27.10.2009
Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 18.03.2009 – 2 K 1012/08
1. Schuldzinsen, die in Zusammenhang mit der langfristigen Finanzierung der Erstausstattung des Warenlagers einer Apotheke und damit von Umlaufvermögen bei Unternehmensgründung zusammenhängen, sind verfassungsgemäß im Falle von Überentnahmen dem Gewinn hinzuzurechnen.
2. Bei der Berechnung des Schuldzinsenabzugs gem. § 4a Abs. 4a EStG bleibt nur die Anschaffung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens nach Satz 5 der Vorschrift, aber nicht auch ausnahmsweise solcher des Umlaufvermögens unberührt.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Finanzrechtsstreit
hat der 2. Senat unter Mitwirkung von Vizepräsidentin des Finanzgerichts …, Richter am Finanzgericht … und Richterin am Finanzgericht … sowie den ehrenamtlichen Richterinnen … und … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 18. März 2009
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen für die Erstausstattung einer Apotheke.
Die Klägerin betreibt seit dem Jahr 1996 eine Apotheke. Sie ermittelt den Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich. Im Jahr 1996 nahm sie Kredite in Höhe von DM 500.000 auf, mit denen sie Anlagevermögen von DM 377.903 finanzierte. Den übrigen Teil verwendete sie zur Erstausstattung ihres Warenlagers. In ihrer Bilanz setzte die Klägerin Zinsen in Höhe von DM 20.282 als betriebliche Aufwendungen an.
Der Beklagte führte für die Jahre 2002 bis 2004 bei der Klägerin eine Außenprüfung durch. Dabei ging die Prüferin davon aus, dass die Klägerin DM 125.000 für die Erstausstattung ihres Warenlagers aufgewendet hat. Ferner gelangte sie zu der Auffassung, dass betriebliche Schuldzinsen in Höhe von EUR 3.513 nicht abzugsfähig seien, da es sich nicht um Anlagevermögen gehandelt habe. Von den aufgewendeten Zinsen von DM 20.282 seien DM 14.719 als Investitionsdarlehenszinsen anzusehen, die Differenz sei um den Kürzungsbetrag nach § 4 Abs. 4a EStG von EUR 2.050 zu vermindern, sodass ein Betrag von EUR 3.513 hinzuzurechnen sei (vgl. im Einzelnen Prüfbericht vom 8. Januar 2007, Prüfungsakte). Mit Bescheid vom 31. Januar 2007 änderte der Beklagte den Einkommensteuerbescheid 2002 vom 21. November 2003 und setzte die Einkommensteuer 2002 auf EUR 21.150 fest. Dagegen legte die Klägerin Einspruch mit der Begründung ein, dass nach dem Sinn und Zweck des § 4 Abs. 4a EStG auch die Einrichtung eines Warenlagers als eine betriebsnotwendige Investition begünstigt sei. Daher sei bei Erstausstattungen über den Wortlaut der Vorschrift hinaus ein Abzug geboten. Das erste Warenlager habe eher den Charakter von Anlagevermögen. Ziel von § 4 Abs. 4a EStG sei die Verhinderung von Mehrkontenmodellen und damit die Trennung von privaten und betrieblichen Schuldzinsen. Hier liege klar eine betriebliche Veranlassung vor. Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 6. Mai 2008 zurück. Es läge eine Überentnahme vor. Ferner sei die Erstausstattung der Apotheke Umlaufvermögen. Dieses sei nicht dauerhaft dem Betrieb zu dienen bestimmt.
Die Klägerin trägt vor, dass der Gesetzgeber ungewollt die Anschaffung des ersten Warenlagers nicht wie Anlagevermögen begünstigt habe. Für den Betriebsinhaber sei die Anschaffung von Anlagevermögen und der Erstausstattung von Waren gleichermaßen langfristig zu finanzieren, da zu Beginn der Tätigkeit regelmäßig ausreichende Liquidität nicht vorhanden sei. Die Gefahr einer verstärkten betrieblichen Fremdfinanzierung bei gleichzeitigen hohen privaten Entnahmen bestehe vorliegend nicht. Es liege eine Regelungslücke vor, die eine analoge Anwendung des § 4 Abs. 4a Satz 5 EStG über den Wortlaut hinaus rechtfertige. Anderenfalls würden betrieblich veranlasste Schuldzinsen ohne ausreichenden Grund nicht zum Betriebsausgabenabzug zugelassen werden, was zu einem Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip und damit gegen Art. 3 GG führen würde. Als Apothekerin sei sie gesetzlich zum Vorhalten von einem Grundsortiment an Medikamenten verpflichtet. Damit stehe dieses wie Anlagevermögen dem Betrieb dauerhaft zur Verfügung. Im Übrigen seien bei Existenzgründern Überentnahmen zwangsläufig, da sie in der Anfangsphase kaum Gewinn machen könnten.
Die Klägerin beantragt,
den Einkommensteuerbescheid 2002 vom 31. Januar 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. Mai 2008 dahingehend zu ändern, dass weitere betriebliche Schuldzinsen von EUR 3.513 berücksichtigt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verweist auf seine Einspruchsentscheidung sowie auf den Umstand, dass der Abzug betrieblich veranlasster Ausgaben nur deshalb eingeschränkt sei, weil die Klägerin Überentnahmen getätigt habe.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhaltes im Übrigen wird auf die eingereichten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der Einkommensteuer-, der Prüfungs- und der Rechtsbehelfsakte sowie der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 18. März 2009 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Einkommensteuerbescheid 2002 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 FGO.
I.
Der Beklagte hat der Klägerin einen Teil der von ihr im Jahr 2002 erklärten Schuldzinsen in Höhe von EUR 3.513 gemäß § 4 Abs. 4a EStG dem Gewinn hinzugerechnet. Dies ist nicht zu beanstanden.
1. Auf einer ersten Stufe ist die betriebliche Veranlassung von Schuldzinsen zu beurteilen (Beschlüsse des Bundesfinanzhofes vom 4. Juli 1990, GrS 2-3/88, BStBl II 1990, 817 und vom 8. Dezember 1997, GrS 1-2/95, BStBl II 1998, 193). Danach sind Schuldzinsen anhand des tatsächlichen Verwendungszwecks der Darlehensmittel der Erwerbs- bzw. der Privatsphäre zuzuordnen. Darlehen zur Finanzierung außerbetrieblicher Zwecke sind nicht betrieblich veranlasst. Wickelt der Steuerpflichtige seinen betrieblich bzw. privat veranlassten Zahlungsverkehr über ein einheitliches Kontokorrentkonto ab, ist für die Ermittlung der Betriebsausgaben im Sinn von § 4 Abs. 4 EStG der Sollsaldo grundsätzlich aufzuteilen. Im Streitfall liegen keine Anhaltspunkte für private Schuldzinsen vor, sodass eine Aufteilung der im Jahr 1996 aufgenommenen Kredite ausscheidet.
Auf einer zweiten Stufe ist dann zu prüfen, welche der betrieblich veranlassten Schuldzinsen auf Überentnahmen beruhen und daher nach § 4 Abs. 4a EStG nicht abziehbar sind. Eine Überentnahme ist der Betrag, um den die Entnahmen die Summe des Gewinns und der Einlagen des Wirtschaftsjahres übersteigen (§ 4 Abs. 4a Satz 2 EStG). Die nicht abziehbaren Schuldzinsen werden typisiert mit sechs vom Hundert der Überentnahme des Wirtschaftsjahres zuzüglich der Überentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre und abzüglich der Beträge, um die in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren der Gewinn und die Einlagen die Entnahmen überstiegen haben (Unterentnahmen), ermittelt. Bei der Ermittlung der Überentnahme ist vom Gewinn ohne Berücksichtigung der nach Maßgabe dieses Absatzes nicht abziehbaren Schuldzinsen auszugehen (§ 4 Abs. 4a Satz 3 EStG). Der sich dabei ergebende Betrag, höchstens jedoch der um EUR 2.050 verminderte Betrag der im Wirtschaftsjahr angefallenen Schuldzinsen, ist dem Gewinn hinzuzurechnen (§ 4 Abs. 4a Satz 4 EStG).
Nach den nicht bestrittenen Feststellungen der Außenprüfung hat die Klägerin im Jahr 1996 Kredite von DM 500.000 aufgenommen (vgl. Prüfungsbericht vom 8. Januar 2007, Bl. 27 ff. Prüfungsakte). Davon wurden – vereinfacht – DM 125.000 nicht zur Anschaffung von Anlagevermögen verwendet. Der Beklagte hat eine Überentnahme von EUR 42.021 festgestellt, die sich aus dem Gewinn des Wirtschaftsjahres 2003 von EUR 70.624 zuzüglich Einlagen in Höhe von EUR 4.792 und abzüglich der tatsächlichen Entnahmen von EUR 122.832 ergibt. Daher sind von den aufgewendeten Zinsen von EUR 20.282 die für das Investitionsdarlehen von EUR 14.719 abzuziehen. Der übersteigende Betrag ist um EUR 2.050 zu vermindern, sodass ein Betrag von EUR 3.513 dem Gewinn hinzuzurechnen ist.
2. Bei dieser Berechnung des Schuldzinsenabzugs bleibt nur die Anschaffung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens nach § 4 Abs. 4a Satz 5 EStG, aber nicht auch ausnahmsweise solche des Umlaufvermögens unberührt. Die Anschaffung der Erstausstattung des Warenlagers ist mit Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens nicht vergleichbar. Die Darlehen müssen der Anschaffung oder Herstellung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens dienen. Nicht begünstigt ist die Finanzierung von Umlaufvermögen sowie die kreditfinanzierte „Erhaltung” vorhandener Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens (Schmidt, EStG-Kommentar, 26. Aufl., 2007, § 4 Rn. 533). Das Warenlager stellt Umlaufvermögen dar, da die Waren zum Absatz bestimmte Wirtschaftsgüter sind. Nach dem eindeutigen und nicht auslegungsfähigen Wortlaut des Gesetzes hat der Gesetzgeber nur Investitionen in das Anlagevermögen begünstigen wollen. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass auch in bestimmten Fällen Teile des Umlaufvermögens mit einzubeziehen sind. Der Gesetzgeber hat mit der Einführung des § 4 Abs. 4a EStG den Abzug von Schuldzinsen als Betriebsausgaben im Hinblick auf Überentnahmen eingeschränkt. Von diesem Grundsatz hat er lediglich die in Satz 5 der Vorschrift enthaltene Ausnahme gemacht. Erkennbares Ziel des § 4 Abs. 4a Satz 5 EStG ist es, die anstehenden betrieblichen Investitionen eines Unternehmens in das Anlagevermögen, die kreditfinanziert werden, nicht durch Verweigerung des Schuldzinsenabzugs zu behindern. Der Gesetzgeber privilegiert damit die Finanzierung solcher Wirtschaftsgüter, die dem Betrieb dauerhaft zu dienen bestimmt sind. Eine im Verhältnis zum Umlaufvermögen nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung liegt darin nicht. Diese Regelung ist nicht willkürlich im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG, sondern stellt eine Begünstigung für Investitionsdarlehen dar. Mit der Beschränkung des Schuldzinsenabzugs trat der Gesetzgeber dem von der Rechtsprechung für zulässig erklärten Mehrkontenmodell entgegen. Dabei räumte er betrieblichen Investitionen, also der Liquiditätsverwendung für die Anschaffung und Herstellung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, den Vorrang ein. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass es dem Steuerpflichtigen freisteht, wie er seine Privat- und Betriebsausgaben finanziert. Er privilegiert lediglich Aufwendungen für betriebliche Investitionen, welche dem Betrieb auf Dauer zu dienen bestimmt sind.
Für eine Gleichbehandlung des Anlagevermögens mit dem Umlaufvermögen, auch des erstmals angeschafften, besteht kein Anlass. Der Wortlaut der Vorschrift ist eindeutig gefasst, eine planwidrige Regelungslücke für die Erstausstattung von Umlaufvermögen ist nicht erkennbar. Ein Privilegierungsinteresse dahingehend, auch Umlaufvermögen mit Fremdkapital zu finanzieren, besteht nicht, da Umlaufvermögen zum Absatz bestimmt ist und häufig von Lieferanten Zahlungsziele zur Verfügung gestellt werden (Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 27. September 2005 – I 231/2005, EFG 2006, 802). Selbst wenn dies – wie die Klägerin behauptet – für die Erstausstattung von Apotheken nicht der Fall sein sollte, ändert dies an der rechtlichen Beurteilung nichts. Das Problem der Erstausstattung haben alle, die einen Geschäftsbetrieb eröffnen, der sich mit Warenhandel befasst. Mit diesen Wirtschaftsgütern lassen sich schnell Umsätze erzielen, die eine Rückzahlung von finanzierenden Lieferantenkrediten ermöglichen. Beim Anlagevermögen ist dies nicht möglich, da es regelmäßig nicht zur Umsatzerzielung unmittelbar herangezogen werden kann. Im Übrigen sind Schuldzinsen für den Erwerb von Umlaufvermögen per se nicht abziehbar, sondern nur dann, wenn der Steuerpflichtige durch Überentnahmen Privataufwendungen in den betrieblichen Bereich verlagert hat. Dabei ist das Argument der Kläger, dass Existenzgründer regelmäßig Überentnahmen tätigen müssen, weil sie keinen oder zunächst erst einen geringen Gewinn haben, nachvollziehbar. Es trifft jedoch im Streitfall auf die Klägerin nicht zu, da vorliegend das Geschäftsjahr 2001/2002 im Streit steht, die Apotheke aber bereits im Jahr 1996 eröffnet wurde. Schließlich ist festzustellen, dass ein erheblicher Teil ihrer betrieblichen Aufwendungen für die Erstausstattung auch steuerlich zu berücksichtigen ist, lediglich der Betrag von EUR 3.513 ist dem Gewinn hinzuzurechnen. Damit verbleiben immerhin noch von den EUR 5.563, die sie auf das Umlaufvermögen an Zinsen aufgewendet hat, EUR 2050 an Schuldzinsenabzug, da der Gesetzgeber zur Abmilderung der Wirkungen der Regelung des § 4 Abs. 4a EStG einen solchen Abzugsbetrag nach § 4 abs. 4a Satz 5 EStG eingeführt hat.
Die gesetzliche Regelung ist daher so zu verstehen, dass es beim Betriebsausgabenabzug von Schuldzinsen auch dann verbleibt, wenn Überentnahmen vorliegen, nur soweit Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens finanziert werden.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.