Auskehrung der Dividendenansprüche beschränkt, nicht erfüllt.
80
3.
81
Die Klägerin hat auch keine Einkünfte nach § 17 EStG erzielt, weder unmittelbar noch als sogenannte nachträgliche Einkünfte im Sinne des § 24 Nr. 2 EStG.
82
a) Nach § 17 Abs. 1 S. 1 EStG gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft. Veräußerungsgewinn ist gemäß § 17 Abs. 2 S. 1 EStG der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt. Die Übertragung einer wesentlichen Beteiligung i.S. von § 17 EStG unter Vorbehalt eines Nießbrauchsrechts im Wege der vorweggenommenen Erbfolge ist als unentgeltliche Vermögensübertragung keine Veräußerung i.S. von § 17 Abs. 1 EStG (BFH-Urteil vom 14. Juni 2005 VIII R 14/04, BStBl II 2006, 15).
83
b) Es liegt auch keine Anteilsveräußerung vor, wenn das Nießbrauchsrecht später abgelöst wird und der Nießbraucher für seinen Verzicht eine Abstandszahlung erhält, sofern der Verzicht auf einer neuen Entwicklung der Verhältnisse beruht (Ablehnung des sog. Surrogationsprinzips; BFH-Urteil vom 14. Juni 2005 VIII R 14/04, BStBl II 2006, 15). Ein rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO 1977 liegt bei einem abgeschlossenen Rechtsgeschäft nur dann vor, wenn der Rechtsgrund für die später geleisteten Zahlungen bereits in diesem Rechtsgeschäft angelegt war (BFH- Urteil vom 14. Juni 2005 VIII R 14/04, BStBl II 2006, 15). Das ist im Streitfall zu verneinen. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Ablösung des Nießbrauchsrechts der zweite Schritt eines von Anfang an geplanten Veräußerungsgeschäfts gewesen sei, bei dem der Rechtsgrund für die später geleisteten Zahlungen bereits in diesem Rechtsgeschäft angelegt gewesen wäre. Hiervon geht letztlich auch der Beklagte aus, der in der Einspruchsentscheidung ausführt, dass zwischen der zunächst erfolgten Übertragung der Anteile unter Nießbrauchsvorbehalt und der später für die Ablösung des Nießbrauchsrechts geleisteten Zahlung kein erkennbarer sachlicher Zusammenhang bestand habe, sodass der entgeltliche Verzicht auf das Nutzungsrecht als selbstständiges Rechtsgeschäft einzustufen sei.
84
Aber auch wenn das zu verneinen wäre, müsste der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2019 aufgehoben werden, weil im Falle eines einheitlich zu betrachtenden Rechtsgeschäft ein rückwirkendendes Ereignis nach § 175 AO vorläge, so dass die Besteuerung im Veranlagungszeitraum 2012 zu erfolgen hätte, und nicht im Streitjahr (so auch BFH-Urteil vom 14. Juni 2005 VIII R 14/04, BStBl II 2006, 15).
85
4.
86
Es liegen auch keine Einkünfte im Sinne des § 22 Nr. 2 EStG i.V.m. 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG vor.
87
Die entgeltliche Ablösung eines Nießbrauchrechts bzw. der entgeltliche Verzicht auf ein Nießbrauchrecht führt nicht zu steuerbaren Einkünften i.S. von § 23 EStG. Derartige veräußerungsähnliche Vorgänge, bei denen es an dem für eine Veräußerung erforderlichen Rechtsträgerwechsel fehlt, werden von § 23 EStG nicht erfasst (so auch FG Münster, Urteil v. 12. Dezember 2023 6 K 2489/22 E, juris).
88
Andere Wirtschaftsgüter i.S. des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG sind Wirtschaftsgüter jedweder Art im Privatvermögen, die nicht unter § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG fallen, d.h. nicht Grundstücke, grundstücksgleiche Rechte oder in die Veräußerungsgewinnbesteuerung einzubeziehende Gebäude und Außenanlagen sind (vgl. BFH-Urteile v. 29.Oktober 2019 IX R 10/18, BStBl II 2020, 258; v. 03. September 2019 IX R 12/18, BStBl 2020, 94, Rz 14; BFH-Vorlagebeschluss v. 16. Juli 2002 IX R 62/99, BStBl II 2003, 74, FG Münster, Urteil v. 12. Dezember 2023 6 K 2489/22 E, Rn. 37, juris).
89
Unentgeltlich eingeräumte - schuldrechtliche und dingliche - Nutzungsrechte an Grundstücken werden als einlagefähige Wirtschaftsgüter angesehen, falls der Inhaber des Nutzungsrechts eine rechtlich gesicherte Position erlangt hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 16. Dezember 1988 III R 113/85, BStBl II 1989, 763). Unter Beachtung dieser Grundsätze stellt auch das Nießbrauchrecht ein Wirtschaftsgut i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG dar (FG Münster, Urteil v. 12. Dezember 2023 6 K 2489/22 E, Rn. 39 - 40, juris). Wie das Finanzgericht Münster im Urteil vom 12. Dezember 2023 6 K 2489/22 E jedoch zutreffend entschieden hat, bedarf es zur Bejahung eines privaten Veräußerungsgeschäfts nach § 23 Abs. 1 S.1 Nr. 2 EStG eines Rechtsträgerwechsels. Das ist bei einem Verzicht auf ein Nießbrauchsrecht nicht der Fall, weil der Nießbrauch in einem solchen Fall nicht auf eine andere Person übertragen wird, sondern an den Eigentümer des nießbrauchbelasteten Wirtschaftsguts zurückfällt. Darüber hinaus wäre im Streitfall die Jahresfrist des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG weit überschritten.
90
5.
91
Die Ablösung des vorbehaltenen Nießbrauchs ist im Streitfall auch nicht nach § 22 Nr.3 EStG steuerbar.
92
Eine (sonstige) Leistung i.S. des § 22 Nr.3 EStG ist jedes Tun, Unterlassen oder Dulden, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrages sein kann und um des Entgeltes willen erbracht wird. Ausgenommen sind Veräußerungsvorgänge und veräußerungsähnliche Vorgänge im privaten Bereich, bei denen ein Entgelt dafür gezahlt wird, dass ein Vermögenswert in seiner Substanz endgültig aufgegeben wird (BFH-Urteile v. 21. September 1982 VIII R 73/79, BStBl II 1983, 201; v. 28. November 1984 I R 290/81, BStBl II 1985, 264).
93
Ein Verzicht auf ein testamentarisch vermachtes obligatorisches Wohnrecht gegen ein wirtschaftlich gleichwertiges Entgelt im privaten Bereich ist nicht steuerbar. Ein solcher Verzichtsvertrag begründet insbesondere kein nach § 22 Nr. 3 EStG steuerbares Nutzungsverhältnis, weil dieser Rechtsvorgang unter Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände als veräußerungsähnlicher Vorgang dem Normalbild einer (entgeltlichen) Vermögensumschichtung entspricht (vgl. BFH-Urteil vom 09. August 1990 X R 140/88, BStBl II 1990, 1026). Die gleichen Rechtsgrundsätze gelten für den entgeltlichen Verzicht auf einen dinglichen Vorbehaltsnießbrauch und nach Auffassung des Senats auch für ein vorbehaltenes Nießbrauchsrecht an einer Kapitalbeteiligung. Ein solcher Verzicht auf ein Nutzungsrecht im Wege einer Vermögensumschichtung im Privatvermögen liegt im Streitfall daher vor.
94
Der Klage war somit stattzugeben.
95
III. Die Neuberechnung der Einkommensteuer wird dem Beklagten übertragen, § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.
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IV. Als unterlegener Beteiligter hat der Beklagte nach § 135 Abs. 1 FGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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V. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
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VI. Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO aus zwei Gründen zuzulassen. Zum einen hat der BFH in seinem Urteil vom 18. November 2014 (Az. IX R 49/13; BStBI II 2015, 224) offengelassen, ob die Ablösezahlung beim Nießbrauchsberechtigten als Entschädigung für entgangene Dividendenanspruche nach § 24 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1, § 20 Abs. 2a Satz 3 EStG oder nach § 24 Nr. 2, § 17 Abs. 2 EStG steuerbar ist.
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Zum anderen ist beim BFH unter dem Aktenzeichen IX R 4/24 ein Revisionsverfahren gegen das o.g. Urteil des FG Münster v. 12. Dezember 2023 6 K 2489/22 E zu der Frage anhängig, ob die entgeltliche Ablösung eines Nießbrauchrechts oder der entgeltliche Verzicht auf ein Nießbrauchrecht zu steuerbaren Einkünften im Sinne von § 23 EStG führt.