05.11.2009
Bundesfinanzhof: Urteil vom 19.08.2009 – I R 23/08
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:
I.
Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang. Streitig ist, ob der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) verpflichtet ist, Einkommensteuerbescheide zu Gunsten der Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) zu ändern.
Die Kläger sind Eheleute, die für die Streitjahre (1978 bis 1981) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger war in den Streitjahren als stiller Gesellschafter am Unternehmen einer KG beteiligt. Die Kläger erklärten für die Streitjahre 1978 und 1979 Verluste aus diesen Beteiligungen, die zunächst in Einkommensteuerbescheiden berücksichtigt wurden.
Das für die Besteuerung der KG zuständige Finanzamt (FA B) erließ am 6. November 1989 einen Bescheid, durch den es eine Feststellung von Einkünften der stillen Gesellschaft ablehnte. In der Begründung des Bescheids ist ausgeführt, dass die stille Gesellschaft nicht in der Absicht einer Gewinnerzielung tätig geworden sei. Am 9. August 1991 erließ das FA B einen weiteren Bescheid, in dem es die Einkünfte der an der KG Beteiligten auf 0 DM feststellte; in einer Anlage zu diesem Bescheid heißt es, dass "der Nichtfeststellungsbescheid ... vom 6. (November) 1989 ... hiermit aufgehoben" werde. Diesen Bescheid hob das FA B wiederum am 20. August 2003 auf.
Das FA erließ im Juli und August 1990 geänderte Einkommensteuerbescheide für 1978 und 1979, in denen es Einkünfte aus der Beteiligung an der KG nicht mehr berücksichtigte. In den Erläuterungen zu diesen Bescheiden wird auf den Bescheid des FA B vom 6. November 1989 und auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) Bezug genommen. Nach dem Erlass des Feststellungsbescheids vom 9. August 1991 erließ das FA erneut Einkommensteuerbescheide für die genannten Jahre, in denen es die Steuer jeweils unverändert festsetzte. Die Bescheidsituation für die übrigen Streitjahre ist ungeklärt, da nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) die Steuerakten für diese Jahre nicht auffindbar sind. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf das im ersten Rechtsgang ergangene Urteil des erkennenden Senats vom 24. Mai 2006 I R 93/05 (BFHE 214, 7, BStBl II 2007, 76) verwiesen.
Mit jenem Urteil hat der Senat die Sache an das FG zurückverwiesen. Er hat dazu ausgeführt, es müsse festgestellt werden, ob die am 20. August 2003 verfügte Aufhebung des Feststellungsbescheids vom 9. August 1991 als Erlass eines negativen Feststellungsbescheids zu werten sei. Falls diese Frage zu verneinen sei, sei ferner zu klären, ob vor dem Erlass des genannten Feststellungsbescheids --im Juli und August 1990-- erlassene Einkommensteuerbescheide auf zuvor ergangenen Grundlagenbescheiden beruhten und ob ggf. diese Grundlagenbescheide heute (wieder) Bestand haben. Wegen der dazu führenden Überlegungen wird auf das genannte Senatsurteil Bezug genommen.
Im zweiten Rechtsgang hat das FG entschieden, dass die am 20. August 2003 verfügte Aufhebung des Feststellungsbescheids vom 9. August 1991 nicht den Erlass eines negativen Feststellungsbescheids beinhalte. Sie habe auch nicht bewirkt, dass der Bescheid vom 6. November 1989 wieder aufgelebt sei. Vielmehr sei die Aufhebung des Feststellungsbescheids vom 9. August 1991 dahin zu verstehen, dass nach Ansicht des FA B zwar dem Grunde nach Feststellungsverfahren durchzuführen seien, dem Erlass entsprechender Feststellungsbescheide aber der Ablauf der Feststellungsfristen entgegenstehe. Ebenso führe die Aufhebung des Bescheids vom 9. August 1991 nicht dazu, dass das FA jetzt berechtigt sei, die der gesonderten Feststellung unterliegenden Einkünfte des Klägers in eigener Zuständigkeit zu prüfen; das FA sei insoweit vielmehr an die geänderten Einkommensteuerbescheide aus Juli und August 1990 gebunden, die auf dem Feststellungsbescheid vom 6. November 1989 beruhten und insoweit Folgebescheide seien. Auf dieser Basis hat das FG der Klage stattgegeben. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2008, 752 abgedruckt.
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA eine Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
II.
Die Revision ist unbegründet und deshalb gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat das FA zu Recht zur antragsgemäßen Änderung der streitgegenständlichen Steuerbescheide verpflichtet.
1.
Nach § 179 Abs. 1 i.V.m. § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO werden einkommensteuerpflichtige Einkünfte gesondert festgestellt, wenn an ihnen mehrere Personen beteiligt und sie diesen Personen steuerlich zuzurechnen sind. Ein hiernach erlassener Feststellungsbescheid ist, soweit die dort getroffenen Feststellungen für die Besteuerung eines Beteiligten von Bedeutung sind, für die den Beteiligen betreffenden Steuerbescheide bindend (§ 182 Abs. 1 Satz 1 AO).
Die Bindungswirkung eines Feststellungsbescheids erstreckt sich u.a. auf die Frage, ob überhaupt steuerlich beachtliche Einkünfte vorliegen oder ob dem das Fehlen einer Gewinnerzielungsabsicht entgegensteht. Diese Frage ist daher, wenn über sie im Rahmen einer gesonderten Feststellung entschieden wurde, im Rahmen einer nachgelagerten Steuerfestsetzung nicht zu prüfen. Ebenso ist, solange kein Feststellungsbescheid erlassen worden ist, für eine abschließende Prüfung jener Frage bei der Veranlagung zur Einkommensteuer kein Raum. Zwar kann dann die in Rede stehende Besteuerungsgrundlage in einem Steuerbescheid berücksichtigt werden (§ 155 Abs. 2 AO); dadurch wird aber der Grundsatz, dass über das Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht nur im Rahmen der gesonderten Feststellung befunden werden kann, nicht berührt. Anders ist es nur, wenn die gesonderte Feststellung von Einkünften durch einen Bescheid abgelehnt wird; ein solcher "negativer Feststellungsbescheid" bringt mit bindender Wirkung zum Ausdruck, dass es einer gesonderten Feststellung nicht bedarf, und "entlässt" die Beteiligungseinkünfte auf diese Weise aus dem Regelungsbereich des Feststellungsverfahrens. Auf dieser Basis sind sodann die Besteuerungsgrundlagen --und u.a. die Frage der Gewinnerzielungsabsicht-- bei der Festsetzung der Einkommensteuer eigenständig zu prüfen. Auf die im ersten Rechtsgang ergangene Entscheidung (Senatsurteil in BFHE 214, 7, BStBl II 2007, 76) wird in diesem Zusammenhang Bezug genommen.
2.
Wird ein gemäß § 182 Abs. 1 AO bindender Feststellungsbescheid (Grundlagenbescheid) erlassen, geändert oder aufgehoben, so ist dem durch den Erlass, die Änderung oder die Aufhebung eines an die Feststellung anknüpfenden Steuerbescheids (Folgebescheid) Rechnung zu tragen (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO). Deshalb muss, wenn ein Grundlagenbescheid aufgehoben und nicht zugleich ein negativer Feststellungsbescheid erlassen wird, eine von dem Grundlagenbescheid ausgelöste Änderung des Folgebescheids rückgängig gemacht werden (Senatsurteil in BFHE 214, 7, BStBl II 2007, 76; Bundesfinanzhof --BFH--, Urteil vom 3. Dezember 2008 X R 3/07, BFH/NV 2009, 711). Es ist dann auf der Ebene des Folgebescheids diejenige Rechtslage herzustellen, die sich ergeben hätte, wenn der Grundlagenbescheid nicht erlassen worden wäre.
Im Streitfall sind am 9. August 1991 Feststellungsbescheide ergangen, in denen die Einkünfte des Klägers aus der Beteiligung an der KG auf 0 DM festgestellt worden sind. Daraufhin hat das FA am 11. September 1991 Einkommensteuerbescheide erlassen, in dem es die genannten Einkünfte --den Feststellungsbescheiden folgend-- mit 0 DM berücksichtigt hat. Die genannten Feststellungsbescheide sind am 20. August 2003 aufgehoben worden. Daraufhin muss die Festsetzung der Einkommensteuer an diese Aufhebung angepasst werden.
3.
Der Streitfall weist allerdings die Besonderheit auf, dass schon vor dem Erlass der Feststellungsbescheide vom 9. August 1991 Einkommensteuerbescheide bestanden, in denen die Beteiligungseinkünfte ebenfalls mit 0 DM angesetzt waren. Diese Handhabung beruhte darauf, dass das FA B am 6. November 1989 einen Bescheid erlassen hatte, durch den es --wie es im Tenor des Bescheids heißt-- "die ... begehrte Feststellung von Beteiligungsverlusten ... abgelehnt" hatte. Das FA hatte daraufhin die ursprünglichen Einkommensteuerbescheide, in denen die Beteiligungsverluste erklärungsgemäß berücksichtigt waren, im Juli und August 1990 geändert und in den Änderungsbescheiden die Verluste außer Ansatz gelassen. Angesichts dessen streiten die Beteiligten nunmehr darum, ob diese Änderungen im Anschluss an die Aufhebung der Feststellungsbescheide vom 9. August 1991 ebenfalls rückgängig gemacht werden müssen und mithin die Beteiligungseinkünfte nach Maßgabe der ursprünglichen Einkommensteuerbescheide zu berücksichtigen sind. Diese Frage ist --entgegen der Ansicht des FA-- zu bejahen:
a)
Das FG hat den Bescheid des FA B vom 6. November 1989 als negativen Feststellungsbescheid verstanden (ebenso für einen vergleichbaren Bescheid BFH-Urteil in BFH/NV 2009, 711, 713; a.A. FG Köln, Urteil vom 16. Mai 2006 7 K 5326/04, EFG 2007, 1214). Demgegenüber geht die Revision ersichtlich davon aus, dass in jenem Bescheid für alle Gesellschafter der KG Einkünfte in Höhe von jeweils 0 DM festgestellt worden sind. Der Streitfall bietet keinen Anlass, dieser Frage abschließend nachzugehen. Denn der genannte Bescheid ist am 9. August 1991 aufgehoben worden. Jedenfalls im Anschluss daran kann er nicht mehr eine Bindungswirkung des Inhalts entfalten, dass die Einkünfte des Klägers aus der Beteiligung an der KG mit 0 DM anzusetzen sind. Vielmehr fehlt es nunmehr sowohl an einer bindenden Feststellung jener Einkünfte als auch an einer bindenden Entscheidung dazu, dass eine solche Feststellung nicht durchzuführen ist.
In diesem Zusammenhang hat das FG insbesondere zu Recht angenommen, dass durch die Aufhebung des Feststellungsbescheids vom 9. August 1991 nicht zugleich der zuvor aufgehobene Bescheid vom 6. November 1989 wieder in Kraft getreten ist. Denn das FA B hat den genannten Feststellungsbescheid erklärtermaßen "wegen Verjährung" aufgehoben; das ergibt sich aus der Begründung des Aufhebungsbescheids, auf den das FG Bezug genommen hat und dessen Inhalt deshalb als von ihm festgestellt gilt. Angesichts dessen ist davon auszugehen, dass das FA B die Durchführung von Feststellungsverfahren für dem Grunde nach geboten hielt und sich daran nur durch den Ablauf der Feststellungsfristen gehindert sah. Das schließt es aus, die Aufhebungsverfügung dahin zu deuten, dass zugleich der Bescheid vom 6. November 1989 --sei es als negativer oder als positiver Feststellungsbescheid-- wieder in Kraft gesetzt werden sollte. Dem entsprechend hat denn auch das FA B dem FA mit Schreiben vom 9. Januar 2004 mitgeteilt, dass die von ihm im Jahr 1989 erlassenen und in 1991 aufgehobenen Bescheide im weiteren Verlauf nicht wieder aufgelebt seien.
b)
Die Aufhebung des Bescheids vom 6. November 1989 führt dazu, dass auf der Ebene der Einkommensbesteuerung der Kläger die durch diesen Bescheid ausgelösten Folgen ebenfalls rückgängig gemacht werden müssen. Diese Folgen bestanden darin, dass die zunächst erklärungsgemäß berücksichtigten Beteiligungsverluste des Klägers in den Einkommensteuerbescheiden aus Juli und August 1990 erstmals nicht mehr angesetzt worden sind. Im Ergebnis muss daher, nachdem alle zwischenzeitlich ergangenen Feststellungsbescheide inzwischen nicht mehr bestehen, bei der Festsetzung der Einkommensteuer hinsichtlich der Beteiligungseinkünfte die ursprüngliche Bescheidlage wieder hergestellt werden.
c)
Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass der Bescheid des FA B vom 6. November 1989 ein negativer Feststellungsbescheid gewesen sei und deshalb keine Bindungswirkung ausgelöst habe. Zwar wäre, wenn jener Bescheid in dem genannten Sinne zu deuten wäre, im Anschluss an seinen Erlass das FA zur eigenständigen Prüfung der Einkunftserzielungsabsicht des Klägers berechtigt und verpflichtet gewesen. Auch hätten die Kläger die vom FA erlassenen Änderungsbescheide anfechten und in diesem Zusammenhang das Fehlen einer Änderungsbefugnis geltend machen können. Diese Überlegungen können der Revision jedoch nicht zum Erfolg verhelfen.
Denn das FA hat tatsächlich eine Prüfung der genannten Art nicht vorgenommen. Vielmehr hat es den Bescheid des FA B als bindenden Grundlagenbescheid angesehen und dem entsprechend die Änderung der Einkommensteuerbescheide auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gestützt; das ergibt sich aus den Hinweisen und Erläuterungen zu jenen Bescheiden, auf die das FG Bezug genommen hat und deren Inhalt deshalb als von ihm festgestellt gilt. In Übereinstimmung damit hat das FA im Revisionsverfahren vorgetragen, dass es die Änderungsbescheide nicht in Ausübung einer eigenen Prüfungskompetenz, sondern "aufgrund eines vermeintlich wirksam gewordenen Grundlagenbescheids" erlassen habe. Unter diesen Umständen würde es gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßen, wenn es sich nunmehr darauf berufen würde, dass es sich bei den Bescheiden des FA B in Wahrheit um negative Feststellungsbescheide gehandelt habe und dass die Kläger deshalb zur Vermeidung von Rechtsnachteilen die geänderten Einkommensteuerbescheide hätten anfechten müssen. Diese Einschätzung liegt erkennbar auch dem Urteil des X. Senats des BFH in BFH/NV 2009, 711 zu Grunde, der für einen solchen Sachverhalt angenommen hat, dass die Änderung des Einkommensteuerbescheids rückgängig gemacht werden müsse und die ursprünglich gemäß § 155 Abs. 2 AO angesetzten Einkünfte erneut zu berücksichtigen seien. Dem schließt sich der erkennende Senat an.
Er weicht damit nicht von dem Urteil des IV. Senats des BFH vom 30. Oktober 1986 IV R 175/84 (BFHE 148, 119, BStBl II 1987, 89) ab. Dort heißt es zwar, dass im Anschluss an die Aufhebung von Grundlagenbescheiden die für die Einkommensbesteuerung notwendigen Ermittlungen und rechtlichen Würdigungen im Rahmen der Veranlagung zur Einkommensteuer vorgenommen werden dürften. Diese Aussage bezieht sich aber auf eine Situation, in der zunächst ergangene Grundlagenbescheide deshalb aufgehoben waren, weil die Voraussetzungen für eine gesonderte Feststellung von Einkünften nicht vorlagen. Ein solcher Sachverhalt liegt im Streitfall nicht vor.
d)
Schließlich kann das FA mit seinem Hinweis, dass der Bescheid vom 6. November 1989 nichtig gewesen sei, keinen Erfolg haben. Denn das Urteil des FG enthält keinen Anhaltspunkt für die Annahme einer Nichtigkeit jenes Bescheids. Zulässige und begründete Verfahrensrügen hat das FA in diesem Zusammenhang nicht erhoben. Daher ist in der Revisionsinstanz davon auszugehen, dass der Bescheid wirksam erlassen worden ist. Angesichts dessen sind Ausführungen zur Rechtslage bei Unwirksamkeit des Bescheids vom 6. November 1989 entbehrlich.
e)
Der Berücksichtigung der Beteiligungseinkünfte nach Maßgabe der ursprünglichen Bescheide steht § 177 AO nicht entgegen. Das hat der Senat im ersten Rechtsgang entschieden, und dem hat sich der X. Senat des BFH angeschlossen (Urteil in BFH/NV 2009, 711). Weitere Ausführungen zu dieser Frage sind schon im Hinblick auf die Bindungswirkung der zurückverweisenden Entscheidung (§ 126 Abs. 5 FGO) entbehrlich.
4.
Die vorstehend dargestellten Überlegungen beziehen sich zwar unmittelbar nur auf die Besteuerung für die Streitjahre 1978 und 1979, für die das FG die Bescheidlage hat aufklären können. Der Senat hat aber im ersten Rechtsgang mit bindender Wirkung entschieden, dass eine den Klägern günstige Entscheidung für diese Jahre auf die übrigen Streitjahre übertragen werden müsste (Senatsurteil in BFHE 214, 7, BStBl II 2007, 76, 80). Dem hat das FG entsprochen. Sein Urteil ist daher im Ergebnis rechtsfehlerfrei, weshalb die Revision als unbegründet zurückgewiesen werden muss.