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  • 02.11.2010

    Finanzgericht Köln: Urteil vom 26.08.2008 – 1 K 4430/04

    1.) Die Berechnung der Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten (Ist-Besteuerung) steht in sinngemäßer Anwendung von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG auch Unternehmern offen, die von vornherein nicht zur Buchführung verpflichtet sind.

    2.) Zu den erforderlichen Ermessenserwägungen der Finanzverwaltung bei der Entscheidung über einen Antrag auf Gestattung der Ist-Besteuerung.


    für Recht erkannt:

    Tatbestand:

    Der Geschäftszweck der klagenden GbR ist die Vermietung eines Hotelkomplexes in F. Mit Schreiben vom 12. Oktober 2001 gestattete der Beklagte ihr für die Jahre 1997 und 1998 die Berechnung der Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten gem. § 20 Abs. 1 UStG (Ist-Besteuerung) und wies zugleich darauf hin, dass dies für 1999 nicht mehr gelten könne, da sie im Jahre 1998 die Umsatzgrenze des § 20 Abs. 1 Nr. 1 UStG überschritten habe. Die Klägerin meldete gleichwohl auch in den Jahren 1999 bis 2002 die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten an. Nach einer Betriebsprüfung erließ der Beklagte geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1999 und 2000, wobei er statt der erklärten Ist-Besteuerung die Soll-Besteuerung (nach vereinbarten Entgelten) durchführte. Ebenso verfuhr er mit Bescheid vom 07.11.2003 mit der Umsatzsteuer für 2001. Die Klägerin legte hiergegen Einspruch ein mit der Begründung, wenn nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 UStG schon buchführungspflichtigen, aber nach § 148 AO von dieser Pflicht befreiten Unternehmen die Ist-Besteuerung zugute kommen könne, so müsse dies für sie als von vornherein nichtbuch-führungspflichtigem Unternehmen erst recht gelten. Hilfsweise stellte sie den Antrag auf Erleichterung nach § 148 AO.

    Der Beklagte lehnte den Antrag nach § 148 AO ab und wies mit Einspruchsentscheidungen vom 19. Juli 2004 die Einsprüche der Klägerin gegen diese Ablehnung und gegen die Umsatzsteuerbescheide der Streitjahre 1999 bis 2001 in dem vorliegend streitigen Punkt der Soll-Besteuerung ab. Die Voraussetzungen der Gestattung nach § 20 Abs. 1 UStG seien nicht erfüllt. Eine Befreiung gem. § 148 sei nicht möglich, da die Klägerin von vornherein nicht buchführungspflichtig sei.

    Mit ihrer Klage vom 20. August 2004 hiergegen wiederholt und vertieft die Klägerin die Argumente des Einspruchsverfahrens. Der Sinn von § 20 Abs. 1 Nr. 2 UStG müsse auch ihr die Möglichkeit der Ist-Besteuerung eröffnen, zumal sie eine Befreiung von Aufzeichnungspflichten schon deshalb gar nicht benötige, weil sie bei ordnungsgemäßer Geschäftsführung ohnehin nicht auf die Aufzeichnung offener und beglichener Miet- und Pachtforderungen verzichten können.

    Die Klägerin beantragt,

    die Umsatzsteuerbescheide des Beklagten in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 19. Juli 2004 für die Jahre 1999 bis 2001 aufzuheben und den Beklagten anzuweisen, die Umsatzbesteuerung ab dem Jahre 1999 nach vereinnahmten Entgelten festzusetzen,

    hilfsweise den Bescheid vom 22.Juli.2003 wegen Bewilligung nach § 148 AO in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2004 aufzuheben und den Beklagten anzuweisen, die Bewilligung gem. § 148 AO zu erteilen und die Umsatzbesteuerung ab dem Jahre 1999 nach vereinnahmten Entgelten festzusetzen.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen,

    hilfsweise die Revision zuzulassen.

    Auch er wiederholt und vertieft die Argumente seiner Einspruchsentscheidungen. Auf Nachfrage des Gerichtes erklärt er zusätzlich: Wäre ein Ermessen gem. § 20 Abs. 1 UStG eröffnet, so würde auch das langjährige rechtswidrige Verhalten der Klägerin, nämlich entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten eigenmächtig Ist-Versteuerung zu erklären, einer Rechtfertigung durch nachträgliche Gestattung entgegenstehen.

    Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Umsatzsteuerakte des Beklagten verwiesen.

    Entscheidungsgründe:

    Die Klage ist im tenorierten Umfang begründet.

    Die angegriffenen Umsatzsteuerbescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 19. Juli 2004 sowie die darin mitgeregelte Ablehnung der Gestattung der Ist-Besteuerung nach § 20 Abs. 1 UStG sind insoweit rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, als sie nicht auf der gebotenen Ermessensausübung über die Gestattung der Ist-Besteuerung beruhen. Der Beklagte hat keine Ermessenserwägungen angestellt, weil er rechtsirrigerweise davon ausging, dass ihm ein Ermessen mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 UStG nicht eröffnet sei.

    I.

    1. Die Möglichkeit einer Gestattung der Ist-Besteuerung ist aufgrund sinngemäßer Anwendung von § 20 Abs. 1 Nr. 2 UStG als eröffnet anzusehen. Zwar sieht diese Vorschrift ihrem unmittelbaren Wortlaut nach diese Möglichkeit nur für den Unternehmer vor, „der von der Verpflichtung Bücher zu führen und aufgrund jährlicher Bestandsaufnahme regelmäßig Abschlüsse zu machen, nach § 148 der AO befreit ist”. Sinngemäß muss diese Vorschrift jedoch erst recht für den Unternehmer gelten, der – wie vorliegend die ausschließlich als Vermieterin tätige Klägerin – von vornherein nicht zur Buchführung verpflichtet ist. Der Senat sieht hier die Voraussetzungen einer teleologischen Extension, d.h., einer Anwendung der Vorschrift über ihren unmittelbaren Wortlaut hinaus für gegeben an, damit der Zweck der Vorschrift erreicht wird, der der Absicht des Gesetzgebers entspricht, jedoch bei strikter Anwendung des zu engen Wortlauts verfehlt würde.

    Flückiger in Plückebaum/Malitzky/Widmann: Umsatzsteuer (Loseblatt-Kommentar) führt zu diesem Problem aus, der Wortlaut von § 20 Abs.1 Nr. 2 UStG schließe nichtbuchführungspflichtige kleine Gewerbetreibende und Vermietungsunternehmer von der Ist-Besteuerung aus. Er fährt fort:

    „Es ist nicht einzusehen, warum z.B. große oder sogar größte gewerbliche Unternehmen bei einer bewilligten Buchführungserleichterung nach § 148 AO die Ist-Versteuerung anwenden können, der kleinere, nichtbuchführungspflichtige Gewerbetreibende aber in jedem Fall nach dem Soll versteuern und hierfür u.U. – ausschließlich für Umsatzsteuerzwecke erforderliche – Bücher führen muss…

    Dieser unbefriedigende Zustand besteht im Wesentlichen erst seit der Einführung der AO 1977: Bis zum 31. Dezember 1976 bestand Buchführungspflicht für alle Unternehmer schon bei einem Gesamtumsatz von mehr als – damals -250.000 DM (§ 161 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a RAO). Dieselbe Umsatzgrenze sah § 20 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967 für die Anwendung der Istversteuerung vor, so dass die nichtbuchführungspflichtigen Unternehmer in jedem Fall die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten nach dieser Vorschrift beanspruchen konnten. Überschritten die Umsätze die – damals geltende – Grenze von 250.000 DM, so wurde der Unternehmer buchführungspflichtig und konnte die Istversteuerung unter den Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 2 UStG beantragen.

    Seit dem 1. Januar 1977 gilt § 141 Abs. 1 Nr. 1 AO, wonach Buchführungspflicht für gewerbliche Unternehmer und Forstwirte erst bei Umsätzen je Betrieb von mehr als 360.000 DM (jetzt 350.000 Euro) eintritt, während § 20 Abs. 1 Nr. 1 UStG weiterhin die (Umsatz-) Grenze bei 250.000 Euro (bis 30. Juni 2006: 125.000 Euro) zieht. Durch die seinerzeit erfolgte Beschränkung der Buchführungspflicht auf gewerbliche Unternehmer und Land- und Forstwirte unter gleichzeitiger Anhebung der umsatzabhängigen Buchführungsgrenze in § 141 Abs. 1 AO ist eine „Grauzone” entstanden, in der Unternehmer generell von der Möglichkeit der Istversteuerung ausgeschlossen sind. Dies liegt m.E. nicht im Sinne des Gesetzes.

    Aus der Entstehungsgeschichte des § 20 UStG ergibt sich, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit der Istversteuerung insbesondere den nichtbuchführungspflichtigen Unternehmern und den freien Berufen eröffnen wollte. Dieser Zielsetzung trug § 20 UStG nur bis zur Einführung der AO 1977 Rechnung. M.E. hat es der Gesetzgeber versäumt, die Voraussetzungen der Istversteuerung an die mit der AO 1977 eingetretenen abgaberechtlichen Änderungen anzupassen.”

    A.a.O. § 20 Rn. 85, siehe ebenso Vogel/Schwarz (Bülow) Umsatzsteuer (Loseblatt-Kommentar) § 20 Rn. 28.

    Dieser Darstellung schließt sich der Senat an.

    Allerdings hält Flückiger a.a.O. für zweifelhaft, ob § 20 Abs. 1 Nr. 2 UStG über den eindeutigen Wortlaut hinaus auch nichtbuchführungspflichtigen Unternehmern zugute kommen kann. Dem folgend stellt die überwiegende Kommentarmehrheit auf den Wortlaut der Vorschrift ab und hält eine Begünstigung des von vornherein nichtbuchführungspflichtigen Unternehmer erst nach einer Gesetzesänderung für möglich.

    Siehe Vogel/Schwarz a.a.O., Offerhaus/Söhn/Lange (Devermann) Umsatzsteuer (Loseblatt-Kommentar) § 20 Rn. 53, Peter/Burhoff (Stöcker) Umsatzsteuer (Loseblatt-Kommentar) § 20 Rn. 20, ebenso Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 05.05.1994 V 249/93 und des Finanzgerichts Nürnberg vom 22.05.2007 II 264/2004.

    Demgegenüber hält der Senat eine sinngemäße Anwendung von § 20 Abs. 1 Nr. 2 UStG zugunsten auch der von vornherein nichtbuchführungspflichtigen Unternehmer im Wege der teleologischen Extension für geboten. Durch die Einschränkung der Buchführungspflicht mit Einführung der AO 1977 ist im Bereich des § 20 Abs. 1 Nr. 2 UStG eine Regelungslücke entstanden. Der ursprünglichen Absicht des Gesetzgebers, nichtbuchführungspflichtigen Unternehmen generell (sei es den Kleinunternehmen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 UStG, sei es den nach AO befreiten Unternehmen) die Möglichkeit der Ist-Versteuerung zu eröffnen, wird durch die Einschränkung der Buchführungspflicht einerseits und die Beibehaltung des Wortlauts von § 20 Abs. 1 UStG andererseits nicht mehr Rechnung getragen. Dies beruht nicht darauf, dass der Gesetzgeber diese Absicht aufgegeben hätte. Es ist nämlich kein vernünftiger Grund ersichtlich und wäre auch mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Grundgesetz nicht vereinbar, dem kleinen Gewerbetreibenden und dem Vermietungsunternehmer eine Möglichkeit zu versagen, die den grundsätzlich buchführungspflichtigen, aber aus Billigkeitsgründen befreiten Unternehmern eröffnet ist. Vielmehr muss zu Gunsten der von vornherein nichtbuchführungspflichtigen Unternehmen die Begünstigung ihrem Sinn nach (nämlich Erleichterung zu ermöglichen) erst recht eröffnet sein. Es greift hier das argumentum a maiore ad minus.

    Die durch ein gesetzestechnisches Versäumnis entstandene „planwidrige” und der Grundabsicht des Gesetzgebers zuwiderlaufende Lücke kann sinnvoll und der Intention des Gesetzgebers Rechnung tragend nur dadurch geschlossen werden, das § 20 Abs. 1 Nr. 2 UStG über seinen unmittelbaren Wortlaut hinaus auch zugunsten der von vornherein nicht buchführungspflichtigen Unternehmen angewandt wird.

    II.

    2. Das somit dem Beklagten eröffnete Ermessen, der Klägerin die Ist-Besteuerung zu gestatten, ist bisher nicht ausgeübt worden. Dies führt zur Aufhebung der von dieser Ermessensausübung abhängenden Bescheide und zur Verpflichtung zur Neubescheidung. Der Beklagte wird die Ermessensausübung nachzuholen haben. Denn eine Ermessensbindung (Reduktion des Ermessens auf Null) ist weder zulasten noch zugunsten der Klägerin festzustellen. Insbesondere rechtfertigt die vom Beklagten vorgetragene Überlegung, die Klägerin „verdiene” wegen ihres eigenmächtigen Vorgehens die Erleichterung nicht, die Ablehnung der Gestattung nicht. Eine gewissermaßen „strafweise” Ablehnung der Gestattung entspricht nicht dem Sinn der Vorschrift. Vielmehr enthält diese keine zeitliche Einschränkung für den Antrag auf Gestattung, der somit auch noch nach Ablauf der betroffenen Zeiträume, in der Regel bis zur Bestandskraft der betroffenen Bescheide gestellt werden kann, wobei es nicht darauf ankommt, ob dies ausdrücklich oder konkludent geschieht.

    Andererseits ist der Beklagte aber – nach dem derzeitigen Erkenntnisstand – auch nicht zugunsten der Klägerin gebunden. Zwar wird es regelmäßig Sinn und Zweck des § 20 Abs. 1 UStG entsprechen, dem Antrag eines antragsberechtigten Unternehmens stattzugeben, um ihm die vom Gesetzgeber zugesprochene Erleichterungsmöglichkeit zu eröffnen.

    Siehe Offerhaus etc. a.a.O. § 20 Rn. 109, Vogel/Schwarz a.a.O. § 20 Rn. 34, Peter/Burhoff a.a.O.

    In Ausnahmefällen kann eine Versagung aber insbesondere dann ermessensgerecht sein, wenn im Einzelfall erhebliche Erleichterungen von Aufzeichnungs- und Buchführungspflichten nicht in Betracht kommen oder nicht zu erwarten sind. Nur solche Erleichterungen, nicht aber der bloße Finanzierungsvorteil liegen im Zweckbereich des § 20 Abs. 1 UStG. Vorliegend kommt ein solcher Ausnahmefall in Betracht, da die Klägerin selbst vorgetragen hat, einer Aufzeichnungs- oder Buchführungserleichterung gar nicht zu bedürfen, da sie ohnedies sowohl ihre Miet forderungen als auch die Eingänge jederzeit nachhalten müsse. Es steht für das Gericht nicht fest, ob dies nach der besonderen Gestaltung des Falls tatsächlich eine wesentliche Erleichterung i.S.d. § 20 Abs. 1 UStG ausschließt oder ob sie, wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung noch nachgetragen hat, angesichts der Vielzahl ihrer Mietparteien doch in Betracht kommt. Der Beklagte wird dies bei der nachzuholenden Ermessensausübung zu prüfen und in seiner Abwägung unter Beachtung dessen einzubringen haben, dass die Ablehnung eines Antrags nach § 20 Abs. 1 UStG, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, eine Ausnahme bleiben soll.

    Die Kosten des Verfahrens sind gemäß § 136 Abs.1 FGO zu teilen, da das Gericht statt der begehrten Verpflichtung zur Gestattung und der endgültigen Korrektur der Steuerbescheide lediglich eine Verpflichtung zur ermessensgerechten Neubescheidung hat aussprechen können.

    Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.

    VorschriftenAO § 5, UStG § 20 Abs 1 Satz 1 Nr 2