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  • 02.03.2011 · IWW-Abrufnummer 110732

    Bundesfinanzhof: Urteil vom 11.11.2010 – VI R 26/08

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Gründe

    1

    I.

    Streitig ist, ob die auf Rechnung des Arbeitgebers von Arbeitnehmern bei Dritten bezogenen Waren Sachbezüge darstellen.

    2

    Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war arbeitsvertraglich verpflichtet, ihren Arbeitnehmern neben dem Gehalt verschiedene Zusatzleistungen zu erbringen, so auch "einen regelmäßigen Gutscheins-, Waren- oder Dienstleistungsbezug nach Wunsch des Arbeitnehmers" im Wert von 44 EUR. Der Arbeitnehmer konnte bis zum 30. November eines Jahres bestimmen, welche konkreten Waren, Dienstleistungen oder Gutscheine er im Folgejahr beziehen mochte. Sollte der vereinbarte Wert überschritten worden sein, war der Arbeitnehmer zur anteiligen Rückzahlung an die Klägerin verpflichtet. Der Arbeitnehmer konnte sich auch für den Bezug von Waren oder Dienstleistungen einer Tankstelle entscheiden. Für diesen Fall hatte die Klägerin mit dem Betreiber der Tankstelle (T) vereinbart, dass die Arbeitnehmer monatlich nach ihrer Wahl bei T Güter "aus allen Warengruppen" im Wert von bis zu 44 EUR auf Rechnung der Klägerin beziehen durften. Die Arbeitnehmer erhielten jeweils eine dementsprechend limitierte "T Card", eine Kundenkarte des T. Die Arbeitnehmer kauften mittels der Kundenkarte für 44 EUR monatlich im Wesentlichen Treibstoffe, daneben auch Tabak- und Süßwaren. T erteilte der Klägerin monatlich Rechnungen mit gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer. Die Rechnungen wiesen die von jedem Arbeitnehmer bezogenen Waren oder Dienstleistungen aus. Die Klägerin sah hierin keinen lohnsteuerpflichtigen Vorgang.

    3

    Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) beanstandete dies im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung und nahm die Klägerin für die nicht angemeldeten und abgeführten Lohnsteuerabzugsbeträge gemäß § 42d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Haftung. Es liege kein Sachbezug vor, sodass die Freigrenze des § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG nicht einschlägig sei. Die Kundenkarte sei einem Warengutschein, der nicht beim Arbeitgeber einzulösen sei, vergleichbar. In einem solchen Fall komme ein Sachbezug nur in Betracht, wenn die Ware konkret bezeichnet und zusätzlich kein Höchstbetrag angegeben sei. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall nicht gegeben.

    4

    Das Finanzgericht (FG) wies nach erfolglosem Einspruchsverfahren die dagegen erhobene Klage aus den in Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2009, 335 veröffentlichten Gründen ab.

    5

    Die Klägerin habe dadurch, dass sie die Kosten der von den Arbeitnehmern bei T bezogenen Waren oder Dienstleistungen bis zur Höhe von 44 EUR monatlich getragen habe, Barlohn zugewendet. Auch wenn sie ihren Arbeitnehmern insoweit kein Geld bar oder unbar habe zukommen lassen, sondern ihnen nur den kostenlosen Bezug der Waren oder Dienstleistungen des T ermöglicht habe, flössen ihnen doch Einnahmen in Geld i.S. des § 8 Abs. 1 EStG zu, auch wenn eine Entlohnung durch den Bezug von Waren und Dienstleistungen vereinbart sei.

    6

    Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 8 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 9 EStG.

    7

    Sie beantragt,

    das Urteil des Niedersächsischen FG vom 20. September 2007, die Einspruchsentscheidung vom 10. Januar 2007 und den Haftungsbescheid vom 6. Dezember 2006 ersatzlos aufzuheben.

    8

    Das FA beantragt,

    die Revision zurückzuweisen.

    9

    II.

    Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

    10

    1.

    Steuerpflichtiger Arbeitslohn i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, zu dem alle im Rahmen dieser Einkunftsart zufließenden Einnahmen in Geld oder Geldeswert gehören (§ 8 Abs. 1 EStG), sind auch Sachbezüge. Diese bleiben nach § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG allerdings außer Ansatz, wenn die sich nach Anrechnung der vom Steuerpflichtigen gezahlten Entgelte ergebenden Vorteile insgesamt 44 EUR (ab 2004) im Kalendermonat nicht übersteigen. Solche Sachbezüge sind alle nicht in Geld bestehenden Einnahmen (§ 8 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ob Sachbezüge vorliegen, entscheidet sich nach dem Rechtsgrund des Zuflusses, nämlich auf Grundlage der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen danach, welche Leistung der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber beanspruchen kann. Kann der Arbeitnehmer lediglich die Sache selbst beanspruchen, liegen daher Sachbezüge i.S. des § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG vor, die unter den weiteren Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG außer Ansatz bleiben; der Senat verweist insoweit zwecks Vermeidung von Wiederholungen auf sein zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehenes Urteil vom 11.11.2010 in der Sache VI R 27/09.

    11

    2.

    Nach Maßgabe der vorgenannten Grundsätze führt die Revision zur Aufhebung der Vorentscheidung und Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Das FG hat zu Unrecht die von der Klägerin an ihre Arbeitnehmer ausgehändigte Tankkarte als eine Barlohnzuwendung qualifiziert, die besondere Freigrenze des § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG nicht angewendet und die Voraussetzungen für eine Lohnsteuerhaftung bejaht.

    12

    Die von der Klägerin ausgegebenen Tankkarten berechtigten die Arbeitnehmer lediglich, bei der Vertragstankstelle T auf Kosten der Klägerin Waren zu beziehen. Dagegen liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Arbeitnehmer der Klägerin statt der bei T beziehbaren Güter "aus allen Warengruppen" im Wert von bis zu 44 EUR auf Grundlage der überlassenen Tankkarten auch eine Geldleistung in Höhe von 44 EUR beanspruchen konnten. Kann indessen der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber lediglich den Bezug der Sache beanspruchen, liegen nach der Rechtsprechung des Senats, auf die hier Bezug genommen wird (Urteil vom 11.11.2010 in der Sache VI R 27/09, zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen), Sachbezüge i.S. des § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG vor. Da im Streitfall die Sachbezüge jeweils die gesetzlich vorgesehene Wertgrenze nicht überschritten hatten, bleiben sie nach § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG außer Ansatz. Der Lohnsteuerhaftungsbescheid ist daher aufzuheben.

    RechtsgebietEStGVorschriften§ 8 Abs. 2 S. 1 EStG