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  • 02.11.2010

    Finanzgericht München: Beschluss vom 12.03.2009 – 14 K 497/06

    Dem EuGH wird gem. Art. 234 Unterabs. 2 des Vertrages zur Gründung der EG folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    Ist die Unterposition 3926 2000 der Kombinierten Nomenklatur in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1789/2003 der Kommission vom 11.9.2003 zur Änderung des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif dahingehend auszulegen, dass hiervon auch solche Spinnstoffwaren erfasst werden, die einseitig angeraut und mit einer Kunststoffschicht überzogen sind, aber denen keine über eine bloße Verstärkung hinaus gehende Funktion zukommt, sondern bei denen das Rauen ausschließlich der besseren Haftung der Kunststoffschicht dient und nach der Fertigstellung der Ware für den Verwender nicht mehr wahrnehmbar ist (vgl. auch Erläuterung 56.6 zum Harmonisierten System betreffend Kapitel 39 der Kombinierten Nomenklatur)?


    BESCHLUSS

    in der Streitsache

    hat der 14. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht … der Richterin am Finanzgericht … und des Richters am Finanzgericht … sowie der ehrenamtlichen Richter … aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12. März 2009 beschlossen:

    1. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird gemäß Art. 234 Unterabs. 2 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    Ist die Unterposition 3926 2000 der Kombinierten Nomenklatur in der Fassung der Verordnung (EG)v Nr. 1789/2003 der Kommission vom 11. September 2003 zur Änderung des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABI (EG) Nr. L 281 vom 30. Oktober 2003) dahingehend auszulegen, dass hiervon auch solche Spinnstoffwaren erfasst werden, die einseitig angeraut und mit einer Kunststoffschicht überzogen sind, aber denen keine über eine bloße Verstärkung hinaus gehende Funktion zukommt, sondern bei denen das Rauen ausschließlich der besseren Haftung der Kunststoffschicht dient und nach der Fertigstellung der Ware für den Verwender nicht mehr wahrnehmbar ist (vgl. auch Erläuterung 56.6 zum Harmonisierten System betreffend Kapitel 39 der Kombinierten Nomenklatur)?

    2. Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften über die Vorabentscheidungsfrage ausgesetzt.

    Gründe

    I.

    Die Klägerin vertreibt Handschuhe, unter anderem auch die beiden Reithandschuh-Modelle mit den Artikelnummern … und …. Diese Handschuh-Modelle, die als Fünffingerhandschuhe gearbeitet sind, bestehen aus einem Verbundmaterial aus einem Gewirke und einer Kunststoffschicht. Zu dessen Herstellung wird die Trägerschicht aus textilem Gewirke einseitig angeraut und die angeraute Seite anschließend vollständig mit einer Schaumbeschichtung aus Polyurethan überzogen. Die zur Haut des Handschuhträgers hin gewandte Seite des Gewirkes wird nicht angeraut.

    Die Oberfinanzdirektion – Zolltechnische Prüfungs- und Lehranstalt erteilte der Klägerin für das Handschuh-Modell … am 3. August 2000 die verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) … und reihte den Handschuh in die Unterposition 6116 10 80 der Kombinierten Nomenklatur (KN) ein. Die von der Klägerin dagegen erhobene Klage wies das Finanzgericht mit Urteil vom 14. August 2003 (Az. 6 K 1657/01 Z) im Wesentlichen deshalb rechtskräftig ab, weil das für die Herstellung des Handschuhs verwendete Gewirke nach der Überzeugung des Gerichts nicht lediglich der Verstärkung der Kunststoffschicht dient, weil es sich um eine durch Rauen weitergehend bearbeitete Spinnstoffware handele.

    Am 10. Januar 2005 gab die Klägerin für den Abrechnungszeitraum Dezember 2004 eine ergänzende Zollanmeldung zur Überführung von verschiedenen Handschuhen in den zollrechtlich freien Verkehr mit insgesamt 16 Positionen ab, wobei sie die unter den Positionen 1, 3, 5, 9, 10 und 15 angemeldeten Handschuhe in die Unterposition 6116 10 80 KN (Zollsatz 7,1 %) einreihte. Aufgrund dessen setzte das Hauptzollamt (HZA) gegen die Klägerin mit Einfuhrabgabenbescheid vom 10. Januar 2005 Einfuhrabgaben in Höhe von insgesamt 58.753,24 EUR (41.784,29 EUR Zoll und 16.968,95 EUR Einfuhrumsatzsteuer) fest.

    Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein, den sie später auf die Handschuh-Modelle 3301208 und 3301-233 (Positionen 1 und 5 der ergänzenden Zollanmeldung) beschränkte. Darauf entfallen Einfuhrabgaben von insgesamt 31.797,59 EUR (9.315,19 EUR Zoll und 22.482,40 EUR Einfuhrumsatzsteuer). Den Einspruch wies das HZA mit der Einspruchsentscheidung vom 11. Januar 2006 im Wesentlichen mit folgender Begründung zurück: Bei dem Handschuh-Modell 3301-233 bilde der Zellkunststoff die Außenseite und sei dünner als das Gewirke. Das Gewirke sei dicht, weil die Abstände zwischen den einzelnen Garnen geringer seien als der Durchmesser der im Gewirke verwendeten Garne. Das Gewirke diene daher nicht nur der Verstärkung. Zudem sei eine Seite des Gewirkes geraut. Hinsichtlich des Handschuh-Modells 3301-208 sei es an die vorliegende vZTA gebunden. Im Übrigen sei auch hier das Gewirke einseitig geraut.

    Gegen die Einspruchsentscheidung erhob die Klägerin Klage, mit der sie im Wesentlichen vorbringt, das Aufrauen des textilen Gewirkes diene ausschließlich der Verbesserung der Haftung zwischen der Kunststoffbeschichtung und dem textilen Flächenerzeugnis und damit der Verstärkung der Kunststoffschicht. Das Aufrauen diene keinem weiteren Zwecke, wie zum Beispiel der Wärmeisolation, weil die aufgeraute Seite im vorliegenden Fall nicht mit der Hautoberfläche in Berührung komme. Zwischen dem Trägermaterial und der Kunststoffschicht bilde sich auch keine Luftschicht, die isolierend wirken könnte. Die Feststellungen der an der Untersuchung der Handschuhe beteiligten Zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalten widersprächen sich. Eine sichere Messung der Dicke der Textilschicht und der Kunststoffbeschichtung an den fertigen Handschuhen sei daher bisher nicht erfolgt und auch nicht möglich. Die streitigen Handschuhe seien in die Unterposition 3926 20 00 KN einzureihen.

    II.

    Im Streitfall ist die KN in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1789/2003 der Kommission vom 11. September 2003 zur Änderung des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABI (EG) Nr. L 281 vom 30. Oktober 2003) einschließlich der Erläuterungen zum Harmonisierten System (HS) anzuwenden, bei deren Auslegung Zweifelsfragen bestehen, die für den Streitfall entscheidungserheblich sind.

    1. Anzuwendendes Gemeinschaftsrechtsrecht:

    Position 3926 KN:

    3926Andere Waren aus Kunststoffen und Waren aus anderen Stoffen der Positionen 3901 bis 3914:
    3926 20 00– Kleidung und Bekleidungszubehör (einschließlich Fingerhandschuhe, Handschuhe ohne Fingerspitzen und Fausthandschuhe)
    Position 6116 KN:

    6116Fingerhandschuhe, Handschuhe ohne Fingerspitzen und Fausthandschuhe, aus Gewirken oder Gestricken:
    6116 10– mit Kunststoff oder Kautschuk getränkt, bestrichen oder überzogen:
    6116 10 20– Fingerhandschuhe, mit Kautschuk getränkt, bestrichen
    oder überzogen
    6116 10 80– andere
    Zusätzliche Anmerkung 1 zu Kapitel 39:

    1. In das Kapitel 39 gehören mit Zellkunststoff getränkte, bestrichene oder überzogene Fingerhandschuhe, Handschuhe ohne Fingerspitzen und Fausthandschuhe unabhängig davon, ob sie aus mit Zellkunststoff getränkten, bestrichenen oder überzogenen Geweben, Gewirken, Gestricken (anderen ais solchen der Position 5903), Filzen oder Vliesstoffen konfektioniert sind oder

    – aus nicht getränkten, bestrichenen oder überzogenen Geweben, Gewirken, Gestricken, Filzen oder Vliesstoffen konfektioniert und anschließend mit Zellkunststoff getränkt, bestrichen oder überzogen worden sind,

    sofern diese Gewebe, Gewirke, Gestricke, Filze oder Vliesstoffe nur der Verstärkung dienen (Anmerkung 3 c) zu Kapitel 56 und Anmerkung 2 a) 5) zu Kapitel 59).

    Anmerkung 1 zu Abschnitt XI:

    1. Zu Abschnitt XI gehören nicht:

    h) Gewebe, Gewirke, Gestricke, Filze und Vliesstoffe, mit Kunststoff getränkt, bestrichen oder überzogen oder mit Lagen aus Kunststoff versehen, und Waren daraus, des Kapitels 39;

    Anmerkung 1 zu Kapitel 59:

    1. Als „Gewebe” im Sinne des Kapitels 59 gelten, wenn nichts anderes bestimmt ist, die Gewebe … sowie Gewirke und Gestricke der Position 6002 bis 6006.

    Anmerkung 2 Buchstabe a Nr. 5 zu Kapitel 59:

    2. Zu Position 5903 gehören:

    Gewebe, mit Kunststoff getränkt, bestrichen oder überzogen oder mit Lagen aus Kunststoff versehen, ohne Rücksicht auf das Quadratmetergewicht und die Beschaffenheit des Kunststoffs (fest oder zellförmig), ausgenommen

    Platten, Folien oder Streifen aus Zellkunststoff, in Verbindung mit Geweben, sofern die Gewebe nur der Verstärkung dienen (Kapitel 39)

    Zusätzliche Anmerkung 3 zu Kapitel 61:

    Zu Position 6111 oder zu den Unterpositionen 6116 10 20 bzw. 6116 10 80 gehören:mit Kautschuk oder Kunststoff getränkte, bestrichene oder überzogene Fingerhandschuhe,Handschuhe ohne Fingerspitzen und Fausthandschuhe unabhängig davon,

    ob sie aus mit Kunststoff oder Kautschuk getränkten, bestrichenen oder überzogenen Gewirken oder Gestricken der Position 5903 oder 5906 konfektioniert sind oder

    aus nicht getränkten, bestrichenen oder überzogenen Gewirken oder Gestrickenkonfektioniert und anschließend mit Kunststoff oder Kautschuk getränkt, bestrichen oderüberzogen worden sind.

    In die Kapitel 39 bzw. 40 gehören mit Zellkautschuk oder Zellkunststoff getränkte, bestricheneoder überzogene Fingerhandschuhe, Handschuhe ohne Fingerspitzen und Fausthandschuhe, auch wenn sie aus nicht getränkten, bestrichenen oder überzogenen Gewirken oder Gestricken konfektioniert und anschließend mit Zellkunststoff oder Zellkautschuk getränkt,bestrichen oder überzogen worden sind, sofern die Gewirke oder Gestricke nur der Verstärkung dienen (Anmerkung 2 a) 5 und Anmerkung 4 letzter Absatz zu Kapitel 59).

    Erläuterungen zum HS betreffend Kapitel 39 (in der ab 18. Februar 2004 geltenden Fassung):

    Kunststoffe in Verbindung mit textilen Stoffen51.0
    … Die Einreihung von Kunststoffen in Verbindung mit textilen Stoffen richtet sich im Wesentlichen nach den Bestimmungen der Anmerkung 1 h) zu Abschnitt XI, der Anmerkung 3 zu Kapitel 56 und der Anmerkung 2 zu Kapitel 59. Zu Kapitel 39 gehören auch folgende Erzeugnisse: gebleichte oder einheitlich gefärbte Spinnstoffwaren, Filze oder Vliese 52.0
    d)Platten, Blätter und Streifen aus Schaumkunststoff in Verbindung mit textilen Flächenerzeugnissen (wie in Anmerkung 1 zu Kapitel 59 definiert), Filz oder Vlies, sofern die textilen Flächenerzeugnisse nur der Verstärkung dienen. 56.4
    In diesem Zusammenhang dienen ungemusterte, ungebleichte, nur der Verstärkung, sofern sie nur auf einer Seite der Platten, Blätter oder Streifen aufgebracht sind. Dagegen haben gemusterte, bedruckte oder weitergehend (z. B. durch Rauen) bearbeitete Spinnstoffwaren sowie Spezialerzeugnisse wie Samt, Tüll, Spitzen und Spinnstoffer zeugnisse der Position 5811 eine weitergehende Funktion als die einer bloßen Verstärkung. 56.6
    2. im Streitfall ist entscheidend, ob einem textilen Gewirke bereits deshalb automatisch eine über die bloße Verstärkung hinausgehende Funktion zugedacht werden kann, weil es einseitig angeraut ist, oder ob dies nur dann möglich ist, wenn eine über eine bloße Verstärkung hinausgehende Funktion im Einzelfall konkret festgestellt werden kann.

    a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) und des Bundesfinanzhofs (BFH) ist das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen und Unterpositionen sowie in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln des Gemeinsamen Zolltarifs festgelegt sind (EuGH-Urteil vom 13. Juli 2006 Rs. C-514/04, Slg. 2006 1-6721; BFH-Urteil vom 10. Juni 2008 VII R 22/07, BFH/NV 2008, 1560; vgl. auch Allgemeine Vorschriften (AV) 1 und 6 für die Auslegung der KN). Darüber hinaus sind die Erläuterungen zum HS und zur KN ein maßgebendes, wenn auch nicht rechtsverbindliches Hilfsmittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen (ständige Rechtsprechung des EuGH und des BFH; EuGH-Urteil vom 13. Juli 2006, Rs. C514/04, a.a.O.; BFH-Urteil vom 17. Oktober 2006 Vll R 41/05, BFH/NV 2007, 289). Erst dann, wenn nach dem Wortlaut zwei oder mehr Positionen für die zolltarifliche Einreihung in Betracht kommen, ist gem. AV 3 Buchstabe a die Position mit der genaueren Warenbezeichnung vorrangig.

    Der Wortlaut der Position 3926 KN umfasst „andere Waren aus Kunststoffen und Waren aus anderen Stoffen der Positionen 3901 bis 3914”. Die Unterposition 3926 20 00 KN bezieht sich auf „Kleidung und Bekleidungszubehör (einschließlich Fingerhandschuhe, Handschuhe ohne Fingerspitzen und Fausthandschuhe)”.

    Bei den streitgegenständlichen Handschuhen handelt es sich um Fingerhandschuhe, die speziell zum Reiten getragen werden, und damit grundsätzlich um Bekleidung im Sinne der Unterposition 3926 20 00 KN. Die Handschuhe sind aus Kunststoff gefertigt, weil sie aus einer Schaumbeschichtung aus Polyurethan auf einem textilen Gewirke bestehen. Die Handschuhe werden auch nicht bereits von einer anderen Position des Kapitels 39 KN erfasst.

    Gleichzeitig kommt für die zollrechtliche Tarifierung nach ihrem Wortlaut auch die Unterposition 6116 10 80 KN in Betracht. Der Wortlaut der Position 6116 KN umfasst „Fingerhandschuhe, Handschuhe ohne Fingerspitzen und Fausthandschuhe, aus Gewirken oder Gestricken”. Die Unterposition 6116 10 KN bezieht sich auf Handschuhe, die „mit Kunststoff oder Kautschuk getränkt, bestrichen oder überzogen” sind. Innerhalb dieser Unterposition wird weiter in „Fingerhandschuhe, mit Kautschuk getränkt, bestrichen oder überzogen” (6116 10 20 KN) und „andere” (6116 10 80 KN) untergliedert.

    Die streitgegenständlichen Fingerhandschuhe bestehen nicht nur aus einer aufgeschäumten Polyurethanschicht, sondern auch aus einem textilen Gewirke, auf das diese Kunststoff Schicht aufgebracht wird. Im Einzelnen kommt für die Einreihung nur die Auffangposition 6116 10 80 KN in Frage, weil die Kunststoffschicht nicht aus Kautschuk, sondern aus Polyurethan besteht.

    b) Zur Abgrenzung dieser beiden Positionen ist die Zusätzliche Anmerkung 3 zu Kapitel 61 KN heranzuziehen. Danach gehören zwar grundsätzlich unter anderem mit Kunststoff überzogene Fingerhandschuhe in die Unterposition 6116 10 80 KN, wobei es nicht darauf ankommt, ob das Gewirke erst mit Kunststoff überzogen und dann konfektioniert wird oder umgekehrt. Allerdings werden unter anderem mit Zellkunststoff überzogene Fingerhandschuhe den Kapiteln 39 bzw. 40 zugewiesen, wenn die Gewirke oder Gestricke nur der Verstärkung dienen. Außerdem verweist die Zusätzliche Anmerkung 3 zu Kapitel 61 unter anderem auf die Anmerkung 2 Buchstabe a Nr. 5 zu Kapitel 59, durch die Verbundwaren aus Kunststoff und einem Gewebe ebenfalls aus Kapitel 59 KN ausgewiesen und dem Kapitel 39 KN zugewiesen werden, sofern das Gewebe nur der Verstärkung dient. Dabei ist gem. Anmerkung 1 zu Kapitel 59 KN auch ein Gewirke als Gewebe im Sinne des Kapitels 59 KN anzusehen.

    Die Zusätzliche Anmerkung 3 zu Kapitel 61 KN nimmt also Fingerhandschuhe, die aus einem Verbundmaterial aus einem mit Kunststoff überzogenen Gewirke bestehen, aus dem Kapitel 61 KN (Kleidung und Bekleidungszubehör, aus Gewirken oder Gestricken) heraus und ordnet derartige Handschuhe dem Kapitel 39 KN (Kunststoffe und Waren daraus) zu, wenn das Gewirke, das der Kunststoffschicht zugrunde liegt, nur der Verstärkung dient (vgl. auch Anmerkung 1 Buchstabe h zu Abschnitt XVI). Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass Handschuhe aus Gewirken und Kunststoff dann in Kapitel 61 KN und damit als Textilien einzureihen sind, wenn das Gewirke eine weitere Funktion hat, die eine andere als die der Verstärkung ist bzw. über diese hinausgeht. Als eine solche weitere Funktion kommt beispielsweise eine isolierende, wärmende oder stoßdämpfende Funktion in Betracht.

    Dieses Ergebnis wird durch die zusätzliche Anmerkung 1 zu Kapitel 39 KN bestätigt. Denn hier wird – korrespondierend mit den Vorgaben in der Zusätzlichen Anmerkung 3 zu Kapitel 61 KN – nochmals klargestellt, dass Verbundwaren aus einem nur der Verstärkung dienenden Gewirke und Kunststoff dem Kapitel 39 KN zuzuordnen sind (vgl. auch Erläuterung 51.0, 52.0 und 56.4 zum HS betreffend Kapitel 39 KN).

    Wann ein Gewirke eine andere Funktion als die der Verstärkung ausübt, geht aus dem Wortlaut der genannten Positionen, Unterpositionen und Anmerkungen nicht hervor. Dies wird lediglich – inhaltlich übereinstimmend in der englischen, französischen und deutschen Fassung – in Erläuterung 56.6 zum HS betreffend Kapitel 39 KN näher ausgeführt. Demnach dienen ungemusterte, ungebleichte, gebleichte oder einheitlich gefärbte Spinnstoffwaren, Filze oder Vliese nur der Verstärkung, sofern sie nur auf einer Seite der Platten, Blätter oder Streifen aufgebracht sind. Dagegen haben gemusterte, bedruckte oder weitergehend (z. B. durch Rauen) bearbeitete Spinnstoffwaren sowie Spezialerzeugnisse wie Samt, Tüll, Spitzen und Spinnstofferzeugnisse der Position 5811 eine weitergehende Funktion als die einer bloßen Verstärkung. Daraus ergibt sich, dass eine Spinnstoffware nur deshalb nicht mehr nur der Verstärkung dient, sondern automatisch eine darüber hinaus gehende Funktion aufweist, wenn sie aufgeraut wird.

    Unter Zugrundelegung der Ausführungen in der Erläuterung 56.6 zum HS betreffend Kapitel 39 KN könnten die streitgegenständlichen Handschuhe nicht als Kunststoffwaren in Kapitel 39 KN eingereiht werden, weil das Gewirke, auf das die Polyurethanschicht aufgebracht wird, vor dem Aufbringen der Kunststoffschicht angeraut wird. Die streitgegenständlichen Handschuh-Modelle könnten dann nur noch in die Position 6116 KN bzw. die Unterposition 6116 10 80 KN eingereiht werden.

    c) Dies erscheint deshalb fragwürdig, weil das in den streitgegenständlichen Handschuhen verwendete Gewirke nach Auffassung des Senats allein aus dem Grund angeraut wird, um der anschließend aufzubringenden Polyurethanschicht eine bessere Haftung zu ermöglichen. Denn durch das Rauen wird die Oberfläche vergrößert und somit dem Kunststoff eine festere und dauerhaftere Verbindung mit dem Gewirke ermöglicht. Einen anderen Zweck (z. B. Isolierung, Dämpfung) erfüllt das Rauen auch nach dem Vortrag der Klägerin nicht.

    Dazu kommt, dass das Rauen nur einseitig auf der zur Kunststoffschicht hin gewandten Seite erfolgt, während die zur Haut des Handschuhträgers hin gewandte Seite unbehandelt bleibt. Das hat zur Folge, dass für den späteren Benutzer der Handschuhe nicht mehr wahrnehmbar ist, dass das Gewirke in dem Handschuh angeraut worden ist. Denn nach dem Aufbringen der Kunststoffschicht ist die geraute Seite des Gewirkes dauerhaft und vollständig verdeckt. Dass die zur Kunststoffschicht hin gewandte Seite des Gewirkes aufgeraut worden ist, ist vielmehr nur dann sichtbar, wenn die Polyurethanschicht durch einen chemischen Prozess wieder abgelöst wird.

    Dem Aufrauen des Gewirkes wird jedoch durch die Erläuterung 56.6 zum HS betreffend Kapitel 39 KN eine Bedeutung beigemessen, die es tatsächlich nicht hat. Denn nach dieser Erläuterung impliziert das Rauen automatisch das Vorliegen einer über die bloße Verstärkung hinaus gehenden Funktion. Dabei kommt es nicht darauf an, aus welchem Grund das textile Gewirke aufgeraut worden ist.

    Soweit die Erläuterungen grundsätzlich davon ausgehen, dass mit dem Aufrauen eine Funktion verbunden ist, hält der Senat dies für fragwürdig, weil eine Bearbeitung zunächst nur Einfluss auf die objektive Beschaffenheit einer Ware hat. So wird beim Rauen eines Gewirkes in mechanischer Weise auf dessen Oberflächenstruktur eingewirkt und diese dadurch verändert. Es muss damit jedoch nicht zugleich eine Funktion im Sinne einer Fähigkeit oder eines besonderen Nutzens verbunden sein. Vielmehr sind Beschaffenheit und Funktion nicht identisch und nicht in der Weise kausal miteinander verbunden, dass die Änderung der Beschaffenheit zwangsläufig auch zur Entstehung einer neuen Funktion führt. Wenn beispielsweise ein Gewirke bedruckt und anschließend mit einer Kunststoffschicht überzogen und der Druck damit wieder verdeckt wird, ist die Funktion der Verzierung nach dem Aufbringen des Kunststoffes wieder verschwunden, weil der Druck dann nicht mehr sichtbar ist.

    VorschriftenEWGV 2658/87 Anh. 1, EGV 1789/2003, EG Art. 234 UAbs. 2