08.01.2010
Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 26.03.2003 – 13 K 5675/01 E
1. Die Ersetzung der bis 1998 geltenden Halbierung des Steuersatzes auf Veräußerungsgewinne durch die Fünftelregelung mit dem Inkrafttreten des StEntlG 1999/2000/2002 überschreitet auch in Ansehung der tatbestandlichen Rückanknüpfung an den in früheren Veranlagungszeiträumen erwirtschafteten Geschäfts- oder Praxiswert nicht den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers (Anschluss an BFH-Beschlüsse vom 27.08.2002 XI B 94/02, BStBl II 2003, 18, und vom 21.01.2003 XB 106/02).
2. Die Wiedereinführung der bisherigen Steuervergünstigung ab dem Veranlagungszeitraum 2001 unter Ausgestaltung als Sozialzwecknorm zur Sicherung der Altersvorsorge und als Folge des Halbeinkünfteverfahrens kann nicht als willkürlich angesehen werden.
3. Auch bei Zwangsveräußerung einer Arztpraxis zum 31.12.1999 infolge der Befristung der kassenärztlichen Zulassung schafft die zu diesem Zeitpunkt gänzlich ungewisse Erwartung einer späteren Rückänderung der Rechtslage zugunsten des Steuerpflichtigen keine verfassungsrechtlich geschützte Vertrauensposition.
Die Einkommensteuerfestsetzung für 1999 wird dahingehend geändert, daß der laufende Gewinn der Klägerin aus selbständiger Arbeit um 1.403 DM gemindert und dementsprechend die Steuer herabgesetzt wird. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Kläger sind für das Streitjahr 1999 durch Bescheid vom 12.4.2001 zur Einkommensteuer zusammenveranlagte Eheleute. Streitig ist die Besteuerung des durch die Veräußerung der Arztpraxis der Klägerin erzielten Veräußerungsgewinnes.
Die Klägerin war als Kinderärztin tätig. Aus Altersgründen, sie war im Streitjahr 67 Jahre alt, veräußerte sie ihre Praxis im sogenannten Nachbesetzungsverfahren nach § 103 Abs. 4 Sozialgesetzbuch V mit Wirkung zum 31.12.1999. Durch das Gesundheitsstrukturgesetz vom 21.12.1992 war sie gehalten, ihre kassenärztliche Zulassung spätestens bis zur Vollendung des 68. Lebensjahres zu beenden. Den erzielten Veräußerungsgewinn von 293.228 DM kürzte der Beklagte gem. § 16 Abs. 4 Einkommensteuergesetz -EStG- um 60.000 DM und führte ihn im übrigen der Besteuerung nach dem tariflichen Steuersatz zu.
Der dagegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg. Daraufhin haben die Kläger am 8.10.2001 Klage erhoben.
Im Klageverfahren wird zusätzlich geltend gemacht, dass der laufende Gewinn aus der Arztpraxis aufgrund der Ergebnisse einer zwischenzeitlich durchgeführten steuerlichen Betriebsprüfung um 1.403 DM zu mindern sei. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit mehr.
Die Kläger tragen vor,
es sei verfassungsrechtlich zu beanstanden, dass der für eine ermäßigte Besteuerung von Veräußerungsgewinnen mit dem halben tariflichen Steuersatz bis zum Veranlagungszeitraum 1998 geltende § 34 EStG durch das Steuerbereinigungsgesetz 1999 vom 24.3.1999 (BGBl. I S. 402) ohne eine Übergangsregelung und ohne die Berücksichtigung eines Bestandsschutzes unter Abschaffung der begünstigten Besteuerung mit dem halben Steuersatz geändert worden sei. Die Tatsache, dass die Vorschrift des § 34 EStG bereits durch das Steuersenkungsergänzungsgesetz vom 19.12.2000 (BGBl. I 1812) erneut geändert und damit der hälftige Steuersatz für Veräußerungsgewinne wieder eingeführt worden sei, belege, dass das gesetzgeberische Handeln von Willkür bestimmt sei.
Von besonderer Bedeutung sei, dass die Klägerin den Veräußerungszeitpunkt nicht habe frei bestimmen können, sondern mit Vollendung des 68. Lebensjahres gezwungen gewesen sei, ihre Tätigkeit aufzugeben. Sie habe auch vorher nicht kurzfristig auf die Gesetzesänderung reagieren können, da das Nachbesetzungsverfahren wenigstens ein Jahr Zeit in Anspruch nehme.
Die Kläger beantragen,
1. die Einkommensteuerfestsetzung 1999 dahingehend zu ändern, dass der Veräußerungsgewinn i.H.v. 293.228 DM abzüglich des Freibetrages von 60.000 DM mit dem halben Steuersatz (§ 34 EStG a.F.) versteuert wird und der laufende Gewinn um 1.403 DM gemindert wird.
2. die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides vom 12.4.2001 soweit die Vollziehung bereits erfolgt ist, im Umfange des Antrages zu 1. aufzuheben.
3. die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Meinung,
weder Vertrauenstatbestände noch der Gleichheitsgrundsatz seien verletzt. Die Klägerin habe nicht erwarten können, dass ein Gesetz unverändert über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, Bestand habe.
Gründe
II.
Die Klage ist nur zum Teil begründet.
Soweit die Aufhebung der Vollziehung beantragt wird, handelt es sich um ein außerhalb des Klageverfahren gesondert zu entscheidendes Antragsverfahren.
Die Klage ist begründet, soweit eine Minderung des laufenden Gewinnes aus der Arztpraxis im Streitjahr i.H.v. 1.403 DM begehrt wird. Diesbezüglich besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit mehr.
Im übrigen ist die Klage unbegründet. Denn der Beklagte hat zu Recht den Veräußerungsgewinn der Klägerin der Besteuerung nach § 34 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 vom 24.3.1999 unterworfen.
Eine Ermäßigung der auf den Veräußerungsgewinn entfallenden Steuer auf die Hälfte des durchschnittlichen Steuersatzes nach näherer Maßgabe des § 34 Abs. 1 EStG in der bis zum Veranlagungszeitraum 1998 geltenden Fassung kam nicht in Betracht. Insbesondere war die geänderte Vorschrift des § 34 EStG nicht verfassungswidrig, so dass die nach Auffassung der Kläger sich ergebende Folge der Fortwirkung des § 34 EStG in seiner ursprünglichen Fassung nicht eintreten konnte.
Der erkennende Senat schließt sich der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -BFH- (Beschluss vom 21.1.2003 X B 106/02, amtlich nicht veröffentlicht, und Beschluss vom 27.8.2002 XI B 94/02, Bundessteuerblatt II 2003, 18).
Danach verstößt die für die Veranlagungszeiträume 1999 und 2000 geltende Regelung des § 34 EStG nicht gegen Art. 3 i.V.m. Art. 20 des Grundgesetzes -GG-:
1. Die Reduzierung der bis 1998 geltenden steuertariflichen Begünstigung von Veräußerungsgewinnen hat nicht den dem Gesetzgeber einzuräumenden Gestaltungsspielraum überschritten. Dem Gesetzgeber muß es möglich sein, zu reagieren, wenn ein ursprünglich mit einer Steuervergünstigung verfolgter Zweck wegfällt oder ein seit dem In-Kraft-Treten des Gesetzes eingetretener Missstand aus Gründen der verfassungsrechtlich gebotenen steuerlichen Belastungsgleichheit beseitigt werden soll. Die tarifbegünstigte Besteuerung nach § 34 EStG a.F., die ausschließlich der Progressionsglättung bei zusammengeballtem Zufluss von Einkünften dienen sollte, die typischerweise über mehrere Veranlagungszeiträume erzielt oder erwirtschaftet werden, hatte zu unberechtigten Steuervorteilen bei solchen Steuerpflichtigen geführt, die auf Grund ihrer „regulären” hohen Einkommen dem höchsten Steuersatz unterlagen, bei denen die hohe Steuerprogression also nicht durch den zusammengeballten Zufluss von außerordentlichen Einkünften veranlasst war. Dem Gesetzgeber war ein Gestaltungsspielraum einzuräumen, um dieser aus der Sicht der Steuergerechtigkeit als misslich empfundenen Rechtslage durch eine Gesetzesänderung alsbald abzuhelfen. Demgegenüber hat ein Vertrauen des Steuerpflichtigen in die Fortgeltung des § 34 EStG a.F. zurückzutreten.
2. Die Klägerin wurde auch nicht nachträglich einer höheren steuerlichen Belastung unterworfen. Der zu besteuernde Gewinn aus der Veräußerung der Praxis entstand in dem Zeitpunkt, in dem das rechtliche oder zumindest das wirtschaftliche Eigentum an der Praxis überging, im Falle der Klägerin am 31.12.1999 und damit in dem Geltungszeitraum des geänderten § 34 EStG. Die der geänderten Besteuerung innewohnende tatbestandliche Rückanknüpfung (sog. unechte Rückwirkung) an den in früheren Veranlagungszeiträumen erwirtschafteten Praxiswert ist durch den vorgenannten Gesetzeszweck hinreichend gerechtfertigt.
3. Gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 34 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 spricht im Streitfall auch nicht, dass der Gesetzgeber den ermäßigten Steuersatz auf Veräußerungsgewinne unter geänderten Voraussetzungen und unter Ausgestaltung als Sozialzwecknorm zur Sicherung einer Altersvorsorge ab dem Veranlagungszeitraum 2001 wieder eingeführt hat. Das gesetzgeberische Verhalten kann im Hinblick auf den geänderten Regelungszweck und unter Berücksichtigung der Neuregelung auch als Folge der Einführung des sog. Halbeinkünfteverfahrens nicht als willkürlich angesehen werden.
An der Beurteilung ändert auch nicht, dass die Klägerin spätestens im Streitjahr nach dem Gesundheitsstrukturgesetz vom 21.12.1992 gezwungen war, ihre kassenärztliche Zulassung abzugeben. Der Senat vermag keinen grundlegenden Unterschied zu den o.g. BFH-Entscheidungen, denen jeweils der Tatbestand der Veräußerung eines Anteils an einer GmbH zugrundelag, zu sehen. Denn der Klägerin stand es bis dahin frei, die Zulassung auch zu einem früheren Zeitpunkt abzugeben und nicht bis zum letztmöglichen Zeitpunkt zuzuwarten. Anders als dem Gesellschafter einer GmbH war es ihr lediglich nicht möglich, die Veräußerung auf einen späteren Zeitpunkt aufzuschieben und darauf zu spekulieren, dass sich irgendwann einmal wieder die Rechtslage zu ihren Gunsten ändern werde. Allein diese der Klägerin fehlende, aus Sicht des Jahres 1999 völlig ungewisse, Ausweichmöglichkeit lässt keine verfassungsrechtlich geschützte Rechtsposition erwachsen. Vielmehr wurde auch im Falle der Klägerin allein die Erwartung der Fortgeltung des bis dahin bestehenden Rechts enttäuscht.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen. Die zu entscheidende Rechtsfrage war, soweit ersichtlich, noch nicht Gegenstand einer Entscheidung des BFH in einem Hauptsacheverfahren. Die streitige Regelung des § 34 EStG wurde zwar mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2001 wieder geändert, dürfte aber noch aktuelle Bedeutung über den hier zu entscheidenden Fall hinaus haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 Finanzgerichtsordnung.