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  • 02.11.2010

    Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 15.10.2008 – 8 K 1495/07

    Eine Untätigkeitsklage ist unzulässig, wenn das FA als Grund für das Hinauszögern der Sachentscheidung dem Steuerpflichtigen mitteilt, dass es die Entscheidung in einem finanzgerichtlichen Musterverfahren abwarten will (hier: nicht rechtskräftig entschiedene Klage des Steuerpflichtigen gegen dasselbe FA dieselbe Streitfrage betreffend).


    Im Namen des Volkes

    URTEIL

    In dem Finanzrechtsstreit

    hat der 8. Senat unter Mitwirkung von Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … ehrenamtliche Richterin … ehrenamtlicher Richter … aufgrund mündlicher Verhandlung vom 15.10.2008

    für Recht erkannt:

    1. Die Klage wird abgewiesen.

    2. Der Klägerin werden die Kosten des Verfahrens auferlegt.

    3. Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand

    Streitig ist, ob eine Untätigkeitsklage der Klägerin gegen Umsatzsteuerbescheide des Finanzamts L.B) zulässig ist.

    Das Finanzamt L.B) erließ am 5.12.2006 Umsatzsteuerjahresbescheide für 2004 und 2005 sowie am 6.12.2006 einen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid für das 1. Kalendervierteljahr 2006. Die Klägerin legte am 7. und 8.12.2006 Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung. Aussetzung der Vollziehung wurde nach Einleitung eines Gerichtsverfahrens gewährt.

    Die Klägerin hat den Beklagten mit Schriftsatz v. 2.7.2007 aufgefordert, bis spätestens 20.7.2007 über den Einspruch zu entscheiden. Der Beklagte verwies auf beim Sächsischen Finanzgericht anhängige Parallelverfahren, eine einheitliche Entscheidung würde angestrebt. Es müsse der Oberfinanzdirektion Bericht erstattet werden. Darauf erwiderte die Klägerin mit Schriftsatz v. 12.7.2007, der nachrichtlich auch an die Oberfinanzdirektion ging, dass nach fruchtlosem Ablauf der Frist bis zum 20.7.2007 Untätigkeitsklage erhoben würde.

    Über den Einspruch wurde bislang nicht entschieden.

    Die Klägerin erhob am 31.7.2007 Untätigkeitsklage. Sie ist der Meinung, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 46 Abs. 1 FGO erfüllt sind. Die Frist von sechs Monaten nach Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfes (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FGO) sei bei Klageerhebung abgelaufen gewesen. Der Beklagte habe ohne zureichenden Grund nicht in angemessener Frist über den Einspruch entschieden. Er habe in einem Schriftsatz v. 18.5.2007 an das Sächsische Finanzgericht eingeräumt, nicht nachweisen zu können, dass Ware, welche als innergemeinschaftlich ausgeliefert deklariert worden sei, tatsächlich vorher nach Deutschland gelangt sei. Der Beklagte hätte deshalb nicht nur die Aussetzung der Vollziehung verfügen, sondern die angefochtenen Bescheide aufheben können. Stattdessen habe der Beklagte die unzutreffende Auffassung vertreten, die Klägerin müsse darlegen, dass die Ware nicht nach Deutschland gelangt sei.

    Entgegen der Auffassung des Beklagten sei die Erhebung der Untätigkeitsklage nicht rechtsmissbräuchlich. Die Klägerin nehme ihr Grundrecht wahr, den Rechtsweg zu beschreiten. Der Sachverhalt sei geklärt. Sie habe keine Mitwirkungspflichten verletzt. Es gebe keine vorgreiflichen Verfahren. Eine Berichtspflicht gegenüber der Oberfinanzdirektion rechtfertige die Überschreitung einer Bearbeitungszeit von sechs Monaten nicht. Der Beklagte habe ausreichend Zeit gehabt, sich mit der Oberfinanzdirektion abzustimmen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin habe am 11.7.2007 bei der Umsatzsteuerreferentin der Oberfinanzdirektion telefonisch nachgefragt, in welcher Zeit mit einer Entscheidung zu rechnen sei. Sie habe erklärt, dass der Beklagte bis Ende Juli zu berichten habe, dass der Bericht sodann in der Oberfinanzdirektion geprüft würde und in einem weiteren Schritt eine Abstimmung mit dem Sächsischen Staatsministerium zu erfolgen habe. Einen konkreten Zeitpunkt für den Abschluss der Abstimmung habe die Umsatzsteuerreferentin nicht nennen können.

    Die Untätigkeitsklage sei begründet, da unzutreffend steuerpflichtige innergemeinschaftliche Lieferungen angenommen würden.

    In der mündlichen Verhandlung v. 15.10.2008 nahm die Klägerin die Untätigkeitsklage zum Umsatzsteuerbescheid 2004 zurück. Der Beklagte nahm seinen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid für das 1. Kalendervierteljahr 2006 zurück. Insoweit erklärten die Beteiligten die Hauptsache übereinstimmend für erledigt.

    Danach beantragt die Klägerin,

    den Bescheid über Umsatzsteuer 2005 v. 5.12.2006 aufzuheben.

    Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

    Der Beklagte hält die Untätigkeitsklage für unzulässig.

    Die Klage sei rechtsmissbräuchlich erhoben worden. Die Entscheidung über den Einspruch habe die Klägerin durch ein Zuwarten in überschaubarer Zeit erreichen können. Die Klägerin habe bei der Aufklärung entscheidungserheblicher Tatsachen nicht mitgewirkt. Sie habe in Steuererklärungen innergemeinschaftliche Lieferungen aus Deutschland behauptet und erst später einen ganz anderen Sachverhalt dargestellt, ohne Aufklärung zu geben, aus welchem Grund Ausgangsrechnungen und Lieferpapiere einen in Deutschland steuerbaren Umsatz indizierten. Da die Klägerin ihre Mitwirkungspflicht verletzt habe, liege ein zureichender Grund für eine längere Bearbeitung des Rechtsbehelfs vor. Es sei zudem das finanzgerichtliche Parallelverfahren 8 K 2097/06 vorgreiflich. Der Bundesfinanzhof habe das Abwarten einer Entscheidung in einem Musterverfahren als zureichenden Grund für die Nichtbescheidung eines Einspruchs angesehen. Der Beklagte habe das Kostenrisiko erwogen und keine voreiligen Entscheidungen treffen wollen.

    Auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Akten des Beklagten wird verwiesen.

    Entscheidungsgründe

    Die Untätigkeitsklage ist unzulässig. Die Klägerin hat aus zureichendem Grund über den Einspruch der Klägerin nicht entschieden und diesen Grund mitgeteilt, so dass die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Klage nach § 46 Abs.1 Satz 1 FGO nicht vorliegen.

    Ein zureichender Grund im Sinne des § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO liegt vor, wenn die Entscheidung in einem finanzgerichtlichen „Musterverfahren” abgewartet werden soll (BFH v. 31.8.2006, II B 141/05, BFH/NV 2006, 2296). Ein solches „Musterverfahren” ist dadurch gekennzeichnet, dass dort dieselbe Streitfrage entscheidungserheblich ist wie in dem Verfahren, in dem die Entscheidung über den Einspruch zurückgestellt wird (BFH a.a.O.). Nach diesem Maßstab ist das Verfahren 8 K 2097/06, das die Klägerin gegen denselben Beklagten vor dem Sächsischen Finanzgericht geführt hat und noch nicht rechtskräftig entschieden ist, ein solches „Musterverfahren”. Müsste hier in der Sache entschieden werden, wären dieselben tatsächlichen und rechtlichen Fragen zu beantworten, die Gegenstand des Verfahrens 8 K 2097/06 sind.

    Der zureichende Grund für das Hinauszögern der Sachentscheidung ist dem Bevollmächtigten der Klägerin am 10.7.2007 auch mitgeteilt worden. Im Eingang dieses Schreibens wird einerseits auf das Verfahren 8 K 2097/06, andererseits auf verschiedene Einspruchsverfahren für nachfolgende Zeiträume Bezug genommen. Sodann wird ausgeführt, dass in den noch offenen Verfahren vor dem Finanzgericht und vor der Finanzbehörde eine einheitliche Entscheidung angestrebt würde.

    Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs.1, 138 Abs.1 FGO. Die übereinstimmende Erledigungserklärung nach Rücknahme eines von mehreren angefochtenen Bescheiden lässt die Pflicht der Klägerin, die Kosten im vollem Umfang zu tragen, unberührt, da die Klägerin eine unzulässige Klage erhoben hat.

    Die Revision ist zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

    VorschriftenFGO § 46 Abs. 1