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  • 02.11.2010

    Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 23.03.2010 – 6 K 2168/08

    1. Auch für die Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG ist die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO zu berücksichtigen.

    2. Eine Anwendung des § 170 Abs. 1 AO würde zu einer gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Ungleichbehandlung derjenigen führen, die nur auf Antrag zu veranlagen sind, gegenüber denjenigen, für die eine Veranlagungspflicht besteht.


    Im Namen des Volkes

    URTEIL

    In dem Finanzrechtsstreit

    hat der 6. Senat unter Mitwirkung von Vizepräsidentin des Finanzgerichts …, Richter am Finanzgericht … und Richter am Finanzgericht … sowie der ehrenamtlichen Richterinnen … und … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 23. März 2010 für Recht erkannt:

    1. Der Beklagte wird verpflichtet, den Kläger unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 4. Februar 2008 sowie der Einspruchsentscheidung vom 10. November 2008 für das Jahr 2003 zur Einkommensteuer zu veranlagen.

    2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

    3. Das Urteil ist hinsichtlich des sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 7/6 des vorgenannten Betrages abwenden, es sei denn, der Kläger leistet zuvor Sicherheit in dieser Höhe.

    Tatbestand

    Streitig ist, ob der Kläger für das Jahr 2003 zur Einkommensteuer zu veranlagen ist.

    Der Kläger erzielte im Jahr 2003 ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als Polizeimeisteranwärter beim Bundesgrenzschutz. Am 23. Januar 2008 reichte der Kläger beim Beklagten die Einkommensteuererklärung für 2003 ein. Mit Bescheid vom 4. Februar 2008 lehnte der Beklagte die Durchführung der Antragsveranlagung ab, wobei er zur Begründung darauf verwies, dass die Abgabefrist von zwei Jahren versäumt und auch bis zum 28. Dezember 2007 keine Steuererklärung eingereicht worden sei. Den Einspruch des Klägers gegen die Ablehnung der Antragsveranlagung wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 10. November 2008 als unbegründet zurück.

    Der Kläger führt aus, dass die inzwischen gestrichene zweijährige Abgabefrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bei der Antragsveranlagung als sogenannte Ausschlussfrist verfassungswidrig gewesen sei. Daher sei eine Veranlagung des Klägers zur Einkommensteuer 2003 noch durchzuführen. Auch würde die Regelung des § 52 Abs. 55 j Satz 2 EStG 2008 (vom 20. Dezember 2007) dem nicht entgegenstehen. Im Übrigen verweist der Kläger auf das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 12. November 2009.

    Die Kläger beantragt,

    den Beklagten verpflichten, ihn unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 4. Februar 2008 sowie der Einspruchsentscheidung vom 10. November 2008 für das Jahr 2003 zur Einkommensteuer zu veranlagen.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Der Beklagte führte zunächst aus, dass er auf Grund der gesetzlichen Regelung des § 52 Abs. 55 j Satz 2 EStG 2008 gehindert sei, eine Veranlagung durchzuführen. Nach dieser Regelung könne eine Antragsveranlagung für Zeiträume vor 2005 nur durchgeführt werden, wenn der entsprechende Antrag bis zum 28. Dezember 2007 beim Finanzamt eingegangen sei. Die Steuererklärung des Klägers sei jedoch erst am 23. Januar 2008 eingereicht worden. An dieser Auffassung hielt der Beklagte im Laufe des Verfahren im Hinblick auf das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 12. November 2009 nicht mehr fest, führte jedoch aus, dass für das Streitjahr 2003 dennoch keine Abhilfe erfolgen könne, da für dieses Jahr bei Einreichung der Einkommensteuererklärung am 23. Januar 2008 die vierjährige Festsetzungsfrist bereits abgelaufen gewesen sei. Eine Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) würde nicht vorliegen. Diese Vorschrift würde lediglich Fälle betreffen, in denen der Steuerpflichtige verpflichtet wäre, eine Einkommensteuererklärung abzugeben. Für Fälle der „freiwilligen” Stellung eines Antrages würde diese Vorschrift der Anlaufhemmung jedoch nicht gelten.

    Nachdem der Beklagte in der mündlichen Verhandlung am 23. März 2010 erklärt hatte, den Kläger für das Jahr 2004 zur Einkommensteuer zu veranlagen, haben die Beteiligten für das bis zu diesem Zeitpunkt noch verfahrensgegenständliche Jahr 2004 den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.

    Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die vorbereitenden Schriftsätze, die dem Gericht übersandten Steuerakten sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 23. März 2010 verwiesen.

    Entscheidungsgründe

    Die zulässige Klage ist begründet.

    I.

    Der Bescheid des Beklagten vom 4. Februar 2008, mit dem er eine Veranlagung des Klägers zur Einkommensteuer 2003 abgelehnt hat, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 101 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –).

    Besteht das Einkommen – wie im Streitfall – nach § 46 Abs. 2 EStG ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, so wird eine Veranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 8 EStG durchgeführt, wenn der Steuerpflichtige diese beantragt, wobei der Antrag durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung zu stellen ist. Durch Einreichung der Einkommensteuererklärung für 2003 am 23. Januar 2008 hat der Kläger den entsprechenden Antrag gestellt.

    Der Beklagte ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG n.F. nicht in Betracht kommt. Insbesondere ist hinsichtlich des Jahres 2003 noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten.

    1. Die – frühere zusätzliche – Voraussetzung, dass der Antrag bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahres zu stellen war, ist nunmehr entfallen. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG n.F. ist gemäß § 52 Abs. 55 j EStG 2008 erstmals für den Veranlagungszeitraum 2005 anzuwenden und – hier einschlägig – in Fällen, in denen am 28. Dezember 2007 über einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig entschieden ist. Letzteres trifft zu. Eine bestandskräftige Ablehnung des Antrags der Kläger auf Durchführung der Einkommensteuer-Veranlagung für 2003 liegt nicht vor.

    Der Anspruch des Klägers auf Durchführung der streitbefangenen Veranlagungen ist von weiteren Voraussetzungen nicht abhängig (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 15. Januar 2009 VI R 23/08, BFH/NV 2009, 755). Insbesondere ist es entgegen der ursprünglichen Auffassung des Beklagten nicht erforderlich, dass der Antrag auf Veranlagung für Veranlagungszeiträume vor 2005 bereits vor dem 28. Dezember 2007 bei den Finanzbehörden eingegangen ist (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 12. November 2009 VI R 1/09, BFH/NV 2010, 514).

    2. Es ist entgegen der Auffassung des Beklagten auch keine Festsetzungsverjährung eingetreten.

    Die Festsetzungsfrist für das Streitjahr 2003 endet ohne Berücksichtigung einer Ablaufhemmung erst am 31. Dezember 2010. Die Festsetzungsfrist beginnt gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgte, in dem die Steuer entstanden ist. Für die Einkommensteuer 2003 also mit Ablauf des 31. Dezember 2006.

    Auch für die Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG ist die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO zu berücksichtigen. Dies ergibt sich auf Grund einer verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift. Eine Anwendung des § 170 Abs. 1 AO würde zu einer gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verstoßenden Ungleichbehandlung derjenigen, die nur auf Antrag zu veranlagen sind, gegenüber denjenigen, für die eine Veranlagungspflicht besteht, führen (Urteil des Finanzgerichts Köln vom 3. Dezember 2008 11 K 4917/07, EFG 2009, 480).

    Art. 3 Abs. 1 GG verlangt die Gleichbehandlung „aller Menschen” vor dem Gesetz. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist bereichsspezifisch anzuwenden und verlangt für das Steuerrecht, dass die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden (Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 und Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16. März 2005 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, 268). Steuerrechtliche Regelungen sind so auszugestalten, dass Gleichheit im Belastungserfolg für alle Steuerpflichtigen hergestellt werden kann. Der Einkommensteuergesetzgeber hat die Steuerschuldner in den verschiedenen Einkunftsarten gleich zu behandeln; die Verpflichtung zur Belastungsgleichheit schließt aber nicht aus, dass das Erhebungsverfahren um der Allgemeinheit und Verlässlichkeit der Besteuerung willen je nach Einkunftsart entsprechend den typischen Lebensvorgängen – auch mit messbaren Unterschieden für Gruppen von Steuerpflichtigen – verschieden geregelt wird (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. April 1997 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1). Soweit das Einkommensteuerrecht mehrere Einkunftsarten unterscheidet und daran auch unterschiedliche Rechtsfolgen knüpft, müssen letztere ihre Rechtfertigung – wenn auch in typisierender und generalisierender Weise – in sachlichen Gründen finden. Die systematische Unterscheidung von Einkunftsarten durch den Gesetzgeber kann für sich allein die Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Oktober 1991 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, 348). Der Gesetzgeber hat demgemäß die Besteuerungstatbestände und die ihnen entsprechenden Erhebungsregelungen aufeinander abzustimmen. Die hier in Rede stehende verschiedene Behandlung von Einkommensteuerzahlern und Lohnsteuerzahlern muss sich zur Wahrung der Gleichheit vor dem Steuergesetz auf die Punkte beschränken, in denen eine abweichende Regelung durch die Besonderheiten des Veranlagungsverfahrens oder des Lohnsteuerabzugsverfahrens hinreichend sachlich gerechtfertigt ist (Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Januar 1977 1 BvL 7/76, BVerfGE 43, 231 vom 25. April 1972 1 BvL 38/69, 25/70 und 20/71, BVerfGE 33, 90 und vom 13. Dezember 1967 1 BvR 679/64, BVerfGE 23, 1). Allerdings hat der Gesetzgeber vor allem bei der Ordnung von Massenerscheinungen, wie sie insbesondere im Steuerrecht und in der Steuerverwaltung auftreten, einen – freilich nicht unbegrenzten – Spielraum für generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen. Die Typisierung setzt jedoch voraus, dass die durch sie eintretenden Härten und Ungerechtigkeiten nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist. Wesentlich ist ferner, ob die Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären; hierfür sind auch praktische Erfordernisse der Verwaltung von Gewicht (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Februar 1983 1 BvL 28/79, BVerfGE 63, 119, m.w.N.; ständige Rechtsprechung). Der Gesetzgeber hat folglich die für den Steuerpflichtigen sich ergebenden Vor- und Nachteile aus einer unterschiedlichen Erhebung von Lohnsteuer und sonstiger Einkommensteuer insgesamt in vertretbarer Weise zu gewichten. Ein dem Art. 3 Abs. 1 GG genügender Vergleich muss in einem Gesamtvergleich die steuererheblichen Unterschiede zwischen den Lohneinkünften und den übrigen Einkunftsarten analysieren und bewerten und dabei die typischerweise zusammentreffenden Vor- und Nachteile für die Belastung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit beachten (Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Februar 1961 1 BvL 29/57, 20/60, BVerfGE 12, 151 und vom 14. Oktober 1970 1 BvR 307/68, BVerfGE 29, 221).

    Beide Gruppen, d.h. pflicht- und antragsveranlagte Steuerpflichtige, befinden sich im Hinblick auf die Frage, innerhalb welcher Frist eine Veranlagung durch die Finanzverwaltung durchzuführen ist, in einer vergleichbaren Lage. Zwar bestehen bei einer Veranlagung von Amts wegen einerseits und einer Antragsveranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG andererseits Unterschiede. So sind von Amts wegen zur Einkommensteuer zu veranlagende Steuerpflichtige verpflichtet, eine Steuererklärung abzugeben (vgl. § 25 Abs. 3 EStG i.V.m. § 56 EStDV). Die Nichtabgabe einer Steuererklärung oder ihre verspätete Abgabe ist in mehrfacher Hinsicht sanktioniert. Die Finanzbehörde kann zur Abgabe der Steuererklärung Zwangsmittel verhängen (§§ 328 ff. AO) und gemäß § 152 AO einen Verspätungszuschlag festsetzen. Die Nichtabgabe der Steuererklärung kann zudem den Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllen (§ 370 Abs. 1 und 4 AO). Soweit Bezieher von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 7 EStG von Amts wegen zur Einkommensteuer veranlagt werden, liegt den Veranlagungstatbeständen häufig die Vorstellung des Gesetzgebers zu Grunde, die einbehaltenen Steuerabzugbeträge könnten möglicherweise nicht ausreichen, um die tatsächlich entstandene Steuerschuld zu decken. Sind die Voraussetzungen für eine Veranlagung von Amts wegen dagegen nicht gegeben, steht es dem Steuerpflichtigen grundsätzlich frei, die Veranlagung im vorrangig eigenen Interesse durchführen zu lassen oder darauf zu verzichten. Die Unterschiede zwischen den Vergleichsgruppen der auf Antrag und der von Amts wegen zu veranlagenden Steuerpflichtigen ändern aber nichts daran, dass hinsichtlich der zeitlichen Grenze für die Durchführung einer Veranlagung vergleichbare Sachverhalte vorliegen. Denn für beide Vergleichsgruppen geht es jeweils darum, innerhalb welcher Frist sie die Festsetzung der materiell richtigen Einkommensteuer durch eine Veranlagung erreichen können und damit die Gleichheit zwischen allen Steuerpflichtigen hergestellt werden kann. Der Landwirt, Gewerbetreibende oder Freiberufler, der Einkommensteuer-Vorauszahlungen geleistet hat, befindet sich insoweit in keiner anderen Lage als der Arbeitnehmer, der dem Steuerabzug unterliegt. Die damit unterschiedliche Behandlung der Vergleichgruppen ist auch nicht gerechtfertigt. Insbesondere ist eine solche Rechtfertigung nicht im Interesse der Allgemeinheit an einer funktionsfähigen und möglichst sparsam arbeitenden Finanzverwaltung, wichtigen fiskalischen Erwägungen oder dem Gesichtspunkt einer verhältnismäßig kleinen Zahl betroffener Personen und eines nicht sehr intensiven Verstoßes gegen den Gleichheitssatz gegeben (Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs vom 22. Mai 2006 VI R 46/05, BStBl II 2006, 820).

    Der Senat wendet die vorstehend auszugsweise wiedergegebenen Grundsätze des Vorlagebeschlusses des Bundesfinanzhofs vom 22. Mai 2006, die der Bundesfinanzhof zunächst nur für die Frage, ob die frühere zweijährige Antragsfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG a.F. zu einer Ungleichbehandlung führt, aufgestellt hat, auch auf die Problematik des Streitfalls an. Auch hier rechtfertigen die genannten Unterschiede zwischen Pflicht- und Antragsveranlagten aus den gleichen Gründen keine unterschiedlichen Festsetzungsfristen. Davon ist auch der Bundesfinanzhof, wenn auch nicht ausdrücklich, so doch jedenfalls erkennbar, im zitierten Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht vom 22. Mai 2006 ausgegangen. Dort ging er – bei unterstellter Verfassungswidrigkeit und damit Unwirksamkeit der Antragsfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG a.F. – von der Anwendung der Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO auch auf die Fälle der Antragsveranlagung aus. Der Kläger im dortigen Fall, der zur Gruppe der Antragsveranlagten nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG a.F. gehörte, stritt um die Durchführung der Einkommensteuerveranlagung 1996. Die entsprechende Steuererklärung hatte er am 30. Dezember 2002 abgegeben. Der Bundesfinanzhof ermittelte unter B IV. 2. im Vorlagebeschluss vom 22. Mai 2006 den Ablauf der regelmäßigen Festsetzungsfrist auf den 31. Dezember 2003. Dabei maß er der Frage, ob der Kläger vom Beklagten zur Abgabe einer Steuererklärung aufgefordert worden war (§ 149 Abs. 1 Satz 2 AO) oder aber die Erklärung freiwillig abgegeben hat, keine Bedeutung bei. Zu diesem Lauf der Festsetzungsfrist konnte der Bundesfinanzhof aber nur unter Einbeziehung der Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO kommen. Bei Zugrundelegung eines Beginns der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 1 AO hätte diese bereits mit Ablauf des 31. Dezember 2000 geendet. Entsprechend hat der Bundesfinanzhof auch im Urteil vom 15. Januar 2009 (VI R 23/08, BFH/NV 2009, 755) entschieden und die Revision des Finanzamtes zurückgewiesen. In diesem Verfahren hatte die Klägerin die Einkommensteuererklärungen für 1997 bis 2000 erst am 12. Dezember 2003 eingereicht und das Finanzgericht Düsseldorf gab der Klage auf Antragsveranlagung mit Urteil vom 24. April 2008 (Az.: 12 K 4730/04) für sämtliche Streitjahre statt.

    Der demnach bei Anwendung des § 170 Abs. 1 AO auf die Fälle der Antragsveranlagung eintretende Gleichheitsverstoß kann durch eine verfassungskonforme Auslegung von § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO behoben werden. Aus der grundsätzlichen Vermutung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes ergibt sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Gebot, ein Gesetz im Zweifel verfassungskonform auszulegen. Das gilt jedoch nur, soweit unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesamtzusammenhang und Zweck mehrere Deutungen der betreffenden Bestimmung möglich sind, von denen zumindest eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt. Durch den Wortlaut, die Entstehungsgeschichte und den Gesetzeszweck werden der verfassungskonformen Auslegung Grenzen gezogen. Ein Normverständnis, das in Widerspruch zu dem klar erkennbar geäußerten Willen des Gesetzgebers steht, kann auch im Wege verfassungskonformer Auslegung nicht begründet werden. Anderenfalls würde man der rechtspolitischen Entscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers vorgreifen (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164, 183). Auf den Streitfall bezogen stehen Entstehungsgeschichte und Gesetzeszweck des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO einer verfassungskonformen Auslegung bereits deshalb nicht entgegen, weil es sich um eine Vorschrift des Verfahrensrecht handelt, die erst unter Hinzuziehung des jeweiligen materiellen Steuergesetzes eine Aussage hinsichtlich des Eintritts einer Anlaufhemmung treffen kann (vgl. § 149 Abs. 1 Satz 1 AO). Die vom Senat befürwortete verfassungskonforme Auslegung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO steht auch nicht im Widerspruch zum Gesetzeszweck. Durch die Vorschrift sollte nach Auffassung des Gesetzgebers verhindert werden, dass durch Nichtabgabe oder späte Einreichung der Steuererklärung die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit verkürzt wird. Dabei hatte der Gesetzgeber zwar vor allem die Fälle im Auge, in denen die Steuererklärung – im Gegensatz zum Regelfall bei der Antragsveranlagung – zu einer Nachzahlung führt und der Regelbeginn der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 1 AO den Steuerpflichtigen eher in die Möglichkeit versetzte, durch späte Abgabe der Erklärung auf einen Eintritt der Festsetzungsverjährung zu hoffen und damit eine Steuer(nach)zahlung zu verhindern. Doch im Bereich der Einkommensteuer kommen auch bei der Pflichtveranlagung Erstattungsfälle und sonstige Fälle ohne Nachzahlung, z.B. aufgrund einer auf 0 EUR lautenden Steuerfestsetzung vor. Auch diese, durchaus häufig vorkommenden Fälle, hatte der Gesetzgeber vor Augen und bezog sie in den Regelungsbereich der Vorschrift mit ein. Damit entspricht eine Anwendung der Vorschrift auf die Antragsveranlagung im Wege der verfassungskonformen Auslegung zwar nicht dem primären Gesetzeszweck, steht aber auch nicht in einem klaren Widerspruch zu diesem. Auch der Wortlaut der Vorschrift steht einer verfassungskonformen Auslegung nicht entgegen. Nach dem Wortlaut greift die Ablaufhemmung u.a. ein, wenn eine Steuererklärung einzureichen ist. Wann dies der Fall ist, regelt § 149 Abs. 1 AO i.V.m. dem materiellen Steuergesetz. Für die Einkommensteuer geht § 25 Abs. 3 EStG von dem Grundsatz aus, dass jeder Steuerpflichtige eine Einkommensteuererklärung abzugeben hat. Auch wenn § 56 Einkommensteuerdurchführungsverordnung (EStDV) und § 46 Abs. 2 EStG Ausnahmen hierzu regeln, reicht nach Auffassung des Senats die grundsätzliche Erklärungspflicht gemäß § 25 Abs. 3 EStG aus, um sich mit der hier vertretenen verfassungskonformen Auslegungen nicht in Widerspruch zum Wortlaut des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO zu setzen.

    Die damit im Streitfall nach §§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 169Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO zu berechnende Festsetzungsfrist war für das Jahr 2003 im Zeitpunkt der am 23. Januar 2008 durch Abgabe der Einkommensteuererklärung für 2003 beim Beklagten erfolgten Antragstellung auf Steuerfestsetzung noch nicht abgelaufen. Seit diesem Zeitpunkt greift die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO.

    II.

    Die Revision war nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen. Die hier relevante Rechtsfrage wurde vom Bundesfinanzhof im Ergebnis im Urteil vom 15. Januar 2009 (BFH/NV 2009, 755) bereits entschieden.

    Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 135 Abs. 1, 138 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 151 Abs. 1, Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

    VorschriftenEStG 2002 § 46 Abs. 2 Nr. 8 S. 2, AO § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, EStG § 25 Abs. 3, AO § 170 Abs. 1, AO § 149 Abs. 1, EStDV § 56, GG Art. 3 Abs. 1