02.11.2010
Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 14.05.2008 – 2 K 2439/04
1. Für die Bewertung eines Grundstücks in den neuen Bundesländern im Ertragswertverfahren ist die Jahresrohmiete anzusetzen, die nach den Wertverhältnissen vom 1.1.1935 unter Berücksichtigung des tatsächlichen Zustands des Grundstücks im Feststellungszeitpunkt zu erzielen gewesen wäre. Für die Ermittlung dieser hypothetischen Miete bedarf es einer Schätzung, bei der in erster Linie die Mieten von Objekten gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung heranzuziehen sind. Lediglich „notfalls” kann auch auf die von den Finanzämtern für ihren örtlichen Zuständigkeitsbereich erarbeiteten Mietspiegel oder ähnliche Schätzungsgrundlagen zurückgegriffen werden.
2. Gemeinden mit weniger Einwohnern haben regelmäßig einen höheren Vervielfältiger als solche mit mehr Einwohnern.
3. Wertverzerrungen bei der Bemessungsgrundlage der Grundsteuer sind wegen der geringeren steuerlichen Belastungswirkung verfassungsrechtlich in höherem Ausmaß hinnehmbar als etwa bei der Erbschaftsteuer.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Finanzrechtsstreit
hat der 2. Senat unter Mitwirkung von Vizepräsidentin des Finanzgerichts …, Richter am Finanzgericht … und Richterin am Finanzgericht … sowie den ehrenamtlichen Richterinnen … und … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 14. Mai 2008
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Streitig ist die Bewertung eines Grundstücks für die Grundsteuer.
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks … l 7 in X-L. Der Stadtteil L war bis 1930 selbständig und wurde dann nach X eingemeindet. Das Grundstück mit einer Größe von 1000 qm ist bebaut mit einem frei stehenden Wohngebäude (Baujahr 1920) mit einer Mietfläche von 178 qm, bestehend aus drei Einheiten, von denen der Kläger zwei mit insgesamt 99,56 qm selbst nutzt. Der Kläger veränderte baulich das Gebäude im Jahr 1997, wofür er EUR 55.461 aufwandte. Die Wohnungen waren mit Bad und Innentoilette sowie Zentralheizung ausgestattet. Der Beklagte setzte mit Bescheid vom 3. Dezember 1996 den Einheitswert auf den … 1. Januar 1997 auf DM 6.800 fest. Der Kläger reichte am 10. April 2004 eine Erklärung zur Feststellung des Einheitswertes zum 1. Januar 1998 ein. Dabei erklärte er, dass keine Umstände vorlägen, die den Wert des Gebäudes beeinflussen würden. Mit Bescheid vom 18. Mai 2004 setzte der Beklagte den Einheitswert des Grundstückes auf DM 17.200 auf den 1. Januar 1998 im Wege der Wertfortschreibung mit steuerlicher Wirkung ab dem 1. Januar 2000 fest. Dabei nahm er eine Jahresrohmiete von DM 1.922 und den Vervielfältiger 8,0 sowie einen Zuschlag wegen nicht bebauter Fläche von DM 1.840 (460 qm × DM 4) an. Die Miete setzte er mit 0,90 DM/qm an, welche er dem Mietspiegel der Stadt X zum 1. Januar 1935 entnahm, der für die Lageklasse I Mieten zwischen RM 0,90 und 1,30 vorsah. Am selben Tag setzte der Beklagte den Grundsteuermessbetrag auf DM 172 fest. Dagegen legte der Kläger Einspruch ein, da die Miete sei zu hoch angesetzt und der Vervielfältiger mit 6,0 anzunehmen sei, welcher demjenigen der Stadt X entspreche. Die anzusetzende Fläche betrage nur 78,5 qm, alles andere sei Eigennutz. Der Eigentümer könne nicht vier Jahre rückwirkend in Anspruch genommen werden, obwohl er die Kosten dem Mieter nicht rückwirkend berechnen könne. Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 15. Oktober 2004 als unbegründet zurück. Die Miete beruhe auf dem Wert des Mietspiegels von 1935 und der Vervielfältiger entspreche § 33 RBewDV.
Der Kläger ist der Auffassung, dass es nicht der gesetzgeberische Wille sein könne, eingemeindete Vororte steuerlich zu benachteiligen, indem trotz niedrigerem Mietniveau höhere Grundsteuern verlangt würden als im Stadtgebiet von X. Die unterschiedlichen Vervielfältiger seien nicht zu akzeptieren. Dies entbehre auch einer verfassungsrechtlichen Grundlage. Des Weiteren handele es sich bei dem Grundstück des Klägers um ein Denkmal. Das Grundstück habe Hanglage. Der Bauzustand sei wertmindernd zu berücksichtigen, insbesondere fehle es an der Trockenlegung, das Grundstück sei nicht an eine zentrale Abwasserleitung angeschlossen, die Deckenbalken seien vom Holzwurm befallen, der Schornstein sei alt, die Türen seien alt, es würden erhöhte Heizkosten anfallen und die Fußböden würden nicht über ausreichende Trittschalldämmung verfügen.
Der Kläger beantragt,
den Einheitswertbescheid vom 18.Mai 2004 sowie die Einspruchsentscheidung vom 15. Oktober 2004 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist unter Verweisung auf seine Einspruchsentscheidung der Auffassung, dass es sich bei dem Grundstück des Klägers um eine gute Lage handele, da es sich ein frei stehendes Villengrundstück in verkehrsarmer Gegend sei. Der Kläger habe im Jahr 2004 in seiner Erklärung den Bauzustand als gut angegeben. Der feuchte Keller habe ohnehin keine Auswirkung auf die Bewertung, da es nur auf die vermieteten Flächen ankomme.
Wegen des Sachverhaltes im Einzelnen und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die eingereichten Schriftsätze sowie den Inhalt der Einheitswertakte und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14. Mai 2008 verwiesen. Der nachträglich eingegangene Schriftsatz gab keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Einheitswertbescheid vom 18.Mai 2004 sowie die Einspruchsentscheidung vom 15. Oktober 2004 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
I.
Der Kläger wendet sich dagegen, dass der Beklagte für das Gebäude eine Jahresrohmiete von DM 0,90 pro qm angesetzt und den Vervielfältiger 8 verwendet hat.
1. Die Bewertung von Grundvermögen erfolgt gemäß § 129 Abs. 1 BewG zu den Einheitswerten nach den Wertverhältnissen vom 1. Januar 1935. Gemäß § 129 Abs. 2 BewG in Verbindung mit § 33 Abs. 1 RBewDV ist das Ertragswertverfahren anzusetzen, also dem Vielfachen der Jahresrohmiete. Ferner werden die Rechtsverordnungen der Präsidenten der Landesfinanzämter über die Bewertung bebauter Grundstücke weiter angewandt, … § 129 Abs. 2 Nr. 3 BewG. Einwendungen gegen den verwendeten Vervielfältiger greifen nicht durch. Gemäß § 35 Abs. 1 RBewDV können die Oberfinanzpräsidenten für die Bewertung mit einem Vielfachen der Jahresrohmiete das jeweilige Gebiet in verschiedene Bezirke einteilen, in denen die Verhältnisse des Grundstücksmarktes gleichmäßig sind. Für Sachsen ist dies mit einer Verordnung geschehen, nach deren § 1 die Stadt X dem Bezirk I und der Ortsteil L dem Bezirk III zurechnet wurde. Nach § 3 der Verordnung ist der Vervielfältiger für den Bezirk I mit 6 und der für den Bezirk III mit 8 angesetzt worden. Diese Systematik findet sich auch § 80 BewG, Anlage 3 – 8 wieder. Gemeinden mit weniger Einwohnern haben regelmäßig einen höheren Vervielfältiger als solche mit mehr Einwohnern. Dabei kann auch nach dem für die alten Bundesländer geltenden Recht durch Rechtsverordnung nach § 80 Abs. 2 BewG bestimmt werden, dass von der Bevölkerungszahl abweichende Vervielfältiger bestimmt werden, wenn dies die besonderen wirtschaftlichen Verhältnisse erfordern, wie etwa bei Randgemeinden. Zweck des Vervielfältigers ist der Ausgleich der unterschiedlich hohen Jahresrohmieten, weil in größeren Orten die Jahresrohmiete für vergleichbare Objekte überproportional höher ist als in kleineren Orten (Gürsching, Bewertungsrecht, § 80 Rn. 4).
2. Für die Bewertung eines Grundstücks in den neuen Ländern im Ertragswertverfahren ist die Jahresrohmiete anzusetzen, die nach den Wertverhältnissen vom Hauptfeststellungszeitpunkt (1. Januar 1935) unter Berücksichtigung des tatsächlichen Zustands des Grundstücks im Feststellungszeitpunkt zu erzielen gewesen wäre. Für die Ermittlung dieser hypothetischen Miete bedarf es einer Schätzung, bei der in erster Linie die Mieten von Objekten gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung heranzuziehen sind. Lediglich „notfalls” kann auch auf die von den Finanzämtern für ihren örtlichen Zuständigkeitsbereich erarbeiteten Mietspiegel oder ähnliche Schätzungsgrundlagen zurückgegriffen werden (Urteil des Bundesfinanzhofes vom 28. Juni 2000 – II R 27/98, BFH/NV 2001, 150). Der Beklagte hat als Schätzungsgrundlage den Mietspiegel von 1935 (Bl. 29 d. A.) herangezogen. Dabei ist er gemäß § 3a RBewDV vom aktuellen Zustand des Gebäudes ausgegangen und hat die Werte von 1935 herangezogen. Das Gebäude ist mit Zentralheizung, Innentoiletten und Bädern ausgestattet, daher ist es der Lageklasse I zuzuordnen, die damit erzielbare mittlere Miete 1935 betrug RM 0,90. Diese Vorgehensweise ist nicht zu beanstanden. Der Stadtteil gehörte bereits im Jahr 1935 zum Stadtgebiet von X, sodass der Mietspiegel der Stadt X Anwendung findet. Dieser ist bezogen auf alle Lagen der Stadt, bildet also einen Durchschnittswert.
Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung erstmals Angaben zum Zustand des Gebäudes macht, ändert dies nichts an der Bewertung zum 1. Januar 1998. Eine schlüssige Erklärung, warum er den Bauzustand nicht schon in seiner Steuererklärung im Jahr 2004 angegeben hat, hat er nicht abgegeben, obwohl im Steuerformular ausdrücklich danach gefragt wurde und er „Nein” angekreuzt hat. Des Weiteren sind der Zustand der Türen, die Hanglage, der fehlende Anschluss an ein zentrales Abwassersystem und die fehlende Trittschalldämmung keine Baumängel, die erst im Laufe der Zeit eingetreten sind, sondern diese Umstände entsprechen dem Standard des Gebäudes bei seiner Errichtung. Im Übrigen ist die Feuchtigkeit des Kellers kein Mangel, der sich auf die Vermietbarkeit und damit auf den Ertragswert des Objektes auswirkt. Zudem ist er völlig unsubstantiiert in Ausmaß und Zeitpunkt des Auftretens vorgebracht. Der Mangel hätte am 1. Januar 1998 vorhanden sein müssen, dies hat der Kläger nicht behauptet. Soweit Baumängel nach diesem Stichtag aufgetreten sind, können diese im Wege der Wertfortschreibung berücksichtigt werden. Dies ist aber für den streitgegenständlichen Bescheid ohne Auswirkung.
Die Einordnung des klägerischen Grundstücks als Baudenkmal gemäß Schreiben der Stadt X vom 27. Februar 2008 kann zwar gemäß Ziffer 4.5.3 der Gemeinsamen Ländererlasse zur Bewertung des Grundvermögens im Beitrittsgebietes vom 19. Januar 1993 zu einer niedrigeren Bewertung führen, jedoch erst ab dem 1. Januar 2009, da bislang das Grundstück nicht als Denkmal ausgewiesen ist.
3. Soweit sich nun der Kläger dagegen wendet, dass auf sein Grundstück der höhere Vervielfältiger und die höhere Miete von X angewendet werden, ändert dies an der Beurteilung des Falles nichts. Dies beruht auf der Annahme, dass es in X im Jahr 1935 keine höheren Mieten als RM 0,90 gegeben habe und dass die Mieten in L deutlich darunter gewesen sein müssen. Aber der Mietspiegel von X enthält in der Lageklasse I einen Bereich von RM 0,90 – 1,30, d. h. im Streitfall ist der Beklagte – bezogen auf die Ausstattung – von der niedrigst möglichen Miete im Stadtgebiet ausgegangen. Der Mietspiegel beruht auf der Erhebung der Mieten im Stadtgebiet und gibt die örtlichen Unterschiede wieder. Da sich der Beklagte für die im Wege der Schätzung der Miete am untersten Rand bewegt hat, ist eine offensichtliche Unrichtigkeit oder Ungleichbehandlung des Klägers nicht erkennen.
Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers ist zum einen anzuführen, dass eine willkürliche Ungleichbehandlung von Grundstückseigentümern in X und in X-L aufgrund der Spannbreite des Mietspiegels von 1935 nicht erkannt werden kann. Zum anderen sind Wertverzerrungen bei der Bemessungsgrundlage bei der Grundsteuer wegen der geringeren steuerlichen Belastungswirkung verfassungsrechtlich in höherem Ausmaß hinnehmbar als etwa bei der Erbschaftsteuer (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 2. Februar 2005 – II R 36/03, BStBl II 2005, 428).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.