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  • 02.11.2010

    Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 15.04.2010 – 4 K 398/07

    -Ein Antrag auf Erlass nach Art. 239 ZK kann auch konkludent gestellt werden. In einem Einspruch gegen eine Zahlungsaufforderung kann ein (konkludenter) Erlassantrag zu sehen sein.


    -Der Fahrer eines LKW ist nicht für die korrekte und vollständige zollrechtliche Behandlung der geladenen Waren verantwortlich.


    Tatbestand

    Mit Einfuhrabgabenbescheid vom 10.02.2005 (S .... .... .... ....) nahm das beklagte Hauptzollamt den Kläger unter Hinweis auf Art. 203 Zollkodex (ZK) auf Entrichtung von Zoll und Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von insgesamt € 5.765,95 mit der Begründung in Anspruch, er habe 100 Fässer Zirkoniumoxid der zollamtlichen Überwachung entzogen, weil er diese ohne Zustimmung der Zollstelle von deren Amtsplatz entfernt habe. Die Inanspruchnahme des Klägers beruhte - soweit für den vorliegenden Rechtsstreit von Bedeutung - im Wesentlichen auf folgendem Sachverhalt:

    Am Nachmittag des 02.08.2004 verbrachte ein Fahrer der A GmbH (im Folgenden: Firma A) den mit 100 Fässern Zirkoniumoxid und 1 Fass Erbiumoxid beladenen LKW-Hänger mit dem amtlichen Kennzeichen ..... zum Zollamt B und stellte diesen auf dem dortigen Amtsplatz ab. Eine zollrechtliche Behandlung der Waren erfolgt zunächst nicht. Am 04.08.2004 wurde der Kläger, der bei der Firma A beschäftigt war, mit dem Weitertransport des Hängers beauftragt. Der Kläger entnahm aus der Röhre des Hängers die Transport- und Zollpapiere und legte diese dem Zollamt B vor; ob sich unter diesen Papieren auch eine Versandanmeldung für die 100 Fässer Zirkoniumoxid oder lediglich ein Auftragszettel für eine Spedition befand, die Überführung der Fässer in das Versandverfahren zu veranlassen, steht nicht fest. Das Zollamt B überführte das Fass Erbiumoxid antragsgemäß in den zollrechtlich freien Verkehr und stellte dem Kläger für dieses Fass einen Zollbehandlungsausweis aus. Eine Überführung der 100 Fass Zirkoniumoxid in das Versandverfahren erfolgte nicht. Nach Rückgabe der Transport- und Zollpapiere durch das Zollamt und Rückversicherung bei den Zollbeamten, ob mit den Papieren alles in Ordnung sei, verließ der Kläger mit dem LKW-Anhänger den Amtsplatz und die Freizone Hamburg und verbrachte die komplette Fracht zur Dispositionsstelle seines Arbeitgebers in C.

    Nachdem der Kläger zunächst gegen den Einfuhrabgabenbescheid vom 10.02.2005 Einspruch eingelegt hatte, nahm er diesen in der Folgezeit mit Schreiben vom 24.06.2005 zurück. Denn das beklagte Hauptzollamt hatte dem Kläger zuvor mit Schreiben vom 23.05.2005 unter gleichzeitiger Aufhebung des an ihn gerichteten Leistungsgebotes mitgeteilt, dass die Firma D GmbH, die als Empfängerin der 100 Fass Zirkoniumoxid ebenfalls als Zollschuldnerin in Anspruch genommen worden war, die Abgaben entrichtet hatte.

    Unter dem 02.09.2005 erließ das beklagte Hauptzollamt sodann gegenüber dem Kläger eine neue Zahlungsaufforderung mit der Begründung, der ursprünglich ebenfalls in Anspruch genommenen Warenempfängerin seien die Abgabenbeträge zwischenzeitlich erstattet worden, da eine Überprüfung ergeben habe, dass sie zu Unrecht als Zollschuldnerin angesehen worden sei.

    Der Kläger erhob gegen die Zahlungsaufforderung vom 02.09.2005 Einspruch und wandte in der Folgezeit ein, er habe darauf vertraut, dass er aus dem Hafen fahren dürfe, weil er von einer amtlichen Stelle einen entsprechenden Schein erhalte habe. Ihm könne lediglich vorgehalten werden, nicht misstrauisch im Hinblick darauf gewesen zu sein, dass auch auf Seiten des Zollamtes Fehler gemacht werden könnten.

    Mit Einspruchsentscheidung vom 29.05.2006 wies das beklagte Hauptzollamt den Einspruch des Klägers gegen die Zahlungsaufforderung vom 02.09.2005 zurück. Es führte zur Begründung aus, dass sich der Kläger gegen die Zahlungsaufforderung ausschließlich mit Einwendungen wehre, die die Abgabenfestsetzung selbst beträfen. Einwendungen gegen die materielle Rechtmäßigkeit des Einfuhrabgabenbescheides vom 10.02.2005 könnten indes im Rahmen des gegen das Leistungsgebot gerichteten Einspruchsverfahrens angesichts der bezogen auf den Bescheid vom 10.02.2005 bereits eingetretenen Bestandskraft nicht mehr geltend gemacht werden.

    Im Sommer 2007 wandte sich der Kläger - nunmehr vertreten durch die jetzigen Prozessbevollmächtigten - erneut an das beklagte Hauptzollamt und beantragte u.a. den Erlass der Einfuhrabgaben gemäß Art. 239 Abs. 1 ZK unter gleichzeitiger Verlängerung der Antragsfrist, was das beklagte Hauptzollamt mit Bescheid vom 01.08.2007 ablehnte. Den gegen diesen Bescheid gerichteten Einspruch wies das beklagte Hauptzollamt mit Einspruchsentscheidung vom 16.11.2007 zurück. Es führte zur Begründung u.a. aus, dass ein Erlass der Abgaben nach Art. 239 Abs. 1 ZK schon aus dem Grunde nicht in Betracht komme, weil der Kläger die zwölfmonatige Antragsfrist des Art. 239 Abs. 2 Unterabsatz 1 ZK, deren Lauf mit der Mitteilung der Abgaben an den Zollschuldner beginne, versäumt habe. Zwar könnten die Zollbehörden diese Frist in begründeten Ausnahmefällen gemäß Art. 239 Abs. 2 Unterabsatz 2 1. Spiegelstrich ZK verlängern. Die Unkenntnis des Klägers bzw. des vormaligen Bevollmächtigten über das Erfordernis einer fristgebundenen Antragstellung begründe jedoch keinen Ausnahmefall im Sinne dieser Vorschrift.

    Der Kläger hat am 17.12.2007 Klage erhoben. Er meint zum einen, dass die Entlassung der Warenempfängerin aus der Gesamtschuldnerschaft rechtswidrig gewesen sei. Da das beklagte Hauptzollamt es versäumt habe, die vorrangig verpflichtete Warenempfängerin in unverjährter Zeit erneut in Anspruch zu nehmen, sei der ihm gegenüber geltend gemachte Steueranspruch verwirkt. Zum anderen ist der Kläger der Auffassung, dass er sich in einer außergewöhnlichen Lage befunden habe, da ihm nicht bewusst gewesen sei, dass er eine Ware vorschriftswidrig der zollamtlichen Überwachung entzogen habe. Die Versäumung der Antragsfrist in Art. 239 Abs. 2 Unterabsatz 1 ZK sei für ihn unabwendbar gewesen.

    Der Kläger beantragt,

    festzustellen, dass die Geltendmachung der Abgabenforderung aus dem bestandskräftigen Einfuhrabgabenbescheid des beklagten Hauptzollamtes vom 10.02.2005 (S .... .... .... ....) verwirkt ist;

    hilfsweise,

    das beklagte Hauptzollamt unter Aufhebung des Bescheides vom 01.08.2007 und der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2007 zu verpflichten, die mit Einfuhrabgabenbescheid vom 10.02.2005 (S .... .... .... ....) festgesetzten Abgaben zu erlassen.

    Das beklagte Hauptzollamt beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Es bezieht sich auf die Gründe der Einspruchsentscheidung und merkt ergänzend an, dass der mit dem Hilfsantrag geltend gemachten Erlass überdies auch deshalb zu versagen sei, weil der Kläger in Bezug auf die nicht zollrechtliche Behandlung der 100 Fass Zirkoniumoxid offensichtlich fahrlässig gehandelt habe.

    Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Sachakten des beklagten Hauptzollamtes Bezug genommen. Es haben zwei Hefter Sachakten vorgelegen.

    Gründe

    Die Klage führt in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zum Erfolg.

    Die mit dem Hauptantrag erhobene Feststellungsklage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, festzustellen, dass die Geltendmachung der Abgabenforderung aus dem bestandskräftigen Einfuhrabgabenbescheid vom 10.02.2005 verwirkt ist.

    Das Rechtsinstitut der Verwirkung, das Ausfluss des auch im Gemeinschaftsrecht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben und des Verbots widersprüchlichen Verhaltens ist (vgl. hierzu etwa EuGH, Urteil vom 07.05.1991, C-69/89, juris; EuGH, Urteil vom 10.02.1983, 230/81, juris; EuGH, Urteil vom 01.03.1989, 271/87, juris), setzt ein bestimmtes Verhalten der Behörde voraus, aufgrund dessen der Bürger bei objektiver Betrachtung annehmen darf, die Behörde werde den Anspruch nicht oder nicht mehr geltend machen (vgl. BFH, Urteil vom 07.07.2004, X R 24/03, BFHE 206, 292 = BStBl. II 2004, 975; BFH, Urteil vom 27.02.1988, VII R 181, 85, BFHE 154,406). Zum Tatbestand der Verwirkung gehört mithin sowohl ein Zeit- als auch ein Umstandsmoment (vgl. insoweit nur BFH, Urteil vom 14.9.1978, IV R 89/74, BFHE 126, 130 = BStBl. II 1979, 121). Während für das Zeitmoment bereits eine längere Untätigkeit des Anspruchsberechtigten genügen kann, setzt das Umstandsmoment ein bestimmtes Verhalten des Anspruchsberechtigten und einen hierdurch ausgelösten Vertrauenstatbestand beim Verpflichteten voraus. Vorliegend fehlt es indes sowohl an einer längeren Untätigkeit des beklagten Hauptzollamtes als auch an einem Vertrauenstatbestand auf Seiten des Klägers. Vielmehr hat das beklagte Hauptzollamt, nachdem es der ursprünglich ebenfalls in Anspruch genommenen Warenempfängerin die von dieser gezahlten Abgaben gemäß Art. 236 ZK erstattet hatte, noch im September 2005 gegenüber dem Kläger eine neue Zahlungsaufforderung erlassen. Der Kläger war auch vom beklagten Hauptzollamt mit Schreiben vom 23.5.2005 darüber unterrichtet worden, dass er mit einem erneuten Leistungsgebot rechnen müsse, sollte sich im Rechtsbehelfsverfahren der Warenempfängerin herausstellen, dass diese die Einfuhrabgaben nicht schulden würde. Angesichts dieser Sachlage konnte sich beim Kläger zu keinem Zeitpunkt ein Vertrauenstatbestand des Inhalts bilden, er würde vom beklagten Hauptzollamt nicht mehr in Anspruch genommen werden.

    Das erkennende Gericht übersieht im gegebenen Kontext nicht, dass nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt, wenn die Finanzbehörde den vorrangig heranzuziehenden, im Innenverhältnis zahlungspflichtigen Gesamtschuldner längere Zeit nicht in Anspruch nimmt und sich stattdessen an den anderen Gesamtschuldner wendet, so dass der Anspruch gegenüber dem ersten Gesamtschuldner schließlich verjährt oder nicht mehr betreibbar ist (vgl. BFH, Urteil vom 21.12.1961, II 33/58, BFHE 74,425 = BStBl. III 1962, 160; BFH, Urteil vom 12.05.1976, II R 187/72, BFHE 119, 188 = BStBl. II 1976, 579). Ob diese Rechtsprechung - so wie der Kläger meint - entsprechend auf Fallkonstellationen anwendbar sei, in denen die Behörde den vorrangig heranzuziehenden Gesamtschuldner zu Unrecht aus der Gesamtschuldnerschaft entlasse habe und dadurch gegenüber diesem Verjährung eingetreten sei, kann im Streitfall dahinstehen. Denn - wenn überhaupt - könnte der Kläger diesen Einwand allein im Rahmen der Anfechtung des Einfuhrabgabenbescheides vom 10.02.2005 geltend machen. Im Hinblick darauf, dass der Kläger seinen Einspruch gegen den Einfuhrabgabenbescheid vom 10.02.2005 mit der Folge zurückgenommen hat, dass der Einfuhrabgabenbescheid bestandskräftig geworden ist, ist er mit dem in Rede stehenden Einwand ohnehin präkludiert. Das erkennende Gericht lässt in diesem Zusammenhang - worauf ergänzend hinzuweisen ist - ausdrücklich offen, ob das beklagte Hauptzollamt den Warenempfänger - so wie der Kläger meint - zu Unrecht aus der Haftung entlassen hat.

    Die mit dem Hilfsantrag erhobene Verpflichtungsklage führt zum Erfolg. Der Kläger hat gemäß Art. 239 Zollkodex (ZK) Anspruch auf Erlass der mit Einfuhrabgabenbescheid vom 10.02.2005 festgesetzten Abgaben. Das beklagte Hauptzollamt hat den Antrag des Klägers auf Erlass zu Unrecht abgelehnt (§ 101 Satz 1 FGO).

    Nach Art. 239 Abs. 1 ZK können Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben in anderen als den in den Artikeln 236, 237 und 238 ZK genannten Fällen erstattet oder erlassen werden; diese Fälle ergeben sich - u.a. - aus den Umständen, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind (Satz 1 des 2. Spiegelstrichs). Die Vorschrift des Art. 239 Abs. 1 2. Spiegelstrich ZK stellt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine auf Billigkeitserwägungen beruhende Generalklausel dar, die andere als die praktisch am häufigsten vorkommenden Fälle, für die eine besondere Regelung (vgl. Art. 900 bis 903 ZK-DVO) geschaffen werden konnte, erfassen soll (vgl. hierzu nur EuGH, Urteil vom 03.04.2008, C-230/06, Rz. 50, juris; EuGH, Urteil vom 25.02.1999, C-86/97, Rz. 18, juris; EuGH, Urteil vom 27.09.2001, C-253/99, Rz. 56, juris). Die Erstattung bzw. der Erlass von Abgaben erfolgt nicht von Amts wegen, sondern (lediglich) auf Antrag; dieser ist - so hat der Gemeinschaftsgesetzgeber in Art. 239 Abs. 2 Unterabsatz 1 ZK bestimmt, innerhalb von 12 Monaten nach Mitteilung der Abgaben an den Zollschuldner bei der zuständigen Zollstelle zu stellen.

    Im Streitfall sind die materiellen Voraussetzungen des Art. 239 Abs. 1 ZK erfüllt (hierzu unter a). Der Kläger hat den Antrag auf Erlass auch innerhalb der Frist des Art. 239 Abs. 2 Unterabsatz 1 ZK gestellt (hierzu unter b).

    a) Die materiellen Voraussetzungen für einen Erlass gestützt auf die Vorschrift des Art. 239 ZK sind vorliegend erfüllt. Denn der Kläger kann sich auf einen im Sinne des Art. 239 Abs. 1 ZK besonderen Fall berufen, der sich aus Umständen ergibt, bei denen weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit vorliegt.

    (1) Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kann auf einen im vorbezeichneten Sinne besonderen Fall geschlossen werden, wenn im Lichte des an der Billigkeit ausgerichteten Regelungszweckes des Art. 239 ZK Umstände festgestellt werden, aufgrund derer sich der Antragsteller in einer Lage befinden kann, die gegenüber derjenigen anderer Wirtschaftsteilnehmer, die die gleiche Tätigkeit ausüben, außergewöhnlich sind (vgl. EuGH, Urteil vom 25.02.1999, C-86/97, Leitsatz, juris; EuGH, Urteil vom 27.09.2001, C-253/99, Rz. 56, juris). Besondere Umstände liegen - mit anderen Worten - mithin vor, wenn das normale berufliche und geschäftliche Risiko des Beteiligten überschritten wird. So liegt der Fall denn auch hier:

    Der Kläger war zum in Rede stehenden Zeitpunkt als Kraftfahrer tätig und wurde ausweislich der Erklärung seines damaligen Arbeitgebers (vgl. Bl. 15 der Sachakte) im Nahverkehr eingesetzt. Als Kraftfahrer ist der Kläger zwar dafür verantwortlich, dass die von ihm beförderten Güter unbeschadet an ihr Ziel gelangen. Vom Kläger kann auch erwartet werden, dass er sich in ihm unbekannten Gegenden zügig zurechtfindet und sein Ziel auf dem schnellsten Weg erreicht, wobei er über ein gutes Augenmaß und ein Gefühl für die Bewegungsabläufe seines Fahrzeuges verfügen muss. Der Kläger kommt auch in unterschiedlicher Weise mit gesetzlichen Vorschriften in Berührung. Freilich handelt es sich insoweit um Gesetze zur Regelung des Straßenverkehrs, nicht aber um - wie hier - zollrechtliche Vorschriften. Die korrekte zollrechtliche Behandlung der von ihm zu transportierenden Waren, insbesondere die Anmeldung der Waren zum richtigen Zollverfahren gehört dagegen nicht zum Berufsbild und Tätigkeitsfeld eines Kraftfahrers. Insofern unterscheidet sich das Berufsbild des Kraftfahrers grundlegend von dem des Zollagenten, Spediteurs oder Logistikunternehmers. Aus dieser Erkenntnis folgt zugleich, dass es nicht dem normalen Berufs- und Geschäftsrisiko eines Kraftfahrers entspricht, dass eine Ware - wie hier - zollrechtlich unzutreffend bzw. nicht behandelt wird.

    (2) Im Streitfall ist es dem Kläger nicht als im Sinne des Art. 239 Abs. 1 ZK offensichtlich fahrlässig anzulasten, dass er den Amtsplatz sowie die Freizone mit den 100 Fass Zirkoniumoxid verließ, ohne für diese eine Zollbehandlung durchgeführt zu haben.

    Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat wiederholt darauf hingewiesen, dass die Erstattung oder der Erlass von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben, die nur unter bestimmten Voraussetzungen und in den eigens dafür vorgesehenen Fällen gewährt werden können, eine Ausnahme vom gewöhnlichen Einfuhr- und Ausfuhrsystem darstellen, so dass die Vorschriften, die eine solche Erstattung oder einen solchen Erlass vorsehen, eng auszulegen sind (vgl. EuGH, Urteil vom 13.03.2003, C-156/00, Rz. 91, juris; EuGH, Urteil vom 11.11.1999, C-48/98, Rz. 52, juris). Der Europäische Gerichtshof hat zudem mehrfach hervorgehoben, dass die in den Art. 239 und 220 ZK vorgesehenen Verfahren das gleiche Ziel verfolgen, nämlich die Zahlung bzw. Nachzahlung von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben auf Fälle zu beschränken, in denen eine solche Zahlung gerechtfertigt und mit einem wesentlichen Grundsatz wie dem des Vertrauensschutzes vereinbar ist (vgl. EuGH, Urteil vom 20.11.2008, C-375/07, Rz. 57, juris; EuGH, Urteil vom 01.04.1993, C-250/91, Rz. 46, juris), woraus sich ergibt, dass die Tatbestände dieser Artikel - bei Art. 239 Abs. 1 2. Spiegelstrich ZK das Fehlen der offensichtlichen Fahrlässigkeit des Betroffenen, bei Art. 220 ZK das Fehlen eines Irrtums der Zollbehörden, der von dem Abgabenschuldner erkannt werden konnte - in gleicher Weise ausgelegt werden müssen (vgl. nur EuGH, Urteil vom 20.11.2008, C-357/07, Rz. 58, juris). Aus dieser Erkenntnis folgt weiterhin, dass für die Beurteilung, ob einem Wirtschaftsteilnehmer „offensichtliche Fahrlässigkeit” im Sinne von Art. 239 Abs. 1 2. Spiegelstrich ZK vorzuwerfen ist, die Kriterien, die im Rahmen von Art. 220 ZK für die Prüfung, ob der Irrtum der Zollbehörde für einen Wirtschaftsteilnehmer erkennbar war, herangezogen worden sind, entsprechend anzuwenden sind (vgl. EuGH, Urteil vom 20.11.2008, C-357/07, Rz. 59, juris; EuGH, Urteil vom 13.03.2003, C-156/00, Rz. 92, juris). Entsprechend diesen Kriterien müssen bei der Beantwortung der Frage, ob „offensichtliche Fahrlässigkeit” im Sinne des Art. 239 Absatz 1 2. Spiegelstrich ZK vorliegt, insbesondere die Komplexität der Vorschriften, deren Nichterfüllung die Zollschuld begründet, sowie die Erfahrung und die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers berücksichtigt werden. Hinsichtlich der Erfahrung des Wirtschaftsteilnehmers ist zu untersuchen, ob er im Wesentlichen im Einfuhr- und Ausfuhrgeschäft tätig ist und ob er bereits über eine gewisse Erfahrung mit der Durchführung dieser Geschäfte verfügt. Was die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers betrifft, muss sich dieser, sobald er Zweifel an der richtigen Anwendung der Vorschriften hat, deren Nichterfüllung eine Abgabenschuld begründen kann, nach Kräften informieren, um die jeweiligen Vorschriften nicht zu verletzen (vgl. EuGH, Urteil vom 11.11.1999, C-48/98, Rz. 56 - 58, juris). Gemessen an diesen Grundsätzen ist im Streitfall eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Klägers zu verneinen:

    Mit Blick auf die Komplexität der Vorschriften hat das erkennende Gericht zunächst bedacht, dass es keiner vertieften zollrechtlichen Kenntnisse bedarf, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass Waren vom Amtsplatz eines Zollamtes nur mit dessen Zustimmung entfernt werden dürfen. Freilich war sich dieser Notwendigkeit auch der Kläger bewusst, da er den auf dem Amtsplatz des Zollamtes B abgestellten Anhänger nicht heimlich unter Umgehung zollamtlicher Überwachungsmaßnahmen entfernt hat. Vielmehr zeigt gerade der Umstand, dass er die in der Rolle befindlichen Transport- und Zollpapiere der Zollstelle vorgelegt hatte, dass er den Hänger und die geladenen Waren erst nach zollamtlicher Prüfung fortschaffen wollte. Darüber hinaus hat sich das erkennende Gericht von der Erwägung leiten lassen, dass der Kläger im Hinblick auf das in Bezug auf die 100 Fässer Zirkoniumoxid zu eröffnende Versandverfahren nicht Zollanmelder war. Anmelder ist nach Art. 4 Nr. 18 ZK die Person, die im eigenen Namen eine Zollanmeldung abgibt, oder die Person, in deren Namen eine Zollanmeldung abgegeben wird. Nicht (mehr) die unmittelbar handelnde Person, sondern derjenige, der von den Rechtswirkungen einer Zollanmeldung betroffen ist, ist nach geltendem Recht Zollanmelder. Den Kläger trafen daher im Hinblick auf die in Rede stehenden 100 Fass Zirkoniumoxid keine zollrechtlichen Pflichten. Seine Rolle und Bedeutung im Rahmen der zollamtlichen Kontrolle und Abwicklung beschränkte sind auf eine reine Botenfunktion. Vor diesem rechtlichen Hintergrund traf den Kläger auch keine Verpflichtung, die Zollpapiere daraufhin zu überprüfen, ob diese vollständig und korrekt waren. Vielmehr durfte der Kläger darauf vertrauen, dass sich die in der Rolle des Hängers befindlichen Zollpapiere auf die gesamte Ladung erstreckten. Auch bestand für ihn keine Notwendigkeit und auch kein Anlass, die ihm von der Abfertigungsstelle wieder ausgehändigten Papiere - namentlich den grünen Zollbehandlungsausweis - daraufhin zu überprüfen, ob die Zollbehandlung richtig und umfassend war. Mit Blick auf diese rechtlichen Einsichten spielt es im Streitfall auch keine Bedeutung, ob sich in der Rolle des Hängers unter den Transport- und Zollpapieren auch eine Versandanmeldung für die 100 Fässer Zirkoniumoxid oder lediglich ein Auftragszettel für eine Spedition befand, die Überführung der Fässer in das Versandverfahren zu veranlassen.

    Des Weiteren ist dem Kläger im zu betrachtenden Kontext zuzugestehen, dass dieser über keine größeren Erfahrungen bei der Einfuhr und Behandlung von Drittlandswaren verfügte und auch in der Vergangenheit mit der Abwicklung dieser zollrechtlichen Vorgänge nicht befasst war. Die Kenntnis und die Einhaltung der Zollförmlichkeiten gehören zum Berufsbild des Spediteurs oder Zollagenten. Als Kraftfahrer muss der Kläger indes nicht mit den jeweils zu beachtenden Zollvorschriften vertraut sein.

    Das erkennende Gericht hat schließlich erwogen, ob sich dem Kläger im Hinblick auf den Zollbehandlungsausweis, auf dem lediglich 1 Fass Erbiumoxid vermerkt war, Zweifel an der (vollständigen) Einhaltung der Zollvorschriften hätten aufdrängen müssen. Abgesehen davon, dass den Kläger keine Verpflichtung traf, die von der Zollstelle zurückerhaltenen Papiere daraufhin zu überprüfen, ob die Zollbehandlung der auf dem Hänger befindlichen Waren korrekt und vollständig erfolgte, wäre der Kläger angesichts seiner zollrechtlichen Kenntnisse gar nicht in der Lage gewesen, eine solche Prüfung durchzuführen. Nachdem der Kläger die Papieren von der Zollstelle zurückerhalten und auf seine Nachfrage, ob mit den Papieren alles in Ordnung sei, eine positive Rückmeldung erhalten hatte, durfte er darauf vertrauen, dass die Zollförmlichkeiten erfüllt waren, und in diesem Vertrauen den Amtsplatz verlassen.

    Aber auch die gegenteilige Annahme, nämlich dass der lediglich über 1 Fass Erbiumoxid ausgestellte Zollbehandlungsausweis den Kläger hätte veranlassen müssen, an der korrekten zollrechtlichen Behandlung der Ladung in Bezug auf die 100 Fass Zirkoniumoxid zu zweifeln und diesen Zweifeln durch konkretes Nachfragen nachzugehen, würde letztlich keinen Vorwurf der offensichtlichen Fahrlässigkeit begründen. Denn als bloßer Kraftfahrer war der Kläger nicht in die Einhaltung der Zollvorschriften eingebunden. Ihm oblagen - im Unterschied zu einem Zollanmelder - keine Pflichten zur Erfüllung der Zollförmlichkeiten. Sofern der Kläger überhaupt eine ihm obliegende Sorgfaltspflicht verletzt haben sollte, würde diese Sorgfaltspflichtverletzung lediglich als leicht fahrlässig einzustufen sein.

    b) Der Kläger hat den Antrag auf Erlass auch innerhalb der Frist des Art. 239 Abs. 2 Unterabsatz 1 ZK gestellt.

    Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat in Art. 239 Abs. 2 Unterabsatz 1 ZK vorgegeben, dass der Antrag auf Erstattung bzw. Erlass innerhalb von 12 Monaten nach Mitteilung der Abgaben an den Zollschuldner bei der zuständigen Zollstelle zu stellen ist, wobei die Zollbehörden in begründeten Ausnahmefällen diese Frist verlängern können (vgl. Art. 239 Abs. 2 Unterabsatz 2 1. Spiegelstrich ZK). Der Antrag nach Art. 239 Abs. 2 Unterabsatz 1 ZK ist zwar frist-, nicht jedoch auch formgebunden. Ein Antrag nach Art. 239 ZK muss weder ausdrücklich als ein solcher bezeichnet noch explizit auf Art. 239 ZK gestützt werden. Die zur Entscheidung über den Erstattungs- bzw. Erlassantrag berufene Zollbehörde ist vielmehr von Amts wegen verpflichtet, den Antrag unabhängig von dem geltend gemachten Rechtsgrund umfassend auf alle Erstattungsgründe hin zu prüfen, die nach dem Vorbringen des Antragstellers einschlägig sein könnten (vgl. EuGH, Urteil vom 27.09.2001, C-253/99, Rz. 53, 61; BFH, Urteil vom 20.07.2004, VII R 99/00, BFHE 206, 495 = BFH/NV 2004, 1614). Der Senat hat zudem bereits entschieden, dass ein Antrag aus Erlass nach Art. 236 ZK auch konkludent gestellt werden kann (vgl. FG Hamburg, Beschluss vom 09.04.2010, 4 V 31/10), was für einen Antrag nach Art. 239 ZK ebenfalls gilt. Erforderlich, aber auch ausreichend ist insoweit lediglich eine mündliche oder schriftliche Äußerung des Zollschuldners, sich mit allen rechtlich in Frage kommenden Möglichkeiten gegen die Abgabenfestsetzung zu wehren. Der Senat hat deshalb entschieden, dass eine konkludente Antragstellung nach Art. 236 Abs. 2 Unterabsatz 1 ZK auch in einem (verspäteten) Einspruch gegen einen Abgabenbescheid selbst gesehen werden kann, da einem Einspruch der klare und eindeutige Erklärungsinhalt zukommt, für den dem Abgabenbescheid zugrunde liegenden Sachverhalt abgabenrechtlich nicht in Anspruch genommen zu werden oder zu haften (vgl. FG Hamburg, Beschluss vom 09.04.2010, 4 V 31/10). Ob diese Rechtsprechung auch auf den in diesem gerichtlichen Verfahren in Rede stehenden Antrag nach Art. 239 ZK zu übertragen ist, bedarf vorliegend keiner abschließenden Klärung. Angesichts dessen, dass der Kläger seinen Einspruch gegen den Einfuhrabgabenbescheid vom 10.02.2005 mit Schreiben vom 24.06.2005 (Bl. 62 der Sachakte) zurückgenommen hat, müsste die Rücknahme des Einspruchs zugleich auch als Rücknahme des Erlassantrags nach Art. 239 ZK ausgelegt werden.

    Allerdings hat der Kläger in der Folgezeit mit Schreiben vom 07.10.2005 (Bl. 77 der Sachakte) Einspruch gegen (erneute) die Zahlungsaufforderung vom 02.09.2005 erhoben. Mit Schreiben vom 01.11.2005 (Bl. 79 der Sachakte) hat der Kläger den Einspruch gegen die Zahlungsaufforderung u.a. damit begründet, dass er darauf vertraut habe, dass alles in Ordnung sei, da er von einer amtlichen Stelle einen Schein und die Erklärung erhalten habe, dass er aus dem Hafen fahren könne. Diese Begründung lässt deutlich erkennen, dass der Kläger sich im Rahmen eines Einspruchsverfahrens gegen eine Zahlungsaufforderung, in dem die Abgabenfestsetzung selbst nicht mehr gerügt werden kann, unverändert gegen seine Inanspruchnahme als Zollschuldner wendet. Das erkennende Gericht hält deshalb dafür, dass der Einspruch vom 07.10.2005 in Verbindung mit der Einspruchsbegründung vom 1.11.2005 als Antrag auf Erlass nach Art. 239 Abs. 1 ZK mit der Folge zu werten ist, dass der Kläger die Frist des Art. 239 Abs. 2 Unterabsatz 1 ZK gewahrt hat.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die übrigen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. 708 Nr. 10, 711 ZPO. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 115 Abs. 2 FGO), sind nicht gegeben.