02.11.2010
Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 23.11.2009 – 6 K 315/07
1. Nach dem strengen Stichtagsprinzip des § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG kann eine erweiterte Kürzung nur für Grundstücke gelten, die zu Beginn des Erhebungszeitraums dem Grundstücksunternehmen zuzurechnen sind.
2. Die durch § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG bezweckte Gleichstellung von Kapital- und Personengesellschaften wird von der BFH-Rechtsprechung verfehlt, wenn diese auch bei der Veräußerung des einzigen Grundstücks einer vermögensverwaltenden GmbH verlangt, dass von der GmbH während des gesamten Gewinnermittlungszeitraums einer ausschließlich grundstücksverwaltenden Tätigkeit nachgegangen wird.
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Finanzrechtsstreit
hat der 6. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23. November 2009 durch Vorsitzenden Richter am Finanzgericht … Richterin am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Ehrenamtliche Richter …
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die erweiterte Kürzung des gewerbesteuerlichen Gewinns bzgl. der Veräußerung des einzigen Grundstücks eines vermögensverwaltenden Grundstücksunternehmens.
Die Klägerin wurde durch Gesellschaftsvertrag vom 31. Oktober 1984 gegründet. Gegenstand des Unternehmens war die Verpachtung des Betriebsgebäudes an andere Unternehmen; die Klägerin stellte unstrittig eine so genannte Grundstücksverwaltungsgesellschaft im Sinne des Gewerbesteuerrechts dar und wurde seit Aufnahme der Tätigkeit entsprechend gewerbesteuerlich behandelt.
Die Klägerin bilanziert im Streitfall nach einem abweichenden Wirtschaftsjahr vom 01. Juli 2004 bis 30. Juni 2005. Mit Vertrag vom 24. November 2004 veräußerte sie zum 15. Dezember 2004 das gesamte Grundstück und erzielte hieraus einen Veräußerungsgewinn. Danach ging die Klägerin keiner grundstücksverwaltenden Tätigkeit mehr nach.
Mit Beschlussfassung vom 13. Juni 2005 wurde die Gesellschaft mit Ablauf des 30. Juni 2005 aufgelöst. Die Liquidation ist nicht im Handelsregister eingetragen. Eine Auskehrung des Gesellschaftsvermögens fand nicht statt. Am 28. Dezember 2006 erfolgte eine Ausschüttung an die Gesellschafter in Höhe von 150.000 EUR.
In den letzten Jahren vor dem Verkauf des Grundstücks erzielte die Klägerin gewerbesteuerrechtliche Verluste und beantragte im Rahmen der Gewinnermittlung für die Gewerbesteuer Kürzungen im Sinne des § 9 Nr. 1 Satz 1 Gewerbesteuergesetz (GewStG).
In ihrer Gewerbesteuer-Erklärung für 2005 machte die Klägerin eine erweiterte Kürzung des gewerblichen Gewinns gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG in Höhe von 488.867 EUR für den Teil des Gewerbeertrags geltend, welcher auf das veräußerte Grundstück entfiel.
Diese Kürzung nahm das Finanzamt unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 20. Januar 1982 I R 201/78, Bundessteuerblatt (BStBl) 1982, 477 im Bescheid für 2005 über den Gewerbesteuermessbetrag vom 13. September 2006 nicht vor. Durch Verkauf des einzigen Grundstücks zur Mitte des Wirtschaftsjahres habe die Haupttätigkeit der Gesellschaft (Verpachtung dieses Grundstücks) nicht durchgängig vorgelegen; vielmehr sei diese Tätigkeit durch den Verkauf des Grundstücks beendet worden.
Der gegen diesen Bescheid am 26. September 2006 eingelegte Einspruch wurde mit dem BFH-Urteil vom 29. April 1987 I R 10/86, BStBl II 1987, 603 begründet. Hiernach läge auch bei der Veräußerung eines Grundstücks eine grundstücksverwaltende Tätigkeit vor; insoweit sei das vom Finanzamt zitierte Urteil vom 20. Januar 1982 überholt. Eine Kürzung gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG sei vorzunehmen. Es sei Sinn und Zweck der Vorschrift, grundstücksverwaltende Kapitalgesellschaften denen der Personengesellschaften gleichzustellen. Letztere seien mit ihren Gewinnen aus der Grundstücksveräußerung nicht mit Gewerbesteuer belastet.
Der Einspruch wurde in der Einspruchsentscheidung vom 19. April 2007 als unbegründet zurückgewiesen. Das Tatbestandsmerkmal der Ausschließlichkeit müsse während des ganzen Erhebungszeitraums gegeben sein. Denn nach § 14 S. 2 GewStG sei Erhebungszeitraum für die Gewerbesteuer das Kalenderjahr. Ende die Grundstücksverwaltung vorzeitig (vorliegend mit Veräußerung des Grundstücks am 24. November 2004), so sei dies bei nach § 2 Abs. 2 GewStG gewerbesteuerpflichtigen Kapitalgesellschaften nur unschädlich, wenn das Unternehmen zugleich jede weitere Tätigkeit einstelle. Denn die Gewerbesteuerpflicht von Kapitalgesellschaften ende im Hinblick auf § 2 Abs. 2 S. 1 GewStG nicht mit Aufgabe der werbenden Tätigkeit. Maßgebend sei insofern, ob das Vermögen an die Gesellschafter verteilt worden sei, die Gesellschaft also liquidiert wurde (BFH-Urteil vom 29. November 2000 I R 28/00, Sammlung nicht amtlich veröffentlichter Entscheidungen des BFH (BFH/NV) 2001, 816).
Im Anschluss an die Veräußerung des Grundstücks bis zum Ende des Wirtschaftsjahres sei die Klägerin nicht mehr vermögensverwaltend tätig gewesen. Gegen diese Auslegung spreche auch nicht das von der Klägerin zitierte Urteil vom 29. April 1987 I R 10/86, in welchem der Verkauf des Grundstücks im Rahmen einer bestehenden Grundstücksvermögensverwaltung stattfinde.
Dagegen richtet sich die Klage vom 22. Mai 2007. Für die Gewährung der Kürzung bestünden keine Einschränkungen zeitlicher Art. Entsprechend dem Sinn und Zweck des § 9 Abs. 1 Satz 2 GewStG, Grundstücksunternehmen in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft den gewerbesteuerfreien Personengesellschaften gleichzustellen, könne es nicht angehen, dass Grundstücksveräußerungsgewinne beim Verbleib weiterer Grundstücke im Betriebsvermögen der erweiterten Kürzung unterlägen, während bei Veräußerung des letzten Grundstücks des Unternehmens die Kürzung versagt werde. Wenn in einem Fall das Grundstück sowie dessen wirtschaftliches Eigentum auf das Ende des Erhebungszeitraums übergehe (vgl. Urteil vom 11. August 2004 I R 89/03, BStBl II 2004, 1080) und im anderen Fall das Grundstück während des Erhebungszeitraums übergehe, danach bis zum Ende des Erhebungszeitraums der Veräußerungserlös verwaltet werde und im letzteren Fall die Kürzung versagt werden solle (BFH-Urteil vom 20. Januar 1982 I R 201/78, BStBl II 1982, 477), so könnten diese in der Praxis mehr zufälligen Gegebenheiten bei gleicher wirtschaftlicher Auswirkung nicht zu einer unterschiedlichen steuerrechtlichen Behandlung führen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 13. September 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. April 2007 dahingehend abzuändern, dass der Gewerbeertrag um 488.867 EUR gekürzt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die sich in der finanzgerichtlichen Akte befinden, die vom Finanzamt vorgelegten Steuerakten sowie die Niederschriften über den Erörterungstermin vom 3. September 2009 bzw. den Verhandlungstermin vom 23. November 2009 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
1. Gemäß § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG wird die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen um 1,2 Prozent des Einheitswerts des zum Betriebsvermögen des Unternehmens gehörenden und nicht von der Grundsteuer befreiten Grundbesitzes gekürzt; maßgebend ist der Einheitswert, der auf den letzten Feststellungszeitpunkt vor dem Ende des Erhebungszeitraums lautet.
Nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG können Unternehmen, die ausschließlich eigenen Grundbesitz oder neben eigenem Grundbesitz eigenes Kapitalvermögen verwalten und nutzen oder daneben Wohnungsbauten betreuen oder Einfamilienhäuser, Zweifamilienhäuser oder Eigentumswohnungen errichten und veräußern, auf Antrag den Gewerbeertrag an Stelle der Kürzung nach Satz 1 um den Teil des Gewerbeertrags kürzen, der auf die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes entfällt.
2. Die Kürzung gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG ist der Klägerin zu versagen, da ihr das streitgegenständliche Grundstück zum 1.1.2005 nicht mehr zuzurechen war.
§ 20 Abs. 1 Satz 2 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung (GewStDV) bestimmt, dass für die Frage, ob und inwieweit i.S. des § 9 Nr. 1 GewStG Grundbesitz zum Betriebsvermögen gehört, der Stand zu Beginn des Kalenderjahres maßgeblich ist.
§ 20 Abs. 1 Satz 2 GewStDV stellt nach seinem Wortlaut unterschiedslos auf § 9 Nr. 1, nicht nur auf § 9 Nr. 1 Satz 1 ab (Blümich/Gosch, GewStG, § 9 Rn. 67). Zudem heißt es in § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG, die erweiterte Kürzung werde auf Antrag „an Stelle der Kürzung nach Satz 1” gewährt. Sie kommt also nur in Betracht, wenn zumindest die Kürzung nach Satz 1 zu gewähren wäre. Deshalb muss das strenge Stichtagsprinzip im Rahmen des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG insoweit gelten, als die Kürzung nur für Grundstücke gelten kann, die zu Beginn des Erhebungszeitraums zuzurechnen waren (Wendt, Finanzrundschau (FR) 2004, 1404 f.).
Nach diesen Grundsätzen ist der Klägerin die beantragte Kürzung zu versagen. Das veräußerte Grundstück war ihr am 1.1.2005, dem Beginn des Erhebungszeitraums, nicht mehr zuzurechnen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
4. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1,2 FGO zugelassen.
a) Der BFH legt § 20 Abs. 1 Satz 2 GewStDV bisher entgegen seinem Wortlaut aus. Der Sachzusammenhang, in den diese Bestimmung gestellt sei, zeige auf, dass diese sich lediglich auf die pauschale Kürzung gemäß § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG beziehe, nicht aber auf die erweiterte Kürzung gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG. Die Orientierung auf den Beginn des Kalenderjahres sei durch die Anknüpfung der Pauschalkürzung an dem Einheitswert des dem Unternehmen gehörenden Grundbesitzes bedingt, der auf den 1. Januar eines Jahres festgestellt wird (vgl. §§ 21 Abs. 2, 22 Abs. 4, 23 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG)). Diese Orientierung erübrige sich indes, wenn die erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG beantragt werde; diese Kürzung trete dann an die Stelle der Kürzung nach Satz 1 der Vorschrift und unterfalle eigenen Grundsätzen (BFH-Urteil vom 15. März 2000 I R 17/99, BStBl II 2001, 251).
b) Der Senat verkennt nicht, dass die Klage nach ständiger BFH-Rechtsprechung schon deswegen abzuweisen wäre, weil das Tatbestandsmerkmal der Ausschließlichkeit gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG umfassend, also gleichermaßen in qualitativer, quantitativer und in zeitlicher Hinsicht verstanden wird (BFH-Urteil vom 14. April 2000 I B 104/99, BFH/NV 2000, 1497, 1498).
aa) Im Streitfall fand die Verwaltung und Nutzung des Kapitalvermögens nicht neben derjenigen des Grundbesitzes, sondern zeitlich danach statt. Die von der Klägerin während des Erhebungszeitraums entfaltete Haupttätigkeit bestand daher nicht durchgängig in der Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes. Es ist zwar nicht erforderlich, dass die Grundstücksverwaltung während des gesamten Erhebungszeitraums bestanden haben muss. Sie kann auch vorzeitig enden. Aber solange das Unternehmen während des Erhebungszeitraums überhaupt tätig ist, muss seine Haupttätigkeit in der schlichten Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes durchgängig bestehen, um begünstigt zu sein (BFH-Urteil vom 20. Januar 1982 I R 201/78, BStBl II 1982, 477). Das Grundstücksunternehmen kann die erweiterte Kürzung seines Gewerbeertrages gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG nur beanspruchen, wenn es während des gesamten Erhebungszeitraumes der begünstigten Tätigkeit nachgeht und daneben allenfalls die in § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG als unschädlich angeführten, jedoch nicht begünstigten Tätigkeiten ausübt (BFH-Urteil vom 11. August 2004 I R 89/03, BStBl II 2004, 1080).
In der Kommentarliteratur wird die Schädlichkeit selbst dann bejaht, wenn sich eine GmbH i.L. nach Veräußerung ihres einzigen und letzten Grundstücks auf die Verwaltung des hieraus erzielten Kapitalvermögens beschränkt und die Auskehrung (vorerst) nur wegen des Sperrjahres nach § 73 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) unterbleibt (Blümich/Gosch, GewStG, § 9 Rn. 76).
Dementsprechend sei eine ausschließlich grundstücksverwaltende Tätigkeit bei abweichendem Wirtschaftsjahr nur gegeben, wenn sie während des gesamten Gewinnermittlungszeitraums vorgelegen hat (Blümich/Gosch, GewStG, § 9 Rn. 76, Finanzgericht (FG) Saarland, Urteil vom 24. Oktober 1967 535/66, Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1968, 141).
bb) Diese Rechtsprechung hindert nach der Überzeugung des Senats die Zulassung der Revision nicht. Der Wortlaut des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG erfordert die oben zitierte Auslegung nicht. Soweit ersichtlich hat sich der BFH bei seiner Auslegung des Tatbestandsmerkmals „ausschließlich” bisher nicht ausdrücklich mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift auseinandergesetzt.
Der ursprüngliche Zweck der Vorschrift des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG bestand darin, Grundstücksunternehmen in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft, die also kraft ihrer Rechtsform gewerbesteuerpflichtig sind, § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG, hinsichtlich ihrer gewerbesteuerlichen Belastung den gewerbesteuerfreien Einzelpersonen oder Personenunternehmen gleichzustellen (vgl. BFH-Urteil vom 27. April 1977 I R 214/75, BStBl II 1977, 776, m.w.N.; Blümich/Gosch, GewStG, § 9 Rn. 45). Gewerbesteuerfreie Personenunternehmen sind jedoch mit den Gewinnen aus der Grundstücksveräußerung nicht mit Gewerbesteuer belastet. Diese Gleichstellung wird somit verfehlt, wenn der BFH verlangt, dass bis zum Ende des Erhebungszeitraums der begünstigten Tätigkeit nachgegangen wird. Soweit gewerbesteuerfreie Personenunternehmen ihr letztes Grundstück veräußern und danach den Veräußerungsgewinn verwalten, führt die (allein) vermögensverwaltende Tätigkeit (hinsichtlich des Kapitalvermögens) nicht zur Gewerbesteuerpflicht. Dies wäre aber bei einer GmbH nach der bisherigen BFH-Rechtsprechung entgegen dem o.g. Gesetzesweck der Fall.
Das Tatbestandsmerkmal der Ausschließlichkeit soll nach der Überzeugung des Senats lediglich verhindern, dass die Vergünstigung Kapitalgesellschaften gewährt wird, die neben der Grundstücksverwaltung gewerbesteuerpflichtigen Tätigkeiten nachgehen, welche bei einem Personenunternehmen ebenso zur Gewerbesteuerpflicht führen würden. Für eine Ausdehnung des Begriffs in zeitlicher Hinsicht, was eine Gewerbesteuerpflicht der gesamten Tätigkeit nach sich zöge, besteht kein Anlass. Soweit die Schädlichkeit selbst dann bejaht wird, wenn sich eine GmbH i.L. nach Veräußerung ihres letzten Grundstücks auf die Verwaltung des hieraus erzielten Kapitalvermögens beschränkt und die Auskehrung (vorerst) nur wegen des Sperrjahres nach § 73 Abs. 1 GmbHG unterbleibt, führt dies faktisch zu einer vollständigen Entwertung des Kürzungstatbestandes in diesen Fällen.