09.12.2010
Finanzgericht Köln: Urteil vom 23.06.2010 – 2 K 1274/06
1) Ein Erstattungsanspruch des Vergütungsgläubigers auf Erstattung der Abzugssteuern nach § 50a Abs. 4 EStG setzt gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG den Einbehalt und die Abführung der einbehaltenen Steuern voraus.
2) § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG verstößt nicht gegen Gemeinschaftsrecht.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat der 2. Senat in der Besetzung: Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richterin am Finanzgericht … ehrenamtlicher Richter … ehrenamtliche Richterin … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 23.06.2010 für Recht erkannt:
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin ein Anspruch auf Erstattung von Abzugssteuern nach § 50 d Abs. 1 i.V.m. § 50 a Abs. 4 Nr. 1 EStG zusteht.
Die Klägerin ist eine nach österreichischem Recht gegründete GmbH. Als Produktionsfirma ist sie insbesondere für die Überlassung und Vermarktung der „E” (heute: „E”) zuständig.
Mit Antrag vom 1. September 2003 beantragte die Klägerin eine Freistellungsbescheinigung und die Erstattung von Steuerabzugsbeträgen i.S.d. § 50 a EStG i.H.v. 9.736,40 DM (= 4.978,14 EUR) für Vergütungen, die sie vom F e.V. als Vergütungsschuldner für ein Konzert der „E” am 17. Juni 1994 erhalten hatte. Dem Antrag war eine durch den Vergütungsschuldner ausgefüllte Steuerbescheinigung vom 25. März 2002 beigefügt, aus der ein einbehaltener Steuerabzugsbetrag i.H.v. 9.734,40 DM hervorging.
Gemäß der Bestätigung des zuständigen Finanzamtes G vom 18. April 2005 wurden diese Steuerabzugsbeträge i.H.v. 9.734,40 DM angemeldet, jedoch nicht in voller Höhe entrichtet. Die an das Finanzamt G entrichtete Steuer betrug 8.282,22 DM (= 4.234,63 EUR). Der Differenzbetrag i.H.v. 1.454,18 DM (= 743, 51 EUR) wurde gemäß § 261 AO niedergeschlagen, da seinerzeit eine fruchtbare Vollstreckung in das Vermögen des Vergütungsschuldners keinen Erfolg versprach.
Mit Freistellungsbescheid vom 2. Mai 2005 wurden die Vergütungen für die Überlassung eines Künstlers/einer Künstlergruppe (hier: Konzert der „E” am 00. Juni 1994 in H) für den Zeitraum 1. Juni bis 30. November 1994 freigestellt. Aus der dem Freistellungsbescheid beigefügten Erstattungsmitteilung ging ein Erstattungsbetrag i.H.v. 8.282,22 DM hervor. Die Erstattungsmitteilung war mit dem Hinweis versehen worden, dass nur die Steuerabzugsbeträge erstattet werden könnten, die auch bei dem zuständigen Finanzamt angemeldet und abgeführt worden seien.
Der hiergegen eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 20. Februar 2006 als unbegründet zurückgewiesen.
Zur Begründung ihrer hiergegen fristgerecht erhobenen Klage trägt die Klägerin vor, dass sie nationale und internationele Tourneeprojekte mit der Künstlergruppe „E” veranstalte. Sie habe sich dabei in Deutschland im Jahre 1994 und in den Folgejahren einer Vielzahl sog. örtlicher Veranstalter bedient (allein 1994 und 1995 mehr als 50).
Nach Art. 4 des seinerzeit gültigen DBA Österreich sei sie von der Besteuerung befreit gewesen, da Einkünfte einer Kapitalgesellschaft nicht unter das Besteuerungsrecht für künstlerische Einkünfte i.S.d. Art. 8 DBA-Österreich fielen.
Zu erstatten sei jedoch nicht nur der abgeführte, sondern der einbehaltene Steuerabzugsbetrag. Die Niederschlagung eines Teils der angemeldeten Steuer durch das zuständige Finanzamt liege außerhalb ihres, der Klägerin, Verantwortungsbereichs und sei daher unbeachtlich.
Der Wortlaut des § 50 d Abs. 1 Satz 2 EStG, wonach nur die gezahlte Steuer zu erstatten sei, stehe der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 59 und 60 EGV (jetzt: Art. 49 und 50 EG) entgegen.
Auf Gebietsansässige finde im Rahmen der Steueranrechnung im Nachgang zur Steuerfestsetzung aufgrund der Jahresveranlagung die Regelung des § 36 EStG Anwendung. Nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG werde „die durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer” angerechnet. Diese Regelung finde über § 49 Abs. 1 KStG a.F. auch auf Körperschaften Anwendung. Erhoben und damit anrechenbar sei die Abzugsteuer bereits dann, wenn jede Steuer tatsächlich und vorschriftsgemäß durch den Schuldner der Vergütung einbehalten worden sei. Auf die Abführung der Steuer komme es dagegen nicht an (Seibel, in HHR, EStG, § 36 Rn. 20). Folglich sei z.B. bei einem Deutschen, der unter die Regelung des § 1 Abs. 3 EStG falle und bei dem auf der Grundlage der Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 5 EStG der Steuerabzug nach § 50 a Abs. 4 EStG vorzunehmen sei, im Rahmen der durchzuführenden Veranlagung eine Anrechnung der Abzugsteuer bereits dann vorzunehmen, wenn sie durch den inländischen Vergütungsschuldner in Abzug gebracht worden sei. Das gleiche gelte für Gebietsansässige, die anderen Formen der Steuererhebung durch Steuerabzug an der Quelle unterliegen. Es komme mithin in allen Fällen des Steuerabzugs nicht darauf an, dass jene Steuer auch tatsächlich abgeführt worden sei.
Auch im Lohnsteuerabzugsverfahren erfolge eine Steueranrechnung selbst dann, wenn der Arbeitgeber die entsprechenden Steuerabzugsbeträge nicht an das Finanzamt abgeführt habe. Entsprechendes gelte im Bereich der Bauabzugsteuer.
Bei einem Gebietsfremden sei dagegen auf der Grundlage des § 50 d Abs. 1 Satz 2 EStG nur diejenige Steuer anrechenbar, die nicht nur einbehalten, sondern darüber hinaus auch abgeführt worden sei.
Während bei Gebietsansässigen das Risiko der Steueranrechnung minimiert sei, sei der Gebietsfremde darauf verwiesen zu hoffen, dass der Vergütungsschuldner die einbehaltene Steuer auch entsprechend den gesetzlichen Vorgaben abführe. Beide Vergleichsgruppen befänden sich in einer vergleichbaren Situation. Es gebe keinen erkennbaren Rechtfertigungsgrund, weshalb den Gebietsansässigen im Veranlagungsverfahren die Steueranrechnung bereits bei Einbehaltung zuzuerkennen sei, ohne dass auch eine tatsächliche Entrichtung der Steuer an das Finanzamt gegeben sein müsse, dieses aber einem Gebietsfremden im Rahmen der Erstattung nach § 50 d Abs. 1 EStG zu versagen. Dieser Umstand müsse umso mehr gelten, wenn das für den Vergütungsschuldner zuständige Finanzamt – wie im Streitfall – die Steuer niedergeschlagen und nicht weiter verfolgt habe (vgl. Klein, HHR, EStG, § 50d Rn. 49).
Aber auch wenn man davon ausgehen würde, dass sich ein Gebietsansässiger im Veranlagungsverfahren und ein Gebietsfremder im Erstattungsverfahren nach § 50 d Abs. 1 EStG nicht in einer vergleichbaren Situation befinden würden, liege ein Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49, 50 EG unter dem Gesichtspunkt einer Behinderung vor. Jedes Hemmnis für die europäischen Grundfreiheiten sei unzulässig (EuGH-Urteil vom 13. Dezember 1989, C-49/89, Corsica Ferries, Slg. 1989, 4441 Rn. 8). Ein solches Hemmnis sei gegeben, wenn im Falle einer durch DBA garantierten Steuerbefreiung durch den Staat – entgegen dem Abkommen – ein Steuerabzug angeordnet werde und die Gefahr der Nichtzahlung der Steuer im Verfahren nach § 50 d Abs. 1 EStG allein auf den gebietsfremden Gläubiger der Vergütung abgewälzt werde. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass der Staat unterschiedslos gebietsansässige Unternehmer in das Abzugsverfahren einbinde, losgelöst davon, ob sie finanziell liquide seien oder nicht.
Soweit der Beklagte einwende, dass auch § 44 b EStG die Steuerabführung für die Erstattung voraussetze, sei dem entgegen zu halten, dass daraus nicht geschlossen werden könne, dass § 50 d EStG gemeinschaftsrechtskonform sei. Denn es sei allein darauf abzustellen, dass im Bereich der Lohnsteuererhebung – einer zentralen Steuer des Staatshaushaltes – die Steueranrechnung trotz fehlender Abführung erfolge.
Aus der Steueranrechnungsmöglichkeit im Bereich der Lohnsteuer sei zu entnehmen, dass überwiegend in Deutschland Ansässige begünstigt würden. Im Hinblick auf § 50 d EStG sei erkennbar, dass von jener Regelung überwiegend Gebietsfremde tangiert seien. Der Gesetzgeber wolle offensichtlich in den Fällen, in denen in Deutschland ansässige Steuerpflichtige durch eine fehlende Steueranrechnung negativ tangiert sein könnten, einen Schutzmechanismus verankert sehen, der im Falle der Betroffenheit von gebietsfremden Unternehmern ausgehebelt sein solle.
Im übrigen werde auf die Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache Scorpio (C-290/04) verwiesen. Der Generalanwalt sei zu dem Ergebnis gekommen, dass das Steuerabzugsverfahren eine Benachteiligung beinhalte, habe aber auf der Grundlage der seinerzeit fehlenden Vollstreckungsmöglichkeiten (sowohl auf bilateraler als auch multilateraler Ebene) eine Rechtfertigung als gegeben angesehen. Im Streitfall stelle sich das Rechtfertigungselement allerdings anders dar, da der Steuerabzug von Anfang an unzulässig gewesen sei. Direkte Steuern hätten auf der Grundlage des Rechtshilfe- und Vollstreckungsabkommens zwischen Österreich und Deutschland bereits im Kalenderjahr 1994 vollstreckt werden können. Das Steuerabzugsverfahren habe damit, bezogen auf Österreich, bereits 1994 gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen. Die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit führe im Ergebnis dazu, dass ihr, der Klägerin, das rechtliche Fehlverhalten des Staates nicht entgegen gehalten werden könne.
Bezüglich der Niederschlagung der Steuerforderung sei zu berücksichtigen, dass die zuständige Finanzbehörde zuvor die Vollstreckungsmöglichkeiten gegenüber dem Vergütungsschuldner nicht ausgeschöpft habe. Es ergebe sich die Frage, ob z.B. Mitgliedsbeiträge gepfändet worden seien, der Verein zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung aufgefordert worden sei etc.
Zudem würden Erstattungszinsen nach § 233 a AO begehrt. Die Zulässigkeit des Zinsbegehrens leite sich aus § 100 Abs. 4 FGO ab. Die Durchführung des Vorverfahrens sei entbehrlich, da der Beklagte Zinsanträge nach § 233 a AO regelmäßig mangels fehlender Rechtsgrundlage ablehne. Wegen der näheren Einzelheiten des klägerischen Vortrags zu den Erstattungszinsen wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 19. April 2006 (Seite 5 ff., Bl. 31 ff. der FG-Akte) Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 20. Februar 2006 zu verpflichten, den Erstattungsbetrag für das Verfahren F e.V. abweichend von 4.234,63 EUR auf 4.978,15 EUR festzusetzen;
den Beklagten zu verpflichten, an die Klägerin Zinsen nach § 233a AO auf den weiteren Erstattungsbetrag ab dem Zeitpunkt des Steuereinbehalts und ohne Abrundung auf den nächsten durch 50 EUR teilbaren Betrag zu zahlen;
das Verfahren auszusetzen und den EuGH im Wege der Vorabentscheidung nach Art. 234 EG anzurufen;
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt vor, dass die geschuldete Steuer aufgrund der Niederschlagung nicht erloschen sei, sondern weiter fortbestanden habe. Nach dem Wortlaut des § 50 d Abs. 1 Satz 2 EStG setze das Erstattungsverfahren voraus, dass die Steuerabzugsbeträge einbehalten und abgeführt worden seien. Bezüglich des streitigen Teilbetrages fehle es jedoch an der Abführung an das Finanzamt G. Insbesondere würde der Betrag auch nicht durch die innerbehördliche Niederschlagung als abgeführt gelten.
Hierdurch werde Gemeinschaftsrecht nicht verletzt. Die Situation der Gebietsansässigen sei mit der der Gebietsfremden, für die das Erstattungsverfahren nach § 50 d Abs. 1 EStG anzuwenden sei, nicht vergleichbar. Außerdem liege die für einen Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49, 50 EG notwendige „Behinderung” nicht vor. Insbesondere sei das von der Klägerin vorgetragene „Hemmnis” nicht gegeben. Denn die Gefahr der Nichtzahlung der Steuer werde im Verfahren nach § 50 d Abs. 1 EStG zwar auf den gebietsfremden Gläubiger abgewälzt. Dies geschehe aber nicht losgelöst davon, ob der gebietsansässige Unternehmer, der vom Staat in das Abzugsverfahren eingebunden werde, finanziell liquide sei oder nicht. Maßgeblich dürfte hierbei vielmehr sein, dass sich der Staat letztendlich an einen Vergütungsschuldner halte, den sich der Vergütungsgläubiger selbst als Vertragspartner ausgesucht habe und den er insofern nach eigener Einschätzung für liquide und integer halten dürfte. Insofern setze der Staat den Vergütungsgläubiger lediglich einem „selbst gewählten” Geschäftsrisiko aus und verweise ihn insoweit ggf. bezüglich der internen Verpflichtungen auf den Zivilrechtsweg.
Soweit die Klägerin auf das Lohnsteuerverfahren verweise, sei dem entgegen zu halten, dass das Einkommensteuergesetz nicht nur im Fall des § 50 d Abs. 1 Satz 1 EStG die Entrichtung der Steuerabzugsbeträge voraussetze und die Voraussetzung sich auch nicht nur auf Steuerabzugsbeträge für beschränkt Steuerpflichtige beziehe. Die Entrichtung der Steuerabzugsbeträge sei u.a. ebenfalls bei der Kapitalertragsteuer-Erstattung gemäß § 44 b EStG Voraussetzung.
Der geltend gemachte Zinsanspruch entbehre einer gesetzlichen Grundlage, da eine Verzinsung des Erstattungsanspruchs nach § 50 d EStG nicht von § 233 a AO umfasst sei.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zum Teil unzulässig und, soweit sie zulässig ist, unbegründet.
I. Die Klage ist unzulässig, soweit Erstattungszinsen nach § 233 a AO begehrt werden. Es mangelt an der Durchführung eines Vorverfahrens.
In den Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben ist, ist gemäß § 44 Abs. 1 FGO die Klage vorbehaltlich der §§ 45 und 46 FGO nur zulässig, wenn das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist.
Diese Voraussetzung eines außergerichtlichen Vorverfahrens erfüllt der Antrag auf Zinszahlung nach § 233 a AO nicht. Denn der Antrag auf Zinszahlung wurde von der Klägerin erstmals im Klageverfahren im Schriftsatz vom 19. April 2006 (Bl. 277 ff. der FG-Akte) gestellt. Es mangelt sowohl an der Ablehnung durch den Beklagte als insbesondere auch an der Durchführung eines Einspruchsverfahrens. Ob zu erwarten sei, dass der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Zinszahlung ablehnt, ist für die Erforderlichkeit des Vorverfahrens ohne Bedeutung. Der Zinsantrag wäre darüber hinaus aber auch wegen der Unbegründetheit des Hauptanspruchs in der Sache nicht gegeben.
II. Soweit die Klage zulässig ist, ist sie unbegründet.
Die Ablehnung einer weiteren Erstattung durch den Beklagten vom 2. Mai 2005 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 FGO). Der Klägerin steht kein Anspruch auf Festsetzung der begehrten Erstattung i.H.v. 1.454,18 DM (= 743, 51 EUR) aus § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG zu.
1. Nach § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG ist der Schuldner einer Vergütung i. S. des § 50a Abs. 4 EStG – wie im Streitfall (§ 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d) EStG) – auch dann zur Einbehaltung, Abführung und Anmeldung der gesetzlich vorgesehenen Abzugsteuer (§ 50a Abs. 5 EStG) verpflichtet, wenn die Vergütung nach einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) nicht oder nur mit einem niedrigeren Steuersatz besteuert werden kann.
Hiervon unberührt bleibt der Anspruch des Vergütungsgläubigers auf vollständige oder teilweise Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Steuer nach § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG. Verfahrensrechtliche Grundlage der Steuererstattung ist der Freistellungsbescheid i. S. des § 155 Abs. 1 Satz 3 AO, in dem über die Höhe des unbesteuert bleibenden Teils der Vergütung – und damit zugleich des Erstattungsanspruchs – entschieden wird.
Dieser Freistellungsbescheid ist zu erteilen, wenn die bezeichneten Einkünfte nach einem DBA nicht oder nur nach einem niedrigeren Steuersatz besteuert werden.
Im Streitfall sind diese Voraussetzungen dem Grunde nach erfüllt. So hat der Beklagte auch bereits den Freistellungsbescheid vom 2. Mai 2005 erlassen und einen Betrag i.H.v. 8.282,22 DM an die Klägerin erstattet.
Eine weitergehende Erstattung i.H.v. 1.454,18 DM (= 743, 51 EUR), wie von der Klägerin begehrt, ist nicht zu gewähren. Insoweit mangelt es an der Abführung dieses Betrages durch den Vergütungsschuldner an das zuständige Finanzamt G. Das Erfordernis nicht nur des Einbehalts, sondern auch der Abführung der Abzugsteuer nach § 50 a Abs. 4 EStG ergibt sich aus dem Gesetz in § 50 d Abs. 1 Satz 2 EStG. Hierin ist von der Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Steuer die Rede.
2. Entgegen der Auffassung der Klägerin verletzt diese Regelung nicht EU-Recht, insbesondere nicht die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49 EGV/Art. 56 AEUV.
Nach Art. 49 EGV/Art. 56 AEUV sind Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, grundsätzlich verboten (vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 3. Oktober 2006, C-290/04 – Scorpio, Slg. 2006, I-9461, Rn. 31).
Eine solche Beschränkung ist durch die Regelung des § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG, wonach die Steuererstattung die Einbehaltung und Abführung der Steuer durch den Vergütungsschuldner voraussetzt, nicht gegeben.
a. Es mangelt bereits an einer spezifische Ungleichbehandlung von Gebietsfremden und Gebietsansässigen hinsichtlich der Voraussetzungen einer Erstattung.
Im deutschen Einkommensteuergesetz verlangt die Erstattung der Steuer nicht nur bei Gebietsfremden, dass der Vergütungsschuldner die Steuer nicht nur einbehalten, sondern auch abgeführt hat. Denn es finden sich auch Beispiele dafür, dass auch Gebietsansässigen eine Erstattung nur gewährt wird, wenn die Steuer auch abgeführt wurde, z.B. im Falle der Kapitalertragsteuererstattung nach § 44 b EStG. Der Senat teilt nicht die Auffassung der Klägerin, dass auch diese Norm gemeinschaftsrechtswidrig sei. Denn dies würde dazu führen, dass jede Erstattung, unabhängig von der Natur der Steuer, zu gewähren wäre, wenn lediglich ein Einbehalt erfolgt wäre. Allerdings findet sich ein solcher Grundsatz nicht. Die Bestimmung der Voraussetzungen für eine Steuererstattung fällt in den Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers. Er darf dabei die Voraussetzungen je nach zu erstattender Steuerart in den Grenzen der Verfassung und der EG-Grundfreiheiten variieren.
b. Darüber hinaus bestehen für die Bestimmung unterschiedlicher Voraussetzungen bei den verschiedenen Arten der Steuererstattung aber auch sachliche Gründe.
aa. Soweit etwa die Lohnsteuererstattung nur vom Einbehalt und nicht auch von der Abführung der Lohnsteuer abhängt, hängt dies mit sozialen Erwägungen zusammen. So soll dem Arbeitnehmer nicht das Risiko eines gesetzestreuen Verhaltens seines Arbeitgebers aufgebürdet werden (Stuhrmann, in Blümich, EStG, § 36 Rn. 22). Diese sozialen Erwägungen greifen nicht bei Kapitalgesellschaften wie im Streitfall.
bb. Von der Risikoverteilung her erscheint es sachgerechter, den Gebietsfremden bzw. den die Erstattung begehrenden Steuerpflichtigen. anstelle des deutschen Staates mit dem Risiko der Nichtabführung der Steuer zu belasten. Denn Letztgenannter hat keinerlei Einfluss auf den Vergütungsschuldner, er hat ihn auch nicht als Geschäftspartner ausgewählt. Deshalb wäre auch die Aufbürdung des Risikos der Nicht-Abführung der Steuer auf den Staat und damit auf die Allgemeinheit nicht sachgerecht. Nur so ist die Effizienz des Verfahrens gewahrt (vgl. zur Effizienz des Verfahrens EuGH-Urteil vom 3. Oktober 2006, C-290/04, Scorpio, Slg. 2006, I-9461).
Diese Risikoverteilung entspricht auch der im Verhältnis zu Dritten. Denn auch bei einem Zugriff eines Drittgläubigers auf die einbehaltene und noch nicht abgeführte Steuer würde der Vergütungsgläubiger das Ausfallrisiko tragen.
cc. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Vergütungsgläubiger die Möglichkeit hat, dem Risiko des Ausfalls der Steuererstattung mangels Steuerabführung durch den Vergütungsgläubiger zu entgehen, indem er vorab eine Freistellung nach § 50d Abs. 2 Satz 1 EStG beantragt. Eine solche Freistellung im Steuerabzugsverfahren führt dazu, dass der Steuerabzug i.S.d. § 50a durch den Vergütungsschuldner unterbleibt.
Es sei angemerkt, dass etwa der Arbeitnehmer, dem die Lohnsteuer bereits bei bloßer Einbehaltung erstattet wird, eine solche Möglichkeit nicht hat.
c. Wenngleich die Finanzverwaltung die Steuerforderung niedergeschlagen hat, steht dies der Erstattung entgegen. Denn die Niederschlagung erfolgt nur, wenn Vollstreckungsversuche erfolglos erscheinen. Dies fällt nicht in den Verantwortungsbereich der Finanzverwaltung. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann hier auch nicht ein vermeintliches „Verschulden” der Finanzverwaltung dahingehend, dass z.B. die Niederschlagung möglicherweise zu Unrecht erfolgt sei, zu einem Erstattungsanspruch der Klägerin führen. Denn für solche wertenden Erwägungen ist kein Raum. Dies dient der Sicherung der Einfachheit des Verfahrens und der Sicherung des Steueraufkommens.
3. Soweit die Klägerin einwendet, dass das Steuerabzugsverfahren nach § 50a EStG gemeinschaftsrechtswidrig sei, ist dieser Einwand im Streitfall nicht berücksichtigungsfähig, ungeachtet dessen, ob er vor dem Hintergrund des Scorpio-Urteil des EuGH (vom 3. Oktober 2006, C-290/04, Slg. 2006, I-9461) überhaupt berechtigt ist. Denn er betrifft die Rechtmäßigkeit der Durchführung des Steuerabzugsverfahren nach § 50a EStG vor dem örtlich zuständigen Finanzamt, nicht hingegen das streitgegenständliche Verfahren wegen Steuererstattung nach § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG. Dieses betrifft die Erstattung der Abzugsteuer unter den hierin genannten Voraussetzungen. Ob das Abzugsverfahren seinerseits zu Recht durchgeführt wurde, hat hierauf keinen Einfluss.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
IV. Es besteht für den Senat keine Veranlassung, dem EuGH die Sache zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV vorzulegen, da keine Zweifel bezüglich der Vereinbarkeit des § 50 d Abs. 1 Satz 2 EStG mit der Auslegung von Europarecht bestehen. Die von der Klägerin eingewendete Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Steuerabzugsverfahrens nach § 50a EStG ist im Streitfall hingegen schon nicht entscheidungserheblich.
V. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.