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  • 26.01.2011

    Finanzgericht Münster: Urteil vom 21.05.2010 – 12 K 794/09 E

    Eine Antragsveranlagung gem. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG hat allein zur Voraussetzung, dass am 28.12.2007 über einen Antrag zur Veranlagung noch nicht bestandskräftig entschieden ist. Dies ist auch der Fall, wenn der Antrag hierzu vor diesem Termin noch gar nicht gestellt worden, aber noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist.


    Im Namen des Volkes

    URTEIL

    In dem Rechtsstreit

    hat der 12. Senat in der Besetzung: Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … ehrenamtlicher Richter … ehrenamtliche Richterin … ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 21.05.2010 für Recht erkannt:

    Tatbestand:

    Streitig ist noch, ob der Kläger (Kl) aufgrund seines in 2008 gestellten Antrags für 2003 zur Einkommensteuer (ESt) zu veranlagen ist.

    Der Kl wird nach der ESt-Grundtabelle besteuert. Er erzielte in den Jahren 2003 und 2004 ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) und wurde nicht zur ESt veranlagt.

    Im August 2008 gab der steuerlich beratene Kl. erstmals Erklärungen zur Einkommensteuer (ESt) 2003 und 2004 ab und beantragte wegen eventueller Säumnis bei der Einhaltung der Abgabefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 Abgabenordnung (AO)). Zur Begründung verwies er auf den Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs zu § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG vom 22.05.2006 VI R 46/05, BFHE 213, 536, BStBl. II. 2006, 820) sowie die Neufassung des § 46 Abs. 2 Nr. 8 durch das Jahressteuergesetz 2008 (JStG 2008, vom 20.12.2007, BGBl. I 2007, 3150, 3157), womit die Zweijahresfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG a. F. gestrichen wurde.

    Der Beklagte (Bekl) lehnte eine Veranlagung zur ESt mit Bescheid vom 19.08.2008 ab.

    Der hiergegen gerichtete Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung (EE) vom 10.02.2009 als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung führte der Bekl im Wesentlichen an, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) nicht in Betracht komme, da die vierjährige Festsetzungsfrist bereits am 31.12.2007 abgelaufen sei. Eine Wiedereinsetzung in eine abgelaufene Festsetzungsfrist komme nicht in Betracht (Verweis auf BFH-Urteil vom 24.01.2008 VII R 3/07 BFHE 220, 214, BStBl II 2008, 462).

    Zu einer Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO komme es in Fällen der Antragsveranlagung nicht.

    Mit der dagegen gerichteten Klage begehrt der Kl nunmehr noch die Durchführung einer Veranlagung zur ESt 2003, nachdem der Bekl dem Antrag auf Veranlagung für 2004 nach Klageerhebung entsprochen hat. Die Beteiligten haben den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt. Der Senat hat das Verfahren insoweit durch Beschluss vom 07. Mai 2010 abgetrennt.

    Zur Begründung der auf eine Veranlagung zur ESt 2003 gerichteten Klage macht der Kl im Wesentlichen geltend, dass ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei. Es könne ihm nicht als Verschulden angelastet werden, wenn er mit dem BFH davon ausgegangen sei, dass alle Steuerpflichtigen bei der Einkommensteuerveranlagung gleich zu behandeln seien. Überdies gelte unter Berücksichtigung der Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO eine siebenjährige Festsetzungsfrist.

    Der Kl. beantragt,

    den Bekl. zu verpflichten, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 19.08.2008 in Gestalt der EE vom 10.02.2009 die Veranlagung zur ESt 2003 durchzuführen,

    hilfsweise,

    die Revision zuzulassen.

    Der Bekl. beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Zur Begründung verweist der Bekl im Wesentlichen auf die Gründe der EE.

    Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten sowie den Inhalt der Steuerakten des Bekl verwiesen.

    Entscheidungsgründe:

    Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.

    Die Klage ist begründet.

    Die Ablehnung der Durchführung der ESt-Veranlagungen ist rechtswidrig und verletzt den Kl in seinen Rechten (§ 101 Finanzgerichtsordnung (FGO)).

    Besteht das Einkommen nach § 46 Abs. 2 EStG ganz – wie im Streitfall – oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, so wird eine Veranlagung nur unter den in § 46 Abs. 2 Nrn. 1 bis 8 EStG genannten Voraussetzungen durchgeführt.

    Vorliegend kommt nur eine Veranlagung auf Antrag nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG in Betracht, da keiner der Fälle des § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 7, welche eine Veranlagung von Amts wegen vorsehen, vorliegt.

    Die Durchführung einer Veranlagung setzt einen Antrag des Steuerpflichtigen voraus. Die frühere zusätzliche Voraussetzung, dass der Antrag bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahres zu stellen war, ist aufgrund der Neufassung der Vorschrift durch Artikel 1 des JStG 2008 vom 20.12.2007 (BGBl. I S. 3150) entfallen.

    § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG n.F. ist gemäß § 52 Abs. 55 j Satz 2 EStG (JStG 2008) erstmals für den Veranlagungszeitraum 2005 anzuwenden und –hier einschlägig– in Fällen, in denen am 28. Dezember 2007 über einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig entschieden ist. Letzteres trifft zu. Eine bestandskräftige Ablehnung des Antrags des Kl auf Durchführung der ESt-Veranlagung 2003 liegt nicht vor. Nach Ansicht des BFH, welcher sich der Senat anschließt, ist der Anspruch des Kl auf Durchführung der streitbefangenen Veranlagung von weiteren Voraussetzungen nicht abhängig (vgl. BFH-Urteile vom 15. Januar 2009 VI R 23/08, BFH/NV 2009, 755; vom 12. November 2009 VI R 1/09, BFHE 227, 97, BFH/NV 2010, 514). Insbesondere ist nach der BFH-Rechtsprechung – entgegen der bisherigen Ansicht der Finanzverwaltung – nicht erforderlich, dass der Antrag auf Veranlagung für Veranlagungszeiträume vor 2005 bereits vor dem 28. Dezember 2007 gestellt wurde. Auch wenn möglicherweise nach der Vorstellung des Gesetzgebers in Fällen, in denen – wie im Streitfall – die Zweijahresfrist alter Fassung im Zeitpunkt der Gesetzesänderung bereits abgelaufen war, keine Neuanträge auf Veranlagung ermöglicht werden sollten (BTDrucks 16/7036, Seiten 17 bis 19), hat diese subjektive Vorstellung im Wortlaut des Gesetzes keinen objektivierten Niederschlag gefunden. So stellt § 52 Abs. 55j EStG n. F. nicht etwa auf einen bereits vor dem 28. Dezember 2007 gestellten und noch nicht bestandskräftig beschiedenen Antrag ab, sondern auf Fälle, in denen am Stichtag noch keine bestandskräftige Entscheidung über einen Antrag vorlag.

    Damit ist § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG n. F. auch auf Anträge anwendbar, die erst nach dem 28. Dezember 2007, dem Tag der Veröffentlichung des Gesetzes, gestellt worden sind. Keine Antragsveranlagung ist nur in den Fällen möglich, in denen im Zeitpunkt der Antragstellung bereits Festsetzungsverjährung eingetreten war (vgl. BFH-Urteil vom 12. November 2009 VI R 1/09, BFHE 227, 97, BFH/NV 2010, 514).

    Auch steht der beantragten Veranlagung zur ESt 2003 unter Berücksichtigung gleichheitsrechtlicher Gesichtspunkte eine Verjährungsfrist nicht entgegen. Mit dem VI. Senat des BFH geht der erkennende Senat davon aus, dass der Gesetzgeber mit der vorgenannten Überleitungsvorschrift alle noch offenen –zahlenmäßig offenbar nur geringen– Fälle ohne zusätzliche Prüfung weiterer Fragen einer umfassenden Erledigung zuführen wollte. Dies nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, dass aufgrund der seit 2005 geänderten Rechtsprechung des BFH zu der Vorschrift des § 46 Abs. 2 (Nr. 1 und Nr. 8) EStG und der darauf folgenden Reaktionen des Gesetzgebers vielfach zeitliche Zufälligkeiten darüber mitentscheidend waren, ob Anträge bzw. Klagen auf Durchführung von Einkommensteuer-Veranlagungen erfolgreich sein konnten (vgl. BFH-Urteil vom 15. Januar 2009 VI R 23/08, BFH/NV 2009, 755 zu einem in 2003 gestellten Antrag u. a. für die Jahre 1997 und 1998).

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

    Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Gründe nach § 115 Abs. 2 FGO vorlag.

    Anmerkung

    Tenor berichtigt durch Beschluss vom 21.05.2010.

    VorschriftenEStG § 52 Abs 55 j Satz 2, EStG § 46 Abs 2 Nr 8