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  • 07.10.2009

    Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 24.02.2009 – 15 K 257/06

    - Eine Entschädigung i. S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG ist nur dann tarifbegünstigt i. S. des § 34 EStG, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem VZ zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen.


    - Für die Frage der Zusammenballung ist hinsichtlich der Vergleichsberechnung der Einkünfte, die ein Stpfl. bei Fortbestand des Dienstverhältnisses im VZ mutmaßlich bezogen hätte, auf die Einkünfte der Vorjahre abzustellen. Maßgeblich ist der Durchschnitt der vergangenen Jahre.


    - Für die Frage der Zusammenballung von Einkünften u. a. ist § 34 Abs. 1 EStG ohne Bedeutung, ob es im Einzelfall tatsächlich zu einer Erhöhung der Steuerprogression kommt.


    Tatbestand

    In dem Verfahren streiten die Beteiligten darüber, ob es sich bei einer vom Kläger erlangten Abfindung in Höhe von 135.729,01 € um außerordentliche Einkünfte im Sinne des § 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) handelt.

    Die Kläger sind Eheleute, die im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Der Kläger ist Anlageberater und erzielte neben Einkünften aus nicht selbstständiger Arbeit auch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Die Klägerin erzielte als Friseurin Einkünfte aus Gewerbebetrieb.

    Der Kläger war Angestellter bei der A. Finanzplanung AG. Aus dieser Tätigkeit erzielte er in den Jahre 1999 bis 2002 folgende Einkünfte bzw. Einnahmen:









































      1999 2000 2001 2002 Durchschnitt
     
    Einkünfte i.S. § 19 EStG 98.314 102.058 111.963 242.345 138.670
    übrige Einkünfte 0 0 0 0 0
    Summe 98.314 102.058 111.963 242.345 138.670
               
    Einnahmen i.S. § 19 EStG 119.009 124.448 131.459 259.045 158.490
               
    davon Provisionen          
    Abschlagzahlungen   43.050 56.000 46.067  
    Bonifikationsabrechnung Vorjahr   42.032 35.447 148.501  
        85.082 91.447 194.568  
               
    Mit am 22. April 2003 bzw. 28. April 2003 unterzeichnetem Abwicklungsvertrag beendeten der Kläger und die A. Finanzplanung AG das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 30. April 2003. Gleichzeitig verpflichtete sich die A. Finanzplanung AG, dem Kläger eine Abfindung in Höhe von:














    Altersvorsorge 12.773,34 €
    Gehalt 44.820,68 €
    Provisionen 78.197,99 €
    insgesamt 135.729,01 € (brutto)
    zu zahlen. Wegen der Einzelheiten der geschlossenen Vereinbarung wird auf die zu den Gerichtsakten gelangte Kopie des Abwicklungsvertrages verwiesen (Bl. 19, 20 der Gerichtsakte).

    Seit dem 1. Mai 2003 war der Kläger bei der A-Bank angestellt. Seit April 2008 ist er als selbständiger Anlageberater tätig.

    Die Kläger reichten beim Beklagten am 27. September 2004 ihre Erklärung zur Einkommensteuer 2003 ein. Darin erklärten sie u. a. Einnahmen aus nicht selbstständiger Arbeit des Klägers in Höhe von 34.477 € (8.404 € Fixgehalt, 26.073 € Provisionen) aus seinem Arbeitsverhältnis zur A. Finanzplanung AG, 38.179 € aus seinem Arbeitsverhältnis zur A-Bank sowie nach der Lohnsteuerbescheinigung der A. Finanzplanung AG geleistete Abfindung in Höhe von 127.548,01 €.

    Der Beklagte setzte die Einkommensteuer 2003 durch Bescheid vom 23. Juli 2005 fest, ohne die – um den nach § 3 Nr. 9 EStG 2003 steuerfreien Betrag in Höhe von 8.181 € geminderte – Abfindungsleistung als außerordentliche Einkünfte gemäß § 34 EStG zu berücksichtigen. Als Begründung beinhaltete der Steuerbescheid die Erläuterung, es läge keine Zusammenballung von Einkünften vor.

    Gegen diesen Bescheid legten die Kläger form- und fristgerecht Einspruch ein. Zur Begründung trugen sie u. a. vor, die Frage nach der Zusammenballung von Einkünften sei nicht nur unter Berücksichtigung der Einkünfte des Jahres 2002 zu beantworten. Vielmehr müsse man auch die Daten der Vorjahre betrachten. Das Jahr 2002 sei ein Jahr mit ungewöhnlich hohen Provisionen gewesen.

    Der Einspruch hatte nur zum Teil Erfolg. Der Beklagte setzte durch Einspruchsentscheidung vom 10. Juli 2006 die Einkommensteuer 2003 aus einem anderen Grunde gemindert fest. Im Übrigen wies er den Einspruch als unbegründet zurück. Den Klägern sei insoweit zuzustimmen, als eine Entschädigung im Sinne des § 24 Abs. 1 in Verbindung mit § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG vorläge, allerdings mangele es an der vom Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Urteil vom 4. März 1998 (XI R 46/97, BStBl II 1998, 787) geforderten Zusammenballung von Einkünften innerhalb eines Veranlagungszeitraums. Der Vergleich der Einkünfte des Jahres 2003 mit denen des Jahres 2002 in Höhe von 242.345 € mache deutlich, dass eine Zusammenballung in diesem Sinne nicht gegeben sei.

    Hiergegen richtet sich die erhobene Klage, mit der die Kläger begehren, die erhaltene Entschädigung des Klägers als außerordentliche Einkünfte im Sinne des § 34 EStG der Besteuerung zu unterwerfen. Sie verweisen erneut darauf, dass unter Berücksichtigung der Einkünfte seit 1999 eine Zusammenballung gegeben sei. Auch der BFH habe in dem vom Beklagten genannten Urteil davon gesprochen, dass Lohneinkünfte (d. h. Fixgehalt und Provisionen) der Vorjahre zu berücksichtigen seien. Lediglich die Berücksichtigung des Vorjahres sei insbesondere im Streitfall unangemessen, da die Einkünfte des Jahres 2002 durch ungewöhnlich hohe Provisionen geprägt seien und diese Einkünfte nicht einem normalen durchschnittlichen Jahr entsprächen. Die Höhe der Provisionen des Jahres 2002 sei darauf zurückzuführen, dass der Kläger im Jahr 2001 einen Kunden habe gewinnen können, der ca. 9 Millionen DM über den Kläger angelegt habe. Selbst bei ungestörtem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses wäre aufgrund der überwiegend provisionsabhängigen Vergütung des Klägers nicht sichergestellt, dass im nachfolgenden Jahr eine gleich hohe Provision wie im Jahr 2002 hätte erzielt werden könne. Bestandsprovisionen erhalte der Kläger nicht.

    Die Kläger beantragen,

    den Einkommensteuerbescheid 2003 vom 23. Juni 2005 in der Gestalt des Einspruchsbescheids vom 10. Juli 2006 mit der Maßgabe zu ändern, dass für einen Teilbetrag in Höhe von 127.548 € der ermäßigte Steuersatz nach § 34 Abs. 1 EStG Anwendung findet, und die Einkommensteuer 2003 entsprechend herabgesetzt wird.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Er hält an der im Einspruchsbescheid vertretenen Rechtsansicht fest und verweist insoweit auf die dortigen Ausführungen. Ergänzend trägt er vor, er sei an die Regelung des Schreibens des Bundesministerium der Finanzen (BMF) vom 24. Mai 2004 (IV A 5-S 2290-20/04, BStBl I 2004, 505) gebunden. Dieses BMF-Schreiben sehe einen Vergleich der Einkünfte mit denen des Vorjahres vor.

    Gründe

    Die Klage ist begründet.

    1. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2003 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –). Dem Kläger steht die Tarifbegünstigung des § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG für den Teil des Abfindungsbetrags zu, der den nach § 3 Nr. 9 EStG 2003 steuerfreien Betrag übersteigt.

    a) Nach § 34 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG sind im Einkommen enthaltene außerordentliche Einkünfte nach einem ermäßigten Steuersatz zu bemessen. Nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 in Verbindung mit § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG kommen Entschädigungen als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen als außerordentliche Einkünfte in diesem Sinne in Betracht. Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass es sich bei der im Jahr 2003 gezahlten Abfindung um eine Entschädigung i. S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG handelt.

    Die Entschädigung gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH (BFH-Urteile vom 6. September 1995 XI R 71/94, BFH/NV 1996, 204; vom 16. Juli 1997 XI R 13/97, BStBl II 1997, 753; vom 6. September 2000 XI R 19/00, BFH/NV 2001, 431, und vom 15. Oktober 2003 XI R 17/02, BStBl II 2004, 264), der sich der Senat anschließt, nur dann gemäß § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG tarifbegünstigt, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen. Die ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG bezweckt, die Härten auszugleichen, die sich aus der progressiven Besteuerung der Entschädigung ergeben. Diese ist nur gegeben, wenn der Steuerpflichtige infolge der Entschädigung in einem Veranlagungszeitraum mehr erhält, als er bei normalem Ablauf der Dinge erhalten hätte. Nur in diesem Fall ist die Ermäßigung des Steuersatzes gerechtfertigt. Erhält der Steuerpflichtige weniger oder ebensoviel, wie er bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erhalten hätte, besteht für eine Milderung kein Anlass (BFH-Urteil vom 4. März 1998 XI R 46/97, BStBl II 1998, 787).

    Dementsprechend sind Entschädigungen i. S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG grundsätzlich nur dann außerordentliche Einkünfte, wenn die Entschädigung für entgangene oder entgehende Einnahmen, die sich bei normalem Ablauf auf mehrere Jahre verteilt hätten, vollständig in einem Betrag gezahlt wird oder wenn die Entschädigung nur Einnahmen eines Jahres ersetzt, sofern sie im Jahr der Zahlung mit weiteren Einkünften zusammenfällt und der Steuerpflichtige daher mehr erhält, als er bei normalem Ablauf der Dinge – d.h. bei ungestörter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses – erhalten hätte (Urteile des FG Düsseldorf vom 23. November 2005 7 K 6034/03 E, EFG 2006, 1899; des FG Köln vom 15. März 2005 15 K 4753/04, EFG 2005, 962; Horn in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 34 EStG Anm. 54).

    b) Entgegen der Auffassung des Beklagten liegt eine Zusammenballung der Einkünfte im Streitjahr vor, denn der Kläger hat infolge der Entschädigung im Jahr 2003 mehr erhalten, als er bei ungestörter Fortsetzung des Dienstverhältnisses bekommen hätte. Bei der Vergleichsberechnung der Einkünfte, die der Kläger bei Fortbestand des Dienstverhältnisses im Veranlagungszeitraum mutmaßlich bezogen hätte, ist auf die Einkünfte der Vorjahre abzustellen (vgl. BFH-Urteil vom 4. März 1998 XI R 46/97, a.a.O.; Urteile des FG Düsseldorf vom 23. November 2005 7 K 6034/03 E, a.a.O.; des FG Köln vom 15. März 2005 15 K 4753/04, a.a.O.; Horn, a.a.O., § 34 EStG Anm. 54). Maßgeblich sind dabei nicht nur die Verhältnisse des Vorjahres, sondern der Durchschnitt der vergangenen Jahre. Der Senat folgt hier ausdrücklich der Entscheidung des BFH (Urteil vom 4. März 1998 XI R 46/97, a.a.O), wonach auf die Lohneinkünfte der Vorjahre abzustellen ist. Das gilt insbesondere dann, wenn – wie beim Kläger – die jährlichen Bezüge aufgrund eines nicht geringen Anteils erfolgsabhängiger Provisionen sehr stark schwanken.

    Entgegen der Ansicht des Beklagten kann nicht davon ausgegangen werden, dass dem Kläger bei ungestörter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses 2003 eine Provision ausgezahlt worden wäre, die mindestens die Höhe der im Jahr 2002 ausgezahlten Provision erreicht hätte. Denn nach der glaubhaften und unwidersprochen gebliebenen Darstellung der Kläger war das Jahr 2002 ein Jahr mit ungewöhnlich hohen Provisionen gewesen, die auf einem besonders hohen Anlagebetrag eines Neukunden im Jahr 2001 beruhten. Dieser Vortrag wird durch den Vergleich mit den Provisionen in den Jahren 2000 und 2001 bestätigt. Zum anderen erfolgte im Jahr 2003 eine Verrechnung in Höhe von 12.197,46 € für überzahlte Provisionen 2002, so dass im Jahr 2003 mit keiner Nachzahlung für 2002 zu rechnen war. Rechnet man die Einkünfte des Klägers aus seiner Tätigkeit bei der A. Finanzplanung AG in der Zeit vom 1. Januar 2003 bis zum 30. April 2003 auf das gesamte Jahr 2003 hoch, ergeben sich Einkünfte in Höhe von 140.022 € (25.212 € Fixgehalt und 114.819 € Provisionen), mithin weniger als der von der A. Finanzplanung AG gezahlte Betrag für Lohn und Abfindung von insgesamt 170.206 €.

    Im Hinblick hierauf erscheint die Einbeziehung nur des Vorjahres nicht sachgerecht. Ob im Streitjahr auf den Durchschnitt der Einnahmen der letzten drei Jahre (so FG Köln im Urteil vom 15. März 2005 15 K 4753/04, a.a.O.) oder auf den Durchschnitt der letzten zwei Jahre abzustellen ist, kann dahinstehen, denn die durchschnittlichen Einnahmen liegen in beiden Fällen unter dem, was dem Kläger tatsächlich aufgrund der Abfindung im Streitjahr zugeflossen ist.

    In den Jahren 2000 bis 2002 hat der Kläger insgesamt 456.366 € (102.058 + 111.963 + 242.345 €) Einkünfte aus § 19 EStG erzielt. Dies ergibt einen durchschnittlichen Verdienst in Höhe von 152.122 €. Selbst wenn man nur die letzten beiden Jahre vor der Auflösung des Vertrages mit einbezieht, ergibt sich ein Durchschnittsverdienst in Höhe von lediglich 177.154 € (354.308 € / 2). In beiden Fällen liegt die Prognose dessen, was bei ungestörtem Verlauf des Arbeitsverhältnisses gezahlt worden wäre, unter dem, was tatsächlich im Streitjahr vom Kläger nach § 19 EStG zu versteuern ist (insgesamt 200.204 €).

    c) Die Anwendung der Tarifermäßigung des § 34 EStG scheitert auch nicht daran, dass – bezieht man nur die letzten beiden Jahre in die Vergleichsberechnung ein – nur eine geringfügige Überschreitung vorliegt. Diese Konsequenzen ergeben sich aus der vom Gesetz vorgegebenen Einkünfteermittlung für den einzelnen Veranlagungszeitraum. Der BFH hat in seinem Urteil vom 4. März 1998 (XI R 46/97, a.a.O.) entschieden, dass es für die Frage der Zusammenballung von Einkünften und der Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG ohne Bedeutung sei, ob es im Einzelfall tatsächlich zu einer Erhöhung der Steuerprogression komme. Er hat auch die geringfügige Einkünfteüberschreitung genügen lassen und darauf hingewiesen, dass auch in anderen Fällen, wie z. B. § 5 Eigenheimzulagegesetz, aus Gründen der Praktikabilität keine gestaffelte Abstufung vorgesehen ist.

    2. Die Befugnis, dem Beklagten die Ermittlung des festzusetzenden Betrags aufzuerlegen, ergibt sich aus § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.

    3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die übrigen Nebenentscheidungen beruhen auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO und auf § 151 Abs. 1, 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.