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  • 15.10.2009 · IWW-Abrufnummer 093452

    Bundesfinanzhof: Urteil vom 30.07.2009 – VI R 29/06

    1. Maßgeblich für den Lohnsteuereinbehalt vom laufenden Arbeitslohn bei einer Nettolohnvereinbarung ist der Arbeitslohn, der vermindert um die übernommenen Lohnabzüge den arbeitsvertraglich vereinbarten Nettobetrag ergibt. Damit ist die steuerliche Ausgangsgröße des Lohnsteuerabzugs auch im Fall der Nettolohnabrede ein Bruttobetrag.



    2. Ein Einkommensteuererstattungsanspruch, den der Arbeitnehmer im Rahmen einer Nettolohnvereinbarung seinem Arbeitgeber abgetreten hat, ist deshalb im Rahmen des Lohnsteuereinbehalts nur durch einen Abzug vom laufenden (Brutto)Arbeitslohn und nicht durch eine Verminderung des laufenden Nettolohns zu berücksichtigen.



    3. Eine Hochrechnung der Steuererstattung auf einen fiktiven Bruttobetrag ist nicht möglich.


    Gründe:

    I.

    Streitig ist, ob Einkommensteuererstattungen bei einer Nettolohnvereinbarung im Lohnsteuerabzugsverfahren durch eine Minderung des Bruttoarbeitslohns oder durch Abzug vom Nettolohn zu berücksichtigen sind.

    Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hat mit ihren japanischen Arbeitnehmern Nettolohnvereinbarungen abgeschlossen. Auf deren Grundlage zahlt sie den Angestellten den vereinbarten Nettolohn aus und übernimmt die auf diesen Nettolohn anfallenden Steuern als Arbeitgeberin. Kommt es im Rahmen von Einkommensteuerveranlagungen der Arbeitnehmer zur Erstattung von Einkommensteuer, werden die Erstattungsbeträge auf der Grundlage der getroffenen Nettolohnabreden von den Arbeitnehmern an die Klägerin abgeführt. Dies erfolgt regelmäßig dadurch, dass die im Rahmen der Einkommensteuerveranlagungen entstehenden Steuererstattungsansprüche an die Klägerin abgetreten werden. Die Klägerin berücksichtigte die Einkommensteuererstattungen als negative Einnahmen der Arbeitnehmer. Sie kürzte in Höhe dieser negativen Einnahmen den laufend ausgezahlten Nettolohn, den sie ihrer Lohnsteueranmeldung zu Grunde legte. Die Einkommensteuererstattungen waren auf den Lohnsteuerkarten der Arbeitnehmer nicht als Werbungskosten oder negative Einnahmen eingetragen.

    Bei der Klägerin wurde eine Lohnsteueraußenprüfung durchgeführt. Bei dieser Prüfung vertraten die Prüfer die Auffassung, die negativen Einnahmen seien nicht vom Nettolohn abzuziehen, sondern minderten nur den Bruttolohn. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erließ dementsprechend einen Lohnsteuerhaftungsbescheid für die Jahre 1999 bis 2002 und nahm die Klägerin in Höhe der sich ergebenden Differenzen in Anspruch.

    Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 1429 veröffentlichten Gründen ab.

    Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.

    Die Klägerin beantragt,

    das angefochtene Urteil insoweit abzuändern, dass die im Rahmen der Nettolohnvereinbarung an die Klägerin von ihren Arbeitnehmern abgeführten Einkommensteuererstattungen als Minderung des Nettolohns berücksichtigt werden und die im Haftungs- und Nachforderungsbescheid vom 21. Juni 2002 festgesetzte Nachforderung für Lohnsteuer um 24.745,50 EUR auf 37.591,73 EUR und die Nachforderung für Solidaritätszuschlag um 1.642,78 EUR auf 2.063,56 EUR herabgesetzt werden.

    Das FA beantragt,

    die Revision zurückzuweisen.

    II.

    Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.

    Das FG hat die --hier allein streitige-- Höhe der Haftungsschuld zutreffend bemessen. Es hat insbesondere zu Recht entschieden, dass die Einkommensteuererstattungen bei der Berechnung der einzubehaltenden Lohnsteuer lediglich in tatsächlicher Höhe vom laufenden (Brutto)Arbeitslohn abzuziehen sind.

    1.

    Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er nach § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten und nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG abzuführen hat.

    a)

    Für die Einbehaltung der Lohnsteuer vom laufenden Arbeitslohn hat der Arbeitgeber zunächst (zeitraumbezogen) die Höhe des laufenden Arbeitslohns festzustellen (§ 39b Abs. 2 Satz 1 EStG). Laufender Arbeitslohn ist der Arbeitslohn, der dem Arbeitnehmer nach der arbeitsvertraglichen Vereinbarung regelmäßig fortlaufend zufließt. Hierzu zählen auch die Vorteile, die dem Arbeitnehmer --wie im Streitfall-- deshalb zufließen, weil der Arbeitgeber ihn von der geschuldeten Lohnsteuer (§ 38 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 EStG) freistellt (sogenannte Nettolohnvereinbarung; Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 28. Februar 1992 VI R 146/87, BFHE 167, 507, BStBl II 1992, 733), und zwar auch dann, wenn die einbehaltene Lohnsteuer höher als die später festgesetzte Einkommensteuer ist (BFH-Urteil vom 22. Juni 1990 VI R 162/86, BFH/NV 1991, 156).

    b)

    Maßgeblich für den Lohnsteuereinbehalt vom laufenden Arbeitslohn bei einer Nettolohnvereinbarung ist daher der Arbeitslohn, der vermindert um die übernommenen Lohnabzüge den arbeitsvertraglich vereinbarten Nettobetrag ergibt. Damit ist die steuerliche Ausgangsgröße des Lohnsteuerabzugs auch im Fall der Nettolohnabrede ein Bruttobetrag (vgl. Schmidt/ Drenseck, EStG, 28. Aufl., § 39b Rz 10). Der Steuereinbehalt gemäß § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG i.V.m. § 39b Abs. 2 und 3 EStG vollzieht sich folglich bei der Nettolohnzahlung ebenso wie bei der Bruttolohnzahlung (Trzaskalik, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 39b Rz C 4 f.). Besonderheiten weist eine Nettolohnvereinbarung nur insoweit auf, als der Arbeitgeber mit der Auszahlung des Nettolohns aus der Sicht des Arbeitnehmers die Lohnsteuer vorschriftsmäßig einbehalten hat (§ 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG), weshalb der Arbeitnehmer nur in Anspruch genommen werden kann, wenn er weiß, dass der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig angemeldet hat, und diesen Sachverhalt dem Finanzamt nicht unverzüglich mitteilt (§ 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG, BFH-Urteil in BFHE 167, 507, BStBl II 1992, 733).

    c)

    Somit können --wie das FG zu Recht entschieden hat-- die an den Arbeitgeber abgetretenen Steuererstattungsansprüche im Rahmen des Lohnsteuereinbehalts nur durch einen Abzug vom laufenden (Brutto)Arbeitslohn und nicht durch eine Verminderung des laufenden Nettolohns berücksichtigt werden.

    aa)

    Im Streitfall kann der Senat dahinstehen lassen, ob die Einkommensteuererstattungen, bei denen es sich um die Rückzahlung von überzahltem Arbeitslohn handelt, als negative Einnahmen oder Werbungskosten anzusetzen sind. Das FA hat die Steuererstattungen ohne Anrechnung auf den Arbeitnehmerpauschbetrag (§ 9a Satz 1 Nr. 1 EStG) als negative Einnahmen vom Bruttolohn abgezogen. Deshalb kann auch dahinstehen, ob der Minderung der lohnsteuerlichen Bemessungsgrundlage im Streitfall nicht schon der Umstand entgegensteht, dass die Einkommensteuererstattungen auf den Lohnsteuerkarten der betroffenen Arbeitnehmer nicht eingetragen waren. Nach § 39b Abs. 2 Sätze 2 und 3 EStG ist der laufende Arbeitslohn im Lohnsteuerabzugsverfahren lediglich um den auf den Lohnzahlungszeitraum entfallenden Anteil des Versorgungs-Freibetrags (§ 19 Abs. 2 EStG) und des Altersentlastungsbetrags (§ 24a EStG) sowie nach Maßgabe der Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte des Arbeitnehmers um einen etwaigen Freibetrag (§ 39a Abs. 1 EStG) zu vermindern.

    bb)

    Das FA und ihm folgend das FG haben zutreffend erkannt, dass die Abtretung der Steuererstattungsansprüche nicht auf den Lohnsteuereinbehalt oder die Veranlagung des Jahrs der Überzahlung rückwirkt, sondern erst in dem Lohnzahlungszeitraum einkünftemindernd zu berücksichtigen ist, in dem das Finanzamt den Erstattungsbetrag an den Arbeitgeber geleistet hat (vgl. BFH-Urteile vom 16. August 1979 VI R 13/77, BFHE 128, 467, BStBl II 1979, 771; in BFH/NV 1991, 156, und vom 5. Juli 2007 VI R 58/05, BFHE 218, 320, BStBl II 2007, 774). Erst zu diesem Zeitpunkt sind tatsächlich Einnahmen des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber zurückgeflossen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 EStG).

    cc)

    Das FA und das FG haben bei der Ermittlung der Haftungsschuld die Steuererstattungen auch in zutreffender Höhe berücksichtigt. Ist Geld zurückzuzahlen, bemessen sich die negativen Einnahmen bzw. Werbungskosten nach der Höhe des Rückzahlungsbetrags, d.h. im Streitfall nach dem tatsächlich von der Finanzverwaltung im Lohnzahlungszeitraum an den Arbeitgeber ausgekehrten Erstattungsbetrag. Nur insoweit sind Einnahmen des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber zurückgeflossen und der Arbeitnehmer überhaupt belastet.

    dd)

    Dem Begehren der Klägerin, die Steuererstattungen vom laufenden Nettolohn in Abzug zu bringen und nur den Saldo auf einen Bruttolohn hochzurechnen, ist auch nicht zur Vermeidung einer ungerechtfertigten steuerlichen Mehrbelastung Rechnung zu tragen. Eine solche ist durch den Rechenweg des FA nicht zu beklagen. Der Einwand der Klägerin, durch die Kürzung des Bruttoarbeitslohns um die Steuererstattungen werde ein höherer Nettolohn, als arbeitsvertraglich vereinbart und tatsächlich ausgezahlt, dem Lohnsteuerabzug unterworfen, geht fehl. Insbesondere wird durch den Abzug der Steuererstattungen vom Bruttolohn --entgegen der Auffassung der Klägerin-- die Lohnsteuer auch so nach dem Jahresarbeitslohn bemessen, dass sie der Einkommensteuer entspricht, die der Arbeitnehmer schuldet, wenn er ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit erzielt (§ 38a Abs. 2 EStG). Die Klägerin verkennt, dass sie aufgrund der Nettolohnvereinbarungen nicht den Nettolohn vermindert um die Steuererstattung des (Vor)Jahres zuzüglich der gesetzlichen Abzüge als Arbeitslohn schuldet, sondern dass sie sich gegenüber ihren Arbeitnehmern zu einer ungekürzten Auszahlung eines gleichbleibenden Monatsnettolohns verpflichtet hat und dieser Auszahlungsverpflichtung das gesamte Jahr über auch nachgekommen ist. Durch die Steuererstattungen wird nicht der laufende Arbeitslohn korrigiert, sondern vielmehr eine in der streitigen Nettolohnabrede strukturell angelegte und deshalb arbeitsvertraglich zunächst geschuldete Gehalts- bzw. Steuerüberzahlung in einem späteren Veranlagungszeitraum ausgeglichen. Insoweit fließt dem Steuerpflichtigen jedes Jahr ein Mehr an Einnahmen, als arbeitsvertraglich als Jahreslohn geschuldet, zu. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat sich die Klägerin von ihren Arbeitnehmern deren Einkommensteuererstattungsansprüche abtreten lassen. Folglich sind ungekürzte Auszahlung des monatlichen Nettolohns und Rückzahlung von im Vorjahr vereinnahmter Gehaltsüberzahlung zwei Zahlungsvorgänge, die getrennt voneinander zu betrachten sind. Deshalb macht es auch einen Unterschied, ob statt der Abtretung der Steuererstattung der Erstattungsbetrag mit dem laufenden Nettogehalt verrechnet wird. Die unterschiedlichen Steuerrechtsfolgen sind jedoch nicht --wie von der Klägerin vorgetragen-- im Rechenweg des FA begründet. Sie beruhen vielmehr auf der Verschiedenheit der --von der Klägerin zu Unrecht als vergleichbar beurteilten-- Sachverhalte. Soll dem Arbeitnehmer die Einkommensteuererstattung unter Anrechnung auf den laufenden Nettolohn verbleiben, haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Kürzung des Nettogehalts vereinbart. Rückzahlung von Arbeitslohn und Gehaltskürzung sind jedoch keine vergleichbaren Sachverhalte. Hier stehen der Rückfluss von Einnahmen, dort ein Weniger an Zufluss in Rede. Nicht erzielte Einnahmen sind jedoch keine Ausgaben und damit zu Recht mit anderen Rechtsfolgen belegt.

    Schließlich sind entgegen der Auffassung der Klägerin Abtretung und Verrechnung der Einkommensteuererstattungen nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich unterschiedliche Sachverhalte. Dies folgt schon aus dem Umstand, dass im Fall der Abtretung eine Kürzung des laufenden Nettolohns um die Einkommensteuererstattungsansprüche des Arbeitnehmers --nach dem Vorbringen der Klägerin-- von den Parteien des Arbeitsverhältnisses nicht gewollt ist. Dies mag zum einen durch erhebliche praktische Probleme bei der Durchführung der Lohnabrechnungen begründet sein. Zum anderen steht einem solchen Vorgehen aber regelmäßig auch der Grundgedanke der Nettolohnvereinbarung, nach dem der (monatliche) Nettolohn als konstante Größe geschuldet und ausgezahlt wird, entgegen.

    Ebenfalls fehl geht der Einwand der Klägerin, der Rechenweg des FA würde im Ergebnis dazu führen, dass der Steuererstattungsbetrag teilweise nochmals besteuert werde. Auch dieses Vorbringen ist von der unzutreffenden Rechtsauffassung der Klägerin getragen, dass dem einzelnen Arbeitnehmer lediglich der Saldo aus ausgezahltem (Jahres)Nettolohn abzüglich des Steuererstattungsbetrags im Veranlagungszeitraum geschuldet wird und zufließt.

    ee)

    Eine Hochrechnung der Steuererstattung auf einen fiktiven Bruttobetrag, wie dies in den Streitjahren von den Finanzbehörden bei der Rückzahlung irrtümlich überhöht gezahlten Nettolohns praktiziert wurde (Oberfinanzdirektion --OFD-- Düsseldorf, Verfügung vom 15. März 2001 S 2367 A-St 22, S 2367 A-St 221, Tz. 3, [...]), ist ebenfalls nicht möglich. Hierfür fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage und auch die Verwaltungsvorschriften sehen ein solches Vorgehen gerade nicht vor (vgl. OFD Düsseldorf, Verfügung vom 15. März 2001 S 2367 A-St 22, S 2367 A-St 221, Tz. 3, [...]).

    ff)

    Schließlich ist ein Abzug vom Nettolohn --wie von der Klägerin begehrt-- auch nicht nach R 122 der Lohnsteuer-Richtlinien möglich. Die Voraussetzungen dieser Vereinfachungsvorschrift sind ersichtlich nicht gegeben.

    2.

    Zu Recht ist zwischen den Beteiligten im Übrigen nicht streitig, dass das FA die streitbefangene Lohnsteuer nebst Annexsteuern dem Grunde nach durch einen Haftungs- und Nachforderungsbescheid festsetzen durfte.

    RechtsgebietEStGVorschriftenEStG § 38 Abs. 2 S. 1, EStG § 38 Abs. 3 S. 1, EStG § 39b Abs. 2 S. 1, EStG § 41a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, EStG § 42d Abs. 3, EStG § 42d Abs. 1 Nr. 1