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  • 02.11.2010

    Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 28.10.2009 – 8 K 1417/09

    Hat das Betriebsstätten-Finanzamt die Einkünfte einer selbstständigen berufsmäßigen Betreuerin auch noch nach Veröffentlichung des BFH-Urteils IV R 26/03 vom 4.11.2004 jahrelang in den Bescheiden über die gesonderte Feststellung des Gewinns unzutreffend nicht als gewerblich behandelt, sondern jeweils der Einkunftsart „selbstständige Arbeit” zugeordnet und den Feststellungsbescheid für ein zeitlich vor der Urteils-Veröffentlichung liegendes Wirtschaftsjahr, der vorläufig nach § 165 AO hinsichtlich der Einkunftsart ergangen war, mehrere Jahre nach Veröffentlichung des BFH-Urteils unter Beibehaltung der Einkunftsart „selbstständige Arbeit” für endgültig erklärt, so hat das Finanzamt hiermit einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand zugunsten der Betreuerin geschaffen und das Recht auf nachträglichen Erlass eines Gewerbesteuermessbetragsbescheids für ein vor der Veröffentlichung des BFH-Urteils liegendes Wirtschaftsjahr verwirkt.


    Im Namen des Volkes

    URTEIL

    In dem Finanzrechtsstreit

    hat der 8. Senat unter Mitwirkung von Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … ehrenamtliche Richterin … ehrenamtlicher Richter … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 28.10.2009

    für Recht erkannt:

    1. Der Gewerbesteuermessbetragsbescheid für 2002 vom 17.6.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung v. 19.7.2009 wird aufgehoben.

    2. Dem Beklagten werden die Kosten des Verfahrens auferlegt.

    3. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung kann durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abgewendet werden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

    4. Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand

    Streitig ist, ob der Beklagte gegen die Klägerin für das Jahr 2002 einen Gewerbesteuermessbetragsbescheid erlassen durfte oder ob ihm dies infolge Verwirkung verwehrt war.

    Die Klägerin ist als selbständige Berufsbetreuerin gewerbesteuerpflichtig. Ihren Gewinn ermittelt sie durch Einnahme-Überschussrechnungen. In der von einem Steuerberater erstellten Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Grundlagen für die Einkommensbesteuerung v. 14.1.2002 das Jahr 2000 betreffend wurde der Gewinn der Einkunftsart selbständige Arbeit zugeordnet. Am 30.1.2002 fand laut Aktenvermerk des Finanzamts eine Besprechung mit dem Steuerberater statt, der auf einen beim Bundesfinanzhof anhängigen Rechtsstreit zur Einordnung der Tätigkeit des selbständigen Berufsbetreuers in die richtige Einkunftsart (Einkunft aus Gewerbebetrieb oder freiberufliche Tätigkeit) hinwies und um erklärungsgemäße Feststellung bat. Der Beklagte erließ einen entsprechenden Bescheid und setzte folgenden Vorläufigkeitsvermerk hinzu: Der Bescheid ergeht vorläufig hinsichtlich der Einstufung der Einkünfte in die entsprechende Einkunftsart.

    Für die Jahre 2001 und 2002 und die nachfolgenden Kalenderjahre ergingen Feststellungsbescheide, die den Gewinn der Klägerin als Einkunft aus selbständiger Arbeit erfassten, ohne dass ein diesbezüglicher Vorläufigkeitsvermerk hinzugefügt wurde. Am 4.11.2004 entschied der Bundesfinanzhof (IV R 26/03, BStBl II 2005, 288), dass der berufsmäßige Betreuer i.S.d. §§ 1896 ff. BGB Einkünfte aus Gewerbebetrieb erziele. Am 18.10.2007 wurde der Feststellungsbescheid für das Jahr 2000 für endgültig erklärt. Am 11.3.2009 erließ der Beklagte für die Jahre 2003 bis 2006 und schließlich am 17.6.2009 für das Streitjahr Gewerbesteuermessbetragsbescheide, nachdem in einer Kontrollmitteilung der Oberfinanzdirektion v. 4.11.2008 in allgemeiner Form in Bezug auf die Einkünfte berufsmäßiger Betreuer auf ein Gewerbesteuerausfallrisiko aufmerksam gemacht und die vom Oberlandesgericht D. übermittelten Informationen über Auszahlungen der Landesjustizkasse an die Klägerin weitergegeben wurden.

    Gegen den Gewerbesteuermessbetragsbescheid für 2002 legte die Klägerin am 18.6.2009 erfolglos Einspruch ein. Nach zurückweisender Einspruchsentscheidung v. 29.7.2009 erhob die Klägerin am 21.8.2009 Klage.

    Die Klägerin ist der Meinung, dass der in sachlicher Hinsicht nicht angegriffene Gewerbesteuermessbetragsbescheid rechtswidrig sei, weil der Beklagte mit seiner Einordnung der klägerischen Tätigkeit in die Einkunftsart selbständige Arbeit einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand geschaffen und damit das Recht auf Erlass nachholender Gewerbesteuermessbetragsbescheide verwirkt habe. Das vertrauensbildende Verhalten sieht die Klägerin zum einen darin, dass der Beklagte über einen langen Zeitraum für die Jahre 2000 bis 2006 und auch noch, nachdem der Bundesfinanzhof anders entschieden hatte, in den Feststellungsbescheiden Einkünfte aus selbständiger Arbeit angenommen hat. Zum anderen stellt die Klägerin heraus, dass der Beklagte am 18.10.2007, also ebenfalls nach Veröffentlichung der Entscheidung des Bundesfinanzhofes, die eigens auf die Frage der Einkunftsart bezogene Vorläufigkeitsregelung des Feststellungsbescheides 2000 aufgehoben und damit endgültig einen Gewinn aus selbständiger Arbeit zugrunde gelegt hat. Diese Entscheidung sei wegen § 32 c EStG a.F. auch als eine gewerbesteuerrechtliche anzusehen.

    Die Klägerin ist außerdem der Auffassung, es sei bei Erlass des Gewerbesteuermessbetragsbescheides 2002 am 18.6.2009 die vierjährige Festsetzungsfrist abgelaufen gewesen. Denn die Festsetzungsfrist sei mit Ablauf des Jahres, in dem die Feststellungserklärung für das Jahr 2002 abgegeben worden war, also mit Ablauf des Jahres 2004 angelaufen. Die am 17.2.2004 eingereichte Feststellungserklärung hätte nämlich gewerbesteuerlichen Gehalt besessen mit der Wirkung, dass sie den Beginn der Festsetzungsfrist für Gewerbesteuermessbetragsbescheide ausgelöst habe.

    Die Klägerin beantragt,

    den Gewerbesteuermessbetragsbescheid für 2002 vom 17.6.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung v. 19.7.2009 ersatzlos aufzuheben

    hilfsweise die Revision zuzulassen.

    Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

    Der Beklagte meint, die Einordnung der Einkünfte der Klägerin in den Gewinnfeststellungsbescheiden entfalte für Gewerbesteuerbescheide keine Bindungswirkung, da die Gewinnfeststellungsbescheide keine Grundlagenbescheide für die Gewerbesteuer seien. Der Beklagte habe deshalb unter Beachtung der Festsetzungsfrist den gegenständlichen Gewerbesteuermessbetragsbescheid erlassen dürfen. Dagegen erhebe die Klägerin zu Unrecht den Einwand der Verwirkung. Der Beklagte habe anders als in dem von der Klägerin herangezogenen, vom Bundesfinanzhof am 5.3.1970 entschiedenen Fall keinen die Gewerbesteuer betreffenden Bescheid erlassen. Die Klägerin habe, obwohl sie nach der Veröffentlichung der Entscheidung des Bundesfinanzhofes v. 4.11.2004 gewusst habe, dass sie gewerbliche Einkünfte erziele, ihre Einkünfte weiterhin als solche aus selbständiger Arbeit erklärt. Dem sei der Beklagte gefolgt. Die Klägerin habe aber nicht annehmen können, dass der Beklagte Gewerbesteuermessbetragsbescheide nicht erlasse.

    Auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Akten des Beklagten wird verwiesen.

    Entscheidungsgründe

    I. Die Klage ist begründet. Der angegriffene Gewerbesteuermessbetragsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Er ist deshalb aufzuheben (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte war nach Treu und Glauben daran gehindert, gegen die Klägerin für das Streitjahr 2002 noch am 17.6.2009 einen Gewerbesteuermessbetragsbescheid zu erlassen. Die Befugnis zum Erlass dieses Bescheides war zu diesem Zeitpunkt aufgrund des vorangegangenen Verhaltens des Beklagten verwirkt.

    Mit ihren Einkünften aus der Tätigkeit als berufsmäßiger Betreuer unterlag die Klägerin, wie sie selbst unterstellt, der Gewerbesteuer. Der in Übereinstimmung mit der Gewerbesteuerpflicht erlassene Gewerbesteuermessbetragsbescheid hätte dennoch nicht ergehen dürfen. Denn er missachtet den Grundsatz von Treu und Glauben. Er setzt sich mit früherem Verhalten des Beklagten derart in Widerspruch, dass die Befugnis zu seinem Erlass als verwirkt angesehen werden muss.

    1. Der Tatbestand der Verwirkung eines Steueranspruchs setzt ein über die bloße längere Untätigkeit hinausgehendes bestimmtes Verhalten der Finanzbehörde voraus, aufgrund dessen der Steuerpflichtige bei objektiver Betrachtung annehmen darf, die Finanzbehörde werde ihren Anspruch nicht mehr geltend machen (BFH v. 7.7.2004, X R 24/03, BStBl II 2004, 975 m.w.N.). Ein solches Verhalten der Finanzbehörde erblickt der Senat darin, dass der Beklagte am 18.10.2007 den Gewinnfeststellungsbescheid des Jahres 2000 für endgültig erklärte. Der Feststellungsbescheid 2000 v. 24.1.2002 war hinsichtlich der Einstufung der klägerischen Einkünfte als solche aus freiberuflicher Tätigkeit vorläufig ergangen. Nach der Erklärung des Beklagten v. 18.10.2007 konnte die Klägerin bei objektiver Betrachtung annehmen, der Beklagte habe diese Einordnung nunmehr endgültig vorgenommen. Dem entsprach, dass der Beklagte in den Gewinnfeststellungsbescheiden für die Kalenderjahre bis 2006, zuletzt mit Feststellungsbescheid v. 8.2.2008, die Einkünfte der Klägerin als solche aus selbständiger Arbeit behandelte.

    2. Dieses Verhalten, das der Beklagte als Betriebsstättenfinanzamt im Feststellungsverfahren nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 b) AO an den Tag legte, konnte nach Ansicht des erkennenden Senats bei objektiver Betrachtung für die Klägerin den berechtigten Eindruck erwecken, der Beklagte werde auch als Finanzbehörde, die für Gewerbesteuermessbetragsbescheide zuständig ist, an der im Feststellungsverfahren gefundenen Einordnung der klägerischen Tätigkeit nicht mehr rühren. Zwar ist richtig, dass es der Bundesfinanzhof abgelehnt hat, den Gewinnfeststellungsbescheid als Grundlagenbescheid für die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags aufzufassen (BFH v. 19.1.1990, III R 31/87, BStBl II 1990, 383). Damit ist allerdings nur gesagt, dass die Entscheidung der Finanzbehörde im Feststellungsverfahren, Einkünfte als gewerbliche oder als freiberufliche Einkünfte einzuordnen, nicht ohne weiteres im Verfahren zur Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrages umzusetzen ist. Danach ist aber andererseits nicht ausgeschlossen, die Entscheidung der Finanzbehörde im Feststellungsverfahren als ein Verhalten anzusehen, das die berechtigte Erwartung eines gleichgerichteten Verhaltens bei der Veranlagung zur Gewerbesteuer begründen kann. Denn der Gewinnfeststellungsbescheid enthält eine Entscheidung über die Einkunftsart (BFH v. 1.2.1989, VIII R 49/84, BFH/NV 1990, 6), die Bindungswirkung hat (Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung, § 180 Rnr. 227 f. (November 2004)). Die Feststellung der Einkunftsart im Gewinnfeststellungsbescheid gewinnt für Gewerbesteuermessbetragsbescheide auch über § 35b Abs. 1 GewStG Bedeutung. Nach dieser Vorschrift sind Gewerbesteuermessbescheide aufzuheben oder zu ändern, wenn sich die Qualifizierung von Einkünften als gewerbliche in einem Einkommensteuerbescheid (BFH v. 23.6.2004, X R 59/01, BStBl II 2004, 901) oder in einem Gewinnfeststellungsbescheid geändert hat. Die angezeigte objektive Betrachtung des finanzbehördlichen Verhaltens wird deshalb einer Entscheidung über die Einkunftsart im Gewinnfeststellungsbescheid durchaus Relevanz für die Grundfrage des Gewerbesteuerverfahrens zumessen, ob Einkünfte aus Gewerbebetrieb vorliegen oder eben nicht. Die Einordnung des Gewinns in die Einkunftsart selbständige Arbeit im Feststellungsverfahren ist deshalb ein möglicher Anknüpfungspunkt und, wenn das Verhalten der Finanzbehörde so ausgeprägt ist wie im vorliegenden Fall, auch ein zureichender Anknüpfungspunkt für die berechtigte Annahme des Steuerpflichtigen, dass Gewerbesteuermessbetragsbescheide nicht ergehen werden.

    3. Das danach für die Gewerbesteuerfrage bedeutsame Verhalten des Beklagten im Gewinnfeststellungsverfahren hat, wie der Verwirkungstatbestand weiter voraussetzt (BFH v. 7.7.2004, X R 24/03, BStBl II 2004, 975 m.w.N.) tatsächlich zu einem Vertrauen der Klägerin darauf geführt, für das Streitjahr nicht mehr zur Gewerbesteuer herangezogen zu werden. Dieses Vertrauen ist auch schutzwürdig und nicht etwa deshalb fragwürdig, weil die Klägerin ihre Einkünfte auch dann noch als solche aus selbständiger Arbeit erklärte, nachdem die Entscheidung des Bundesfinanzhofes v. 4.11.2004 veröffentlicht worden war. Dabei kann offen bleiben, zu welchem Zeitpunkt die Klägerin von dieser Entscheidung und der vom Bundesfinanzhof vorgenommenen Qualifizierung der Einkünfte Kenntnis erlangt hat oder, da sie von einem Steuerberater vertreten wurde, von einem Kennenmüssen auszugehen ist. Denn die beklagte Finanzbehörde hatte, indem sie fortlaufend die Einkünfte der Klägerin als solche aus selbständiger Arbeit einstufte und den Gewinnfeststellungsbescheid 2000 v. 24.1.2002 am 18.10.2007 für endgültig erklärte, offensichtlich anders entschieden. Hierauf gründete das rechtserhebliche Vertrauen der Klägerin.

    II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

    III. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen, weil die Entscheidung des Bundesfinanzhofes v. 5.3.1970 (IV 213/65, BStBl II 1970, 793) so verstanden werden kann, als sei Voraussetzung für die Verwirkung des Gewerbesteueranspruchs eine vorherige gewerbesteuerrechtliche Entscheidung der Finanzbehörde.

    VorschriftenBGB § 242, GewStG § 2 Abs. 1 S. 1, GewStG § 35b Abs. 1, EStG § 15 Abs. 2, EStG § 18 Abs. 1, AO § 165