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  • 28.11.2002 · IWW-Abrufnummer 021697

    Bundesfinanzhof: Urteil vom 09.10.2002 – VI R 112/99

    Die Anzeige des Arbeitgebers nach § 38 Abs. 4 Satz 2 EStG ersetzt die Erfüllung der Einbehaltungspflichten. Bei unterlassener Anzeige hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer mit den Haftungsfolgen (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG) nicht ordnungsgemäß einbehalten.


    Gründe:

    Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH i.L., betrieb bis zu ihrer Liquidation im Januar 1998 einen Großhandel mit Möbeln. Sie hatte dem Gründungsgesellschafter und früheren Geschäftsführer K im Jahre 1982 eine Versorgungszusage gewährt und zu deren Absicherung eine Rückdeckungsversicherung abgeschlossen. In den Jahren 1990 und 1991 wurden die Geschäftsanteile an der Klägerin von der Firma S-AG übernommen. K wurde 1992 als Geschäftsführer abberufen und aus den Diensten der Klägerin entlassen.

    Nachdem sich K von seiner Ehefrau getrennt und mit unbekanntem Aufenthalt ins Ausland abgesetzt hatte, schlossen er, vertreten durch einen inländischen Bevollmächtigten, die Klägerin, vertreten durch den damaligen Geschäftsführer und späteren Liquidator, und Frau K im Januar 1993 eine Vereinbarung, wonach K auf seine Rechte aus der Versorgungszusage verzichtete und im Gegenzug die Klägerin ihre sämtlichen Rechte aus der Rückdeckungsversicherung an Frau K abtrat. Die Versicherungsgesellschaft zahlte daraufhin das angesammelte Kapital in Höhe von 173 464 DM an Frau K aus.

    Nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung im Jahre 1997 ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) davon aus, dass in der Abtretung des Anspruchs auf das in der Rückdeckungsversicherung angesammelte Kapital an Frau K eine Lohnzahlung an K zu sehen sei, die dem Lohnsteuerabzug unterlegen habe. Demgemäß nahm das FA die Klägerin durch Haftungsbescheid vom 12. November 1997 auf Zahlung von Lohnsteuer in Höhe von 65 908 DM in Anspruch.

    Der gegen den Haftungsbescheid eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg. Das FA führte in seiner Einspruchsentscheidung im Wesentlichen aus: Die Abtretung der Rechte aus der Rückdeckungsversicherung an Frau K sei eine Zuwendung aus dem früheren Dienstverhältnis an K und damit eine dem Lohnsteuerabzug unterliegende Lohnzahlung. Der Umstand, dass nicht ein Barbetrag ausgezahlt, sondern Frau K ein Verfügungsrecht an der gekündigten Rückdeckungsversicherung eingeräumt worden sei, sei kein Grund gewesen, von der Einbehaltung der Lohnsteuer abzusehen. Der unter Bezugnahme auf § 38 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erhobene Einwand der Klägerin, K habe ihr die abzuführende Lohnsteuer nicht zur Verfügung gestellt, sei unerheblich. Die Klägerin hätte dafür sorgen müssen und können, dass ein Teil des Rückdeckungskapitals zur Begleichung der Lohnsteuerabzugspflicht verwendet wurde, da für die Kündigung der Rückdeckungsversicherung ihre Zustimmung erforderlich gewesen sei. Sie habe somit befinden können, ob und in welcher Höhe Arbeitslohn habe fließen sollen. Die Inanspruchnahme der Klägerin sei ermessensgerecht, da das FA gar nicht in der Lage gewesen sei, K als den Steuerschuldner in Anspruch zu nehmen.

    Das Finanzgericht (FG) hat die Klage, mit der die Klägerin die Aufhebung des Haftungsbescheides begehrt, unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung (§ 105 Abs. 5 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) abgewiesen und ergänzend ausgeführt: Zwar liege im Streitfall eine Lohnzahlung durch einen Dritten, nämlich die Versicherungsgesellschaft, an eine vom Arbeitnehmer benannte Empfangsperson vor. Die Versicherungsgesellschaft habe ihre eigene Verpflichtung gegenüber Frau K und nicht auch eine Verpflichtung der Klägerin gegenüber erfüllt. Denn die Klägerin sei ihrer Verpflichtung gegenüber dem Arbeitnehmer K bereits durch die Abtretung der Ansprüche aus dem Rückdeckungsvertrag an Frau K nachgekommen. Die Abtretung der Rechte aus der Pensionszusage sei ein dem Lohnsteuerabzug unterliegender Lohnzufluss. Die Klägerin habe selbst die Ursache für die Zahlung durch die Versicherungsgesellschaft an K bzw. an die von ihm benannte Ersatzperson Frau K gesetzt, indem sie ihren kapitalisierten Anspruch aus der Rückdeckungsversicherung in vollem Umfang an Frau K abgetreten habe. Infolgedessen sei sie nicht mehr in der Lage gewesen, Lohnsteuer einzubehalten. Dies hätte durch eine Teilabtretung in Höhe der Netto-Abfindung vermieden werden können. Im Übrigen scheitere eine Haftungsfreistellung der Klägerin nach § 38 Abs. 4 EStG daran, dass die Klägerin die Anzeige fehlender Barmittel gegenüber dem FA unterlassen habe.

    Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Sie habe bei der Abtretung der Ansprüche aus der Rückdeckungsversicherung an Frau K nicht über Bargeld verfügt. Sie sei daher nicht in der Lage gewesen, aus dem Substrat des Abtretungsvorgangs für einen Lohnsteuerabzug Barmittel zu entnehmen. Sie sei steuerrechtlich nicht verpflichtet gewesen, nur einen Teil des Anspruchs aus der Rückdeckungsversicherung an Frau K abzutreten, um dadurch Mittel für einen Lohnsteuerabzug zu erlangen. Im Übrigen seien die Ansprüche des K gegen die Versicherungsgesellschaft bereits früher an Frau K verpfändet worden, so dass deren Pfandrecht dem Rückbehalt eines Teils der Forderung und dessen Verwendung für einen Lohnsteuerabzug entgegengestanden habe. Schließlich sei die Haftungsinanspruchnahme auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil der Arbeitgeber nach § 38 Abs. 4 Satz 1 EStG verpflichtet sei, bei fehlenden Barmitteln "einen entsprechenden Teil der anderen Bezüge des Arbeitnehmers zurückzubehalten". Erst durch die Abtretung der Ansprüche an Frau K sei die Lohnsteuerabzugspflicht ausgelöst worden. Sei aber die Abtretung der Forderung Voraussetzung für das Entstehen der Lohnsteuerabzugspflicht, so könne sich eine Rückhalteverpflichtung schon denkgesetzlich nicht gleichzeitig auf die abgetretene Forderung beziehen. Unzutreffend sei auch die Auffassung der Vorinstanz, die Haftung sei deshalb begründet, weil sie, die Klägerin, eine Anzeige nach § 38 Abs. 4 EStG versäumt habe. Da sich K mit unbekanntem Aufenthalt ins Ausland abgesetzt habe, hätte das FA auch im Falle einer Anzeige nach § 38 Abs. 4 EStG den fälligen Lohnsteueranspruch nicht realisieren können. Daher sei die unterbliebene Anzeige nicht kausal für einen Steuerausfall und damit die Haftungsinanspruchnahme ermessensfehlerhaft.

    Das FA tritt der Revision mit den Gründen der Vorentscheidung entgegen.

    Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin ist rechtsfehlerfrei durch den angefochtenen Haftungsbescheid in Anspruch genommen worden.

    1. Die Abtretung der Rechte aus der aufgelösten Rückdeckungsversicherung an Frau K beinhaltet eine Lohnzuwendung an K in Höhe des Wertes der Rückdeckungsversicherung (173 464 DM).

    Die Versorgungszusage, der Abschluss der Rückdeckungsversicherung und die Zahlung der Versicherungsprämien in den früheren Jahren bedeuteten noch keinen Lohnzufluss an K. Dieser hatte keine eigenen Ansprüche gegen die Versicherungsgesellschaft erlangt. Die Rückdeckungsversicherung diente der Klägerin lediglich zur Sicherung und Kapitalansammlung für die späteren Versorgungsleistungen, die im Falle ihrer Auszahlung zu späteren Lohnzuflüssen geführt hätten. Daran ändert die Verpfändung der Ansprüche aus der Rückdeckungsversicherung an Frau K nichts. Auch hierin lag noch kein Zufluss von Lohn an K.

    Erst die Abtretung der Ansprüche aus der Rückdeckungsversicherung an Frau K verschafften dieser einen unmittelbaren Anspruch gegen die Versicherungsgesellschaft. Dies beinhaltet einen den K bereichernden Lohnzufluss. Der Vorgang stellt sich als Zuwendung des Arbeitgebers (Klägerin) an eine dritte Person (Frau K) im Rahmen einer Lohnverwendungsabrede dar.

    2. Die Klägerin hat ihre Pflichten im Lohnsteuer-Abzugsverfahren verletzt und ist zu Recht als Haftende in Anspruch genommen worden.

    a) Gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat. Er haftet nicht, soweit Lohnsteuer in dem angezeigten Fall des § 38 Abs. 4 Satz 2 EStG nachzufordern ist (§ 42d Abs. 2 Nr. 1, 2. Alternative EStG).

    Der Arbeitgeber hat die Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG) und an das Betriebsstätten-FA abzuführen (§ 41a Abs. 1 Nr. 2 EStG). Ist ihm dies nicht möglich, weil im Falle einer Sachlohnzuwendung der geschuldete Barlohn zur Deckung des Lohnsteuereinbehalts nicht ausreicht, so hat entweder der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber den Fehlbetrag zur Verfügung zu stellen oder der Arbeitgeber hat einen entsprechenden Teilbetrag der anderen Bezüge des Arbeitnehmers zurückzubehalten (§ 38 Abs. 4 Satz 1 EStG). Ist dem Arbeitgeber entsprechend den vorstehenden Alternativen die Einbehaltung von Lohnsteuer nicht möglich, so hat er gemäß § 38 Abs. 4 Satz 2 EStG dies dem Betriebsstätten-FA im Wege der Lohnsteuer-Anmeldung (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) anzuzeigen.

    Diese Anzeigepflicht ergänzt die Einbehaltungspflicht. Die Anzeige ersetzt die Einbehaltung. Sie kann daher als eine Form der Erfüllung der Einbehaltungspflicht angesehen werden (Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 38 E 5, 6). Versäumt der Arbeitgeber die Anzeige, so erhebt er die Lohnsteuer nicht vorschriftsgemäß. Dies hat die Haftung nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG zur Folge (einhellige Auffassung: Trzaskalik, a.a.O.; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 21. Aufl., § 38 Rz. 16; Barein in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 38 EStG Rz. 34; Thürmer in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, § 38 EStG Rz. 141; Seifert in Korn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 38 Rz. 39).

    b) Die Klägerin hat den Lohnsteuerabzug nicht ordnungsgemäß durchgeführt und ist demzufolge zu Recht als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen worden. Dabei kann der Senat unentschieden lassen, ob vorliegend ein Fall fehlender Barmittel i.S. des § 38 Abs. 4 Satz 1 EStG gegeben ist oder ob die Klägerin, da sie ihrem Arbeitnehmer K allenfalls eine Kapitalabfindung aus dem aufgehobenen Versorgungsvertrag schuldete, die Abfindung unter Refinanzierung aus der Rückdeckungsversicherung mit Zurückbehalt der daraus entfallenden Lohnsteuer hätte auszahlen können und sollen. Ebenfalls kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin bei Abtretung der Ansprüche aus der Rückdeckungsversicherung einen Teil der Abfindungsforderung zur Einbehaltung der Lohnsteuer hätte zurückbehalten müssen. Jedenfalls durfte die Klägerin, wenn sie davon ausging, dass ein Fall fehlender Barmittel i.S. des § 38 Abs. 4 Satz 1 EStG gegeben war, die Anzeige an das FA nach § 38 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht unterlassen. Indem sie die Anzeige versäumte, ist die Klägerin ihrer Einbehaltungspflicht nicht nachgekommen. Sie hat damit den Haftungstatbestand (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG) erfüllt.

    c) Entgegen der Auffassung der Klägerin erübrigte sich die Anzeige gemäß § 38 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht deshalb, weil sich der Arbeitnehmer K bereits zum Zeitpunkt der Abtretung der Ansprüche aus der Rückdeckungsversicherung ins Ausland abgesetzt hatte und demgemäß --so die Klägerin-- dem FA durch die unterlassene Anzeige kein Steuerausfall entstanden sei. Zum einen hätte das FA bei der gebotenen zeitnahen Anzeige von den Möglichkeiten des Anfechtungsgesetzes Gebrauch machen können. Zum anderen liegt auf der Hand, dass das FA bei einer zeitnahen Anzeige auch in tatsächlicher Hinsicht eine stärkere Position zur Durchsetzung seiner Ansprüche hat, als dies --wie im Streitfall-- bei einer Kenntnisnahme von Sachlohnzuflüssen mehrere Jahre nach dem Lohnzufluss der Fall ist. Im Streitfall stellt sich daher die Inanspruchnahme der Klägerin nicht als ermessensfehlerhaft dar.

    d) Dem Antrag der Klägerin auf Anwendung des § 34 EStG steht § 50 Abs. 1 Satz 5 EStG in der für das Streitjahr 1993 geltenden Fassung entgegen.

    RechtsgebietEStGVorschriftenEStG § 38 Abs. 3 EStG § 38 Abs. 4 EStG § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG § 42d Abs. 2 Nr. 1