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  • 01.07.2010

    Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 22.04.2010 – 16 K 3050/08 Kg

    Der Anspruch eines unbeschränkt steuerpflichtigen Erntehelfers mit Familienwohnsitz in Polen auf deutsches Kindergeld während einer viermonatigen nichtselbständige Tätigkeit im Inland wird durch das europäische Gemeinschaftsrecht ausgeschlossen, wenn er als Landwirt in der polnischen Sozialversicherung für Landwirte sozialversichert ist und deshalb für das Arbeitsverhältnis vorrangig und ausschließlich polnisches Sozialversicherungsrecht gilt.


    Tatbestand

    Der Kläger, ein polnischer Staatsbürger, von Beruf Landwirt, hatte in den Zeiträumen 06.09. – 03.12.2004, 06.08. – 03.12.2005 bei der Fa. Gartenbau B in C gearbeitet. Für diese Tätigkeiten wurden –nach Angaben des Arbeitgebers deutsche Sozialversicherungsbeiträge entrichtet; ausweislich einer Bescheinigung des Finanzamts war der Kläger für 2004 und 2005 gemäß § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes –EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig veranlagt worden. Die Beklagte –die Familienkasse hatte dem Kläger antragsgemäß für die Monate seiner inländischen Tätigkeit Kindergeld für seinen Sohn D (geboren im Januar 2003) gewährt, und zwar unter Anrechnung der polnischen Familienleistungen, auf die die ab Dezember 2004 in Polen erwerbstätige Ehefrau des Klägers –nach Vermutung der Familienkasse einen Anspruch gehabt habe. Im Zeitraum 14.08. - 09.12.2006 hatte der Kläger erneut bei der Fa. Gartenbau B sozialversicherungspflichtig gearbeitet. Die Familienkasse hatte dem Kläger antragsgemäß Kindergeld für den Sohn D und die Tochter E (geboren im April 2006) gewährt, und zwar unter Anrechnung der polnischen Familienleistungen, die seine erwerbstätige Ehefrau nachweislich erhalten hatte.

    Vom 20.08. bis zum 07.12.2007 arbeitete der Kläger erneut als Saisonarbeitnehmer bei der Fa. Gartenbau B. Allerdings bescheinigte der Arbeitgeber nunmehr, dass ein Sozialversicherungsverhältnis zur deutschen Versicherungsanstalt nicht bestanden habe, sondern dass für das Arbeitsverhältnis polnisches Sozialversicherungsrecht gelte (Vorlage des Formulars E 101), so dass Sozialversicherungsbeiträge nach Polen abgeführt worden seien. Der Kläger beantragte erneut deutsches Kindergeld für seine beiden Kinder. Daneben legte er eine Besondere Lohnsteuerbescheinigung für 2007 vor, die u. a. einen Bruttoarbeitslohn von 7.625 EUR auswies. Die Familienkasse lehnte eine Kindergeldgewährung für den Zeitraum August bis Dezember 2007 ab, weil die Anspruchsvoraussetzungen des § 62 EStG nicht erfüllt seien (Ablehnungsbescheid vom 1.04.2008).

    Hiergegen erhob der Kläger Einspruch. Er trug vor, er habe beim Finanzamt für 2007 eine Einkommensteuererklärung abgegeben und hierin die Behandlung als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gemäß § 1 Abs. 3 EStG beantragt; der Steuerbescheid werde nachgereicht. Aus der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht ergebe sich der Anspruch auf deutsches Kindergeld. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Die Familienkasse führte aus, der Kläger unterliege –wie die dem Arbeitgeber vorgelegte Bescheinigung E 101 ausweise durchgehend dem polnischen Sozialversicherungssystem, so dass für ihn gemäß Art. 13 ff. der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (konsolidierte Fassung, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – AblEG – Nr. L 28 vom 30.01.1997, S. 1) im Folgenden: VO Nr. 1408/71 ausschließlich die polnischen Rechtsvorschriften anzuwenden seien; hierunter falle auch der Anspruch auf Kindergeld. Die VO Nr. 1408/71 sei in Deutschland unmittelbar geltendes Recht und gehe den nationalen Bestimmungen vor. Demgemäß seien im Streitfall auf den Kläger ausschließlich die polnischen Vorschriften anwendbar, und zwar unabhängig davon, ob und in welcher Höhe in Polen Kindergeld gewährt werde. Auch die Zahlung von Aufstockungsbeträgen zwischen einem niedrigeren ausländischen und dem höheren deutschen Kindergeld komme nicht in Betracht, weil deutsches Kindergeldrecht nicht anwendbar sei (Einspruchsentscheidung vom 03.07.2008).

    Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger. Nachdem das Gericht beantragte Prozesskostenhilfe versagt hat, hat der Kläger innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist des § 56 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO Klage erhoben. Er ist der Ansicht, ihm stehe bereits gemäß Art. 73 der VO Nr. 1408/71 deutsches Kindergeld zu. Hiernach habe ein Arbeitnehmer, der in einem Mitgliedstaat (Deutschland) arbeitet, für seine Familienangehörigen, die in einem anderen Mitgliedstaat (Polen) wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des Beschäftigungslandes (Deutschland), als ob die Familienangehörigen im Gebiet des Beschäftigungslandes wohnten. Außerdem ergebe sich ein Kindergeldanspruch auch daraus, dass der Kläger für das Jahr 2007 gemäß § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt worden sei. Der Kindergeldanspruch werde nicht nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen, zumal für den Kläger kein Kindergeldanspruch in Polen bestanden habe. Die Sozialversicherungspflicht des Klägers sei für den Kindergeldanspruch unerheblich.

    Der Kläger beantragt,

    die Familienkasse zu verpflichten, ihm unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 01.04.2008 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.07.20008 für seine Kinder D und E Kindergeld für den Zeitraum August bis Dezember 2007 zu gewähren;

    hilfsweise: die Revision zuzulassen.

    Die Familienkasse beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Sie hält an ihrer Auffassung fest, dass ein deutscher Kindergeldanspruch ausscheide, weil für den (als selbständiger Landwirt) in Polen sozialversicherten Kläger vorrangig und ausschließlich polnisches Recht anwendbar sei.

    Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, den vom Finanzamt übersandten Hefter (Steuerakte) und die vom Gericht beigezogene Kindergeldakte der Familienkasse Bezug genommen.

    Gründe

    Die Klage ist unbegründet.

    Dem Kläger steht für seine beiden Kinder für die Monate August bis Dezember 2007 kein deutsches Kindergeld zu.

    Zwar besitzt der Kläger gemäß § 62 Abs. 1 EStG auch einen Anspruch auf Kindergeld, wenn er ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird (§ 62 Abs. 1 Nr. 2 EStG). Dies steht nunmehr nach Beiziehung der Steuerakte des Finanzamts fest.

    Jedoch hat die Familienkasse einen Anspruch des Klägers auf Kindergeld für August bis Dezember 2007 zu Recht versagt: Der gemäß §§ 62 ff. EStG tatbestandsmäßig vorliegende Anspruch auf deutsches Kindergeld (wenn § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht anwendbar ist) wird durch das europäische Gemeinschaftsrecht ausgeschlossen, weil der Kläger als Landwirt in der polnischen Sozialversicherung für Landwirte sozialversichert ist.

    Das deutsche Kindergeld fällt in den sachlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71; es ist eine Familienleistung i. S. des Art. 4 Abs. 1 Buchst. h dieser Verordnung (Urteil des Bundesverfassungsgerichts BVerfG – vom 8. Juni 2004 2 BvL 5/00, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung HFR 2004, 1139).

    Der Kläger unterliegt auch dem persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71. Er ist in Polen als selbständiger Landwirt (mit einer Landwirtschaft von 15,75 ha) tätig und als solcher offenbar in der polnischen Landwirtschaftlichen Sozialversicherung versichert (vgl. die Vorlage des Formulars E 101, das eine Sozialversicherungspflicht in Polen ausweist, gegenüber dem deutschen Arbeitgeber).

    In diesem Fall greift Art. 14 a Nr. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 ein: aufgrund der selbständigen Tätigkeit als Landwirt in Polen unterliegt der Kläger weiterhin den polnischen Rechtsvorschriften, wenn die Dauer der (nichtselbständigen) Arbeit als Erntehelfer in Deutschland auf wenige Monate begrenzt und nicht auf die Dauer von mehr als 12 Monaten angelegt ist. Dabei kommt es nicht darauf an, in welchem Ausmaß der Kläger tatsächlich eine Landwirtschaft betreibt – weder die Größe des Hofes bzw. des ländlichen Anwesens noch der Umfang der landwirtschaftlichen Tätigkeit, die Menge der produzierten und ggf. verkauften landwirtschaftlichen Produkte sind von Bedeutung. Entscheidend ist vielmehr einzig, dass eine Eingliederung als Selbständiger in die landwirtschaftliche Sozialversicherung besteht. Dieser Sichtweise entspricht Art. 1 Buchst. a) der VO Nr. 1408/71.

    Dieses Ergebnis entspricht auch dem Grundgedanken der Verordnung: Die anzuwendende VO Nr. 1408/71 geht in Art. 13 Abs. 1 Satz 1 von dem Ausschließlichkeits-Grundsatz aus, nämlich dass alle Personen, die von der Verordnung erfasst werden, den Rechtsvorschriften ausschließlich eines Mitgliedsstaates unterliegen sollen (BVerfG-Beschluss vom 8. Juni 2004, a. a. O.; BFH- Urteil vom 13. August 2002 VIII R 97/01, BFH/NV 2002, 1588; EuGH-Urteil vom 20. Mai 2008, Rechtssache Bosmann, C – 352/06, HFR 2008, 877, Randnrn. 17, 19). Wer zu einem bestimmten Zeitpunkt dem System der sozialen Sicherheit eines Landes unterliegt, soll auch nur nach diesem System Kindergeld erhalten. Diese Regelung dient der Gleichbehandlung aller in einem Mitgliedsstaat erwerbstätigen Arbeitnehmer und der Einfachheit der Rechtsanwendung, sie verhindert Anspruchskumulationen und Mitnahmeeffekte.

    Diese Anwendung des polnischen Rechts auf Familienleistungen ist auch im Streitfall interessengerecht: der Kläger hat in Polen seinen Familienwohnsitz, er ist dort in die polnische landwirtschaftliche Sozialversicherung eingegliedert (hat Beiträge entrichtet und Leistungen zu erwarten) und seine Kinder leben in Polen – dagegen entrichtet der Kläger keine Beiträge in die deutsche Sozialversicherung. Eine möglicherweise bestehende (nichtselbständige) Beschäftigung der Ehefrau des Klägers in Polen führt zu keinem anderen Ergebnis. Da für den Kläger polnisches Recht vorrangig und ausschließlich anwendbar ist und für die Ehefrau nur polnisches Recht gilt, ergibt sich hieraus keine Kollision mit deutschem Kindergeldrecht.

    Aus der Entscheidung des EuGH (EuGH-Urteil vom 20. Mai 2008, Rechtssache C – 352/06, HFR 2008, 877) ergibt sich nichts anderes. Der EuGH hat ausgeführt, dem Wohnsitzmitgliedstaat könne nicht die Befugnis abgesprochen werden, den in seinem Gebiet wohnhaften Personen Familienbeihilfen zu gewähren, selbst wenn eine Person nach Art. 13 der VO Nr. 1408/71 den Rechtsvorschriften eines anderen Staates unterfalle. Hierum geht es jedoch im Streitfall nicht. Die Familienkasse hält eine Kindergeldgewährung nur im Rahmen der europarechtlichen Vorgaben für geboten, wendet also neben den Regelungen der §§ 31 f., 62 ff. EStG auch die der VO Nr. 1408/71, unter anderem Art. 13 ff. als unmittelbar geltendes Recht an. Die Familienkasse will im Streitfall nicht über die Regelungen des Art. 13 ff. VO Nr. 1408/71 hinaus Kindergeld gewähren, sondern verweigert vielmehr unter Bezugnahme auf diese Regelungen die Kindergeldgewährung. Diese Befugnis hat ihr der EuGH nicht abgesprochen.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

    VorschriftenEStG § 1 Abs. 3, EStG § 62 Abs. 1 Nr. 2