09.06.2010 · IWW-Abrufnummer 101675
Finanzgericht München: Urteil vom 17.06.2009 – 3 K 223/06
1. Die Vorschrift des § 14 Abs. 3 S. 2 UStG 1993 (jetzt: § 14c Abs. 2 S. 1 UStG 2005) ist auch auf Innenumsätze von Organgesellschaften anwendbar.
2. Zwar geht Abschn. 183 Abs. 3 UStR 1996 davon aus, dass es sich bei sog. Innenumsätzen, z. B. innerhalb eines Organkreises, um innerbetriebliche Vorgänge handelt. Werden für sie Belege mit gesondertem Umsatzsteuerausweis ausgestellt, so handele es sich umsatzsteuerrechtlich nicht um Rechnungen, sondern um unternehmensinterne Buchungsbelege; die darin ausgewiesene Umsatzsteuer werde nicht nach § 14 Abs. 3 UStG geschuldet. Die Umsatzsteuerrichtlinien besitzen jedoch keinen Gesetzescharakter, sondern stellen lediglich eine Verwaltungsvorschrift dar, die eine einheitliche Anwendung des Umsatzsteuerrechts durch die Behörden der Finanzverwaltung sicherstellen soll und sind deshalb für die Entscheidung des FG nicht maßgeblich.
FG München v. 17.06.2009
3 K 223/06
Tatbestand
Gründe
I.
Streitig ist, ob die Klägerin als Organgesellschaft in das Unternehmen des Zweckverbands A (ZV) eingegliedert ist.
Die Klägerin, eine GmbH, wurde mit Gesellschaftsvertrag vom gegründet; Alleingesellschafter ist der ZV. Satzungsgemäßer Gegenstand des Unternehmens der Klägerin sind die Planung, der Bau und Besitz einer Müllverbrennungsanlage. Die Klägerin trat gemäß Übernahmevereinbarung vom anstelle des ZV in einen Generalunternehmervertrag über den Neubau […] sog. Ofenlinien der vom ZV betriebenen Müllverbrennungsanlage ein und verpachtete diese Anlagen nach deren Fertigstellung mit Vertrag vom an den ZV.
Dem ZV wurde gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 der Satzung des ZV vom (Satzung) von seinen Verbandsmitgliedern (gemäß § 2 Abs. 1 der Satzung fünf Landkreise sowie die kreisfreie Stadt B) die ihnen obliegende Pflicht zur Entsorgung (thermische Behandlung) des von ihnen eingesammelten Hausmülls übertragen. Daneben übernahm er gem. § 4 Abs. 5 der Satzung die Entsorgung (thermische Behandlung) des aufgrund privatrechtlicher Vereinbarungen angenommenen Gewerbemülls. Die thermische Behandlung des angelieferten Mülls erfolgte mit den von der Klägerin gepachteten Anlagen; der Anteil des Gewerbemülls am angelieferten Müll betrug im Streitjahr 34,9 %.
In ihrer am 6. Juli 1998 (Frühleerung) beim Beklagten (Finanzamt – FA) eingereichten Umsatzsteuererklärung für 1997 errechnete die Klägerin die Umsatzsteuer mit dem Betrag von DM.
Anlässlich einer bei ihr durchgeführten Betriebsprüfung (Prüfungsanordnung vom 18. Mai 2001, Prüfungsbeginn am 16. Juli 2001, Bericht vom 2. Juni 2003) vertrat die Klägerin die Auffassung, dass sie kein eigenständiges Unternehmen, sondern Organgesellschaft des ZV sei. Am 22. März 2002 reichte sie deshalb eine berichtigte Steuererklärung für 1997 ein und erklärte Umsätze und Vorsteuern in Höhe von 0,– DM. Das FA folgte dieser berichtigten Erklärung nicht, sondern erließ aufgrund der durchgeführten Betriebsprüfung am 26. Juni 2003 einen Umsatzsteuerbescheid entsprechend den ursprünglich von der Klägerin erklärten Zahlen und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf.
Der dagegen eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 12. Dezember 2005 als unbegründet zurückgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben.
Die Klägerin macht geltend, dass sie Organgesellschaft des Organträgers ZV sei.
Im Übrigen wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 10. Januar 2006 sowie 7. Februar 2006 verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
unter Änderung des Umsatzsteuerbescheides vom 26.06.2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.12.2005 die Umsatzsteuer für 1997 auf 0,– EUR festzusetzen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das FA ist der Auffassung, dass eine wirtschaftliche Eingliederung der Klägerin in das Unternehmen des ZV ausscheide, da die Klägerin ihre Leistungen nicht überwiegend für den Betrieb gewerblicher Art des ZV erbracht habe, sondern für dessen hoheitlichen Bereich.
Im Übrigen wird auf den Schriftsatz des FA vom 8. Februar 2006 verwiesen.
Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17. Juni 2009 wird Bezug genommen.
Gründe
II.
Die Klage ist unbegründet.
1. Die Festsetzungsfrist war zum Zeitpunkt des Ergehens des angegriffenen Umsatzsteuerbescheids 1997 noch nicht abgelaufen, da der Fristablauf durch den Beginn der Betriebsprüfung gehemmt wurde.
a) Die Festsetzungsfrist begann gem. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) mit Ablauf des Jahres 1998 anzulaufen, da die Umsatzsteuererklärung 1997 am 6. Juli 1998 (Frühleerung) eingereicht wurde. Die Fristdauer beträgt gem. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nummer 2 AO vier Jahre. Mit Ablauf des Jahres 2002 und damit zum Zeitpunkt des Ergehens des angegriffenen Umsatzsteuerbescheids am 26. Juni 2003 wäre die Festsetzungsfrist deshalb bereits abgelaufen.
b) Wird vor Ablauf der Festsetzungsfrist mit einer Außenprüfung begonnen oder wird deren Beginn auf Antrag des Steuerpflichtigen hinausgeschoben, so läuft die Festsetzungsfrist gem. § 171 Abs. 4 Satz 1 AO für die Steuern, auf die sich die Außenprüfung erstreckt oder im Fall der Hinausschiebung der Außenprüfung erstrecken sollte, nicht ab, bevor die auf Grund der Außenprüfung zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind.
c) Eine förmliche Prüfungsanordnung ist am 18. Mai 2001 ergangen; die Prüfung wurde am 16. Juli 2001 und damit vor Ablauf der Festsetzungsfrist begonnen.
2. Ob und in welchem Umfang die Klägerin als Organgesellschaft des ZV anzusehen ist, kann im vorliegenden Fall offen bleiben. Denn die in ihren Rechnungen an den ZV ausgewiesene Umsatzsteuer ist entweder nach § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 1, § 10 Abs. 1 UStG oder § 14 Abs. 3 Satz 2 UStG in der im Streitjahr geltenden Fassung geschuldet.
a) Soweit man mit der Klägerin das Vorliegen einer Organschaft zwischen ihr und dem ZV bejaht, ist die von der Klägerin in ihren Rechnungen an den ZV ausgewiesene Umsatzsteuer gem. § 14 Abs. 3 Satz 2 UStG in der im Streitjahr geltenden Fassung geschuldet.
aa) Nach § 14 Abs. 3 Satz 2 UStG in der im Streitjahr geltenden Fassung schuldet den Steuerbetrag, wer in einer Urkunde, mit der er wie ein leistender Unternehmer abrechnet, einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er nicht Unternehmer ist. Diese Vorschrift ist mit Art. 21 Abs. 1 Buchstabe c der im Streitjahr anwendbaren Richtlinie 77/388/EWG vereinbar, wonach „jede Person, die die Mehrwertsteuer in einer Rechnung ausweist”, diese schuldet.
bb) Die Vorschrift des § 14 Abs. 3 Satz 2 UStG in der im Streitjahr geltenden Fassung ist auch auf Innenumsätze von Organgesellschaften anwendbar.
aaa) Zwar gehen die Umsatzsteuerrichtlinien 1996 in Abschnitt 183 Abs. 3 davon aus, dass es sich bei sog. Innenumsätzen, z.B. innerhalb eines Organkreises, um innerbetriebliche Vorgänge handelt. Werden für sie Belege mit gesondertem Umsatzsteuerausweis ausgestellt, so handele es sich umsatzsteuerrechtlich nicht um Rechnungen, sondern um unternehmensinterne Buchungsbelege; die darin ausgewiesene Umsatzsteuer werde nicht nach § 14 Abs. 3 UStG geschuldet.
Die Umsatzsteuerrichtlinien besitzen jedoch keinen Gesetzescharakter, sondern stellen lediglich eine Verwaltungsvorschrift dar, die eine einheitliche Anwendung des Umsatzsteuerrechts durch die Behörden der Finanzverwaltung sicherstellen soll (vgl. Umsatzsteuerrichtlinien 1996, Einführung Satz 1) und sind deshalb für die Entscheidung des Finanzgerichts nicht maßgeblich.
bbb) Auch nach Auffassung von Stadie (in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, UStG, § 14c Rz. 44) ist § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG (als Nachfolgevorschrift des § 14 Abs. 3 UStG in der im Streitjahr geltenden Fassung) auf Innenumsätze innerhalb eines Organkreises nicht anwendbar, da es an einem vom Leistenden zu unterscheidenden Leistungsempfänger fehle. Denn die Organgesellschaft sei gem. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG als unselbständiger Teil des Unternehmens des Organträgers anzusehen, weshalb es sich umsatzsteuerrechtlich nur um ein Unternehmen handele und die Rechnungen umsatzsteuerrechtlich ohne Bedeutung seien.
ccc) Diese Auffassung verkennt jedoch die Wirkungen einer Organschaft. Eine juristische Person verliert nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG lediglich ihre Selbständigkeit und damit eine für das Vorliegen der Unternehmereigenschaft gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG erforderliche Voraussetzung, bleibt jedoch ein eigenständiges Rechtssubjekt (so auch Wagner in Sölch/Ringleb, UStG, § 14c Rz. 190). Deshalb mangelt es auch nicht an einem vom Rechnungsaussteller personenverschiedenen Rechnungsempfänger.
ddd) Zudem ist nicht ersichtlich, weshalb es bei der Ausstellung einer Rechnung mit Umsatzsteuerausweis durch eine Organgesellschaft an ihren Organträger an einer Gefährdung des Steueraufkommens fehlen soll (so aber Stadie in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, UStG, § 14c Rz. 44).
Denn Gesetzeszweck der Vorschrift des § 14 Abs. 3 UStG in der im Streitjahr geltenden Fassung ist die Beseitigung einer Gefährdung des Steueraufkommens (vgl. Birkenfeld, Das große Umsatzsteuer-Handbuch, § 37 Rz. 1). Zu einer derartigen Gefährdung kommt es jedoch stets, sofern eine Rechnung in den Rechtsverkehr gebracht wurde (so auch Birkenfeld, Das große Umsatzsteuer-Handbuch, § 37 alt Rz. 81), insbesondere, sofern die Beteiligten zum Zeitpunkt der Rechnungsausstellung nicht vom Vorliegen einer Organschaft ausgegangen sind und der Rechnungsempfänger – wie im vorliegenden Fall – aus dieser Rechnung den Vorsteuerabzug geltend gemacht hat.
Die Klägerin ging zum Zeitpunkt der Leistungserbringung im Jahr 1997 ausweislich ihrer am 6. Juli 1998 eingereichten Umsatzsteuererklärung selbst davon aus, dass keine Organschaft vorliege; das FA folgte dieser Auffassung. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin vorgetragen, dass sie dem ZV über ihre an diesen erbrachten Leistungen eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis gestellt hat und der ZV hieraus auch (zumindest anteilig) den Vorsteuerabzug geltend gemacht hat. Hierdurch wurde eine Gefährdung des Steueraufkommens realisiert.
cc) Der von der Klägerin in ihren Rechnungen an den ZV vorgenommene Umsatzsteuerausweis erfolgte unberechtigt, wenn und soweit die Klägerin als Organgesellschaft des ZV anzusehen ist.
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG ist Unternehmer, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft). Soweit die Klägerin im Rahmen des Vorliegens einer Organschaft an den ZV Leistungen erbracht hat, war sie demzufolge keine Unternehmerin im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG und damit auch nicht zum Ausweis von Umsatzsteuer berechtigt.
dd) Davon abgesehen ist das Vorliegen einer Organschaft zwischen der Klägerin und dem ZV im Hinblick auf das Erfordernis einer organisatorischen Eingliederung fraglich.
aaa) Die organisatorische Eingliederung setzt voraus, dass die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft durch die Muttergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung wirklich wahrgenommen wird (BFH-Urteil vom 28. Januar 1999 V R 32/98, BStBl II 1999, 258). Es kommt deshalb darauf an, dass der Organträger die Organgesellschaft durch die Art und Weise der Geschäftsführung beherrscht (BFH-Urteile vom 5. Dezember 2007 V R 26/06, BStBl II 2008, 451 sowie vom 9. Oktober 2002 V R 64/99, BStBl II BStBl 1999 II S. 2003, BStBl 1999 II S. 375) oder aber zumindest durch die Gestaltung der Beziehungen zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft sichergestellt ist, dass eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung bei der Organtochter nicht stattfindet (BFH-Urteile vom 13. März 1997 V R 96/96, BStBl 1997 II S. 580 vom 28. Januar 1999 V R 32/98, a.a.O., vom 16. August 2001 V R 34/01, BFH/NV 2002, 223 und vom 1. April 2004 V R 24/03, BStBl II BStBl 2003 II S. 2004, BStBl 2003 II S. 905 sowie BFH-Beschluss vom 13. Juni 2007 V B 47/06, BFH/NV 2007, 1936).
Die organisatorische Eingliederung geschieht in aller Regel durch die personelle Verflechtung der Geschäftsführungen (BFH-Urteil vom 3. April 2008 V R 76/05, BStBl II 2008, 905 m.w.N.).
bbb) Der ZV wird gem. Art. 29 KommZG, § 19 Abs. 1 der Satzung vom Verbandsvorsitzenden vertreten, der wiederum gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 7 Abs. 2 der Satzung aus den Reihen der Landräte bzw. des Oberbürgermeisters der Verbandsmitglieder als Verbandsräte gewählt wird. Der von der Klägerin als „Geschäftsführer” bezeichnete Geschäftsleiter Y wurde hingegen gem. § 20 Abs. 2 der Satzung („Dienstkräfte des Zweckverbands”) zur Unterstützung des Verbandsvorsitzenden bestellt und dürfte kein (willensbildendes) Organ des ZV darstellen.
Zum einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführer der Klägerin war im Streitjahr Herr X bestimmt. Der zum Prokuristen der Klägerin bestellte Y ist zwar für die Klägerin gem. § 49 Abs. 1 Handelsgesetzbuch (HGB) vertretungsberechtigt, kann jedoch, soweit aus dem vorliegenden Handelsregisterauszug ersichtlich, Entscheidungen des alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführers nicht verhindern und ist damit hinsichtlich der Durchsetzungsmöglichkeit seines Willens einem Geschäftsführer nicht gleichzusetzen.
Somit dürfte die Bündelung der Funktionen des Y sowohl beim ZV als auch bei der Klägerin noch nicht zu einer personellen Verflechtung der Geschäftsführung führen.
b) Soweit man mit dem FA das Vorliegen einer Organschaft zwischen der Klägerin und dem ZV ablehnt, sind die von der Klägerin mit ihren Rechnungen an den ZV abgerechneten Umsätze gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 1, § 10 Abs. 1 UStG entstanden [steuerpflichtig].
3. Ob die dem geltend gemachten Vorsteuerabzug zugrunde gelegten Eingangsleistungen nur insoweit zum Vorsteuerabzug berechtigen, als sie mit steuerbaren Umsätzen der Klägerin an den ZV in Zusammenhang stehen, kann offenbleiben, da das Gericht die Rechtsposition der Klägerin gegenüber der Einspruchsentscheidung nicht verschlechtern darf (BFH-Urteil vom 31. Juli 1991 I R 57/90, BFH/NV 1992, 200).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.