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  • 05.05.2008

    Bundesfinanzhof: Beschluss vom 01.04.2008 – X B 201/07

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Gründe:

    I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) ist die Insolvenzverwalterin über das Vermögen des X. Im Rahmen der Insolvenzverwaltung verfolgte sie Anfechtungsansprüche und zog das durch die anfechtbaren Rechtshandlungen Erlangte zurück zur Masse.

    Mit Bescheid vom 20. März 2007 setzte der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) gegenüber der Antragstellerin die Einkommensteuer 2003 des X fest. Einen Betrag in Höhe von ... ¤ behandelte das FA als Masseverbindlichkeit mit der Begründung, die Entstehung dieser Steuerbeträge resultiere aus insolvenzbehafteten Einkünften und sei zeitlich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt. Auch die Einkommensteuer 2004 forderte das FA mit Bescheid vom 8. Mai 2007 in Höhe von ... ¤ als Masseverbindlichkeit.

    Gegen diese Einkommensteuerfestsetzungen legte die Antragstellerin Einsprüche ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV), die das FA mit Bescheid vom 31. Mai 2007 für beide Streitjahre ablehnte.

    Das Finanzgericht (FG) gab dem AdV-Antrag statt. Im Streitfall würden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Einkommensteuerbescheide bestehen. Persönliche Verbindlichkeiten, die der Schuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründe, seien Insolvenzforderungen i.S. von § 38 der Insolvenzordnung (InsO). Zu den Masseverbindlichkeiten gehörten hingegen Verbindlichkeiten, die durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden. Begründet i.S. des § 38 InsO sei ein Anspruch, wenn im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Schuldverhältnis bereits bestehe und der schuldrechtliche Grund schon geschaffen sei; dann gehe die später entstehende Forderung auf das vorinsolvenzrechtliche Verhalten des Schuldners zurück und sei als Insolvenzforderung einzuordnen. Nur der "Schuldrechtsorganismus", der die Grundlage der Forderung bilde, nicht die Forderung selbst, müsse vor Eröffnung der Insolvenz geschaffen sein. Für die Behandlung von Steueransprüchen ergebe sich daraus, dass eine Steuerforderung immer dann Insolvenzforderung sei, wenn der zu Grunde liegende zivilrechtliche Sachverhalt, der zu der Entstehung der Steueransprüche führe, vor Insolvenzeröffnung verwirklicht worden sei (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21. September 1993 VII R 119/91, BFHE 172, 308, BStBl II 1994, 83; BFH-Beschluss vom 23. April 2007 VII B 310/06, BFH/NV 2007, 1452). Ohne Bedeutung sei, zu welchem Zeitpunkt hieraus Steueransprüche entstünden.

    § 38 InsO nehme die Zuordnung einzelner Ansprüche zu dieser Schuldenmasse in der Weise vor, dass aufgrund wertender Betrachtung zu entscheiden sei, ob der Anspruch eine solche Beziehung zu dem vorinsolvenzrechtlichen Vermögen aufweise, dass es gerechtfertigt sei, diesen Anspruch (nur) aus diesem Vermögen als Haftungssumme zu befriedigen. Dies sei der Fall, wenn vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Sachverhalt eingetreten sei, der eine sachliche und vermögensmäßige Verbindung zwischen dem (später) entstehenden Anspruch und der vorinsolvenzrechtlichen Vermögensmasse herstelle. Die vorinsolvenzrechtliche Vermögensmasse müsse wirtschaftlich schon mit dem später entstehenden Anspruch "belastet" sein. Es komme nur auf diese wertende, sachlich-vermögensmäßige Beziehung zu der vorinsolvenzrechtlichen Vermögensmasse an, nicht aber darauf, wann und aufgrund welcher Tatbestandsverwirklichung Steueransprüche entstünden.

    Im Streitfall sei der Steueranspruch nicht erst durch die Anfechtungshandlung der Antragstellerin, sondern bereits vor der Insolvenzeröffnung begründet worden. Schon mit der Vollendung eines Anfechtungstatbestandes sei aufschiebend bedingt durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Anfechtungsrecht des Insolvenzverwalters entstanden. Durch Ausübung der Anfechtungsbefugnis, die kein Gestaltungsrecht, sondern die Geltendmachung der Rechtsfolgen aus der Anfechtung bedeute, werde die Rückgewährverbindlichkeit i.S. von § 143 InsO begründet, auf deren Grundlage das durch die anfechtbare Handlung des Schuldners Veräußerte, Weggegebene oder Aufgegebene zurückgewährt werden müsse; die Rückgewähr habe zur Insolvenzmasse zu erfolgen. Damit bestehe eine insolvenzrechtliche Verbindung der vorinsolvenzrechtlichen Vermögensmasse mit dem später entstehenden Steueranspruch, der folglich nur die Insolvenzmasse belasten könne.

    Dagegen richtet sich die vom FG zugelassene Beschwerde des FA. Es beantragt, den FG-Beschluss aufzuheben und den Antrag auf AdV abzuweisen.

    Der Einkommensteuer liege das Prinzip der Abschnittsbesteuerung zu Grunde. Daraus folge, dass für jeden Steuerabschnitt die Grundlagen der Besteuerung neu festzustellen und damit Sachverhalt wie Rechtslage neu zu prüfen seien. Der Gewinn werde nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelt. Für diese Gewinnermittlungsart gelte das Zu- und Abflussprinzip nach § 11 EStG. In den Jahren 2003 und 2004 seien der Antragstellerin aufgrund der gegenüber den Insolvenzgläubigern erklärten Anfechtungen nach §§ 129 ff. InsO Einnahmen aus Anfechtungsansprüchen tatsächlich zugeflossen. Folglich seien diese Beträge in der Einnahmen-Überschussrechnung als Ertrag zu erfassen. Der entsprechende Betriebsausgabenabzug sei im Rahmen der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG zutreffend bereits im Jahr des tatsächlichen Abflusses nach § 11 Abs. 2 EStG berücksichtigt worden.

    Der Rechtsgrund für die Vereinnahmung von Anfechtungsansprüchen sei nicht bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelegt worden. Der Bundesgerichtshof (BGH) habe im Urteil vom 1. Februar 2007 IX ZR 96/04 (BGHZ 171, 38) ausdrücklich klargestellt, dass Anfechtungsrechte erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstünden. Dies führe im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung im Streitfall zur Entstehung von Masseansprüchen.

    Das FG führe zutreffend aus, dass nach § 143 InsO die Rückgewähr des anfechtbar Erlangten an die Insolvenzmasse zu erfolgen habe und der entsprechende Steueranspruch nur die Insolvenzmasse belasten könne. Aus dieser richtigen Feststellung ziehe das FG dann jedoch den falschen Schluss, wenn es meine, das FA habe die Steuerforderung zu Unrecht als Masseverbindlichkeit angesehen.

    II. Die gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) statthafte Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

    Nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage gelangt der beschließende Senat zu der Auffassung, dass an der Rechtmäßigkeit der Einkommensteuerfestsetzungen 2003 und 2004 ernstliche Zweifel bestehen, so dass die AdV gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO zu Recht erfolgt ist.

    1. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Nach der Rechtsprechung des BFH bestehen solche Zweifel, wenn bei summarischer Prüfung des Bescheides neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung einer Rechtsfrage bewirken (BFH-Entscheidungen vom 15. Juli 1998 I B 134/97, BFH/NV 1999, 372, und vom 10. November 1994 IV R 44/94, BFHE 176, 303, BStBl II 1995, 814, m.w.N.).

    2. Im Streitfall begegnet es nach Auffassung des beschließenden Senats keinen rechtlichen Bedenken, dass das FG ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Einkommensteuerfestsetzungen 2003 und 2004 bejaht hat.

    a) Zu Recht hat das FG bei der Prüfung der Frage, ob die Einkommensteuerfestsetzungen 2003 und 2004 zu Insolvenzforderungen i.S. des § 38 InsO führen, darauf abgestellt, ob das FA einen im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner hatte. Begründet in diesem Sinne ist ein Anspruch, wenn das Schuldverhältnis vor Verfahrenseröffnung bestand, selbst wenn sich hieraus eine Forderung erst nach Verfahrenseröffnung ergibt (vgl. BGH-Beschluss vom 7. April 2005 IX ZB 129/03, Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht 2005, 537, m.w.N. aus der Rechtsprechung und Literatur).

    b) Schon die Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung nach den Vorschriften der Insolvenzordnung und nicht erst die Anfechtung durch den Insolvenzverwalter begründet --bereits nach dem Wortlaut der Regelung in § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO-- ein Recht auf Rückgewähr, für die nach § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO grundsätzlich die Vorschriften über die Rechtsfolgen einer ungerechtfertigten Bereicherung, bei der dem Empfänger der Mangel des rechtlichen Grundes bekannt ist, entsprechend gelten (Beermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 251 AO Rz 358). Das Anfechtungsrecht nach §§ 129 ff. InsO entsteht ohne Weiteres mit der Vollendung des Anfechtungstatbestandes (MünchKommInsO-Kirchhof, § 129 Rz 186), jedoch als spezielle Insolvenzanfechtung aufschiebend bedingt durch die Insolvenzeröffnung (MünchKommInsO-Kirchhof, § 143 Rz 9). Die --nicht formbedürftige-- Willensentscheidung des Insolvenzverwalters macht den Rückgewähranspruch durchsetzbar (§ 143 InsO). Die Ausübung der Anfechtungsbefugnis ist kein Gestaltungsrecht, sondern bedeutet lediglich das Geltendmachen der Rechtsfolgen, die sich im jeweiligen Einzelfall aus der von selbst bestehenden Anfechtbarkeit ergeben (MünchKommInsO-Kirchhof, § 129 Rz 194).

    c) Für die Frage, ob Steuerforderungen Insolvenzforderungen oder Masseverbindlichkeiten sind, ist entscheidend, ob die Hauptforderung ihrem Kern nach bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist. Es kommt nicht darauf an, ob der Anspruch zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im steuerrechtlichen Sinne entstanden ist, sondern darauf, ob in diesem Zeitpunkt nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch bereits gelegt war (BFH-Beschluss vom 6. Oktober 2005 VII B 309/04, BFH/NV 2006, 369; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 17. Dezember 1998 IV A 4 -S 0550- 28/98, BStBl I 1998, 1500 Tz 4.2). Damit sind Steuerforderungen Insolvenzforderungen, die im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwar noch nicht i.S. des § 38 der Abgabenordnung entstanden, wohl aber insolvenzrechtlich begründet sind. Hierfür können auch zivilrechtliche Umstände maßgebend sein. Daher ist ein Steueranspruch immer dann Insolvenzforderung i.S. des § 38 InsO, wenn er vor Eröffnung des Verfahrens in der Weise begründet worden ist, dass der zu Grunde liegende zivilrechtliche Sachverhalt, der zur Entstehung der Steuerforderung führt, bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden ist. Rechtsgrund für die Entstehung einer Forderung ist der sie begründende Tatbestand, der sog. Schuldrechtsorganismus (Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, 7. Aufl. 2007, Rz 484; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 55).

    d) Da bereits die Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung den Rückgewähranspruch begründet (vgl. oben II.2.b), ist in diesem Zeitpunkt nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen auch der Rechtsgrund für den Steueranspruch gelegt. Nicht die Anfechtungshandlung der Antragstellerin begründet den Steueranspruch. Vielmehr ist dieser bereits vor Insolvenzeröffnung begründet worden und --wie das FG zutreffend darlegt-- lediglich aufschiebend bedingt abhängig von der Einkünfteerzielung in Gestalt der insolvenzrechtlichen Rückgewähr. Das FG hat damit zutreffend ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steuerfestsetzungen bejaht.

    RechtsgebieteInsO, EStG, FGO, AO