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  • 20.01.2011

    Finanzgericht Hamburg: Beschluss vom 25.11.2010 – 4 K 285/09

    Der Gerichtshof der Europäischen Union wird im Hinblick auf folgende Fragen um Auslegung des Gemeinschaftsrechts im Wege der Vorabentscheidung ersucht:

    Ist Art. 204 Abs. 1 Buchst. a) der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ZK) dahin auszulegen, dass bei Nichtgemeinschaftsware, die sich im Zolllagerverfahren befunden hat und die mit Beendigung des Zolllagerverfahrens eine neue zollrechtliche Bestimmung erhalten hat, die Verletzung der Pflicht, die Entnahme der Ware aus dem Zolllager in dem dafür vorgesehen EDV-Programm bereits bei Beendigung des Zolllagerverfahrens - und nicht erst wesentlich später - anzuschreiben, zur Entstehung einer Zollschuld für die Ware führt?


    Tatbestand

    I.

    Die Beteiligten streiten in diesem Verfahren darüber, ob für wiederausgeführte Drittlandswaren Einfuhrabgaben festgesetzt werden dürfen im Hinblick darauf, dass die Klägerin, die die Ware in ihr Zolllager genommen hatte, zollrechtliche Bestandsaufzeichnungen nicht korrekt geführt hatte.

    1. Die Klägerin nahm in ihrem Zolllager im Transit befindliche Waren ihrer Kunden auf und stellte sie zu Sendungen in verschiedene osteuropäische Länder zusammen. Die Lagerdauer betrug durchschnittlich mehr als sechs Wochen. Die jeweiligen Sendungen sind von in den Bestimmungsländern ansässigen Fuhrunternehmen ab Lager der Klägerin übernommen worden. Mit der Entnahme der streitgegenständlichen Ware aus dem Zolllager sind Zollanmeldungen für die Wiederausfuhr abgegeben und die Ware aus dem Gemeinschaftsgebiet ausgeführt worden. In den nach der Bewilligung des Zolllagers zu führenden Bestandsaufzeichnungen sind die Entnahmen erst 11 bis 126 Tage nach der Entnahme und damit nach Art. 105 ZK i.V.m. Art. 529 f der Zollkodex-Durchführungsverordnung - ZK-DVO - verspätet gebucht worden.

    2. Mit dem streitgegenständlichen Einfuhrabgabenbescheid vom 1. Juli 2008 setzte der Beklagte Zoll-EU und Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) fest. Nach Erlass eines Teils der Abgaben mit Bescheid vom 11. August 2009 wies der Beklagte den Einspruch der Klägerin mit Einspruchsentscheidung vom 8. Dezember 2009 im Übrigen als unbegründet zurück, weil die verspäteten Buchungen in den Bestandsaufzeichnungen als Pflichtverletzung im Rahmen des Zolllagerverfahrens zu einer Zollschuldentstehung nach Art. 204 Abs. 1 Buchst. a) ZK führten. Die Voraussetzungen eines Ausnahmetatbestandes nach Art. 204 Abs. 1, 2. HS ZK seien nicht erfüllt, die Pflichtverletzung habe sich auf die ordnungsgemäße Abwicklung ausgewirkt (Art. 859 ZK-DVO). Das Verfahren wegen des von der Klägerin gestellten Antrags auf Erlass der erhobenen Einfuhrabgaben (Art. 239 ZK) ist beim Beklagten ruhend gestellt worden bis zu einer abschließenden Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Abgabenbescheids.

    3. Die Klägerin erhob fristgerecht Klage beim Finanzgericht Hamburg. Die Klägerin macht zur Frage der Rechtmäßigkeit des Abgabenbescheids u.a. geltend, die unstreitig verspäteten Buchungen der Entnahmen aus dem Zolllager in den Bestandsaufzeichnungen stellten keine Pflichtverletzung im Sinne des Art. 204 Abs. 1 Buchst. a) ZK dar, weil es sich bei der Pflicht zur Buchung von Entnahmen aus den Bestandsaufzeichnungen gemäß Art. 105 ZK in Verbindung mit Art. 530 Abs. 3 ZK-DVO um eine Pflicht handele, die erst nach Beendigung des Zolllagerverfahrens zu erfüllen sei.

    Die Klägerin beantragt, den Einfuhrabgabenbescheid vom 1. Juli 2008 (Nr. .....) in Gestalt des Änderungsbescheids vom 11. August 2009 (Nr. .....) und der Einspruchsentscheidung vom 8. Dezember 2009 (Nr. .....) aufzuheben.

    Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

    Der Beklagte meint, bei den gemäß Art. 105 ZK zu führenden Bestandsaufzeichnungen handele es sich nicht um eine „nachverfahrensmäßige” Pflicht. Die Anschreibung in den Bestandsaufzeichnungen habe vielmehr noch während des Zolllagerverfahrens zu erfolgen (gemäß Art. 530 Abs. 3 ZK-DVO spätestens zu dem Zeitpunkt, in dem die Waren das Zolllager verlassen) bzw. zeitgleich mit der Beendigung des Verfahrens, weil gemäß Art. 529 Abs. 1 ZK-DVO der jeweils noch im Zolllagerverfahren befindliche Warenbestand aus den Bestandsaufzeichnungen jederzeit ersichtlich sein müsse. Das Zolllagerverfahren sei vorliegend erst nach Entnahme der Nichtgemeinschaftswaren mit der zollamtlichen Überlassung zum Versandverfahren als neuer zollrechtlicher Bestimmung beendet worden.

    II.

    Der beschließende Senat setzt das Verfahren in analoger Anwendung des § 74 Finanzgerichtsordnung (FGO) aus und legt dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Satz 1 Buchst. b) des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union die im Tenor genannte Frage zur Vorabentscheidung vor. Nach Auffassung des beschließenden Senats sind für die Lösung des Streitfalls allein die genannten Rechtsvorschriften des Gemeinschaftsrechts maßgeblich.

    Gründe

    III.

    Die rechtliche Würdigung des Streitfalls ist gemeinschaftsrechtlich zweifelhaft.

    1. Als Entstehensgrund für die Zollschuld kommt insoweit nur der Entstehenstatbestand des Art. 204 ZK in Betracht, mit dem der Beklagte den angefochtenen Abgabenbescheid auch begründet hat. Nach Art. 204 Abs. 1 Buchst. a) 2. Alt. ZK entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn in anderen als den in Art. 203 ZK genannten Fällen eine der Pflichten nicht erfüllt wird, die sich bei einer einfuhrabgabepflichtigen Ware aus der Inanspruchnahme des Zollverfahrens, in das sie übergeführt worden ist, ergibt. Gemäß Art. 204 Abs. 2, 1. Alt. ZK entsteht die Zollschuld in dem Zeitpunkt, in dem die Pflicht, deren Nichterfüllung die Zollschuld entstehen lässt, nicht mehr erfüllt wird. Dass die Klägerin hier eine Pflicht aus dem Zolllagerverfahren verletzt hat, ist nicht zweifelhaft und wird von ihr auch nicht in Abrede genommen. Gemäß Art. 105 Abs. 1 ZK hat die von den Zollbehörden bezeichnete Person - hier die Klägerin - über alle in das Zolllagerverfahren übergeführten Waren in der von den Zollbehörden zugelassenen Form Bestandsaufzeichnungen zu führen. Gemäß Art. 529 Abs. 1 Satz 1 ZK-DVO muss der jeweils noch im Zolllagerverfahren befindliche Warenbestand aus den Bestandsaufzeichnungen jederzeit ersichtlich sein. Art. 530 Abs. 3 ZK-DVO bestimmt, dass die Anschreibung in den Bestandsaufzeichnungen im Hinblick auf die Beendigung des Verfahrens spätestens zu dem Zeitpunkt stattzufinden hat, in dem Waren das Zolllager verlassen. Die Klägerin hat diese Anschreibungen in dem dafür vorgesehenen EDV-Programm erst deutlich nach der Entnahme und mithin unter Verstoß gegen die Pflicht der sofortigen Anschreibung verspätet vorgenommen.

    2. Allerdings ist zweifelhaft, ob dieser Pflichtverstoß eine Zollschuld entstehen lässt. Nach der Auffassung von Henke/Witte (Das Zolllager, München 1996, S. 104) soll eine Zollschuldentstehung wegen Unregelmäßigkeiten bei der Bestandsaufzeichnung aus Gründen der Systematik schon gar nicht möglich sein. Denn es werde nur eine Pflicht während der Inanspruchnahme des Zollverfahrens und nicht aus dessen Inanspruchnahme verletzt, wie es die Vorschrift des Art. 204 Abs. 1 Buchst. a) ZK tatbestandlich voraussetze (vgl. insoweit auch Witte, Zollkodex, Art. 204 Rdnr. 5). Nach dieser Auffassung wären vorliegend keine Zollschulden entstanden. Unabhängig von dieser Auffassung ist die Verwirklichung des Zollschuldentstehungstatbestandes Art. 204 Abs. 1 Buchst. a) ZK schon deswegen zweifelhaft, weil nach Ansicht des vorlegenden Gerichts der Pflichtenverstoß nicht vor Beendigung des Zolllagerverfahrens erfolgte, denn die Waren hatten bei der Entnahme aus dem Zolllager bereits eine neue zollrechtliche Bestimmung erhalten. Zwar dauert die Pflichtenstellung des Verfahrensinhabers auch noch nach Beendigung des Zollverfahrens an und er hat gegebenenfalls - wie hier - nachverfahrensmäßige Pflichten zu erfüllen (vgl. Witte, Zollkodex, Art. 204 Rdnr. 20). Soweit die Waren aber bereits eine neue zollrechtliche Bestimmung erhalten haben und der Status der Waren durch den Pflichtenverstoß nicht mehr berührt wird, ist fraglich, inwieweit eine Zollschuld überhaupt noch entstehen kann oder ob etwaige Verfahrensverstöße nicht gegebenenfalls auf andere Weise zu sanktionieren sind (so Witte a.a.O.). Denn die Zollschuld knüpft an die Waren und ihren zollrechtlichen Status an. Dass bei Waren, die sich ununterbrochen in zollrechtlich ordnungsgemäßen Verfahren befunden haben, eine Zollschuld ausgelöst werden soll, hält das vorlegende Gericht für zweifelhaft.

    3. Entsprechend hat der BFH mit Beschluss vom 30. März 2010 (VII R 16/09, BFH/NV 2010, 1389) dem EuGH die Frage vorgelegt, ob Art. 204 Abs. 1 Buchst. a) ZK dahin auszulegen ist, dass er auch die Nichterfüllung solcher Pflichten betrifft, die erst nach der Beendigung des betreffenden in Anspruch genommenen Zollverfahrens zu erfüllen sind. Im dortigen Verfahren geht es darum, dass im Rahmen eines aktiven Veredelungsverkehrs Einfuhrwaren nach dem Nichterhebungsverfahren fristgerecht teilweise wieder ausgeführt wurden, jedoch die Pflicht, der Überwachungszollstelle binnen 30 Tagen nach Ablauf der Frist für die Beendigung des Verfahrens die Abrechnung vorzulegen, verletzt worden ist. Die an diesen Sachverhalt angeknüpfte Vorlagefrage, ob die Pflichtverletzung zur Entstehung einer Zollschuld für die gesamte Menge der abzurechnenden Einfuhrwaren führt, ist der hier aufgeworfenen Frage vergleichbar. Eine Entscheidung des EuGH über die vorgelegten Fragen ist noch nicht ergangen.

    4. Die Frage ist streitentscheidend, weil das Gericht davon ausgeht, dass bei einer Verwirklichung des Tatbestands von Art. 204 Abs. 1 Buchst. a) ZK die Zollschuld entstanden wäre und die Voraussetzungen des Ausschlusstatbestands in Art. 204 Abs. 1, 2. HS ZK, nach der es zu keiner Zollschuld kommt, wenn sich die Pflichtverletzung nachweislich auf die ordnungsgemäße Abwicklung des Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt hat, nicht vorliegt, weil einem solchen Ausschluss hier nach gegenwärtigem Sach- und Streitstand jedenfalls eine grobe Fahrlässigkeit der Klägerin entgegenstände, Art. 859, 2. Anstrich ZK-DVO.

    VorschriftenZK Art. 204