01.02.2012
Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 16.09.2010 – 12 K 154/06
1. Eine Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist in Bezug auf den Haftungsschuldner (hier: Geschäftsführer der GmbH) tritt auch dann ein, wenn dieser aufgrund der Vorschrift des § 34 AO zwecks Erfüllung steuerlicher Pflichten eines anderen (hier: der GmbH) zur Abgabe von Steueranmeldungen verpflichtet ist.
2. Ein Geschäftsführer einer GmbH, der als Haftungsschuldner für Steuerverbindlichkeiten der GmbH in Anspruch genommen worden ist, ist nicht mit Einwendungen gegen die gegenüber der GmbH festgesetzten Steuern nach § 166 AO ausgeschlossen, wenn er aufgrund der zwischenzeitlichen Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens über das Vermögen der GmbH nicht mehr befugt war, gegen die der Haftung zugrunde liegenden, gegenüber der GmbH ergangenen Steuerbescheide Einspruch einzulegen. Dieser Umstand enthebt den Geschäftsführer aber nicht der Obliegenheit, im Verfahren über die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides substantiierte Einwendungen gegen die Steuerfestsetzungen vorzutragen.
3. Beruft sich der Geschäftsführer auf den Grundsatz der anteiligen Tilgung, wonach er rückständige Umsatzsteuern der GmbH nur in ungefähr dem gleichen Verhältnis hätte können und müssen wie die Verbindlichkeiten der GmbH gegenüber anderen Gläubigern, so dass nur eine Haftung in Höhe eines bestimmten Teils der Umsatzsteuerschulden der GmbH in Betracht komme, so muss er die Voraussetzungen hierfür substantiiert darlegen.
4. Nach Rücknahme eines ersten Haftungsbescheids ist das FA insbesondere dann nicht aus Vertrauensschutzgesichtspunkten am Erlass eines erneuten Haftungsbescheids wegen derselben gegenüber der GmbH ergangenen Steuerfestsetzungen gehindert, wenn zwischenzeitlich eine Außenprüfung bei der GmbH betreffend diese Steuerfestsetzungen stattgefunden hat und infolge der dabei getroffenen Feststellungen anschließend ein Strafverfahren gegen den Geschäftsführer eingeleitet werden musste.
5. Einer internen Aufgabenverteilung zwischen mehreren Geschäftsführern kommt eine haftungsbegrenzende Wirkung nur dann zu, wenn die nähere Ausgestaltung der Aufgabenzuweisungen vor Aufnahme der Geschäftsführertätigkeit klar und eindeutig schriftlich festgelegt worden ist.
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg – 12. Senat – aufgrund mündlicher Verhandlung vom 16. September 2010 durch den Präsidenten des Finanzgerichts … die Richterin am Finanzgericht … den Richter … sowie die ehrenamtlichen Richter …
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheides.
Durch Gesellschaftsvertrag vom 06. August 1993 errichteten der Kläger sowie ein Herr M die GmbH, an der beide zu je 50% beteiligt waren. Beide Gesellschafter wurden zu alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführern bestellt. Nach Niederlegung der Geschäftsführertätigkeit durch den Mitgeschäftsführer M zum 09. Juni 1997 verblieb der Kläger als alleiniger Geschäftsführer. Auf Antrag der GmbH vom 02. November 1998 eröffnete das Amtsgericht D am 27. April 1999 das Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der GmbH.
Mangels Abgabe von Umsatzsteuererklärungen unter anderem für die Jahre 1996 und 1997 erließ der Beklagte gegenüber der GmbH entsprechende Schätzungsbescheide.
Durch Haftungsbescheid vom 30. August 1999 nahm der Beklagte den Kläger gemäß §§ 191, 69, 34 der Abgabenordnung (AO) unter anderem für Umsatzsteuerschulden der GmbH für die Jahre 1995 bis 1997 in Anspruch. Der gegen den Haftungsbescheid erhobene Einspruch des Klägers blieb erfolglos. Der Kläger erhob daraufhin Klage bei dem seinerzeit zuständigen Finanzgericht des Landes Brandenburg (Aktenzeichen 2 K 159/00) und beantragte gleichzeitig die Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das Finanzgericht setzte die Vollziehung des Haftungsbescheides durch Beschluss vom 06. März 2000 (Aktenzeichen 2 V 160/00) aus, weil es nicht ausgeschlossen erscheine, dass der Beklagte sein Auswahlermessen falsch ausgeübt habe.
Von Juli bis August 2000 führte der Beklagte bei der GmbH eine Außenprüfung unter anderem für die Umsatzsteuer 1993 bis 1997 durch. Bei der Prüfung war der Kläger durchgängig zugegen. Für die Jahre 1996 und 1997 kam der Beklagte danach zu zusätzlichen Umsatzsteuerschulden der GmbH in Höhe von DM 104 702,00 sowie DM 149 862,00. Der Beklagte leitete in der Folge zudem gegen den Kläger ein Strafverfahren ein, das im Jahre 2002 gegen Zahlung eines Geldbetrages eingestellt wurde.
Am 16. März 2001 erließ der Beklagte einen an den Kläger gerichteten Bescheid, der mit „Rücknahme des Haftungsbescheides vom 30.08.1999 für Steuerschulden der … GmbH” überschrieben war. Darin führte der Beklagte aus:
„Hiermit wird der o.g. Haftungsbescheid in Höhe von 18.489,15 DM gemäß § 130 Abs. 1 Abgabenordnung zurückgenommen.”
Daraufhin erklärten die Beteiligten im Klageverfahren 2 K 159/00 den Rechtsstreit für in der Hauptsache erledigt.
Am 03. Dezember 2001 wurde das Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der GmbH mangels Masse eingestellt.
Mit Haftungsbescheid vom 29. Oktober 2003 nahm der Beklagte den Kläger erneut gemäß §§ 191, 69, 34 AO für Steuer- und Abgabenschulden der GmbH in Anspruch. Die Inanspruchnahme bezog sich auf Umsatzsteuerschulden Oktober bis Dezember 1996 in Höhe von EUR 13 581,94, EUR 21 045,63 und EUR 17 800,83 (insgesamt EUR 52 428,40) sowie Hinterziehungszinsen für diesen Zeitraum in Höhe von DM 6 816,83.
Der Kläger erhob gegen diesen Haftungsbescheid am 25. November 2003 Einspruch und beantragte zugleich die Aussetzung der Vollziehung. Er vertrat die Auffassung, dass nach der Rücknahme des Haftungsbescheides vom 30. August 1999 das gesamte Haftungsverfahren als abgeschlossen habe betrachtet werden können. Es werde derselbe Sachverhalt aufgegriffen, ohne dass die Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO vorlägen. Der gesamte Sachverhalt sei im Zeitpunkt des Rücknahmebescheides bekannt gewesen, so dass keine neuen Tatsachen bekannt geworden seien. Zudem sei ihm nicht Gelegenheit gegeben worden, zu den Ergebnissen der Betriebsprüfung und den nachfolgenden Änderungsbescheiden Stellung zu nehmen. Wegen des Gesamtvollstreckungsverfahrens habe er auch nicht Einsicht in die Geschäftsunterlagen der GmbH nehmen können. Er habe Zweifel an der Richtigkeit und der Vollständigkeit der Ermittlungen.
Mit Bescheid vom 05. Dezember 2003 lehnte der Beklagte die Aussetzung der Vollziehung ab.
Mit Haftungsbescheid vom 10. Dezember 2003 nahm der Beklagte den Kläger erneut gemäß §§ 191, 69, 34 AO für Steuer- und Abgabenschulden der GmbH in Anspruch. Die Inanspruchnahme bezog sich auf Umsatzsteuerschulden Januar bis August 1997 in Höhe von EUR 35 118,39 (Januar), EUR 12 865,17 (Februar), EUR 11 474,66 (März), EUR 1 970,95 (April), EUR 1 595,23 (Mai), EUR 1 252,90 (Juni), EUR 9 717,58 (Juli), EUR 285,41 (August), insgesamt also EUR 72 280,29, sowie Hinterziehungszinsen für diesen Zeitraum in Höhe von DM 23 566,26. Sie wurde damit begründet, es seien weder die Umsatzsteuer-Voranmeldungen für diese Monate abgegeben noch Zahlungen geleistet worden. Als Haftungszeitraum war der 10. März bis 10. September 1997 angegeben. Im Übrigen entspricht die Begründung derjenigen im Haftungsbescheid vom 29. Oktober 2003.
Am 11. Dezember 2003 erhob der Kläger gegen diesen Bescheid Einspruch und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Letztere wurde mit Bescheid des Beklagten vom 15. Januar 2004 abgelehnt.
Bereits am 12. Dezember 2003 hatte der Kläger die gerichtliche Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides vom 29. Oktober 2003 beantragt; am 20. Januar 2004 erweiterte er den Aussetzungsantrag auf den Haftungsbescheid vom 10. Dezember 2003.
Das seinerzeit zuständige Finanzgericht des Landes Brandenburg setze daraufhin mit Beschluss vom 11. Juni 2004 (Aktenzeichen 3 V 2723/03) die Vollziehung dieser Bescheide bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer abschließenden Entscheidung über die Einsprüche vom 25. November und 11. Dezember 2003 insoweit aus, als der Kläger darin für Hinterziehungszinsen in Anspruch genommen wurde. Im übrigen wies es den Antrag zurück.
Mit Einspruchsentscheidungen vom 04. Januar 2006 setzte der Beklagte die Haftungssumme auf EUR 52 428,40 (Haftungsbescheid vom 29. Oktober 2003) bzw. EUR 74 280,29 (Haftungsbescheid vom 10. Dezember 2003) herab; im übrigen wies er die Einsprüche zurück. Im Ergebnis verzichtete der Beklagte damit darauf, den Kläger als Haftungsschuldner für Hinterziehungszinsen in Anspruch zu nehmen.
Der Kläger wiederholt seinen Vortrag, dass er nicht die Möglichkeit gehabt habe, die den Haftungstatbestand begründenden Umsatzsteuerfestsetzungen gegen die GmbH anzugreifen, da er von diesen keine Kenntnis gehabt und für ihn weder die Möglichkeit der Sachverhaltsaufklärung noch der Anfechtung dieser Bescheide bestanden habe. Der Beklagte habe dem Gesamtvollstreckungsverwalter am 18. September 2000 die aus seiner, des Klägers, Sicht fehlerhaften Berechnungen für die Umsatzsteuer 1996 und 1997 übersandt. Der Gesamtvollstreckungsverwalter habe ihn, den Kläger, darüber nicht in Kenntnis gesetzt. Aus diesem Grund müsse er die Festsetzungen nicht gemäß § 166 AO gegen sich gelten lassen.
Hinsichtlich der Umsatzsteuerfestsetzungen trägt der Kläger vor, dass die GmbH als Generalunternehmer lediglich Pufferfunktion zwischen den Bauherren und den ausführenden Unternehmen gehabt habe. Die vertraglich vereinbarten Gesamtbaukosten hätten in etwa der Summe der Baukosten für die einzelnen Gewerke entsprochen. Danach sei ein Umsatzsteuerüberhang in gravierender Höhe kaum verständlich. Es sei überhaupt fraglich, ob Umsatzsteuer festzusetzen gewesen wäre, wenn er, der Kläger, die Möglichkeit zur Sachverhaltsaufklärung bzw. zur Beibringung entsprechender Rechnungen gehabt hätte, die einen weiteren Vorsteuererstattungsanspruch hätten begründen können.
Weiter macht der Kläger erneut geltend, dass er als Empfänger des den Haftungsbescheid zurücknehmenden Bescheides davon ausgegangen sei, dass der Beklagte nicht mehr beabsichtige, ihn als Haftungsschuldner für die Umsatzsteuerschulden der GmbH in Anspruch zu nehmen. Zudem folge aus dem langen Zeitraum zwischen Aufhebung des ursprünglichen und Erlass des ersten neuen Haftungsbescheides, dass der Beklagte seinen Anspruch gegen ihn, den Kläger, verwirkt habe. Es sei möglich und geboten gewesen, in dem Rücknahmebescheid vom 16. März 2001 den erneuten Erlass von Haftungsbescheiden anzukündigen.
Der Kläger meint, dass er die von dem Beklagten festgestellte Pflichtverletzung nicht schuldhaft begangen habe. Es komme auf die Kenntnisse und Fähigkeiten des jeweils Handelnden an. In seinem, des Klägers, Fall habe es zwar keine schriftliche Vereinbarung über die Aufgabenteilung zwischen den beiden Geschäftsführern, ihm und M, gegeben, aber es sei von Anfang an vereinbart gewesen und auch glaubhaft, dass der erfahrene Kaufmann M die in seinen Erfahrungsbereich fallenden Verantwortungsbereiche übernehmen solle.
Zudem ist der Kläger der Auffassung, dass zwischen seiner Pflichtverletzung und der Nichtzahlung der Steuerschulden kein Kausalzusammenhang bestehe. Der Beklagte habe lediglich behauptet, dass die zur Steuerzahlung erforderlichen Finanzmittel im Zeitpunkt einer fristgerechten Steueranmeldung vorhanden gewesen seien. Es sei aber zu fordern, dass der Beklagte für jeden Fälligkeitszeitpunkt der Umsatzsteuernachforderungen darlege, welche finanziellen Mittel der GmbH zur Verfügung gestanden und in welcher Höhe dem Verbindlichkeiten gegenübergestanden hätten.
Schließlich weist der Kläger darauf hin, dass die Umsatzsteuer für ein Kalenderjahr festgesetzt werde. Die für die einzelnen Kalendermonate angemeldeten Beträge stellten lediglich Vorauszahlungen auf die Jahressteuerschuld dar. Es handele sich insoweit nicht um unterschiedliche Besteuerungstatbestände. Die von dem Beklagten herangezogenen Monate für die festgesetzten Nachforderungsbescheide seien willkürlich ausgewählt worden. Es hätten aus seiner, des Klägers, Sicht ebenso gut auch andere Monate sein können. Der Beklagte entferne sich von der normalen Praxis des Umsatzsteuerrechts, indem er nach Durchführung einer Jahresveranlagung für 1996 und 1997 noch einmal Monatsbescheide erlasse und für diese dann ihn, den Kläger, in Haftung nehme. Der normale Verfahrensverlauf sei genau umgekehrt.
Der Kläger beantragt,
die Haftungsbescheide vom 29. Oktober und 10. Dezember 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 04. Januar 2006 aufzuheben
sowie
die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er weist darauf hin, dass der Kläger im Einspruchsverfahren über die Haftungsbescheide, das von Ende 2003 bis zum 04. Januar 2006 und damit gut zwei Jahre gedauert habe, hinreichend Zeit gehabt habe, sich über die durch die Betriebsprüfung festgestellten umsatzsteuerlichen Sachverhalte zu informieren.
Entscheidungsgründe:
1. Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte durfte den Kläger in dem Umfang, wie dies geschehen ist, als Haftungsschuldner für die Umsatzsteuerschulden der GmbH in Anspruch nehmen.
a) Der Voraussetzungen der Haftung des Klägers gemäß §§ 191, 34, 69 AO sind gegeben. Ohne Erfolg macht der Kläger geltend, dass ihn kein Verschulden an der nicht rechtzeitigen Entrichtung der Steuerschulden treffe.
Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) hat jeder Geschäftsführer alle steuerlichen Pflichten zu erfüllen, die der von ihm vertretenen juristischen Person auferlegt sind. Diese Pflicht ergibt sich allein aus der nominellen Bestellung zum Geschäftsführer ohne Rücksicht darauf, ob sie auch tatsächlich ausgeübt werden kann (BFH-Urteile vom 07. Mai 1985 – VII R 111/78, BFH/NV 1987, 210; vom 11. November 1986 – VII R 201/83, BFH/NV 1987, 212). Ein GmbH-Geschäftsführer kann sich auch nicht damit entlasten, dass er von der Führung der Geschäfte ferngehalten wurde und die Geschäfte tatsächlich von einem anderen geführt worden sind. In diesem Fall hat er durch geeignete Aufsichtsmaßnahmen dafür zu sorgen, dass die steuerlichen Verpflichtungen der GmbH ordnungsgemäß und rechtzeitig erfüllt werden. Ist er nicht in der Lage, eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen, die ihm die Erfüllung seiner Pflichten ermöglichen, so muss er als Geschäftsführer zurücktreten.
Nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen hat die Rechtsprechung eine Begrenzung der Haftung durch eine interne Verteilung von Aufgabenbereichen und eine dadurch bewirkte Einschränkung des Grundsatzes der Gesamtverantwortung zugelassen. Danach kommt einer internen Aufgabenverteilung eine haftungsbegrenzende Wirkung nur dann zu, wenn die nähere Ausgestaltung der Aufgabenzuweisungen vor Aufnahme der Geschäftsführertätigkeit klar und eindeutig schriftlich festgelegt worden ist (BFH-Beschluss vom 12. Mai 2009 – VII B 266/08, BFH/NV 2009, 1589, unter 2.a) der Gründe). Dies ist im Streitfall nicht geschehen.
Der Kläger hat auch grob fahrlässig und damit schuldhaft gehandelt, weil er nicht dafür Sorge getragen hat, dass die Umsatzsteuer-Voranmeldungen rechtzeitig abgegeben und die Vorauszahlungen entrichtet wurden. Grob fahrlässig i.S.d. § 69 AO handelt, wer die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht lässt (BFH-Urteil vom 12. Mai 1992 – VII R 52/91, BFH/NV 1992, 785). Als Geschäftsführer der GmbH war der Kläger verpflichtet, sich anhand der Buchführungsunterlagen und des Schriftverkehrs einen Überblick über die Geschäftsführung zu verschaffen und die Tätigkeit des nach seinem Vorbringen für den kaufmännischen Bereich zuständigen Mitgeschäftsführers M zu überwachen. Indem der Kläger offenbar nicht einmal den Versuch gemacht hat, sich entweder selbst um die steuerlichen Angelegenheiten der GmbH zu kümmern oder die entsprechende Tätigkeit des M zu kontrollieren, hat er seine Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich hohem Maße verletzt.
b) Dem Kläger ist allerdings zuzugeben, dass er die der Haftungsinanspruchnahme zugrundeliegenden bestandskräftigen Umsatzsteuerfestsetzungen nicht gemäß § 166 AO gegen sich gelten lassen muss. Ein Geschäftsführer einer GmbH ist nur dann mit Einwendungen gegen die gegenüber der GmbH festgesetzten Steuern nach § 166 AO ausgeschlossen, wenn er während der für Rechtsbehelfe gegen die Festsetzungen zur Verfügung stehenden Zeit zur Vertretung befugt war (BFH-Urteil vom 24. August 2004 – VII R 50/03 vom 24. August 2004, BStBl. II 2005, 127; BFH-Beschluss vom 28. März 2001 – VII B 213/00, BFH/NV 2001, 1217).
Dieser Umstand enthebt den Kläger aber nicht der Obliegenheit, im Verfahren über die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides substantiierte Einwendungen gegen die Steuerfestsetzungen vorzutragen. Daran fehlt es hier. Der Kläger macht lediglich geltend, dass ein „Überhang von Umsatzsteuern in derart gravierender Höhe kaum verständlich” sei. Dieser Vortrag ist nicht geeignet, Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Umsatzsteuerfestsetzungen zu begründen. Es wäre erforderlich gewesen, unter Beibringung von Nachweisen, z.B. der den Leistungsbeziehungen zugrundeliegenden Verträge, Rechnungen usw., darzulegen, dass die GmbH entweder nicht Unternehmer im umsatzsteuerlichen Sinne gewesen sei, keine umsatzsteuerbaren oder umsatzsteuerpflichtigen Leistungen erbracht habe oder jedenfalls keine die Höhe der festgesetzten Steuern rechtfertigenden Leistungsentgelte erhalten habe. Dies hat der Kläger nicht getan. Er hat auch keine Rechnungen vorgelegt, die einen weiteren Vorsteuerabzug begründen könnten.
Mangels jeglichen diesbezüglichen Vortrags des Klägers sah der Senat auch keinen Anlass, bei der Prüfung des Verschuldens des Klägers und der Kausalität seiner Pflichtverletzung für den eingetretenen Haftungsschaden näher darauf einzugehen, ob der Kläger – hätte er sich Ende 1996 bzw. Anfang 1997 zeitnah um die Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen gekümmert und die angemeldeten Beträge entrichtet – das Bestehen der Umsatzsteuerschuld auch in der bei der späteren Betriebsprüfung festgestellten Höhe hätte erkennen müssen.
c) Der Beklagte durfte den Kläger auch in voller Höhe der rückständigen Umsatzsteuer in Anspruch nehmen. Zwar ist die Haftung nach § 69 AO dem Umfang nach auf den Betrag beschränkt, der infolge der Pflichtverletzung nicht entrichtet worden ist. Stehen zur Begleichung der Steuerschulden insgesamt ausreichende Mittel nicht zur Verfügung, so bewirkt die durch die schuldhafte Pflichtverletzung verursachte Nichterfüllung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis die Haftung folglich nur in dem Umfang, in dem der Verpflichtete das Finanzamt gegenüber den anderen Gläubigern benachteiligt hat. Rückständige Umsatzsteuer ist danach in ungefähr dem gleichen Verhältnis zu tilgen wie die Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern. Ist dies nicht geschehen, so liegt nur im Umfang des die durchschnittliche Tilgungsquote unterschreitenden Differenzbetrages eine schuldhafte Pflichtverletzung vor. Hierzu hat das Finanzamt unter Berücksichtigung der vorhandenen Daten und Zahlen die Haftungsquote zu ermitteln oder – soweit der Sachverhalt nicht aufgeklärt werden kann – im Schätzungswege die Quote festzustellen, die der Wahrscheinlichkeit am nächsten kommt. Zur Feststellung der Haftungssumme kann das Finanzamt von dem potentiellen Haftungsschuldner die zur Feststellung des Haftungsumfanges notwendigen Auskünfte über die Gesamtverbindlichkeiten und die anteilige Gläubigerbefriedigung im Haftungszeitraum verlangen (zum Ganzen BFH-Urteil vom 27. Februar 2007 – VII R 60/05, BStBl. II 2008, 508, unter II.2. der Gründe). Hier hat der Beklagte anhand von Kontoauszügen der GmbH und Aufstellungen über Geldeingänge bei der GmbH festgestellt, dass die GmbH in der Lage gewesen wäre, bei fristgerechter Anmeldung der Umsatzsteuer die Steuerschulden auch zu zahlen. Der Kläger bezweifelt die Richtigkeit dieser Feststellungen unsubstantiiert unter Hinweis darauf, dass der Beklagte zu jedem Fälligkeitstermin die Zahlungsfähigkeit der GmbH hätte dartun müssen. Der Senat versteht den Vortrag des Beklagten dahin, dass dies der Fall war. Es wäre danach Sache des Klägers gewesen, substantiiert darzulegen, ob und warum nach den oben genannten Grundsätzen nur eine Haftung in Höhe eines bestimmten Teils der Umsatzsteuerschulden in Betracht komme. Dies hat der Kläger indes versäumt.
d) Der Beklagte hat sein Entschließungs- und sein Auswahlermessen fehlerfrei ausgeübt. Davon geht mittlerweile offenbar auch der Kläger aus.
e) Der Beklagte war auch nicht gehindert, nach Rücknahme des ursprünglichen Haftungsbescheides vom 30. August 1999 durch den Bescheid vom 16. März 2001 erneute Haftungsbescheide zu erlassen. Der Senat verweist insoweit auf die Ausführungen des Finanzgerichts des Landes Brandenburg in dem Beschluss vom 11. Juni 2004 zum Aktenzeichen 3 V 2723/03, Seite 7 f. Ergänzend weist er darauf hin, dass ein zugunsten des Klägers wirkender Vertrauenstatbestand insbesondere deshalb ausgeschlossen erscheint, weil der Kläger bei der Außenprüfung des Beklagten, die zur Feststellung der höheren Umsatzsteuerschulden führte, für die der Kläger dann in Haftung genommen wurde, zugegen war, und der Beklagte in der Folge ein Strafverfahren gegen den Kläger einleitete. Der Kläger hatte danach keinerlei Anlass, anzunehmen, mit der Aufhebung des ursprünglichen Haftungsbescheides sei die Sache für ihn erledigt.
f) Der Beklagte war schließlich nicht aufgrund des Eintritts der Festsetzungsverjährung gehindert, den Kläger erneut auch für diejenigen Umsatzsteuerschulden in Haftung zu nehmen, die bereits Gegenstand des ersten Haftungsbescheides gewesen waren. Zwar beginnt die Festsetzungsfrist gemäß § 191 Abs. 3 Satz 3 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft, und sie beträgt gemäß § 191 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre. Damit könnte die Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer betreffend die Jahre 1996 und 1997 jedenfalls insoweit abgelaufen sein, als es sich nicht um aufgrund der Außenprüfung festgestellte Mehrsteuern handelte, für die § 191 Abs. 3 Satz 4 AO gilt (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 04. September 2002 – I B 145/01, BStBl. II 2003, 223, unter II.2.b) bb) bbb) der Gründe). Auch für die bereits festgesetzten Steuern ist nämlich nach Auffassung des Senats § 191 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO zu beachten, nach dem die Festsetzungsfrist in dem Fall, in dem eine Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steueranmeldung oder die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist, beginnt (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 22. Januar 2003 – V B 122/02, BFH/NV 2003, 645). Der Senat versteht die genannten Vorschriften allerdings in der Weise, dass eine Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist in Bezug auf den Haftungsschuldner auch dann eintritt, wenn dieser aufgrund der Vorschrift des § 34 AO zwecks Erfüllung der steuerlichen Pflichten eines anderen – hier der GmbH – zur Abgabe von Steueranmeldungen verpflichtet ist. Der Kläger war als Geschäftsführer zur Anmeldung der Umsatzsteuer der GmbH verpflichtet. Er gab jedoch Steueranmeldungen nicht ab. Demnach begann der Lauf der Festsetzungsfrist für die im Jahre 1996 entstandenen Steuern mit Ablauf des Jahres 1999 und für die im Jahre 1997 entstandenen Steuern mit Ablauf des Jahres 2000. Die Festsetzungsfrist endete mithin mit Ablauf des Jahres 2003 bzw. 2004.
2. Die Revision zum Bundesfinanzhof war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen. Die Frage, ob eine Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist in Bezug auf den Haftungsschuldner auch dann eintritt, wenn dieser aufgrund der Vorschrift des § 34 AO zwecks Erfüllung der steuerlichen Pflichten eines anderen – hier der GmbH – zur Abgabe von Steueranmeldungen verpflichtet ist, ist von grundsätzlicher Bedeutung und bislang vom Bundesfinanzhof nicht entschieden worden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.