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  • 02.11.2010

    Finanzgericht Sachsen-Anhalt: Urteil vom 20.10.2009 – 4 K 371/09

    Ist ein grundsätzlich das ganze Jahr hindurch nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a, c EStG berücksichtigungsfähiges volljähriges Kind einige Monate lang einer Vollzeitwerbstätigkeit nachgegangen und würde es unter Einbeziehung der dabei erzielten Einkünfte auf das Jahr gesehen über dem Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG liegen, liegt das Kind aber bei isolierter Betrachtung nur der Monate, in denen es keiner Vollzeiterwerbstätigkeit nachgegangen ist, in diesen Zeiträumen unter dem anteiligen Grenzbetrag des § 32 Absatz 4 S. 2 EStG, so besteht nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung ein Kindergeldanspruch für die Zeiträume, in denen das Kind keiner Vollzeiterwerbstätigkeit nachgegangen ist.


    IM NAMEN DES VOLKES

    URTEIL

    In dem Rechtsstreit

    hat das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt – 4. Senat – ohne mündliche Verhandlung am 20. Oktober 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht …, den Richter am Finanzgericht …, den Richter am Finanzgericht Just, den ehrenamtlichen Richter … und den ehrenamtlichen Richter …

    für Recht erkannt:

    Der Aufhebungs-, Rückforderungs- und Ablehnungsbescheid vom 28. November 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. Februar 2009 wird aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin für ihren Sohn G. für die Monate Januar und September bis Dezember 2008 Kindergeld zu gewähren.

    Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

    Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

    Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand

    Die Beteiligten streiten um die Festsetzung von Kindergeld für die Monate Januar 2008 und September bis Dezember 2008.

    Der am 15. April 1988 geborene Sohn der Klägerin G. W. beendete am 23. Januar 2008 seine Ausbildung zum Anlagenmechaniker bei der … GmbH & Co. KG. Zum 24. Januar 2008 nahm er bei der … GmbH & Co. KG eine zum 31. Dezember 2008 befristete Vollzeitbeschäftigung als Monteur auf, die er durch Kündigung zum 22. August 2008 beendete. Die Entlohnung für die Vollbeschäftigung erfolgte nach der Berufsgruppe M 1 mit einem Tariflohn von 8,08 EUR bei einer wöchentlichen Normalarbeitszeit von 40 Stunden. Ab dem 01. September 2008 besuchte der Sohn sodann die Berufsbildende Schulen III in M. zur Erlangung der Fachhochschulreife Schwerpunkt Metalltechnik.

    Den Antrag auf Gewährung von Kindergeld für den Streitzeitraum lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28. November 2008 mit der Begründung ab, dass die Einkünfte und Bezüge des Sohnes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) voraussichtlich überschreiten würden. In die Grenzbetragsberechnungen bezog die Beklagte die Einkünfte aus der Vollzeitbeschäftigung mit ein. Das bereits ausgezahlte Kindergeld für den Monat Januar 2008 forderte die Beklagte zurück und gewährte ab Januar 2009 Kindergeld.

    Hiergegen richtete sich der Einspruch der Klägerin vom 22. Dezember 2008, eingegangen bei der Beklagten am 29. Dezember 2008. Die Klägerin vertrat die Ansicht, dass die Zeiten der Vollzeitbeschäftigung nicht in die Grenzbetragsbetragsberechnungen mit einbezogen werden könnten, da in diesen Monaten kein Anspruch auf Kindergeld bestanden habe.

    Mit Einspruchsbescheid vom 20. Februar 2009 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Sie vertrat grundsätzlich die Ansicht, dass zwar ein Anspruch auf Kindergeld auch für den Streitzeitraum bestanden habe, aufgrund der Überschreitung des Grenzbetrages jedoch kein Kindergeld gewährt werden könne. In den Zeiten der Vollzeitbeschäftigung habe das Kind die Anspruchsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Buchstabe 2c EStG erfüllt, da sich das Kind mindestens seit Februar 2008 um die Fortsetzung seiner Ausbildung und Aufnahme in der Fachoberschule beworben habe. Die insoweit erzielten Einkünfte seien daher voll in die Grenzbetragsberechnungen einzubeziehen.

    Am 23. März 2009 hat die Klägerin Klage erhoben. Unter Verweis auf die Urteile des Bundesfinanzhofes vom 23. Februar 2006, III R 8/05 und III R 46/05 sowie Beschluss vom 31. Juli 2008, III B 64/07, vertrat sie die Ansicht, dass in Zeiten der Vollzeiterwerbstätigkeit das Kind nicht zu berücksichtigen sei, da in dieser Zeit keine typische Unterhaltssituation für sie mehr bestanden habe und mithin die Einkünfte dieses Zeitraums nicht einbezogen werden dürften. Ohne diese Einkünfte würden die verbleibenden Bezüge des Ausbildungsmonats Januar 2008 den Grenzbetrag nicht überschreiten, andere Einkünfte und Bezüge habe das Kind nicht gehabt.

    Die Klägerin beantragt,

    den Ablehnungs- und Erstattungsbescheid vom 28. November 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. Februar 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin Kindergeld für die Monate Januar und September bis Dezember 2008 zu gewähren.

    Die Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Die Beklagte hält an ihrer Rechtsauffassung fest und weist darauf hin, dass sich das Kind ernsthaft um die Fortsetzung seiner Ausbildung bemüht habe und von daher die Einkünfte auch der Vollzeitbeschäftigung heranzuziehen seien. Dass die angestrebte Ausbildung erst im September 2008 begonnen habe, sei unerheblich.

    Dem Senat hat die von der Beklagten geführte Kindergeldakte vorgelegen.

    Entscheidungsgründe

    Die zulässige Klage ist begründet. Die Aufhebung und Rückforderung des Kindergeldes für den Monat Januar 2008 und die Ablehnung des Kindergeldes für September bis Dezember 2008 verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Klägerin hat im Streitzeitraum einen Anspruch auf Kindergeld. Die in den Monaten der Vollzeitbeschäftigung erzielten Einkünfte sind in die Berechnung des Grenzbetrages nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht einzubeziehen.

    Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass das Kind im Streitzeitraum grundsätzlich die Voraussetzungen zum Bezug von Kindergeld erfüllt. Streitig ist allein die Frage, ob durch die Einbeziehung der während der Vollzeitbeschäftigung erzielten Einkünfte und Bezüge der Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschritten ist.

    Nach § 62, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG wird ein Kind, welches das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, beim Kindergeld unter anderem berücksichtigt, wenn es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatz nicht beginnen oder fortsetzen kann und wenn seine Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, nicht mehr als 7.680 EUR im Kalenderjahr betragen (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG).

    Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes sind die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG aber nicht erfüllt, wenn das Kind während des Wartens auf einen Ausbildungsplatz einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgeht (BFH-Urteile vom 19. Oktober 2001 VI R 39/00, BFHE 197, 92, BStBl II 2002, 481; vom 14. Mai 2002 VIII R 83/98, BFH/NV 2002, 1551; Senatsurteil vom 15. September 2005 III R 67/04, BFH/NV 2006, 656). Dies beruht auf der typisierenden Annahme, dass – unabhängig von der Höhe der von dem Kind in diesem Zeitraum erzielten Einkünfte und Bezüge – eine Unterhaltspflicht der Eltern nicht besteht (BFH-Urteil vom 16. März 2004 VIII R 65/03, BFH/NV 2004, 1522, m.w.N. zur Rechtsprechung). Für die Dauer der Vollzeiterwerbstätigkeit kann das Kind daher in diesen Fällen auch dann nicht berücksichtigt werden, wenn seine Einkünfte und Bezüge – bei Einbeziehung der Einkünfte aus der Vollzeiterwerbstätigkeit – insgesamt den (anteiligen) Jahresgrenzbetrag nicht übersteigen würden (BFH-Urteil in BFHE 197, 92, BStBl II 2002, 481; Pust in Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2002, 214; Greite, Finanz-Rundschau 2003, 1294; BFH-Urteil vom 15. September 2005 – III R 67/04, BStBl. II 2006, 305,Finanzgericht Köln, Urteil vom 12. März 2009 10 K 3830/08, EFG 2009, 1241).

    Mit Urteil des Bundesfinanzhofes vom 16.11.2006 – III R 15/06, BFHE 216, 74, BStBl. II 2008, 56, hat dieser unter Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass für ein Kind, in dem Zeitraum, in dem es die gesetzlichen Voraussetzungen eines Berücksichtigungstatbestandes im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a bis c EStG erfüllt und in dem es einer Erwerbstätigkeit nachgeht und die gesamten Einkünfte und Bezüge den anteiligen Jahresgrenzbetrag nicht übersteigen, ein Anspruch auf Kindergeld besteht, unabhängig davon, ob es sich bei der Erwerbstätigkeit um eine Vollzeiterwerbstätigkeit handelt.

    Die Finanzverwaltung hat insoweit mit Erlass des Bundeszentralamtes für Steuern vom 04.07.2008 – St II 2 – S 2282 – 138/2008, BStBl. I 2008, 716, entschieden, dass nach einer zweistufigen Prüfung (1. Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen in jedem Kalendermonat, 2. Berechnung des anteiligen Jahresgrenzbetrages) ein Anspruch auf Kindergeld für den gesamten Anspruchszeitraum nur dann besteht, wenn der Jahresgrenzbetrag nicht überschritten wird.

    Der Senat versteht die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung dahingehend, dass im Sinne einer Meistbegünstigung ein Anspruch auf Kindergeld dann besteht, wenn – trotz gegebenenfalls Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen in einzelnen Monaten einer Vollzeitbeschäftigung – diese Monate nicht in die Berechnungen des Jahresgrenzbetrages einbezogen werden. Dieser Ansicht schließt sich der erkennende Senat an.

    Dies hat im Ergebnis zur Folge, dass in den Monaten der Vollzeitbeschäftigung kein Anspruch auf Kindergeld bestanden hat und mithin die in diesen Monaten erzielten Einkünfte nach § 32 Abs. 4 Satz 6 – 8 EStG nicht in die Grenzbetragsberechnungen einzubeziehen sind. Die verbleibenden Einkünfte des Kindes überschreiten den anteiligen Grenzbetrag nicht, so dass Kindergeld zu gewähren ist.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus den §§ 151 Abs. 3, 155 FGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

    Die Revision wurde nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und entgegen der veröffentlichten Verwaltungsauffassung ergangen ist.

    VorschriftenEStG § 32 Abs. 4 S. 2, EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. c