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  • 05.04.2007 · IWW-Abrufnummer 071094

    Finanzgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 28.09.2006 – 1 K 1854/05

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Verkündet am: 28.09.2006

    IM NAMEN DES VOLKES

    URTEIL

    1 K 1854/05

    In dem Finanzrechtsstreit XXX

    wegen Einkommensteuer 2000

    hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 1. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 28. September 2006 durch XXX

    für Recht erkannt:

    I. Der Einkommensteuerbescheid für 2000 vom 22. Juni 2004 und die Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2005 werden aufgehoben.

    II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

    III. Das Urteil ist hinsichtlich der von dem Beklagten zu tragenden Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der noch festzusetzenden Kosten abwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

    IV. Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand

    Streitig ist, ob Leistungen in Höhe von 120.000,00 DM aus einer Gruppenunfallversicherung Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers darstellen.

    Der Kläger ist verheiratet und wird mit seiner Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Seit 01. März 1993 ist er im C-Krankenhaus in B als Arzt beschäftigt und erzielt aus dieser Tätigkeit Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. In der Einkommensteuererklärung für 2000 hat er zudem Einkünfte aus Notarzteinsätzen (DRK) i.H.v. 7.050,00 DM erklärt, die nicht dem Lohnsteuerabzug unterworfen wurden. Die Einkommensteuererklärung für 2000 hat der Kläger persönlich beim Finanzamt B eingereicht. In dem Einkommensteuerbescheid vom 03. April 2001 hat der Beklagte die Einkünfte aus den Notarzteinsätzen als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erfasst.

    Anlässlich einer im Dezember 2003 beim DRK Kreisverband B durchgeführten Lohnsteueraußenprüfung wurde folgender Sachverhalt festgestellt:

    Das DRK Kreisverband B unterhält bei der X Versicherung als Versicherungsnehmer eine Gruppenunfallversicherung. Versicherte Personen sind ?Notärzte im Einsatz?. Zum Versicherungsumfang ist u.a. ausgeführt: ?Versichert gilt als ein durch die Rettungsleitstelle eingesetzter Notarzt.? Das DRK hat das ihm zustehende Wahlrecht, die Beiträge zu der betreffenden Gruppenunfallversicherung dem pauschalen Lohnsteuerabzug zu unterwerfen, derart ausgeübt, dass die Beiträge vom 01.01.1999 an nicht dem Lohnsteuerabzug unterworfen wurden.

    Eine Versicherungsleistung der X Versicherung aus der vorgenannten Unfallversicherung i.H.v. 120.000,00 DM hat das DRK am 02. Februar 2000 in voller Höhe an den Kläger ausgezahlt. Hierzu hat der Kläger aufgrund einer Anfrage des Beklagten erklärt, dass der Unfall bei einem Notfalleinsatz für das DRK B eingetreten sei. Als Notarzt sei er im Auftrage seines Arbeitgebers, des C-Krankenhauses B im Rahmen des regulären Notarztdienstes tätig gewesen. Unfalltag sei der 13. April 1999 gewesen, Unfallort die damalige Baustelle der K-Brücke auf der Autobahn A ... . Nach Absturz eines Baukranes von der Brücke wäre bei Dunkelheit und Regen versucht worden, die Aufschlagstelle durch Abstieg über eine steile Waldböschung zu erreichen. Dabei habe er sich eine Handverletzung zugezogen, die im weiteren Verlauf nach Behandlung und Begutachtung zur Auszahlung der Unfallversicherungssumme geführt habe. Bei Abgabe der Einkommensteuererklärung 2000 hätte er den zuständigen Sachbearbeiter darauf hingewiesen, Leistungen aus einer Unfallversicherung erhalten zu haben. Daraufhin sei ihm mitgeteilt worden, Leistungen aus einer Unfallversicherung seien steuerrechtlich nicht relevant und müssten bei der Einkommensteuererklärung nicht angegeben werden.

    Mit Bescheid vom 22. Juni 2004 hat der Beklagte die Einkommensteuerfestsetzung für 2000 wegen neuer Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung ? AO ? geändert. Dabei wurden die vom DRK an den Kläger ausgekehrten Leistungen aus der Gruppenunfallversicherung zusätzlich als Arbeitslohn nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz ? EStG ? erfasst. Der hiergegen eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2005 als unbegründet zurückgewiesen.

    Mit der Klage trägt der Kläger vor, dass eine Änderung des Einkommensteuerbescheides für 2000 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht möglich sei, da es sich vorliegend nicht um eine neue Tatsache im Sinne dieser Vorschrift handeln würde. Bei Abgabe der Einkommensteuererklärung 2000 hätte er den zuständigen Sachbearbeiter darauf hingewiesen, im Kalenderjahr 2000 Leistungen aus einer Unfallversicherung erhalten zu haben. Demzufolge sei dem Beklagten die Tatsache der Auszahlung der Unfallversicherung bereits zum Zeitpunkt der Veranlagung bekannt gewesen.

    Die Leistungen aus der Gruppenunfallversicherung könnten keiner Einkunftsart zugerechnet werden. Es handele sich um nicht steuerbaren Schadensersatz für den erlittenen Gesundheitsschaden. Zwar habe zwischen dem Dienstverhältnis und der Leistung aus der Gruppenunfallversicherung ein tatsächlicher Zusammenhang bestanden. Er sei darin begründet, dass der Arbeitgeber, das DRK, den Versicherungsvertrag im eigenen Namen zugunsten seiner Arbeitnehmer abgeschlossen habe, um sie vor Unfällen abzusichern. Auch wenn nur er allein die Rechte aus dem Vertrag habe ausüben können, so sei der Kläger materieller Träger des Rechtsanspruches gegenüber dem Versicherer gewesen. Der Abschluss der Gruppenversicherung durch das DRK habe gerade den Zweck gehabt, bei Eintritt eines Schadensfalles in der Lage zu sein, immaterielle Schäden der Arbeitnehmer bei Verrichtung ihres Dienstes durch Auskehrung einer im Voraus festgesetzten Summe auszugleichen. Der Abschluss der Gruppenunfallversicherung habe aus Arbeit-geber- wie aus Arbeitnehmersicht ausschließlich den Zweck der Absicherung der Arbeitnehmer gehabt. Hieraus habe sich für den Kläger ein Anspruch auf Auszahlung der Versicherungssumme ergeben. Dieser Zusammenhang zwischen dem Dienst- und dem Versicherungsverhältnis sei aber nicht so eng, dass die Versicherungsleistung als Ertrag der nichtselbständigen Arbeit und damit als steuerpflichtiger Arbeitslohn angesehen werden könnte. Grundsätzlich sei zwar möglich, dass Leistungen aus einer Gruppenunfallversicherung, die der Arbeitgeber zugunsten seiner Arbeitnehmer abgeschlossen habe, Arbeitslohn seien, wenn die Ausübung der Rechte ausschließlich dem Arbeitgeber zustehen würde. Einem etwaigen Lohnzufluss könnten aber außergewöhnliche Belastungen im Falle eines Unfalles im privaten Bereich bzw. Werbungskosten bei einem Dienstunfall gegenüberstehen. Letztlich würden nach Ansicht des BFH nur solche Leistungen aus der Versicherung besteuert, die auch Lohnersatz darstellten. Die an den Kläger ausgekehrte Versicherung diene nicht dem Zweck, Einnahmeausfälle zu ersetzen. Sie sei nicht Entgelt für eine von ihm geleistete Tätigkeit, sondern der Ausgleich dafür, dass er einen verbleibenden Körperschaden erlitten habe. Die damit verbundenen Belastungen sollten ausgeglichen bzw. gemildert werden. Die Versicherungsleistung habe mithin nicht die Funktion von Lohnersatz, sondern eher die von Schmerzensgeld. Dies zeige sich auch daran, dass die Invaliditätsentschädigung in Höhe eines im Voraus vertraglich vereinbarten Festbetrages und ohne Rücksicht darauf zu leisten sei, ob der Kläger durch den Schadensfall möglicherweise Einnahmeverluste habe oder anderweitig entschädigt würde. Nach den von der Rechtsprechung angelegten Maßstäben liege damit bei der Auszahlung der Versicherungssumme an den Kläger ein nicht steuerbarer Vorgang vor.

    In Tz. 4.1.1. Satz 2 des BMF-Schreiben vom 17. Juli 2000 seien unter Berufung auf das BFH-Urteil vom 20. September 1996 Leistungen aus einer Gruppenunfallversicherung beim Unfall im beruflichen Bereich nur insoweit als nicht steuerbar angesehen worden, als Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber aus Gesetz oder der Verletzung arbeitsvertraglicher Fürsorgepflichten gegeben seien. Dem zitierten Urteil liege aber ein wesentlich anders gelagerter Sachverhalt zugrunde als bei einer Gruppenunfallversicherung. Hier habe zu befürchten gestanden, dass vom Arbeitgeber bewusst ein zu hoher Schadenersatz wegen der besonderen Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb gewährt werde. Das Unterlassen des Arbeitgebers, die Schadensminderungspflicht des Arbeitnehmers für sich in Anspruch zu nehmen, sei als Vergütung für die besondere Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb gewertet worden. Damit sei der Rechtsgrund der Zuwendung ein anderer als bei der Verpflichtung zur Auskehrung einer Versicherungssumme aus einer Gruppenunfallversicherung. In dem zitierten Urteil sei ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen einer Dienstleistung im Betrieb und der Überlassung der Zuwendung gesehen worden. Die Formulierung des BMF-Schreibens gehe an dieser Stelle nicht differenziert mit dem zitierten BFH-Urteil um. Eine Ableitung aus dem Urteil, dass Auskehrungen aus einer Unfallversicherung nur dann nicht als Einkommen aus nichtselb-ständiger Tätigkeit zu qualifizieren seien, soweit in entsprechender Höhe eine Schadenersatzverpflichtung vorliege, gehe an dem Grund für die Auskehrung einer Invaliditätsversicherung vorbei. Die im Voraus über einen bestimmten Betrag vom Arbeitgeber vertraglich zugesagte Entschädigung für eine bestimmte körperliche Beschädigung beruhe eben gerade nicht auf einer Gegenleistung des Arbeitnehmers in Form einer Dienstleistung für den Betrieb des Arbeitgebers, sondern in einer potentiellen Gefährdung in Ausübung des Dienstes. Durch die körperliche Beschädigung des Arbeitnehmers werde kein Vorteil für den Betrieb des Arbeitgebers ersichtlich. Der Arbeitnehmer schulde eine Diensterbringung unter gesundheitsgefährdenden Umständen. Aber erst wenn sich die Gefahr in Form der Invalidität realisiert habe, komme es zu einer Auskehrungsverpflichtung. Der Grund für die Auskehrung bestehe dann nicht in der Dienstleistung des Arbeitnehmers an sich, sondern in der erlittenen gesundheitlichen Beeinträchtigung.

    Der Kläger beantragt,
    den geänderten Einkommensteuerbescheid für 2000 vom 22. Juni 2004 und die Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2005 aufzuheben.

    Der Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen.

    Zur Begründung führt er aus, dass der Einkommensteuerbescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO habe geändert werden können. Im Zeitpunkt des Erlasses des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides für 2000 am 03. April 2001 sei der Bearbeiterin das BMF-Schreiben vom 17. Juli 2000 zweifelsfrei bekannt gewesen. Hätte die Bearbeiterin zu diesem Zeitpunkt gewusst, dass dem Kläger aus einer freiwilligen Unfallversicherung des Arbeitgebers, deren Beiträge der Arbeitgeber nicht dem Lohnsteuerabzug unterworfen habe, Versicherungsleistungen zugeflossen seien, so hätte sie die Versicherungsleistungen bereits bei Erlass des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erfasst. Die Rechtserheblichkeit der neuen Tatsache sei daher vorliegend zu bejahen. Der Kläger habe den steuerlich relevanten Sachverhalt nicht richtig, vollständig und deutlich bei Einreichung der Einkommensteuererklärung dargelegt. Das ergebe sich schon daraus, dass er im Schriftsatz vom 02. März 2004 noch erklärt habe, dass kein Vertrags- oder Arbeitsverhältnis zwischen ihm und der DRK bestanden habe. Dies lasse darauf schließen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Abgabe der Einkommensteuererklärung das Finanzamt zumindest nicht darauf hingewiesen habe, dass der Arbeitgeber und nicht er persönlich die Beiträge zu der Unfallversicherung gezahlt habe und dass die Versicherungsbeiträge nicht dem Lohnsteuerabzug unterworfen worden seien. Der Kläger habe das Finanzamt allenfalls lückenhaft von dem steuerlich relevanten Sachverhalt unterrichtet, so dass er sich nicht auf die Verletzung der Mitwirkungspflichten durch das Finanzamt berufen könne.

    Die Auskehrung der Leistungen aus der Gruppenunfallversicherung stellten auch steuerpflichtigen Arbeitslohn nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG dar. Der Kläger sei im Rahmen eines Arbeits- bzw. Dienstverhältnisses für das DRK tätig gewesen. Seit Jahren habe er aus dieser Tätigkeit Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erklärt. Auch habe das DRK als Arbeitgeber für seine Arbeitnehmer ?Notärzte im Einsatz? die betreffende Gruppenunfallversicherung abgeschlossen. Der Versicherungsschutz aus dieser Gruppenunfallversicherung sei durch das individuelle Dienstverhältnis des Klägers mit dem DRK begründet. Wäre der Kläger nicht als ?Notarzt im Einsatz? für das DRK tätig gewesen, hätte er nicht zum versicherten Personenkreis gehört. Ein Anspruch auf Auszahlung der Versicherungssumme des DRK an die Versicherungsgesellschaft habe nur bestanden, weil der Kläger Arbeitnehmer des DRK gewesen sei. Der Versicherungsschutz sei als Gegenleistung für die Arbeitskraft oder zumindest mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis und die damit für den Kläger verbundenen Gefahren gewährt worden. Die Auskehrung der Versicherungsleistung durch das DRK sei somit ganz überwiegend durch das Dienstverhältnis veranlasst und demzufolge im weitesten Sinne als Gegenleistung für das zur Verfügung stellen der individuellen Arbeitskraft des Klägers veranlasst gewesen.

    Im Anschluss an die BFH-Urteile vom 16. April 1999 sei am 17. Juli 2000 ein Schreiben des BMF ergangen. Hier sei geregelt worden, dass die im Kalenderjahr des Versicherungsfalles geleisteten Beiträge des Arbeitnehmers keinen Arbeitslohn darstellten, weil die Ausübung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag ausschließlich dem Arbeitgeber zustehen würden, weshalb die vom Arbeitgeber an den Arbeitnehmer ausgekehrte Leistung aus der Unfallversicherung wegen eines im privaten Bereich eingetretenen Versicherungsfalles in voller Höhe zum steuerpflichtigen Arbeitslohn gehöre. Bei einem im beruflichen Bereich eingetretenen Unfall gehöre die Auskehrung des Arbeitgebers nicht zum Arbeitslohn, soweit der Arbeitgeber gesetzlich zur Schadenersatzleistung verpflichtet sei oder soweit der Arbeitgeber einen zivilrechtlichen Schadenersatzanspruch des Arbeitnehmers wegen schuldhafter Verletzung arbeitsvertraglicher Fürsorgepflichten erfülle. Das vorgenannte BMF-Schreiben sei mit Wirkung vom 01. Januar 2000 anzuwenden. Es sei jedoch nicht zu beanstanden, wenn bis zum 21.12.2000 nach der Regelung des früheren BMF-Schreiben vom 18. Februar 1997 verfahren werde. Das sich daraus ergebende Wahlrecht könne bei Pauschalbesteuerung vom Arbeitgeber oder bei individueller Besteuerung vom Arbeitnehmer für das Kalenderjahr 2000 und zurückliegende Lohnsteuerzahlungszeiträume nur einheitlich ausgeübt werden. Im Rahmen der Lohnsteueraußenprüfung habe das DRK das ihm zustehende Wahlrecht für 2000 derart ausgeübt, dass es die Beträge zur Unfallversicherung nicht dem pauschalen Lohnsteuerabzug unterworfen habe. Die Auskehrung der Versicherungsleistung durch den Arbeitgeber würde daher nur dann keinen Arbeitslohn für den Kläger darstellen, wenn der Arbeitgeber gesetzlich zum Schadenersatz verpflichtet gewesen wäre oder soweit der Arbeitgeber einen zivilrechtlichen Schadenersatzanspruch des Klägers wegen schuldhafter Verletzung der arbeitsvertraglichen Fürsorgepflichten erfüllt hätte. Beide Ausnahmefälle würden im Streitfall nicht vorliegen, so dass die Auskehrung der Versicherungsleistung auch nach dem BMF-Schreiben vom 17. Juli 2000 steuerpflichtigen Arbeitslohn darstelle. Die vom Kläger gegenüber dem DRK erbrachte Dienstleistung ? ärztlicher Notdienst bei Unfällen ? sei gefährlich und mit einem erhöhten Risiko für die Gesundheit des Klägers verbunden. Die vom DRK für diese Arbeitnehmergruppe abgeschlossene Gruppenunfallversicherung erhöhe die Bereitschaft von Ärzten, sich trotz der erhöhten Risiken als Unfallarzt zu betätigen. Die Leistungen aus der Unfallversicherung seien daher durch das individuelle Dienstverhältnis des Klägers veranlasst und somit Gegenleistung (Zusatzleistung) der Tätigkeit als Unfallarzt. Die vom DRK an den Kläger ausgekehrte Leistung aus der Gruppenunfallversicherung sei demzufolge steuerpflichtiger Arbeitslohn nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG.

    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist begründet.

    Der Beklagte hat zu Unrecht die Leistungen aus der Gruppenunfallversicherung als steuerpflichtigen Arbeitslohn erfasst.

    Entgegen der Auffassung des Klägers liegen die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vor.

    Nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Die Vorschrift setzt voraus, dass die Tatsachen bei Erlass des ursprünglichen Bescheides vorhanden waren und vom Finanzamt bei umfassender Kenntnis des Sachverhaltes hätten berücksichtigt werden können. Erst nachträglich eintretende Tatsachen führen nicht zu einer Änderung des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO.

    Tatsache im Sinne von § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist jeder Lebensvorgang, der insgesamt oder teilweise den gesetzlichen Steuertatbestand oder ein einzelnes Merkmal dieses Tatbestandes erfüllt.

    Eine Tatsache ist nachträglich bekannt geworden, wenn sie das Finanzamt bei Erlass des geänderten Steuerbescheides noch nicht kannte (BFH-Urteil vom 13. September 2001 IV R 79/99, BStBl II 2002, 2 m.w.N.). Betrachtet man im Streitfall als maßgeblichen Zeitpunkt den Erlass des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides vom 22. Juni 2004, war dem Beklagten zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt, dass der Kläger eine Leistung aus einer freiwilligen Unfallversicherung des Arbeitgebers bezogen hat, deren Beiträge der Arbeitgeber nicht dem Lohnsteuerabzug unterworfen hat.

    Der Kläger hat die Einkommensteuererklärung am 20. Februar 2001 persönlich beim Beklagten abgegeben. Im Rahmen der persönlichen Einreichung hat er den zuständigen Sachbearbeiter darauf hingewiesen, dass er in 2000 eine Auszahlung aus einer Unfallversicherung erhalten hat. Nach dem Schreiben des Klägers vom 5. Mai 2004 ist es durchaus glaubhaft, dass der Kläger auf diese Auszahlung hingewiesen hat. Es ist aber auch davon auszugehen, dass er keine weiteren Einzelheiten darüber vorgetragen hat, so dass die Auskunft, dass eine solche Auszahlung steuerlich nicht relevant ist und damit bei der Einkommensteuererklärung nicht anzugeben ist, zutreffend war. Erst nachdem der Beklagte im Rahmen der durchgeführten Lohnsteueraußenprüfung beim DRK Kreisverband B den Sachverhalt festgestellt hat, ist der Kläger am 6. Januar 2004 zur Prüfung der Frage, wie diese Zahlung steuerlich zu behandeln ist, um Beantwortung einiger Fragen gebeten worden. In seinem Antwortschreiben vom 2. März 2004 hat der Kläger noch erklärt, dass kein Vertrags- oder Arbeitsverhältnis zwischen ihm und der DRK bestanden habe. Daraus lässt sich schließen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Abgabe der Einkommensteuererklärung den Beklagten zumindest nicht darauf hingewiesen hat, dass der Arbeitgeber ? von dem er nicht einmal wusste, wer es war - und nicht er persönlich die Beiträge zu der Unfallversicherung gezahlt hat und dass die Versicherungsbeiträge nicht dem Lohnsteuerabzug unterworfen worden sind. Da der Kläger das Finanzamt somit allenfalls lückenhaft von dem steuerlich relevanten Sachverhalt unterrichtet hat, kann der Kläger sich nicht auf die Verletzung der Mitwirkungspflichten durch das Finanzamt berufen.

    Das Finanzamt verletzt die Ermittlungspflicht (§ 88 AO), wenn es ersichtlich Unklarheiten oder Zweifelsfragen, die sich bei einer Prüfung der Steuererklärung sowie der eingereichten Unterlagen ohne weiteres aufdrängen mussten, nicht nachgeht. Bei der Bestimmung und Begrenzung der Ermittlungspflicht des Finanzamts kommt es wesentlich auf die Angaben des Steuerpflichtigen und insbesondere darauf an, ob mit diesen Angaben steuerlich relevante Sachverhalte richtig, vollständig und deutlich dem Finanzamt zur Prüfung unterbreitet worden sind (BFH-Urteil vom 24. Oktober 1989 VII R 1/87, BStBl II 1990, 198). Das Finanzamt braucht Steuererklärungen nicht mit Misstrauen zu begegnen, sondern kann regelmäßig von der Richtigkeit und Vollständigkeit der Steuererklärung ausgehen. Haben sowohl der Steuerpflichtige als auch das Finanzamt es versäumt, den Sachverhalt aufzuklären, trifft in der Regel die Verantwortlichkeit den Steuerpflichtigen mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann (BFH-Urteil vom 20. Dezember 1988 VIII R 121/83, BStBl II 1989, 585).

    Bei der Leistung aus der Gruppenunfallversicherung handelt es sich aber nicht um Arbeitslohn, sondern um nicht steuerbaren Schadensersatz für erlittenen Gesundheitsschaden.

    Nach § 19 Abs. 1 Einkommensteuergesetz ? EStG - gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit neben den Gehältern und Löhnen u.a. auch Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Ein Vorteil wird für eine Beschäftigung gewährt, wenn er durch das individuelle Dienstverhältnis des Arbeitnehmers veranlasst ist. Das ist dann der Fall, wenn der Vorteil mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis eingeräumt wird und sich die Leistung im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist. Die Zuwendung muss dabei nicht ausschließlich wegen des Dienstverhältnisses gewährt werden. Es genügt vielmehr eine ganz überwiegende Mitveranlassung. Entscheidend ist, dass das Dienstverhältnis im bewertbaren, aus Sicht des Arbeitgebers zu beurteilenden Rahmen mitauslösend ist und der Arbeitnehmer die Zuwendung als solche aus seinem Dienstverhältnis begreift. Hierbei ist allerdings die Beurteilung nach objektiven Maßstäben vorzunehmen. Durch das Dienstverhältnis können auch solche Einnahmen veranlasst sein, die ein Steuerpflichtiger von einem Dritten erhält, sofern diese ein Entgelt für seine Leistungen bilden, die er im Rahmen seines Dienstverhältnisses für den Arbeitgeber erbracht hat oder erbringen soll. Für den Arbeitnehmer muss sich die Zuwendung des Dritten wirtschaftlich als Frucht seiner Dienstleistung darstellen.

    Bei Anwendung dieser Grundsätze im Streitfall sind die von dem Arbeitgeber an den Kläger ausgekehrten Leistungen aus der Versicherung kein Arbeitslohn.

    Zwar bestand zwischen dem Dienstverhältnis und den Leistungen aus der Gruppenunfallversicherung ein tatsächlicher Zusammenhang. Er ist darin begründet, dass der Arbeitgeber den Versicherungsvertrag im eigenen Namen zu Gunsten seiner Arbeitnehmer (Notärzte im Einsatz) abgeschlossen hatte, um sie vor Unfällen im beruflichen Bereich abzusichern. Auch wenn der Arbeitgeber nur allein die Rechte aus dem Vertrag ausüben konnte, so war doch der Kläger materieller Träger des Rechtsanspruches gegenüber dem Versicherer (§§ 179 Abs. 2, 75 Abs. 1 Satz 1 Versicherungsvertragsgesetz). Hieraus ergab sich für den Kläger ein Anspruch auf Auszahlung der Versicherungssumme, soweit es sich um einen Unfall im beruflichen Bereich handelte.

    Dieser Zusammenhang zwischen dem Dienst- und dem Versicherungsverhältnis war aber nicht so eng, dass die Versicherungsleistung als Ertrag der nichtselbständigen Arbeit und damit als steuerpflichtiger Arbeitslohn im Sinne von § 19 Abs. 1 EStG angesehen werden kann (Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 19. Juni 2002 I 1339/97, EFG 2002, 1381 und Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 21. September 2004 10 K 3682/03 EFG 2005, 1864 und a. A. des Finanzgerichts Köln vom 24. November 2004 12 K 5350/01, EFG 2005, 1438).

    Grundsätzlich ist es zwar möglich, dass Leistungen aus einer Gruppenunfallversicherung, die der Arbeitgeber zu Gunsten seiner Arbeitnehmer abgeschlossen hat, Arbeitslohn sind, wenn die Ausübung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag ? wie hier ? ausschließlich dem Arbeitgeber zustehen. Dem können aber Werbungskosten bei einem dienstlichen Unfall und außergewöhnliche Belastung bei einem Privatunfall gegenüberstehen, so dass grundsätzlich nur der Lohnersatz das Einkommen erhöht (Urteil des Bundesfinanzhofes vom 16. April 1999 VI R 60/96 und VI R 66/97, BStBl II 2000, 406 und 408).

    Vorliegend handelt es sich bei der an den Kläger ausgekehrten Versicherungssumme jedoch nicht um derartigen Lohnersatz, denn die Versicherungsleistung diente nicht dem Zweck, Einnahmeausfälle des verunglückten Klägers zu ersetzen. Sie war nicht Entgelt für eine von ihm geleistete Tätigkeit, sondern war der Ausgleich dafür, dass der Kläger einen verbleibenden Körperschaden erlitten hatte. Die damit verbundenen Belastungen sollten ausgeglichen bzw. gemildert werden. Die Versicherungsleistung hatte mithin nicht die Funktion von Lohnersatz, sondern eher die von Schmerzensgeld. Das zeigt sich auch darin, dass die Invaliditätsentschädigung in Höhe eines im Voraus vertraglich vereinbarten festen Betrages und ohne Rücksicht darauf zu leisten war, ob der Kläger durch den Schadensfall möglicherweise Einnahmeverluste hat oder anderweitig entschädigt wurde. Bei dieser Sachlage tritt der im Streitfall vorhandene Bezug der Unfallversicherungsleistung zum Arbeitslohn in den Hintergrund. Auch kommt es nicht darauf an, ob der Anspruch auch ohne das Arbeitsverhältnis entstanden wäre.

    Das hat zur Folge, dass der geänderte Einkommensteuerbescheid vom 22. Juni 2004 aufzuheben ist.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung ?FGO-; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 1 und 3, 155 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, 712 ZPO.

    Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

    Rechtsmittelbelehrung XXX

    RechtsgebietEStGVorschriften§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG